Ukraine: Die möglichen Sanktionen gegen Russland und ihre Folgen

Russlands Präsident Wladimir Putin hat die Unabhängigkeit der Separatistengebiete in der Ostukraine anerkannt und will russische Soldaten dorthin schicken. Die EU und die USA wollen mit Sanktionen antworten. Diese Strafmaßnahmen könnten jetzt folgen.

Die Ukraine-Krise eskaliert weiter: Nachdem Russlands Präsident Wladimir Putin am Montagabend die Unabhängigkeit der selbsternannten “Volksrepubliken” von Donezk und Luhansk anerkannt hat und die russische Armee in die Ostukraine entsenden will, haben westliche Länder umgehend Sanktionen angekündigt.

“Die Union wird mit Sanktionen gegen diejenigen reagieren, die an diesem rechtswidrigen Vorgehen beteiligt sind”, erklärten EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und EU-Ratspräsident Charles Michel auf Twitter. Der offizielle Beschluss über die Strafmaßnahmen soll noch am Dienstag auf den Weg gebracht werden.

Die USA wollen ebenfalls noch im Laufe dieses Tages neue Sanktionen gegen Russland anschieben. Präsident Joe Biden unterzeichnete bereits eine Exekutivanordnung, die neue Investitionen, Handel und Finanzierung durch US-Personen in Donezk und Luhansk verbieten. Und auch aus London sollen rasch Strafmaßnahmen kommen: Auf einer Sitzung des Sicherheitskabinetts am frühen Dienstagmorgen werde ein “umfangreiches Sanktionspaket, das sofort eingeführt werden soll”, beschlossen, teilte Downing Street mit.

Welche Maßnahmen auch immer beschlossen werden, sie müssen sorgfältig abgewogen sein. Denn die möglichen Strafen könnten nicht nur negative Folgen für Russland haben, sondern auch für die Staaten, die sie erlassen. Diese Sanktionen stehen im Raum:

Aus von Nord Stream 2 bei Ukraine-Einmarsch

Russland will durch die 1230 Kilometer lange Unterwasserpipeline bis zu 55 Milliarden Kubikmeter Gas pro Jahr an seine Kunden in Mittel- und Osteuropa liefern, ohne die Landroute durch die baltischen Staaten und die Ukraine zu benutzen. Gegenwärtig zahlt Moskau der Ukraine jährlich etwa zwei Milliarden Dollar an Transitgebühren für die Nutzung der Route. Nord Stream 2 wurde bereits im vergangenen Jahr fertiggestellt, muss aber noch von der Bundesnetzagentur in Bonn genehmigt werden, bevor es in Betrieb gehen kann. Das Verfahren hat die Bundesregierung am Dienstag als Reaktion auf die russische Eskalation der Ukraine-Krise. Er habe das Wirtschaftsministerium gebeten, die nötigen verwaltungsrechtlichen Schritte zu unternehmen, damit vorerst keine Zertifizierung der Gas-Pipeline erfolgen kann, weil die Lage nun neu bewertet werden müsse, sagte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) in Berlin. “Und ohne diese Zertifizierung kann Nord Stream 2 ja nicht in Betrieb gehen.”

Ein endgültiger Stopp des Projektes würde Russland wirtschaftlich schaden, denn Nord Stream 2 soll die direkte und damit deutlich günstigere Belieferung des europäischen Marktes ohne zwischengeschaltete Transitländer langfristig sicherstellen. Moskau würde dadurch auch einen wichtigen Antrieb für die Erschließung neuer Gasvorkommen verlieren. Sie wäre weniger rentabel, wenn das Gas später weiter über den teureren Landweg transportiert werden müsste. Allerdings ist der Gasexport im Vergleich zum Erdöl ein viel kleinerer Faktor in der russischen Wirtschaft. Die Pipeline gilt daher vor allem als ein politisches Prestigeprojekt von Wladimir Putin. Kritiker befürchten, dass der russische Präsident die Europäische Union mit Nord Stream 2 in eine größere wirtschaftliche Abhängigkeit bringen will.

“NS2 ist für die russische Regierung nicht besonders wichtig, um sich selbst zu finanzieren, denn selbst wenn die Pipeline nicht in Betrieb geht, kann Russland Gas über andere Röhren nach Europa schicken”, sagte Chris Miller, Assistenzprofessor für internationale Geschichte an der Tufts University in Massachusetts im Dezember der Deutschen Welle. Dennoch habe Moskau am meisten zu verlieren, wenn NS2 beerdigt werde: “Es wird eine bedeutende politische Niederlage für den Kreml sein, auch wenn es Russland finanziell nicht viel kosten wird.”

