Spektakel in der zweiten Liga: Der HSV besiegt Schalke 5:3. – Sport

Schon vor dem Anpfiff herrschte im Hamburger Volkspark eine einmalige Festtagsstimmung, doch noch ahnte keiner: Es sollte noch viel besser werden an diesem Abend. Die Feierlichkeiten waren farbenfroh, glückselige Kinder schwenkten Fahnen mit Rautenlogo darauf, das Maskottchen Dino Hermann bewegte seinen opulenten Hintern geradezu galant über den Rasen – und die angeschlossenen Funkhäuser berichteten so aufgeregt vom Ort des Geschehens, als stünde eine royale Hochzeit an.

Nun, majestätisch war das vielleicht nicht ganz, was da am Freitag dann zur Aufführung kam. Doch das war ja auch nicht Sinn der Sache, da würden nicht mal die in königsblau gekleideten Gäste widersprechen. Und sowieso: Hatten die sich nicht auch bestens unterhalten gefühlt, wenn sie ehrlich sind? Also: so richtig, richtig ehrlich?

“Das war kein normales Zweitligaspiel”, befand später der Schalker Trainer Thomas Reis und schaute dabei wie ein Verkaufsprofi, der wirklich überzeugt ist von dem Produkt, das er an den Kunden bringen soll. Ein Zweitligaspiel war das zwar zweifelsohne, was sich da kurz zuvor im Stadion zugetragen hatte. Es handelte sich sogar um die hochoffizielle Eröffnungszeremonie der neuen Zweitliga-Saison. Aber normal, da hatte Reis schon recht, war dieses Duell auf gar keinen Fall.

Acht Tore, wuchtige Kulisse, zwei Edelmarken alten Geblüts, eine komplett von der Norm abweichende Dramaturgie – und am Ende erhielt diese Partie, die von Fans wie neutralen Beobachtern gleichermaßen sehnsüchtig erwartet worden war, auch noch das Ergebnis, das sie verdient hatte: Der HSV gewann 5:3 (1:2) gegen den Absteiger FC Schalke 04 und hinterlegte somit sofort zum Auftakt seine Ambition, das Unterhaus im sechsten Anlauf zu verlassen.

Diesen Selbstanspruch hat freilich auch der Absteiger aus Gelsenkirchen, dank eines ertragreichen Transfersommers ist das auch berechtigt, doch der Ausflug in die Hansestadt diente gleich mal als Beleg dafür, wie schwer das werden könnte. Größere Umbaumaßnahmen im Kader ziehen bisweilen lange Findungsphasen nach sich – ein Prozess, der am Freitag nachweislich noch nicht abgeschlossen war und wohl noch ein Weilchen andauern wird.

Sogar HSV-Coach Walter zeigt Spuren von Selbstkritik und Selbstreflexion

Das Hin und Her auf dem Platz wie auch auf der Ergebnistafel konnte jedenfalls nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Hamburger Spieler ein paar Entwicklungsschritte weiter sind. Sie wissen, was für einen Fußball sie spielen wollen, sie kennen sich gegenseitig und die Tücken der zweiten Liga – und sie haben die kurze Sommerpause für eine umfangreiche Analyse genutzt, während der sogar beim stets selbstbewussten HSV-Coach Tim Walter Spuren von Selbstkritik und Selbstreflexion zutage traten.

Walter bleibt weiter Walter, er ist auch am Freitag dem vierten Offiziellen immer wieder gefährlich nahe gerückt, er wird dagegen niemals abrücken von seinem auf Totaldominanz ausgelegten Ballbesitzfußball. Aber er ist jetzt – das war die wohl wichtigste Erkenntnis dieser Partie – innerhalb seines ideologischen Korridors dazu bereit, sich auf Stärken und Schwächen des Gegners einzustellen und entsprechende Modifizierungen in seiner Spielstrategie vorzunehmen.

Eine Beweisszene trug sich nach exakt einer Viertelstunde zu: Da forderte Walter gestenreich einen langen Ball vom HSV-Torwart Daniel Heuer Fernandes ein, damit sein Team in einen Raum eindringen konnte, der mit kurzen Pässen fürs Erste unerreichbar gewesen wäre. Heuer Fernandes schlug den Ball dann tatsächlich in Richtung des entgegengesetzten Strafraums und muss deswegen – anders als noch zu Walters Dienstbeginn in der Hansestadt – im nächsten Training nun keine Strafrunden absolvieren. Eine frühe Balleroberung und einen rasanten Umschaltmoment später hatte der neue Spielmacher Immanuel Pherai auf Stürmer Robert Glatzel quergelegt, der nur noch zur Hamburger 1:0-Führung einschieben brauchte. “Wir waren taktisch sehr, sehr flexibel”, sagte Walter und wirkte fast schon stolz dabei: “Wir hatten viele gute Ballbesitzphasen, haben aber auch immer wieder tiefe Bälle gespielt.”

