stern-Petition zur Pflege: Was Karl Lauterbach jetzt dringend tun muss

Seit 30 Jahren herrscht Pflegenotstand, keine Regierung findet Lösungsansätze. Bei den vielen Gesetzen blickt keiner durch. Dabei ist klar, was passieren müsste. Die drei Forderungen der stern-Pflegepetition geben den Fahrplan vor

Als der stern die Bundestagspetition “Pflege braucht Würde” startete, war der große Erfolg nicht absehbar. Gefordert wurden gerechtere Löhne, geregeltere Arbeitszeiten, mehr Wertschätzung und eine “konsequente Abkehr von ökonomischen Fehlanreizen durch eine Gesundheitsreform.” Über 330.000 Menschen haben unterzeichnet, es war das bis dato erfolgreichste Internet-Gesuch, das direkt an den Petitionsausschuss gerichtet wurde. 330.000. Das sind etwa so viele Menschen wie in Wuppertal leben.

Jetzt hat auch der Bundestag grünes Licht gegeben, die Petition geht mit einstimmigem Votum an die Bundesregierung (Ausführliche Infos zum Petitionsverfahren siehe ganz unten). Karl Lauterbach bleiben etwa vier Wochen, um Rechenschaft über seine bisherigen Bemühungen abzulegen. Mit diesem Erfolg hätten wir beim stern nicht mehr gerechnet, nachdem zwei Jahre nichts passiert war. Die Politik hat verstanden, dass die Flickschusterei so vieler Bundesregierungen nun ein Ende haben muss.

Im Petitionstext heißt es: “Unser Umgang mit dem Thema Pflege entscheidet darüber, wie menschlich unsere Gesellschaft im 21. Jahrhundert bleibt. Es geht um unsere Eltern, Großeltern, Kinder, um unsere Zukunft.”

Abwesenheit von Pflege und Pflegefehler können tödlich sein. Sie können zu komplizierten Krankheitsverläufen führen. Beides passiert oft. Eine Hauptursache ist Überarbeitung, wie zahlreiche Studien belegen. Die Krise in Zahlen: In Deutschland versorgt eine Krankenpflegekraft im Schnitt 13 Patienten – in den USA sind es etwa fünf, in den Niederlanden sieben, in Schweden acht. Ein zusätzlicher Patient pro Pflegekraft im Krankenhaus erhöht das Sterbe-Risiko nach Operationen um sieben Prozent. Einer der häufigsten Pflegefehler passiert bei der Gabe von Medikamenten. Auf Intensivstationen passiert das 74,5 Mal pro 100 Patientenbehandlungstage, so eine internationale Studie. Fast drei Viertel aller Pflegekräfte fühlen sich oft gehetzt, knapp die Hälfte schafft das Arbeitspensum nur mit “Abstrichen bei der Qualität” ermittelte der Deutsche Gewerkschaftsbund. In den Heimen fehlen laut eines Regierungsgutachtens 120.000 Pflegekräfte, in den Krankenhäusern je nach Quelle mindestens 50.000.

Seit mehr als 30 Jahren spitzt sich die Situation zu, und keines der vielen Gesetze und Neuregelungen konnte das Ausbluten des Berufs bislang aufhalten. Derer gibt es viele, und sie tragen kryptische Namen. Kleine Auswahl gefällig? PPR, PPR 2.0, PPUG, Pflegebudget, KAP, ENP, NRG … Noch nicht genug? Pflegestärkungsgesetz, Pflegelöhneverbesserungsgesetz, Arbeitnehmer-Entsendegesetz, Paragraph 113C, Angehörigen-Entlastungsgesetz, Arbeit-von-morgen-Gesetz, Fachkräfteeinwanderungsgesetz, Arbeitsschutzkontrollgesetz, Gesundheitsversorgungs- und Pflegeverbesserungsgesetz.

Nichts davon kam bei den Pflegekräften an. Im Gegenteil: Aktuelle Zahlen der Bundesagentur für Arbeit zeigen, dass es immer länger dauert, ausgeschriebene Stellen neu zu besetzen. Im Jahr 2022 war eine Stelle in der Krankenpflege etwa siebeneinhalb Monate unbesetzt, in der Altenpflege sogar achteinhalb Monate – viel länger als in anderen Berufsgruppen. Zum Vergleich: Im Jahr 2015 lag diese sogenannte “Vakanzzeit” noch unter fünf Monaten, seither stieg sie stetig an.

