Russland dehnt Angriffe aus – Selenskyj will direkt mit Putin verhandeln

Luftschutzsirenen heulen am frühen Montagmorgen in vielen Städten und Regionen der Ukraine, darunter Kiew, Lemberg (Lwiw) und Odessa, berichten Büros der Nachrichtenagentur Reuters. Zugleich bereiten russische Truppen nach Angaben des ukrainischen Generalstabs mehrere Offensiven in der Ukraine vor.

Dafür versuchten die Einheiten, sich an bisher von ihnen eingenommenen Punkten festzusetzen, Nachschub zu sichern und sich neu zu gruppieren, heißt es in einem in der Nacht zu Montag auf Facebook veröffentlichten Bericht.

Sobald dies geschehen sei, erwarte man neue Angriffe etwa auf die Städte Charkiw im Osten, Sumy im Nordosten oder auch den Kiewer Vorort Browari. Gleichzeitig wurden für Montag weitere Gespräche zwischen beiden Seiten angekündigt.

Am Sonntag hatte Russland einen ukrainischen Militärstützpunkt im Grenzgebiet zu Polen angegriffen. Bei dem Angriff auf den Militärstützpunkt nahe Lemberg (Lwiw) wurden nach ukrainischen Behördenangaben mindestens 35 Menschen getötet und mehr als 130 weitere verletzt.

Rauch steigt über der ukrainischen Militärbasis bei Lwiw auf, nachdem diese am Sonntag von Russland angegriffen wurde

Quelle: @BackAndAlive via REUTERS

Angesichts dessen wiederholte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj seine Forderung nach der Einrichtung einer Flugverbotszone durch die Nato. „Wenn Sie unseren Himmel nicht abriegeln, ist es nur eine Frage der Zeit, bis russische Raketen auf Ihr Territorium, auf das Territorium der Nato und auf die Häuser von Nato-Bürgern fallen werden“, sagte Selenskyj in der Nacht zum Montag in einer Videoansprache.

„Dreißig Raketen allein auf die Region Lwiw“, sagte Selenskyj dazu. „Es passierte nichts, was das Territorium der Russischen Föderation bedrohen könnte. Und das nur 20 Kilometer von den Grenzen der Nato entfernt.“

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Die ukrainische Regierung fordert schon seit Beginn des russischen Angriffskriegs vor rund drei Wochen von der Nato die Einrichtung einer Flugverbotszone. Dadurch sollen russische Luftangriffe auf die Ukraine verhindert werden. Dies würde allerdings ein direktes Eingreifen von Nato-Soldaten in den Krieg bedeuten, was viele westliche Staats- und Regierungschefs aus Furcht vor einer Konfrontation mit der Nuklearmacht Russland ablehnen.

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Die russischen Streitkräfte verstärken unterdessen vor allem den Druck auf Kiew. Befürchtet wurde eine unmittelbar bevorstehende Umzingelung der Stadt, am Sonntag waren nur noch die Straßen im Süden Kiews offen. Ein Berater von Präsident Wolodymyr Selenskyj sagte, Kiew bereite sich auf eine „erbitterte Verteidigung“ vor. Die örtlichen Behörden in Kiew melden, sie sammelten Nahrungsmittelvorräte, um die nächsten zwei Wochen zu überstehen.

Ein ukrainischer Feuerwehrmann in einem Lebensmittellager, das in den frühen Morgenstunden am Stadtrand von Kiew durch einen Luftangriff zerstört wurde

Ein ukrainischer Feuerwehrmann in einem Lebensmittellager, das in den frühen Morgenstunden am Stadtrand von Kiew durch einen Luftangriff zerstört wurde

Quelle: dpa/Vadim Ghirda

Im Norden der ukrainischen Hauptstadt ist am Montagmorgen bei einem Angriff auf ein Hochhaus ein Feuer ausgebrochen. Mindestens zwei Menschen seien getötet worden, berichtete das ukrainische Fernsehen. Der staatliche Zivilschutz teilte zunächst mit, dass 63 Menschen evakuiert worden seien. Die Suche nach Opfern dauere an. Auf Fotos und Videos war zu sehen, wie Feuerwehrleute Bewohner mithilfe von Drehleitern retteten. Rauch stieg aus mehreren Etagen auf. Das Feuer sei mittlerweile gelöscht. Das Hochhaus soll von einem Artilleriegeschoss getroffen worden sein. Das ließ sich nicht überprüfen. Weitere Angaben lagen zunächst nicht vor.

Im Nordwesten Kiews hat es am Montag einen Angriff auf ein bekanntes Flugzeugbauunternehmen gegeben. „Die Besatzer haben das Antonow-Werk beschossen“, teilte die Stadtverwaltung im Nachrichtenkanal Telegram mit. Rettungskräfte seien vor Ort. Zunächst war unklar, ob es Verletzte und Tote gab. Das Portal „strana.news“ veröffentlichte Fotos und Videos, die eine riesige Rauchwolke über der Fabrik zeigen sollen. Einzelheiten lagen zunächst nicht vor.

