Tollwood in München: Programm-Highlights des Sommer-Festivals im Olympiapark – München

Musik-Arena

Irgendwie steht Tollwood immer noch auf den Schultern des Riesen Woodstock. Ein Kultur-Festival in der Hippie-Tradition, verbunden mit allen und allem und vor allem dem Gefühl der Freiheit: Die Sonne scheint, einfach mal in den Olympiapark rausradeln, mal schauen, was man an den 160 Tand-Standln Hübsches findet, an welchem der 50 Öko-Imbiss-Buden und Bars man niedersinkt, welcher Straßenkünstler einen spontan staunen lässt.

Zwei Berliner Lümmel zum Auftakt: “SDP” starten das Musikarena-Programm am 16. Juni.

(Foto: Benjamin Diedering)

Feel free! Das gilt auch für 90 Prozent der 516 Veranstaltungen, die alle kostenlos sind. Nur in der großen Musikarena läuft es anders. Hier spielen die Stars 31 regulär zu bezahlende Konzerte. Bei manchen fragt man sich, was sie noch mit dem alten Tollwood-Geist zu tun haben. Immerhin, der Liedermacher Konstantin Wecker, der hier exklusiv seine Film- und TV-Musik wie für “Kir Royal” zusammen mit der Bayerischen Philharmonie spielt (4.7.), das ist einer aus der ersten Tollwood-Stunde. Oder auch schon ein Tollwood-Klassiker: Das Schöne-Welt-Musiker-Duo Schmidbauer & Kälberer lädt sich wen ein, diesmal Ringlstetter (16.7., ausverkauft, aber 2024 kommen sie wieder).

Festival im Olympiapark: Exklusiv bei Tollwood spielt Konstantin Wecker mit der Bayerischen Philharmonie seine Film- und Fernsehmusik.

Exklusiv bei Tollwood spielt Konstantin Wecker mit der Bayerischen Philharmonie seine Film- und Fernsehmusik.

(Foto: Hans Eder)

Und sonst? Ein buntes Durcheinander, in dem sich immerhin jeder irgendwie wiederfindet: ob beim Super-Starkonzert von Tom “Tiger” Jones (26.6.), bei den britischen Alternative-Rockern Placebo (20.6.), beim Mittelalter-“Metfest” mit Feuerschwanz (1.7.), bei den Schlager-Oldies Chris Norman und Bonny Tyler (2.7.), beim Techno-Spielmannszug Meute (5.7.), bei Blues-Rockern wie Joe Bonamassa (13.7.) und Beth Hart (10.7.), bei alten (Fury In The Slaughterhouse, 14.7.) wie jungen deutschen Indie-Poppern (Provinz, 18.6.), Youtube-Selfmade-Stars (Ayliva, 21.6.) oder den Seemanns-Schlager-Kapitänen Santiano (19.6.), die vielleicht als einzige in der Arena das Festival Motto “Wasser – pures Leben” verkörpern.

Festival im Olympiapark: Zaubert mit den Publikums-Chören: Jakob Collier.

Zaubert mit den Publikums-Chören: Jakob Collier.

(Foto: Tollwood)

Festival im Olympiapark: Techno-Spielmannszug im großen Zelt: "Meute".

Techno-Spielmannszug im großen Zelt: “Meute”.

(Foto: Wozniak; Wozniak/Wozniak)

Wen sich Deutsch-Pop-Schnuckel Nico Santos (28.6.) anschauen würde? Er empfiehlt die zwei Berliner Lümmel SDP (16.6.), die sich zwar “ein gutes schlechtes Vorbild nennen”, mit deren einer Hälfte Vincent Stein er aber viel zusammen schreibe. Und Santos sagt, er folge auch lange schon dem sensationellen Jakob Collier (27.6.). Auf das 28-jährige Phänomen mit den fünf Grammys können sich derzeit alle einigen. Collier spielt nicht nur auf zig Instrumenten, sondern setzt wie kein anderer das Publikum als Chor ein.

Die kleinen Musikzelte

Festival im Olympiapark: Gutes Musikerhandwerk kommt täglich in der Fassbar auf die Bühne.

Gutes Musikerhandwerk kommt täglich in der Fassbar auf die Bühne.

(Foto: Ingmar Wein)

Wie gut, dass es die kleinen Zelte gibt. Wer zum Beispiel keine Karten mehr für das Heimspiel der Sportfreunde Stiller in der Arena ergattert hat (30.6.), kann da trotzdem ihren Hit “Applaus” singen: Der Spontan-Chor Go Sing Choir studiert ihn in einem Tollwood-Special mit seinem Mitmach-Publikum ein, diesmal ganz besonders mit behinderten Menschen in der Half Moon Bar (25.6., 15 Uhr).