Jetzt ist der Zeitpunkt, sich die drei Forderungen der stern-Petition erneut vorzunehmen und Lauterbach Aufgaben mit auf den Weg zu geben.

Forderung 1: Mehr Zeit für Patient:innen – verlässliche Arbeitszeiten, Entlastung von Bürokratie, Personalschlüssel nach echtem Bedarf, sofortiges Handeln bei Unterbesetzung

Keine Krankenpflegefachkraft kann allein eine vollbelegte Station mit mehr als 20 schwerkranken Patienten versorgen. Fünf müssen dringend auf die Toilette, einer klagt über akute Bauchschmerzen, eine zieht sich die Infusionsnadel und blutet das Bett voll, irgendwo piept ein Monitor, weil der Blutdruck eines Frischoperierten gerade lebensgefährlich entgleist. Das alles unter Kontrolle zu haben, ist für eine Pflegekraft nicht leistbar – und trotzdem sind landauf und landab an vielen Häusern Stationen so knapp besetzt.

Intensivpflegerinnen versorgen auf der Intensivstation einen an Covid-19 erkrankten Patienten

© Ole Spata/ / Picture Alliance

Dringend Zeit also, dass ein verbindlicherer Pflegeschlüssel eingeführt wird. Den gäbe es schon, er wurde im Jahr 1992 entwickelt: die “Pflegepersonalregelung”, kurz PPR. Doch nach nur zwei Jahren im Einsatz wurde sie außer Kraft gesetzt, weil Berechnungen ergaben, dass man 52.000 neue Stellen an Krankenhäusern schaffen müsste, um die Anforderungen zu erfüllen. Seit einigen Jahren gibt es eine aktualisierte Fassung, die “PPR 2.0”. Sie wurde an 44 Kliniken getestet. Der überwiegende Teil der Pflegekräfte kam damit gut zurecht, so die Auswertung von Wissenschaftlern der Universität Halle. Der GKV-Spitzenverband, die Lobbyorganisation der gesetzlichen Krankenkassen, ist gegen den neuen Personalschlüssel, fürchtet die steigenden Personalkosten. Doch im Ampel-Koalitionsvertrag ist festgeschrieben, dass er eingeführt werden soll. Davor jedoch soll er weiter erprobt werden. “Wohl an 300 Krankenhäusern, diese Zahl fiel mal in Gesprächen mit dem Bundesgesundheitsministerium”, sagt Irene Maier, Vizepräsidentin des Deutschen Pflegerats – mehr weiß sie nicht. Offenbar stockt es irgendwo im Regierungsgetriebe.

In den Pflegeheimen ist die Personalsituation noch schlechter als an Krankenhäusern: Laut eines Gutachtens im Auftrag der Regierung aus dem Jahr 2020 müssten dort 120.000 zusätzliche Pflegekräfte eingestellt werden, um die Arbeit zu schultern. Die Vorgängerregierung beschloss, diesen Plan umzusetzen, doch noch ist wenig zu spüren von Arbeitsentlastung. Viele Tätigkeiten könnten dem Gutachten zufolge Pflegehilfskräfte mit ein- bis zweijährigen Weiterbildungen übernehmen. “Die aber gibt es nicht am Markt”, sagt Ulrike Döring, Präsidiumsmitglied beim Deutschen Pflegerat und selbst langjährige Altenpflegerin: “Pflegehilfskräfte wurden viel zu wenig ausgebildet, manche Bundesländer haben die Ausbildung über längere Zeiträume sogar ganz eingestellt.”

Die Aufgabe für Lauterbach:
Nach mehr als 30 Jahren Versagen seiner Vorgängerinnen und Vorgänger einen verbindlichen Pflegeschlüssel für die Krankenhäuser einführen. An den Pflegeheimen die Voraussetzungen dafür schaffen, dass die Versorgungslücke von 120.000 Pflegekräften in absehbarer Zeit geschlossen wird.