Im Vorort Irpin nordwestlich von Kiew war am Sonntag erstmals ein ausländischer Journalist getötet worden. Der 50-jährige US-Journalist starb durch Beschuss in einem Auto, ein US-Kollege sowie der ukrainische Fahrer wurden verletzt.

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Im Gebiet Luhansk im Osten des Landes konzentriere sich Russland primär auf den Vormarsch in Richtung Sjewjerodonetsk, heißt es von ukrainischer Seite. Nach Moskauer Angaben treffen die prorussischen Separatisten in der Region Luhansk weiter auf starken Widerstand ukrainischer Truppen. Im Nordosten der Großstadt Sjewjerodonezk liefen Kämpfe gegen „Nationalisten“, sagte der Sprecher des russischen Verteidigungsministeriums, Igor Konaschenkow, am Montag in seinem Morgenbriefing.

Moskau hatte am Sonntag mitgeteilt, dass Kämpfer der prorussischen Separatisten den östlichen und südlichen Teil der Stadt mit 100.000 Einwohnern blockiert hätten. In den Orten Topolske und Schpakiwka in der Region Charkiw habe der Gegner Verluste erlitten und sich zurückgezogen.

Die von Russland annektierte Halbinsel Krim und der Donbass im Osten der Ukraine sollen nun durch einen Landkorridor verbunden sein. Das sagte der Vize-Ministerpräsident der Regierung der Krim, Georgi Muradow, der russischen staatlichen Agentur Ria Nowosti am Montag. „Die Autostraße von der Krim bis Mariupol wurde unter Kontrolle genommen“, zitiert Ria Nowosti Muradow. Eine Bestätigung der Ukraine dafür gibt es nicht.

Beobachter gehen davon aus, dass eines der Ziele des Angriffskriegs Russlands in der Ukraine ein Landkorridor von den an Russland grenzenden Separatistengebieten im Osten der Ukraine mit der Halbinsel Krim ist.

Aktuelle Lage in der Ukraine

Aktuelle Lage in der Ukraine

Quelle: Infografik WELT

Weiterhin besonders dramatisch ist die Lage in der seit knapp zwei Wochen von der russischen Armee belagerten Hafenstadt Mariupol, wo laut dem Berater des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj, Olexii Arestowytsch bisher mehr als 2500 Bewohner starben. Er beziehe sich auf Angaben der Stadtverwaltung von Mariupol, sagt Arestowytsch in einem Fernsehinterview. Er wirft den russischen Truppen vor, sie hätten am Sonntag verhindert, dass Hilfsgüter die eingekesselte Stadt erreicht hätten. Die Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen warnte vor einer „unvorstellbaren Tragödie“ in der Großstadt am Asowschen Meer, ähnlich äußerte sich das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK).

Am Sonntag kehrte ein von orthodoxen Priestern begleiteter Hilfskonvoi mit 90 Tonnen Lebensmitteln und Medikamenten wegen des Beschusses durch russische Truppen um, wie ein Berater des Bürgermeisters der Nachrichtenagentur AFP sagte.

Ein ukrainischer Soldat in Mariupol

Ein ukrainischer Soldat in Mariupol

Quelle: AP/Mstyslav Chernov

Am Montag solle ein neuer Versuch unternommen werden, die Hilfen nach Mariupol zu bringen. Versuche, die hunderttausenden eingeschlossenen Zivilisten über Fluchtkorridore in Sicherheit zu bringen, scheiterten bereits mehrfach.

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Wie eine AFP-Reporterin berichtete, beschoss die russische Armee am Samstag in der Schwarzmeer-Hafenstadt Mykolajiw mehrere Krankenhäuser. Am Sonntag meldeten die Behörden mindestens elf Tote durch russische Angriffe in Mykolajiw, davon einer auf eine Schule.

In der ostukrainischen Ortschaft Popasna soll die russische Armee nach Angaben eines örtlichen Polizeivertreters Phosphorbomben eingesetzt haben. Mehrere UN-Organisationen forderten ein Ende der Angriffe auf Gesundheitseinrichtungen.

Kadyrow besucht tschetschenische Truppen

Unterdessen hat der Machthaber der autonomen Republik Tschetschenien, Ramsan Kadyrow, nach eigenen Angaben seine Truppen in der Ukraine besucht. Ein in der Nacht zum Montag im Internetdienst Telegram veröffentlichtes Video zeigte Kadyrow, wie er mit Soldaten an einem Tisch in einem Zimmer Pläne studierte.