Die kleineren Zelte sind immer offen: “Gedanken und Eintritt frei!” sind Viktoria Raiths Motto für ihr großes Andechser Zelt (und den Biergarten davor). Nach 25 Jahren ist es ihr letzter Tollwood-Sommer, aber noch einmal stemmt sie 80 Konzerte. Unfair und uferlos hier drei herauszugreifen, aber bitteschön: den österreichischen Queen-König Austrofred (1.7.), Münchens Dirty-Blues-Heroen Black Patty (5.7.), und das Ukulele Death Squad aus Australien (12.7.).

Das Hacker-Brettl ist der Ort für die Singer-Songwriter-Unikate wie Hundling (8.7.), Philipp Bradatsch (2.7.) und Maxi Pongratz (20.6.).

Und unfassbar gutes Musikhandwerk gibt es auch in der Fassbar, wo gestandene Blueser wie Muddy What (18.6.) oder Otto Göttlers Diatoniks (24.6.) auf Popstar-Nachwuchs wie Paul Kowol (7.7.) treffen.

Drohnen-Show

Festival im Olympiapark: Der Mond wird wieder aufgehen: Bei seinem zweiten Tollwood-Besuch leuchtet das "Museum of the Moon" aber das ganze Festival über und auf dem Hügel hinterm Andechser Zelt.

Der Mond wird wieder aufgehen: Bei seinem zweiten Tollwood-Besuch leuchtet das “Museum of the Moon” aber das ganze Festival über und auf dem Hügel hinterm Andechser Zelt.

(Foto: Alexander Scharf)

Das Wort “Drohne” ist gedanklich oft verknüpft mit “bedrohlich” und “dröhnen”. Aber wie bei vielem: Es kommt darauf an, wofür der Mensch seine Werkzeuge einsetzt. Mit Drohnen kann man ja auch Kunst erschaffen und nicht nur Pakete, sondern auch Freude bringen: Das hat man in der Lichtbilderflugschau bei der Krönung von König Charles über Schloss Windsor gesehen, das sieht man in Australien über dem heiligen Berg Uluru, wo seit Mai jede Nacht 1000 Fluggeräte die Kultur der Aborigines zum Leuchten bringen.

Und Drohnen werden nun auch beim Tollwood-Festival das Publikum verzaubern: Es wird so aussehen, als würden sich die Sterne am Himmel neu formieren und Bilder ins Firmament zeichnen, wenn 150 Fluggeräte in Formation fliegen. Wie Pixel eines Bildschirms verbildlichen sie 15 Minuten lang das Thema dieses Sommer-Festivals: “Wasser – pures Leben”: das Urmeer, Flüsse, Regen, Blitz und Donner, Tiere und Natur, aber auch Bilder von Dürre und Überschwemmungen. Dazu erklingt Musik wie das “Forellenquintett” oder “It’s Raining Men” (Fr. – So., 16. – 18. Juni, 22 Uhr).

Dass der Himmel über dem bunt leuchtenden Festival einem wieder seltsam vorkommt, liegt auch am “Museum of the Moon”. Während des ganzen Sommers hängt der Künstler Luke Jerram einen künstlichen Mond auf (diesmal auf dem Hügel hinterm Andechser-Zelt): Der Kunstmondballon ist nach Nasa-Daten gestaltet, bietet tagsüber Schatten und zeigt den Besuchern auch seine sonst verborgene Seite.

Walkacts

Festival im Olympiapark: Immer gut aufpassen, dass man nicht einen Stelzenläufer umrennt, der spontan auf dem Markt um die Ecke biegt.

Immer gut aufpassen, dass man nicht einen Stelzenläufer umrennt, der spontan auf dem Markt um die Ecke biegt.

(Foto: Alexander Scharf)

Die Walkacts sind die Zufallsbekanntschaften des Tollwood, überall auf dem Gelände können sie die Gäste überraschen. Dabei sind die Herumtreiber künstlerisch bei weitem kein Fußvolk: Im Falle der “F.I.S.H”-Performance der niederländischen Tukkers Connexion (27. Juni bis 1. Juli) kommen die schuppig Kostümierten etwa als überdimensionale Fische auf Flossen daher und halten die Besucher mit allerhand Seemannsgarn bei Laune.

Festival im Olympiapark: Mr. Culbuto haut so schnell nichts um. Der Stehaufmann wird die Passanten bespaßen.

Mr. Culbuto haut so schnell nichts um. Der Stehaufmann wird die Passanten bespaßen.

