Sturmflut an der Ostseeküste in SH: Pegelstände sinken, hohe Schäden vermutet | NDR.de – Nachrichten

Stand: 21.10.2023 07:31 Uhr

Ein mächtiger Sturm drückte das Ostseewasser in der Nacht zum Sonnabend ans Land und sorgte für Überschwemmungen in Schleswig-Holstein. In Flensburg gab es die höchste Sturmflut seit 100 Jahren. Die Einsatzkräfte hatten alle Hände voll zu tun. Es gab ein Todesopfer auf Fehmarn. Sorge bereiten einige Deiche.

Deichbrüche, Evakuierungen, vollgelaufene Keller, überschwemmte Straßen, Äste auf Autos und Gleisen – die angekündigte Sturmflut traf Schleswig-Holsteins Ostseeküste mit voller Wucht. Für manche Küstenbewohner und vielen Einsatzkräften wurde es eine lange Nacht. Bis zum frühen Morgen zählten die Feuerwehren im Land mehr als 1.500 Einsätze. Allein im Kreis Schleswig-Flensburg waren am Freitagabend insgesamt 700 Feuerwehrleute im Einsatz. Laut den Leitstellen hat sich die Situation an der Ostseeküste in der Nacht beruhigt. In vielen Regionen sinken die Wasserstände wieder.

In Flensburg lag der Pegel heute Morgen nach Daten der Wasserstraßen- und Schifffahrtsverwaltung um 6 Uhr noch 1,63 Meter über dem Normalwert. In der Nacht war der Pegel auf ungeahnte Höhen gestiegen: 2,17 Meter über dem mittleren Wasserstand – Höchstwert in Flensburg seit mehr als 100 Jahren. Im Vorwege waren lediglich Pegelstände von bis zu zwei Meter über dem Mittleren Wasserstand erwartet worden. In Eckernförde betrug der Wasserstand um 6 Uhr 1,57 Meter über normal. Der Höhepunkt lag bei etwa 2,10 Meter.  Für die gesamte Ostseeküste gilt bis zum Vormittag weiter eine Sturmflutwarnung.

Katastrophenschutz: Einige Hochwassergebiete wurden evakuiert

Große Probleme gab es in den Kreisen Rendsburg-Eckernförde, Schleswig-Flensburg sowie in den Städten Flensburg und Kiel, wie das Innenministerium in Kiel heute Morgen mitteilte. Das Ausmaß der Zerstörungen, die die Ostsee-Sturmflut angerichtet hat, wird jedoch erst im Lauf des Tages sichtbar sein. Der Leiter des Stabes Katastrophenschutz im Innenministerium Schleswig-Holstein rechnet mit einem Hochwasserschaden in dreistelliger Millionenhöhe. “Mit dem ersten Tageslicht wird man auch die Schäden erstmal konkreter erkennen”, sagte Ralf Kirchhoff. Er geht davon aus, dass die Schäden an Hochwasserschutzanlagen oder Gebäuden zum Teil erheblich sein werden.

Einige Hochwassergebiete wurden evakuiert. Nach Schätzung des Katastrophenschutzes sind etwa 2.000 Personen betroffen – unter anderem in Orten wie Eckernförde, Schleswig und Brodersby. In Maasholm an der Schleimündung mussten allein rund 400 Menschen ihre Häuser verlassen. Dort war ein Deich am Abend gebrochen. In der Altstadt von Eckernförde gab es freiwillige Evakuierungen der Bewohner aus Teilen der Altstadt. Das Schulzentrum Süd in Eckernförde wurde als Notquartier hergerichtet. Der Kreis Rendsburg-Eckernförde hatte am Abend Katastrophenalarm ausgelöst.

Fehmarn: Erstes Todesopfer durch umstürzenden Baum

Auf der Insel Fehmarn kam am Freitagnachmittag eine 33 Jahre alte Frau auf Kreisstraße zwischen Burg und Puttgarden ums Leben. Für die schwer verletzte Person sei jede Hilfe zu spät gekommen, sagte Bürgermeister Jörg Weber. Ansonsten verlief die Nacht laut Polizei und Feuerwehr glimpflich – es gab keine Verletzten. In Lübeck gibt es noch zahlreiche Straßensperrungen in Travemünde und auf der Altstadtinsel – wegen Überschwemmungen. Das Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie (BSH) geht davon aus, dass die Bewohner am Vormittag wieder mit trockenen Füßen in ihre Häuser und Wohnungen kommen. Im Moment sind Einsatzkräfte noch dabei, Wasser in den historischen Salzspeichern abzupumpen. Ansonsten war die Nacht in der Hansestadt laut Feuerwehr aber verhältnismäßig ruhig. In Heiligenhafen fiel zeitweise der Strom aus, weil die Stromkästen unter Wasser standen und in Heringsdorf im Kreis Ostholstein mussten ein Campingplatz und eine Ferienhausanlage wegen Hochwasser evakuiert werden.