Für Deutschland hat russisches Gas hingegen eine große energiewirtschaftliche Bedeutung. Laut der Internationalen Energieagentur (IEA) importierte die Bundesrepublik im Jahr 2020 rund 56 Milliarden Kubikmeter ihres Gesamtverbrauchs von 87 Milliarden Kubikmetern aus Russland. Bei einem Stopp von Nord Stream 2 dürfte sich dennoch zunächst relativ wenig ändern – sofern Russland die Liefermengen durch die Ukraine unverändert lässt. Schon jetzt befinden sich die Erdgaspreise auf Rekordniveau. Derzeit kostet eine Tonne knapp 100 Euro, während der Konjunkturflaute in der Coronakrise seien es fünf Euro gewesen, wie der “Business Insider” berichtet.

Abhilfe könnte hier vor allem eine Erhöhung der Liefermenge durch Russland bringen, die auch ohne die Ostseepipeline möglich wäre, da die Landroute durchaus noch Kapazitäten hätte. Doch Moskau weigert sich, mehr Gas anzubieten. Kritiker meinen, der Kreml lasse die Verbraucherländer absichtlich jeden Monat die gestiegenen Gaspreise spüren, um so den Druck auf Europa zu erhöhen, Nord Stream 2 schnellstmöglich in Betrieb zu nehmen.

Falls das Pipeline-Projekt allerdings Sanktionen zum Opfer fällt, und der Kreml darauf antwortet, indem er den Gashahn komplett zudreht, dürfte sich die Energiekrise erheblich zuspitzen. Zwar hat Deutschland Gas gebunkert, doch liegen die Füllstände bei gerade einmal 35 Prozent der möglichen Auslastung und somit deutlich unter den Pegeln vor einem Jahr. Die anderen Hauptlieferanten Norwegen (27 Prozent) und die Niederlande (21 Prozent) könnten kaum einspringen. Die norwegische Produktion ist bereits am Limit und die Niederlande wollen nach Erdbeben in der Region Groningen eigentlich aus der Erdgasförderung aussteigen.

Die USA arbeiten zwar nach eigener Aussage daran, Energielieferungen aus anderen Quellen zu sichern, damit Russlands europäische Kunden auch im Falle einer Blockade das benötigte Gas erhalten. Allerdings handelt es sich dabei vor allem um amerikanisches Flüssiggas, und dafür hat Deutschland bislang nicht die erforderlichen LNG-Terminals. Ein solcher Gas-Hafen entsteht gerade erst in Brunsbüttel in Schleswig-Holstein. Außerdem würden die Mengen nicht ausreichen: “Die USA können das Erdgas aus Russland mit ihrem LNG nicht kompensieren“, stellte der Chef des Energieriesen Eon, Leonhard Birnbaum, im Januar im “Handelsblatt” fest.

Und noch eine weitere Unannehmlichkeit hätte ein Aus von Nord Stream 2 zur Folge: Hinter dem Projekt steht der russische Staatskonzern Gazprom als alleiniger Eigentümer. Gazprom trägt die Hälfte der Gesamtkosten von 9,5 Milliarden Euro. An der Finanzierung beteiligt sind außerdem die Energiekonzerne OMV aus Österreich, Royal Dutch Shell aus Großbritannien, der französischen Engie sowie die deutschen Firmen Wintershall Dea und Uniper. Sollte die Pipeline nicht in Betrieb gehen, drohen Schadensersatzklagen der beteiligten Unternehmen in Milliardenhöhe.

Abschneiden Russlands vom Geldtransfer durch Swift-Ausschluss

Sie gilt als “wirtschaftliche Atombombe”: die Verbannung Russlands aus dem internationalen Banken-Kommunikationsnetzwerk Swift. Über Swift wird weltweit Geld von Bank zu Bank transferiert. Die Kooperative stellt die technische Infrastruktur zur Verfügung, damit Finanzinstitute bei Geldtransfers über Landesgrenzen hinweg sicher miteinander kommunizieren können. Ein Ausschluss würde Russland von den meisten internationalen Finanztransaktionen abschneiden, einschließlich seiner internationalen Gewinne aus der Öl- und Gasproduktion, die mehr als 40 Prozent der Einnahmen des Landes ausmachen.

Die Kehrseite der Medaille: Auch der Westen könnte von der Maßnahme getroffen werden, da sie westliche Finanzinstitute daran hindern könnte, mit Russland Geschäfte zu machen. Die Exportnation Deutschland könnte das besonders zu spüren bekommen. Im Jahr 2020 wurden aus der Bundesrepublik Waren im Wert von rund 23,09 Milliarden Euro nach Russland exportiert.



Ukraine-Krise: Die möglichen Sanktionen gegen Russland und ihre Folgen – auch für Deutschland

Außerdem könnte Moskau sich revanchieren, indem es die Öl- und Gasexporte kürzt – mit den oben beschriebenen Folgen. Vor allem Staaten, die – wie Deutschland – stark von russischem Gas abhängig sind, wollen deshalb die Zahlungswege offen halten. “Der härteste Knüppel wird am Ende nicht immer das intelligenteste Schwert sein”, mahnte Bundesaußenministerin Annalena Baerbock Ende Januar.