Forderung 2: Aufwertung des Berufsbildes – höhere Gehälter, Zulagen und Entlohnung von Weiterqualifizierung, mehr Entscheidungsmöglichkeiten für Patient:innen, bessere Karrierechancen

Das Einstiegsgehalt einer Krankenpflegekraft liegt bei etwa 3.300 Euro. Das ist nicht so schlecht im Vergleich zu anderen Ausbildungsberufen. Doch dabei bleibt es im Großen Ganzen, was bedeutet: Pflegekräfte, die zehn Jahre und mehr Berufserfahrung mitbringen, die Weiterbildungen in Intensivpflege oder Neonatologie absolviert haben, die den Nachwuchs ausbilden oder Stationsleitungen übernehmen, haben zwar mehr Arbeit, Stress und Verantwortung, verdienen jedoch nur unwesentlich mehr. Und oft zu wenig, um sich das Leben in einer Großstadt noch leisten zu können. Ganz zu schweigen von denen, die Pflege an Hochschulen studieren, um dann in Positionen zu arbeiten, für die sie ihre Zusatzqualifikationen nicht brauchen – weil Krankenhäuser und Heimbetreiber mit ihrem Profil nichts anzufangen wissen. Das ist kurzsichtig gedacht, denn der medizinische Fortschritt hat die Pflege zu einer hochkomplexen Wissenschaft gemacht. Die Erkenntnisse, die an Hochschulen gewonnen werden, müssen in die Praxis dringen. In Ländern wie Schweden, Kanada oder Großbritannien setzt der Pflegeberuf deshalb schon lange einen Hochschulabschluss voraus, andere Länder haben zumindest hohe Akademikerquoten. Derart weitergebildete Pflegekräfte (“Advanced Practice Nurses”) finden nicht nur mehr Erfüllung im Beruf, weil sie selbständiger handeln können, sie könnten im Gesundheitswesen auch viel Geld einsparen, darauf weisen mehrere Studien hin. Einer aktuellen Untersuchung zufolge könnten zum Beispiel fast 35 % aller Krankenhauseinweisungen aus Pflegeheimen vermieden werden – das wären rund 220.000 Krankenhausfälle in Deutschland.

Altenpflegekräfte in Heimen verdienten früher 500 Euro weniger als an Krankenhäusern. Dieses Gehaltsgefälle dürfte heute geringer ausfallen, weil seit dem 1. September vergangenen Jahres alle Heime ihre Pflegekräfte nach Tarif bezahlen müssen. Die Gehälter stiegen um mehrere hundert Euro. Das Problem: Bezahlen müssen diese Differenz größtenteils Pflegebedürftige und Angehörige – obwohl die Regierung damals versprach, genau das werde nicht passieren. Statt früher etwa 2000 Euro, berappen sie heute an die 3000 Euro, manchmal sogar mehr. Diesen Sommer will Lauterbach eine große Pflegereform vorstellen, die eine ganze Liste von Leistungsverbesserungen vorsieht. Der galoppierende Anstieg der Eigenanteile für Heimplätze soll gebremst und die marode Pflegeversicherung saniert werden. Das Pflegegeld soll erhöht, Pflegeversicherte mit mehreren Kindern entlastet werden, pflegende Angehörige sollen Rentenbeiträge aus Steuern finanziert bekommen. Das Großvorhaben wird viele Milliarden Euro kosten, die Lauterbach gegen den zu erwarteten Widerstand von Finanzminister Christian Lindner durchsetzen muss.

Die Aufgabe für Lauterbach:
Dafür sorgen, dass der Pflegeberuf durch größere Entwicklungsmöglichkeiten attraktiver wird. Mehr Selbständigkeit und höhere Honorierung von Erfahrung und Zusatzqualifikation sind Wege dorthin. Die höheren Kosten dürfen nicht auf Angehörige und Versicherte umgelegt werden. Die Pflegeversicherung braucht deshalb einen Steuerzuschuss, den viele Experten längst einfordern.

Forderung 3: Konsequente Abkehr von Profitdenken und ökonomischen Fehlanreizen durch eine Gesundheitsreform