(Foto: H. Krul)

Mit der Bodenständigkeit hat auch “Mr. Culbuto” vom französischen Team Dynamogène (6. – 9. Juli) seine Probleme – er besitzt keine Füße, bewegt sich dafür auf einem runden Unterbau. Das Stehaufmännchen kugelt wacklig durch die Gegend und wartet nur darauf, dass sich Groß und Klein auf seine Späße einlassen. Julian Bellini treibt es bei der traditionsreichen Performance “Heinz baut” (13. – 16. Juli) wieder mal in die Luft: Nur wenn es diesem Heinz gelingt, aus 50 Holzstangen den perfekten Turm zu bauen, findet er Ruhe – weit oben an der Spitze.

Amphitheater

Festival im Olympiapark: Ein Königreich für ein Pferd, sogar ein besonders großes, wird Tollwood diesen Sommer durch die Show "Cheval".

Ein Königreich für ein Pferd, sogar ein besonders großes, wird Tollwood diesen Sommer durch die Show “Cheval”.

(Foto: Antoine Grimaud)

Im Amphitheater, der Heimat für die größeren, stationären Straßentheater und -zirkus-Attraktionen, fordert Johanne Humblet die Schwerkraft heraus. Bei der Performance “Résiste” (6. – 9. Juli) bewegt sie sich, angeleitet von den Klängen einer Musikerin, auf einem besorgniserregend bewegungsfreudigen Hochseil und balanciert dabei irgendwo zwischen Kampf und Tanz.

Festival im Olympiapark: Garantiert keine ruhige Kugel wird die Gruppe Critical Mess mit ihren 100 Jonglierbällen schieben.

Garantiert keine ruhige Kugel wird die Gruppe Critical Mess mit ihren 100 Jonglierbällen schieben.

(Foto: Eberhard Nacke)

Die Gruppe Critical-Mess kombiniert Tanz- mit Jonglierkunst. Sieben Akrobaten müssen zusammenarbeiten, um die 100 Bälle in der Luft zu halten. Titel und Motto der Show lauten: “Superorganism” – zusammen sind sie viel größer als die Summe der Teile (22. – 25.6.). Das gilt ebenso für die Compagnie Dyptik. Die französische Truppe zeigt “Mirage”, eine “tänzerische Reise” zwischen Farben, Rhythmen und Emotionen, deren Ausgangspunkt das Flüchtlings-Camp Balata im Westjordanland ist, an dem viele Kulturen aufeinandertreffen. Das Publikum darf sich drumherum frei bewegen (1. und 2. Juli).

Festival im Olympiapark: Huch, ist das hoch: Johanne Humblet wird über den Köpfen der Tollwood-Besucher tanzen.

Huch, ist das hoch: Johanne Humblet wird über den Köpfen der Tollwood-Besucher tanzen.

(Foto: Jan Deppisch)

In “Cheval” tanzt eine Frau mit einer riesigen Pferdepuppe; gegenseitig beginnen sie, zu erzählen und sich zu zähmen (16. – 18.6.). Der Auftritt Matthias Romirs als “Schwarzclown” (21. – 25. Juni) ist eine Ein-Mann-Show der großen Gefühle: Mit mal bittersüßem, mal urkomischem Witz von unerfüllter Liebe, ausgeträumten Träumen und der Kunst des Scheiterns zu erzählen, ist wohl nur einem depressiven Spaßmacher möglich.

VR-Reise durch den Garten der Lüste

Tollwood verfolgt zwar einen (um)weltfreundlichen Ansatz, bietet aber auch Sündiges zum Anfassen: Das Start-up TimeleapVR hat in fünfjähriger Arbeit den Mittelteil des Gemäldes “Der Garten der Lüste” von Hieronymus Bosch begehbar gemacht. Wer die Computerbrille an einer der zwei Stationen im Amphitheater aufsetzt, trifft in der fantastischen Landschaft etwa bei einer Bootsfahrt nicht nur auf wunderliche Bade-Wesen und groteske Bauten, sondern kann auch mit ihnen interagieren.

Handwerkerdorf und Markt

Festival im Olympiapark: Wo gedrechselt wird, fallen Späne - das zeigt Georg Hörmann im neuen Handwerker-Dorf.

Wo gedrechselt wird, fallen Späne – das zeigt Georg Hörmann im neuen Handwerker-Dorf.

(Foto: Alexander Scharf)

Kunst ist irgendwo immer auch Handwerk, Handwerk häufig Kunst. Nicht überzeugt? Dann führt kein Weg am Kunsthandwerksdorf vorbei, dem ersten in der Geschichte des Tollwood. Hier werden vor den Augen der Gäste Körbe geflochten, Messer geschmiedet, Töpfe getöpfert – mit viel Liebe zum Detail gehen die Handwerker ans Werk, hölzern arbeitet hier niemand. Wobei: Als Drechsler verwandelt Georg Hörmann den Rohstoff in Kreisel, Holzrasseln oder Obstschalen. Sein Anliegen: Den Leuten zeigen, was direkt an der Drehbank passiert, welcher Prozess hinter den fertigen Produkten steckt.