Kadyrow schrieb dazu, dass er sich auf dem von russischen Truppen eroberten Flugplatz Hostomel in der Nähe von Kiew befinde. Die Angaben konnten allerdings nicht von unabhängiger Seite bestätigt werden.

Der tschetschenische Machthaber und enge Putin-Verbündete Ramsan Kadyrow

Der tschetschenische Machthaber und enge Putin-Verbündete Ramsan Kadyrow

Quelle: REUTERS

„Neulich waren wir etwa 20 Kilometer von euch, den Nazis in Kiew, entfernt, und jetzt sind wir noch näher“, schrieb Kadyrow auf Telegram. Er forderte die ukrainischen Streitkräfte auf, sich zu ergeben, „oder ihr werdet erledigt“. Er fügte hinzu: „Die russische Praxis lehrt den Krieg besser als die ausländische Theorie und die Empfehlungen von Militärberatern“.

Kadyrow ist ein enger Verbündeter des russischen Präsidenten Wladimir Putin. Eigenen Angaben zufolge nehmen tschetschenische Soldaten an der Offensive im Nachbarland teil. Kadyrows Truppen werden in Tschetschenien zahlreiche Übergriffe vorgeworfen.

Verhandlungen werden am Montag fortgesetzt

Die Verhandlungen zwischen Moskau und Kiew sollen am Montag nach Angaben beider Seiten per Videoschalte fortgesetzt werden. Unmittelbar vor der vierten Verhandlungsrunde mit Russland hat sich die Ukraine zurückhaltend gezeigt. Es gehe um Frieden, Waffenstillstand, den sofortigen Rückzug der russischen Truppen und Sicherheitsgarantien für die Ukraine, schrieb der ukrainische Präsidentenberater Mychajlo Podoljak am Montag bei Twitter. „Schwieriges Gespräch. Obwohl Russland sich der Sinnlosigkeit seines aggressiven Vorgehens bewusst ist, hängt es der Illusion nach, dass 19 Tage Gewalt gegen friedliche Städte die richtige Strategie sind“, schrieb Podoljak weiter.

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Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj drängt indes auf direkte Gespräche zwischen ihm und dem russischen Präsidenten. „Unsere Delegation hat eine klare Aufgabe – alles zu tun, um ein Treffen der Präsidenten zu ermöglichen“, sagte Selenskyj in einer in der Nacht zu Montag veröffentlichten Videoansprache. Es sei ein Treffen, auf das, so sei er sicher, alle warteten. Das sei ein schwieriger Weg, aber notwendig, um wirksame Garantien zu erhalten.

Die Ukraine hat wiederholt darauf verwiesen, dass Präsident Wladimir Putin alle endgültigen Entscheidungen treffe. Kremlsprecher Dmitri Peskow hatte am Sonntag im russischen Staatsfernsehen ein Treffen von Russlands Präsident Wladimir Putin mit Selenskyj nicht ausgeschlossen. Man müsse aber verstehen, was das Ergebnis des Treffens sein solle und was dort besprochen werde.

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Ukraine; Fucht

Quelle: Infografik WELT/Markus Wüste

Für diesen Montag sind nach Angaben der ukrainischen Regierung zehn Fluchtkorridore vereinbart, durch die Zivilisten unter Beschuss liegende Orte verlassen können. Dies betreffe unter anderem Städte in der Nähe der Hauptstadt Kiew und in der Region Luhansk im Osten, sagt Vize-Ministerpräsidentin Iryna Wereschtschuk. Es werde zudem erneut versucht, Hilfskonvois mit Lebensmitteln und Medikamenten von Berdjansk im Südosten der Ukraine in das eingekesselte Mariupol hineinzubringen, sagt sie in einer Video-Botschaft.

Nach Erkenntnissen der UNO wurden seit Kriegsbeginn mindestens 596 Zivilisten in der Ukraine getötet. Die tatsächliche Opferzahl sei aber wohl deutlich höher. Fast 2,7 Millionen Menschen flohen nach UN-Angaben seit Beginn des russischen Angriffs aus dem Land.

Die Zahl der Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine in Deutschland nimmt weiter stark zu. Bis Montag seien 146.998 Geflohene aus der Ukraine registriert worden, teilte das Bundesinnenministerium in Berlin mit. Diese Zahl habe die Bundespolizei erhoben, die momentan verstärkte Kontrollen an den Grenzen ausführe. Am Sonntag waren 135.000 Flüchtlinge registriert, am Samstag waren es rund 120.000.

Das Bundesinnenministerium wies abermals darauf hin, dass die tatsächliche Zahl der nach Deutschland eingereisten Kriegsflüchtlinge „bereits wesentlich höher“ sein könnte. Da keine festen Kontrollen an den Grenzen stattfänden, sei die genaue Zahl nicht zu ermitteln.

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