In den frühen 2000er Jahren wurde ein in seiner Radikalität weltweit einzigartiges Abrechnungssystem an den deutschen Krankenhäusern eingeführt. Es setzt Ärztinnen, Ärzte und Pflegekräfte unter massiven ökonomischen Druck. Diagnosen werden nach “Fallpauschalen” (englisch: DRG, Diagnosis Related Groups) in “Fallgruppen” gruppiert und vergütet – nach der Faustregel: je höher der Aufwand, desto mehr Geld. Der fatale Effekt: Patienten rechnen sich – egal, wie krank sie sind – in diesem System vor allem, wenn an ihnen viele “Prozeduren” durchgeführt werden. In der DRG-Logik sind das alle Eingriffe von einer Spritze über Magenspiegelungen bis hin zu großen Operationen. Ein bekanntes Beispiel ist das Geschäft mit der künstlichen Beatmung: Auf manchen Intensivstationen werden Menschen so lange maschinell beatmet, bis eine bestimmte Anzahl von Stunden erreicht ist, weil dann zehntausende Euro mehr Einkünfte fließen – egal, ob diese Patienten längst auf dem Wege der Besserung oder aber fast schon tot sind. Allein der Profit zählt. Die toxische Mischung aus ökonomischen Fehlanreizen und Gewinnerwartungen führte dazu, dass heute in Deutschland im weltweiten Vergleich mit am meisten Patienten im Krankenhaus behandelt werden. Das macht sie weder gesünder, noch leben sie länger. Sie erleiden nur mehr Behandlungen. Und weniger Krankenpflegekräfte als früher müssen diese vielen Patienten versorgen, die alle deutlich kürzer bleiben. Entlassung, Aufnahme, Entlassung, Aufnahme, immer neue Patienten, neue Krankheiten, neue Risiken und jeder Arbeitsschritt muss aufgeschrieben werden.  Auf die Einwohner gerechnet, gibt es in Deutschland deutlich mehr Pflegekräfte als im EU-Durchschnitt. Nicht aber auf 1000 Krankenhausfälle gerechnet – da ist Deutschland Schlusslicht. Der Pflegekräftemangel ist also teilweise künstlich erzeugt. “Wir haben nicht zu wenig Pflegekräfte, wir müssen sie nur anders verteilen”, sagt deshalb Christel Bienstein, Präsidentin des Deutschen Berufsverbands für Pflegeberufe DBfK.

Beschäftigten in Medizin und Pflege protestieren

© Ole Spata/ / Picture Alliance

Karl Lauterbach war maßgeblich an der Einführung des Fallpauschalensystems beteiligt, nun will er die Kehrtwende. Eine von ihm beauftragte “Regierungskommission Krankenhausversorgung” hat Vorschläge für eine große Vergütungs-Reform erarbeitet. Doch jetzt sind Hartnäckigkeit und Weitblick vonnöten: Denn im gleichen Zuge sollen viele kleinere Krankenhäuser geschlossen und das gesamte Versorgungssystem neu ausgerichtet werden. Hier werden dem Minister die Bundesländer mit ihren Partikularinteressen in die Quere kommen – Krankenhausplanung ist Ländersache. Die Patienten aber müssen von einem starken ambulanten System aufgefangen werden.

Das aber gibt es noch nicht. Alle wissen, wie lange man auf Facharzttermine warten muss. Viele wählen deshalb den schnelleren Weg zum nächsten Krankenhaus. In den Notaufnahmen werden jährlich etwa 8,4 Millionen Menschen ambulant behandelt und dann nach Hause geschickt, so eine Hochrechnung der Rosa-Luxemburg-Stiftung. Weitere 8,5 Millionen Notfallpatienten werden stationär aufgenommen, obwohl ihre Krankheiten ambulant zu therapieren wären. Was, wenn niemand da ist, um diese 17 Millionen Fälle aufzufangen? Die Rechnung der Expertenkommission geht nur auf, wenn die ambulante Versorgung mitgedacht wird, sonst könnten die großen Pläne in einem Desaster enden, aus der heute beklagten medizinischen Überversorgung würde eine gefährliche Unterversorgung. Lauterbach hat dieses Problem schon auf dem Schirm: Er will bundesweit in unterversorgten Regionen 1000 “Gesundheitskioske” sowie ambulante Primärversorgungszentren schaffen. Dort sollen Pflegekräfte einfachere ärztliche Tätigkeiten wie Wundversorgung und Gabe von Spritzen übernehmen. Es wäre ein spannendes, neues Berufsfeld, das junge Menschen in den Beruf locken könnte.