Dazu gehört auch eine Menge Tradition, schließlich ist das Drechsler-Handwerk mit seinen rund 3500 Jahren eines der ältesten überhaupt. Den Selbstständigen aus Dietmannsried reizt besonders, dass es sich dabei um etwas Natürliches handelt, etwas, das viele Kulturen gemein haben. Wer sich selbst überzeugen will, kann auf den bequemen Bänken und Stühlen im Handwerksdorf Platz nehmen; die Erzeugnisse können zudem direkt am Stand gekauft werden.

Apropos: Wie in jedem Jahr bietet der Markt der Ideen mit seinen 160 Ständen ein Sammelsurium an Produkten aus aller Welt. Auch hier steht Nachhaltigkeit im Vordergrund – alle Waren wurden zu fairen Bedingungen hergestellt, viele re- oder upcycled.

Kunst am Platz

Festival im Olympiapark: Die Installation Homabile soll vermitteln, was Wasser wirklich kostet.

Die Installation Homabile soll vermitteln, was Wasser wirklich kostet.

(Foto: Bernd Wackerbaue)

“Wasser – pures Leben” – Das Motto des gesamten Tollwood-Festivals spiegelt sich in der Kunst am Platz wider. Bereits das Eingangskunstwerk “Das Tor zwischen Welten” von Tollwood-Veteran Andrey von Schlippe führt dem Betrachter vor Augen, welchen gewaltigen Unterschied das Fehlen oder Vorhandensein von Wasser bedeutet. Ein sieben Meter hoher Türrahmen, auf dessen einer Seite sich ein grünes Wohnzimmer voller Leben und Pflanzen befindet, wird durch ein Tor aus fallendem Wasser von der trockenen und kargen Szenerie auf der anderen Seite getrennt. Sofa und Sessel mit Blick auf den Wasserfall laden dazu ein, die Gedanken schweifen zu lassen über die zwei Welten: Getrennt und doch verbunden durch das Element des Wassers. Im Sommer darf man auch durch den nasskalten Vorhang schreiten und sich erfrischen.

Mit der zerstörerischen Kraft des Wassers befassen sich die beiden Künstler Veronika Angloher und Adam Stubley in ihrer Umwelt-Kunstinstallation “Aus der Balance”. Was für gravierende Folgen es haben kann, wenn Wasser aus der Balance gerät, erfahren die Festivalbesucher von abstrakten Figuren, die ihre bewegenden Geschichten Betroffener eindrucksvoll erzählen.

Gefördert vom Bundesministerium für Gesundheit zeigt die Installation des Projekts “Homabile”, was unser wertvolles Lebensmittel Wasser tatsächlich kostet.

Gastronomie

Wer das Gelände des Tollwood Sommerfestivals betritt, begibt sich auf eine kleine kulinarische Weltreise. Leckereien aus 18 Nationen können an 50 Gastroständen probiert und genossen werden. Seit 20 Jahren ist alles auf dem Speiseplan bio-zertifiziert; noch kommt man nicht ganz ohne Fleisch aus, aber bei einem Sandwich mit Jackfruit statt Pulled Pork, kann man es ja mal probieren. Bei Produkten aus “Entwicklungsländern” wird das Fair-Trade-Siegel vorausgesetzt. Das spart jedes Jahr rund 116 Tonnen CO₂ ein. Fans der asiatischen Küche kommen bei einem Rundgang über das weitläufige Areal kaum an den sommerlich leichten “Korean Bowls” von Kobo vorbei. Ob mit dem “koreanischen Sauerkraut” Kimchi oder eingelegtem Rindfleisch, darf dann jeder selbst entscheiden. Reis, frisches Gemüse und ein poschiertes Ei kommen zusätzlich in die Schale.

Zum Nachtisch bietet sich dann eine Kugel der Münchner Eismanufaktur Icedate an. Vegan und minimalistisch kommt die Nascherei ganz ohne raffinierten Zucker aus. Dattelsüße, Cashew-Creme, Gewürze und Früchte. Mehr braucht es nicht, um geschmacklich zu überzeugen. Die perfekte und gesunde Erfrischung für einen heißen Festivalmonat.

Tollwood, Fr., 16. Juni, bis So., 16. Juli, Mo. – Fr. 14 Uhr, Sa./So. 11 Uhr, Markt bis 23.30 Uhr, Gastronomie bis 1 Uhr, www.tollwood.de

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