“Wir waren taktisch sehr, sehr flexibel”: Hamburgs Trainer Tim Walter lobt zurecht die Mannschaft – und sich auch ein bisschen selbst.

(Foto: Marcus Brandt/dpa)

In diesem Angriff steckte viel drin, was letztlich entscheidend dafür war, dass die Hamburger in jeder Spielphase überlegen waren. Zum einen waren Pherai und Glatzel die zwei herausragenden Akteure beim HSV. Zu den beiden gleich mehr. Zum anderen wurde da das Sicherheitskonzept des Schalker Trainers Reis zum ersten Mal rigoros gegen ihn verwendet: Königsblau verteidigt mannorientiert, wie das im Branchenjargon gerne heißt, das garantiert Klarheit in den Abläufen und zwingt der Partie eine kampfbetonte Note auf.

Der Walter-Elf gelang es allerdings, mit Positionsrochaden und Zurückfallen der vordersten Offensivreihe immer wieder Lücken in die Schalker Deckung zu reißen. “Wir waren perfekt vorbereitet”, sagte der Mittelfeldstratege Jonas Meffert. Womöglich wusste er da schon um die statistische Belegbarkeit seiner Behauptung: Sagenhafte 32 Torschüsse hatten die Hamburger aufs Tor abgefeuert, sie waren mehr gelaufen, hatten deutlich häufiger den Ball und geradezu beeindruckende Zweikampfwerte vorzuweisen. Interessanterweise – das ist auch typisch HSV – waren sie zur Halbzeit dennoch 1:2 hinten gelegen, weil die Schalker gnadenlos beim Ausnutzen defensiver Nachlässigkeiten waren. Das 17-jährige Mittelfeldtalent Assan Ouedraogo und Thomas Ouwejan trafen für die Gästemannschaft.

Pherai und Glatzel harmonieren bereits prächtig beim HSV

Die Hamburger konnten nicht ganz kaschieren, dass die Innenverteidigung bestehend aus Zugang Guilherme Ramos und Leihrückkehrer Stephan Ambrosius mehr als nur ein Stück weit improvisiert war. Eigentlich sind dort der Kapitän Sebastian Schonlau und der aus Russland ausgeliehene Dennis Hadzikadunic eingeplant, sie hätten womöglich verhindert, dass der Schalker Torjäger Simon Terodde so frei wie vor seinem Treffer zum zwischenzeitlichen 3:3 zum Abschluss kommt – zuvor hatte Laszlo Benes den HSV mit einem Doppelpack verdientermaßen in Führung geschossen. Doch wenn es etwas gibt, für das der Walter-HSV bekannt ist, dann ist es nicht nur die bisweilen geflissentliche Ignoranz von Modebegriffen wie “Restverteidigung” oder “Konterabsicherung”, sondern auch sein fast schon rührender Zusammenhalt und seine zuverlässigen Comeback-Qualitäten: Glatzel und der eingewechselte Jean-Luc Dompé drehten mit ihren Treffern ein irres Spiel, das überdies von einer gelb-roten Karte für Schalkes Ibrahima Cissé und einigen spannenden Handlungssträngen angereichert wurde.

Einer davon war, wie oben erwähnt, die jetzt schon ausgezeichnete Harmonie zwischen Glatzel und dem aus Braunschweig verpflichteten Offensivwirbler Pherai. Bei Letzterem, so Glatzel, handele es sich um einen “geilen Kicker”, der als “als klassischer Zehner” das ideale Pendant zu einem “Neuner” wie ihm selbst sei. In der Tat: Pherai und Glatzel, die individuell zur Zweitliga-Elite zählen dürften, offenbarten ein vorauseilendes Verständnis für die Gedankengänge des anderen, wie man das im Volkspark schon eine ganze Weile nicht mehr gesehen hat.

Der andere und übergeordnete Handlungsstrang wurde von HSV-Coach Walter formuliert. Von nun an, sagte er, zähle “nicht nur das Erlebnis, sondern auch das Ergebnis”. Wenn beides aufeinandertrifft, so wie bei der feierlichen Eröffnung der Zweitliga-Saison, hat Walter aber sicher auch nichts dagegen.

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