Ökonomische Fehlanreize en masse bietet auch die Altenpflege. Dort gingen in den vergangenen Jahren internationale Investoren auf Einkaufstour. Sie trachten nach zweistelligen Renditen, trimmen angekaufte Heime und Ketten binnen weniger Jahre auf Effizienz, zentralisieren die Verwaltung, schließen lokale Küchen, kurz, sie sparen, wo immer es möglich ist – am Personal, an der Qualifikation, an den Wurstscheiben fürs Abendbrot. Nach wenigen Jahren wird die gewachsene Altenheim-Kette dann mit satten Gewinnen weiterverkauft, die sogenannte “Buy-and-Build-Strategie”. Der wissenschaftliche Nachweis, dass diese Player eine insgesamt schlechtere Versorgung leisten, steht noch aus, doch man muss nur ins Nachbarland Frankreich schauen, wo einer der weltgrößten privaten Pflegeheimbetreiber, Orpéa, nach den Enthüllungen eines Investigativjournalisten unter Dauerbeschuss steht: “Die Totengräber” nannte der Autor sein Buch, es wurde zum Bestseller. Auch in Deutschland deckten Investigativjournalistinnen und -journalisten mehrfach schwere Missstände auf. Im RTL-Format “Team Wallraff – Jetzt erst recht” fand Lauterbach vor einigen Monaten reuige Worte für die desaströsen Entwicklungen im Pflegemarkt. “Rückblickend hätte ich es richtig gefunden, wenn die Pflege einfach eine kommunale Aufgabe geblieben wäre”, sagte er. Momentan aber sehe er aber keine juristische Handhabe: “Die privaten Investoren können nicht einfach enteignet werden. Das ist rechtlich so nicht machbar.”

Die Aufgaben für Lauterbach:
Keine Schnellschüsse bei der großen Krankenhausreform! Das ambulante System muss mitgedacht werden, und Partikularinteressen der Bundesländer müssen hinten anstehen. Suche nach rechtlichen Wegen, wie private Heime wieder in die Hände der Kommunen zurückgelangen können.

Die Herausforderungen, vor denen Lauterbach steht, sind gigantisch. Und über allem hängt die große Frage: Woher sollen all die jungen Menschen kommen, die eine alternde, immer krankere Gesellschaft im Krankenhaus, in Heimen und zuhause pflegen sollen? In einem Satz: Der Pflegeberuf muss attraktiver werden. So banal das klingt, hat die Politik darunter bisher jedoch immer nur eines verstanden: Arbeitsentlastung! Mehr Hände am Patienten, mehr Personal auf den Stationen, egal woher, gerne auch aus Mexiko oder Nigeria. Doch in Wirklichkeit greift alles ineinander: Es werden nicht nur mehr Pflegekräfte gebraucht, sondern sie müssen auch immer besser ausgebildet, immer motivierter und selbständiger werden. Es müssen auch Schulabgängerinnen und -abgänger erreicht werden, die sich überlegen, Manager oder Wissenschaftlerinnen zu werden.

Das Pflegeproblem wird sich nur mit einer großen Reform des realisieren lassen. Und trotz ihrer Zerstrittenheit ist die Ampelkoalition hier rühriger als die Vorgängerregierungen. Und der viel gescholtene Karl Lauterbach zeigt den Willen, deutlich mehr zu verändern als sein Vorgänger Jens Spahn, der sich vor allem geschickter in Szene setzte.

Trotzdem: Bis die Forderungen der stern-Pflegepetition, unterzeichnet von mehr als 330.000 Deutschen, wenigstens teilweise erfüllt sind, dürfte, optimistisch gerechnet, ein Jahrzehnt vergehen. Die Weichen aber müssen jetzt gestellt werden, damit Licht am Horizont leuchtet.

Anmerkung zum Petitionsverfahren: Anders als bei online-Petitionen auf Petitionsplattformen wie change.org muss sich das Parlament mit jeder Willensbekundung beschäftigen, die von Bürgerinnen und Bürgern direkt beim Petitionsausschuss eingereicht wird. Wie damit verfahren wird, ist kompliziert zu verstehen. Die stern-Pflegepetition wurde am 26. Januar 2023 zur Abstimmung gestellt, ohne dass der Petent informiert wurde, er erhielt nur durch Zufall Kenntnis davon. Zum Nachhören: 82. Plenarsitzung des Deutschen Bundestags, Timecode 5:43:27. Direkt zuvor wurde übrigens über eine weitere Pflegepetition abgestimmt. Die Vortragenden sind in beiden Fällen Mitglieder des Petitionsausschusses, keine Experten für Gesundheitspolitik. Der Bundestag vergibt für Petitionen fünf mögliche Voten. Das höchste davon ist das sogenannte “Berücksichtigungsvotum”, welches die stern-Pflegepetition erhielt. Nur dieses Votum setzt die Bundesregierung unmittelbar unter Handlungsdruck, “weil das Anliegen des Petenten begründet und Abhilfe notwendig ist”, wie es in den Verfahrensgrundsätzen heißt.

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