Viermal abgebrannt – bald kanadisches Modelldorf?


weltspiegel

Stand: 31.07.2023 15:14 Uhr

Viermal schon ist Lytton abgebrannt, doch kein Feuer hat den Ort so hart getroffen wie das vor zwei Jahren. Erst jetzt beginnt der Wiederaufbau – mit dem Ziel, die bestgeschützte Kommune in Kanada zu werden.

Denise O’Connor guckt auf ein Feld mit viel Sand und Steinen. Das einzige, was hier wächst, ist eine Sonnenblume. “Hier stand einmal mein Haus, mit Keller, Erdgeschoss und zwei Schlafzimmern im Obergeschoss”, sagt O’Connor. Bis das Feuer kam, vor zwei Jahren.

Es sei ein schauriger Tag gewesen, erinnert sie sich. Seit Tagen sei es extrem heiß gewesen, heftiger Wind habe die glühende Hitze durchs Tal getrieben. Touristen und Fernsehsender seien angereist, weil Lytton in British Columbia mit knapp 50 Grad den kanadischen Rekord knackte.

O’Connor‘s Mann saß im Rollstuhl, in Windeseile musste sie ihn ins Auto bringen: “Wir sind um unser Leben gerannt.” Anderthalb Stunden später war nur noch Asche übrig, der historische Ortskern von Lytton fast komplett abgebrannt. “Über dem Dorf lag eine schwarze Wolke wie nach einer Atombombe”, erinnert sich O’Connor.

“Dorf an den Klimawandel anpassen”

Mittlerweile haben die Einwohner sie zur Bürgermeisterin gewählt, in der Hoffnung, dass die frühere Schulleiterin mit ihrer zupackenden Art den Wiederaufbau vorantreiben kann.

Ihr Traum ist, den Aufbau zu nutzen, um das Dorf an den Klimawandel anzupassen. “Feuer sind nicht unüblich in unserer Gegend. Überall um uns herum sieht man die Spuren von Waldbränden. Wir müssen vorbereitet sein”, sagt O’Connor.

Mit feuerfesten Außenwänden und Türen zum Beispiel, die sie zum Teil der Bauvorschriften gemacht hat. Oder mit Pflanzen, die nicht wie Zunder das Feuer anfachen – dickblättrigen Bäumen statt Kiefern. Den Rasen kurz halten – und Platz lassen zwischen den Häusern.

Die neue Bürgermeisterin von Lytton, Denise O’Connor, hat beim letzten Brand selber alles verloren. Nun will sie das Dorf feuerfest wieder aufbauen.

“Naturgewalten nicht machtlos ausgesetzt”

Ein paar Kilometer bergauf sind Tricia und Don Thorpe schon ein ganzes Stück weiter. Auch sie haben alles verloren, das große Haus, die Möbel, die Ställe. Nur ihre Alpacas, ein paar von ihren Ziegen, Schafen und Hunden schafften es. “Es war wie ein Wunder”, erzählen sie, “neun Welpen haben überlebt, weil ihre Mutter sie im Garten eingebuddelt hat”. Ein kleiner Funken Hoffnung inmitten all der Zerstörung.

Tricia Thorpe engagiert sich seitdem beim kanadischen Programm Fire Smart, hat dort gelernt, dass Menschen den Naturgewalten nicht machtlos ausgesetzt sein müssen und es sich lohnt, zu investieren.

“Jedem Dollar, den wir einsetzen, stehen 15 gegenüber, die es kostet, auf ein Feuer zu reagieren”, meint Thorpe. Deshalb mache es schon aus finanziellen Gründen Sinn sich vorzubereiten – “ganz abgesehen von den emotionalen Kosten für die Menschen nach einem Brand”.

Tricia und Don Thorpe bauen ihr Haus in Lytton nach den Waldbränden neu – aus Beton statt aus Holz.

Beton statt Holz

Gemeinsam mit Nachbarn und Freunden haben sie ein neues Zuhause gebaut, das im Dorf allgemein als Vorbild gilt. “Das wichtigste sind die Baustoffe. Früher wurde alles aus Holz gebaut, aber Zement ist viel sicherer, weil er nicht brennen kann”, erklärt Tricia Thorpe.

Deshalb haben sie ihr Haus mit isolierten Betonklötzen gebaut, wie “Lego für Erwachsene” sei das gewesen, einfach und günstig. Obendrauf eine Schicht aus Zementtafeln und rund ums Haus eine zweieinhalb Meter breite Umrandung aus Beton. “Das macht uns feuersicher, denn Flammen kommen gar nicht bis ans Haus.”

Zwei Jahre sind seit dem letzten verherenden Waldbrand vergangen, und im Ortskern ist noch kein einziges Haus neu gebaut worden.

Hilfe von Freiwilligen

Auch die Tiere leben jetzt sicherer. Auf den Ställen sorgen Sprinkleranlagen im Notfall dafür, dass die Gebäude und alles darum herum nass und kühl bleiben. An der Windseite haben sie außerdem eine lange Wand aus Zement gebaut, die demnächst hinter feuerfestem Grün verschwinden soll.

Die Thorpes hatten keine Versicherung, haben auch deshalb alles in Eigenregie gemacht – und mit der Hilfe von Freiwilligen, die von überall herkamen. “Es war überwältigend. Da kamen Leute, die wir gar nicht kannten, und brachten einen ganzen Anhänger voll mit Baumaterial und allen möglichen Werkzeugen”, erinnert sich Denise Thorpe, und ihr Mann Don ergänzt unter Tränen: “Immer dann, wenn wir was brauchten, gab’s eine Lösung. Gott hat uns geholfen.”

Ein Vorbild für andere Kommunen

Zwei Jahre sind vergangen, und im Ortskern ist noch kein einziges Haus neu gebaut worden. Zwei Drittel der Leute hatten keine Versicherung – sie sind auf Gelder vom Staat abhängig. Doch wer die beantragen will, muss fertig gebaut haben und das Geld erstmal vorlegen. Das können sich viele nicht leisten. 

Doch die Bürgermeisterin lässt sich ihren Optimismus nicht nehmen: “Allein weil wir ganz von vorn anfangen, werden wir mit besseren und klimafreundlicheren Baustoffen arbeiten, die es vor 100 Jahren noch nicht gab.” Sie sieht das Feuer als Chance, es diesmal besser zu machen. Damit ihre Heimat Vorbild wird für andere Kommunen, die von Waldbränden bedroht sind.  

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