Ein weiterer Schwachpunkt der Strafmaßnahme: Russland bereitet sich schon seit seiner Krim-Annexion 2014, die ebenfalls Rufe nach einem Swift-Ausschluss zur Folge hatte, auf einen solchen möglichen Schritt vor, wie das Redaktionsnetzwerk Deutschland berichtet. So habe der Kreml etwa das russische Äquivalent SPFS geschaffen, auf das Banken ausweichen können.

Die Nachrichtenagentur Reuters meldete in der vorvergangenen Woche unter Berufung auf Amtsträger in den USA und Europa, dass eine Swift-Verbannung von Russland ohnehin nicht mehr zur Debatte stehe, nachdem es erhebliche Einwände der europäischen Länder gegeben habe. Stattdessen sollten große russische Banken ins Visier genommen werden.

Exportkontrollen

Die US-Regierung erwägt die Einführung strenger Exportkontrollmaßnahmen, die Russland davon abhalten könnten, Hightech-Komponenten zu erwerben, die in Smartphones, Flugzeugen und Autos verwendet werden. Eine Option wäre, Russland zur Gruppe der Länder mit den restriktivsten Ausfuhrkontrollen hinzuzufügen, zu der bereits Kuba, der Iran, Nordkorea und Syrien gehören, wie die US-Zeitung “USA Today” berichtet. Das würde bedeuten, dass die Möglichkeiten Russlands, Hightech-Komponenten zu beziehen, stark eingeschränkt würden, da praktisch alle Halbleiter mit Software und Teilen aus den USA entwickelt werden. Die Auswirkungen könnten sich auch auf Werkzeugmaschinen, Smartphones, Spielekonsolen, Tablets und Fernsehgeräte erstrecken.

Die Sanktionen könnten sich zudem gegen wichtige russische Industriezweige richten, einschließlich des Verteidigungssektors und der zivilen Luftfahrt, was Russlands Hightech-Ambitionen in den Bereichen künstliche Intelligenz oder Quantencomputer beeinträchtigen würde.

Auch die EU hat bereits derartige Exportkontrollen ins Spiel gebracht: Im Fall eines russischen Angriffs auf die Ukraine würden die Strafmaßnahmen neben Russlands Finanz- und Energiesektor auch “die Ausfuhr von High-Tech-Produkten” betreffen, erklärte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen am vergangenen Freitag nach einer Telefonschalte mit einer Reihe westlicher Staats- und Regierungschefs. Die Sanktionen würden “massiv” ausfallen, betonte sie.

Sanktionen gegen Putin persönlich

Ein Einmarsch in die Ukraine könnte für Russlands Präsidenten Wladimir Putin und Mitglieder seines inneren Kreises auch unangenehme persönliche Konsequenzen haben. Im US-Senat haben Demokraten eine Gesetzesvorlage eingereicht, die es der Regierung Biden ermöglichen würde, alle US-Vermögenstransaktionen und Beteiligungen an Vermögenswerten im Besitz von Putin und mehr als einem Dutzend weiterer hochrangiger Beamter der russischen Regierung und des Militärs zu blockieren. Das Weiße Haus kündigte bereits seine Unterstützung für diese Maßnahme an.

Der Gesetzentwurf sieht zudem vor, dass das US-Außenministerium dazu verpflichten würde, einen detaillierten Bericht über das persönliche Nettovermögen und die Vermögenswerte von Putin und seinem engsten Kreis zu erstellen.

Ein separater Gesetzentwurf des republikanischen Abgeordneten Jim Banks beabsichtigt, die Sanktionen gegen Putin persönlich bereits jetzt zu verschärfen, anstatt auf eine Invasion zu warten. Die Maßnahme, die von 40 weiteren Republikanern im Repräsentantenhaus mitgetragen wird, fordert die Regierung auf, Strafen gegen zahlreiche  Mitglieder der russischen Führungsriege in Betracht zu ziehen, darunter Mitglieder von Putins Familie und seine mutmaßlich langjährige Freundin Alina Kabajewa, eine ehemalige Turnerin und Olympia-Teilnehmerin.

Einen ausländischen Staatschef persönlich ins Visier zu nehmen, wäre ungewöhnlich, aber nicht beispiellos. Vor zwei Jahren hatte das US-Repräsentantenhaus ein scharfes Sanktionsgesetz verabschiedet, das den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan wegen des Angriffs der Türkei auf die mit den USA verbündeten kurdischen Streitkräfte in Syrien bestraft hätte. Der Gesetzentwurf forderte angesichts von Spekulationen über Erdogans Finanzen einen Bericht über das geschätzte Nettovermögen, Einkommensquellen, Vermögenswerte und Investitionen des Präsidenten und seiner Familienmitglieder, einschließlich Ehegatten, Kinder und Geschwister. Der Entwurf wurde aber im Senat blockiert.

Quellen: US-Kongress, Redaktionsnetzwerk Deutschland, Reuters, Statista, Bundeszentrale für politische Bildung, Deutschlandfunk, Deutsche Welle“Business Insider”Zeitung für kommunale Wirtschaft, “Handelsblatt”, “USA Today”

source site-3