Zehntausende Sandsäcke gegen das Wasser

Hilfskräfte verteilten Zehntausende Sandsäcke – dennoch waren die Feuerwehren oft im Einsatz, um Keller leerzupumpen und umgeknickte Bäume zu beseitigen. Vielerorts lag der Pegel am Freitag zwischen 1,70 und 2 Meter über dem mittleren Wasserstand. In Arnis im Kreis Schleswig-Flensburg mussten die Feuerwehrleute einen Deichabschnitt aufgeben – er drohte zu brechen. Gleiches galt für den Deich im Fischerdorf Maasholm. In Kappeln gab es einen Deichbruch auf einer Strecke von 40 Metern.

Im Gespräch mit NDR Schleswig-Holstein zeigte sich Schleswig-Flensburgs Landrat Wolfgang Buschmann (parteilos) beeindruckt von der “riesigen Hilfsbereitschaft” in Arnis. Rund 30.000 Sandsäcke hat der Kreis Schleswig-Flensburg bisher in allen Gemeinden verteilt. Bei Bedarf stehen nach eigenen Angaben weitere 40.000 zur Verfügung.

Flensburg: Stromabschaltung an der Schiffbrücke

Wegen des Hochwassers wurde am Freitag der Strom in den Flensburger Straßenzügen Norderhofenden und Schiffsbrücke abgeschaltet. Konkret gehe es um den Bereich vom ZOB bis zum Nordertor, der Hafenspitze und von “Gosch” bis zum Fischereiverein auf der Hafenostseite, wie ein Sprecher der Stadt am Freitagabend mitteilte. Betroffene Haushalte sollen demnach von Nachfragen zur Stromabschaltung über die Notrufnummern absehen.


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Schleswig: Hunderte Keller voll, freiwillige Evakuierungen geplant

In Schleswig (Kreis Schleswig-Flensburg) sind am Freitagabend laut dem stellvertetenden Bürgermeister Rainer Haulsen bereits einige Hundert Keller vollgelaufen. “Die Situation verschärft sich gerade insofern, dass diverse Straßen überlaufen und wir eine freiwillige Evakuierung der betroffenen Anwohner planen”, sagte Haulsen. Das betreffe vor allem die Straßen Lollfuß und Schleistraße.

Feuerwehren pumpen keine Keller mehr leer in Schleswig

Feuerwehren rücken derzeit nicht mehr aus, um Keller auszupumpen, weil die Straßen dadurch nur weiter überlaufen würden. 70 Feuerwehrleute seien im Einsatz, dazu noch mehr als 60 Mitarbeitende der Stadtwerke. Der südliche Innenstadtbereich komplett ist für den Fahrzeugverkehr gesperrt. Die Stadt bittet darum, das Gebiet weiträumig zu umfahren und nur notwendige Fahrten zu unternehmen. Auch der ÖPNV ist von den Straßensperrungen betroffen.

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Schleswig: Das Wasser aus der Schlei überschwemmt einen Bootshafen, wegen eines Sturmtiefs. © dpa Foto: Frank Molter

Straßen sind überschwemmt und Hunderte Keller vollgelaufen. Die Stadt an der Schlei plant eine freiwillige Evakuierung eines Bereichs.
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Auch rund um den Nord- und Südhafen in Kappeln (Kreis Schleswig-Flensburg) stehen zahlreiche Straßen unter Wasser und sind gesperrt. Die Polizei rät, auch dieses Gebiet zu umfahren. Im Ortsteil Olpenitz haben die Helfen den Deich bei Weidefeld aufgegeben – sie sichern ihn also nicht weiter.

Brodersby: Evakuierung gestartet

In Brodersby (Kreis Rendsburg-Eckernförde) wurde am späten Freitagabend der Ortsteil Schönhagen evakuiert. Bewohner der Straßen Weidengrund, Erlengrund, Günter-Remien-Ring, Am Holm und Zum Wiesengrund wurden um 22.20 Uhr dazu aufgefordert, ihre Häuser und Wohnungen zu verlassen. In der Strandstraße 1 (Hamburger Sportjugend) wurde eine Notunterkunft eingerichtet.

Eckernförde: Freiwillige Evakuierung in der Innenstadt

In Eckernförde hat der Kreis Rendsburg-Eckernförde den Bewohnern der Straßen Langebrückstraße, Ottestraße und Jungfernstieg die freiwillige Evakuierung nahegelegt. Die Feuerwehr gab unterdessen ihre Innenstadt-Wache auf. Das Wasser steht dort so hoch, dass die Feuerwehr nicht mehr ausrücken kann, sagte Matthias Schütte vom Kreisfeuerwehrverband.

Weitere Einsatzschwerpunkte im Kreis Rendsburg-Eckernförde lagen am Freitag laut Feuerwehr in der Schleiregion, in Eckernförde und Damp. Dort musste eine Rehaklinik mit Sandsäcken gegen das steigende Wasser gesichert werden. Um die rund 450 Einsatzkräfte in Rendsburg-Eckernförde besser koordinieren zu können, hat der Kreis am Freitagabend den Katastrophenalarm ausgelöst.

In Großenbrode (Kreis Ostholstein) ist offenbar der Deich in Mitleidenschaft gezogen worden. Der Damm halte noch, sei aber durch die Flut “angefressen”, sagte Bürgermeister Peer Knöfler (CDU) am Freitagabend. Lkw bringen nun Schüttgut, damit der Deich geflickt werden kann. Eine Evakuierung ist laut dem Bürgermeister nicht geplant. Menschen seien nicht in Gefahr.

Heringsdorf: Landrat ruft dazu auf, den Küstenbereich zu verlassen

In Heringsdorf dagegen ruft der Landrat des Kreises Ostholstein die Bewohner am Freitagabend dazu auf, unverzüglich den ostseenahen Bereich zu verlassen. Eine Sammelstelle für Betroffene wurde am Feuerwehrgerätehaus der Feuerwehr in Fargemiel eingerichtet. Auch mehrere Campingplätze und eine Ferienhausanlage wurden evakuiert, sagte ein Campingplatzinhaber am Freitagabend. Zahlreiche Urlauber seien betroffen. “Das habe ich in 50 Jahren noch nicht erlebt”, so der Inhaber. Noch halte der Deich aber.

In Kiel lag der Pegelstand am späten Freitagabend bei 1,91 Meter über dem mittleren Wasserstand. Die Kiellinie und der Deichweg am Falckensteiner Strand sind seit 15 Uhr gesperrt.


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Weitere Straßensperrungen – unter anderem für viel befahrene Straßen in der Innenstadt – seien vorbereitet und würden bei Bedarf von der Feuerwehr eingerichtet, sobald dort Wasser auf der Fahrbahn stehen sollte, so die Stadt. Die Stadt rief dazu auf, Fahrzeuge bis zum frühen Freitagnachmittag aus Tiefgaragen und von Parkplätzen in gefährdeten Lagen wegzufahren.

Bis zum Freitagnachmittag musste die Feuerwehr rund 110 mal in den Kreisen Rendsburg-Eckernförde und Plön sowie in Kiel ausrücken, davon 36 mal in der Landeshauptstadt. Meist ging es dabei um nicht rechtzeitig umgeparkte Autos in Schilksee und am Tiessenkai in Holtenau.


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Auch auf dem Wasser ist der Verkehr durch den Sturm eingeschränkt. Der Fährbetrieb auf der Strecke zwischen Puttgarden auf Fehmarn und dem dänischen Rødby ist nach Angaben der Reederei Scandlines vorübergehend eingestellt. In Kiel hat die Schlepp- und Fährgesellschaft (SFK) den Betrieb auf den Linien F1 und F2 am Freitag eingestellt. An der Nordseeküste herrscht wegen des starken Ostwinds extremes Niedrigwasser. Das wirkt sich auch auf den Fährverkehr aus. Am Morgen blieben die Fähren der Wyker Dampfschiffs-Reederei zwischen Föhr, Amrum und Dagebüll an Land und auch zwischen Pellworm und Nordstrand fielen mehrere Fähren aus.

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Das Regio Deutsche Bahn Logo mit Schriftzug auf der Seite eines Wagons. © NDR Foto: Pavel Stoyan

Der Sturm hat auch Auswirkungen auf den Bahnverkehr. Im ganzen Land ist mit Verspätungen und Ausfällen zu rechnen.
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Einschränkungen im Bahnverkehr

Im Bahnverkehr kommt es durch umgestürzte Bäume ebenfalls zu Einschränkungen. Wegen einer Teilsperrung auf der Strecke Kiel-Hamburg rät die Deutsche Bahn beispielsweise, auf die Zugstrecke über Lübeck auszuweichen. Um 20 Uhr stellte die Bahn den Betrieb der Linien 72/73 von Eckernförde nach Kiel, 74 von Husum nach Kiel und 75 von Rendsburg nach Kiel ein.

Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther dankt derweil allen Sturmfluthelfern. Man sei als Land sehr gut aufgestellt, auch die Landesregierung habe einen Krisenstab eingerichtet, so der CDU-Politiker am Freitagnachmittag. Darüber hinaus appellierte Günther an Schaulustige: “Dies ist nicht die Zeit für Katastrophentourismus. Wir alle im Land tragen Verantwortung, in dieser Krise zusammenzustehen.”

Der amtierende Bundestagspräsident, Wolfgang Kubicki (FDP), sprach den betroffenen Menschen in Schleswig-Holstein und in Mecklenburg-Vorpommern am Freitag in Berlin seine Anteilnahme aus.

Landesforsten: Aufenthalt in Wäldern lebensgefährlich

Die Schleswig-Holsteinischen Landesforsten warnten zudem davor, die Wälder zu betreten. Bei Sturm könnten in den Wäldern starke Äste abbrechen und Bäume umstürzen, was den Aufenthalt lebensgefährlich mache.


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Dieses Thema im Programm:

NDR 1 Welle Nord |
Nachrichten für Schleswig-Holstein |
21.10.2023 | 07:00 Uhr

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