Raubkunst und Restitution – Kultur

Diese Geschichte beginnt an einem sonnigen Münchner Morgen. Sogar im lichtgeschützten Saal der Graphischen Sammlung scheint alles zu leuchten, vor allem die sanft hingetuschten Farben des Aquarells, das prominent auf einer Staffelei präsentiert wird. Felix Bloch ist aus den USA angereist, erst am Vortag ist er mit seiner Frau, den Töchtern und Enkelsohn Cooper gelandet. Aufmerksam stehen sie vor dem Bild, das ihnen die Münchner Pinakotheken in einer Zeremonie übergeben werden, dem Großvater wurde es in der NS-Zeit in Wien abgepresst. Und während alle noch auf den Staatsminister für Kunst und Wissenschaft des Freistaates warten, erklärt Michael Haering, der Sammlungsleiter, warum die von Rudolf von Alt gemalte Ansicht des Grand Hotels in Teplitz künftig an einem möglichst dunklen Platz hängen sollte.

Für Haering ist die Übergabe eine willkommene Gelegenheit, auf die Bemühungen des Landes Bayern in Sachen Raubkunst hinzuweisen. Er habe eine “Provenienz-Ampel” eingeführt, erklärt der Kunsthistoriker, die signalisiere, ob ein Werk “als belastet, möglicherweise belastet oder unbedenklich gilt”. Das Aquarell “Ansicht von Teplitz” lag jahrzehntelang unbeachtet in den Schubladen, dabei steht auf der Rückseite in großen Buchstaben “Richard Stein” – der Name des Großvaters von Felix Bloch.

Bernd Sibler betont, dass man sich seit dem Fall Gurlitt “kräftig hineingehängt” habe

Auch Minister Bernd Sibler betont, dass man sich seit dem Fall Gurlitt “kräftig hineingehängt” habe in Sachen NS-Raubkunst. “Mich bewegt es auch emotional, was Sie auf sich genommen haben, um heute hier zu sein”, begrüßt er die Familie. Dann dankt er allen, “die mit wissenschaftlicher Präzision mitgeholfen haben, hier ein großes Stück Schuld in München auszugleichen”, und sagt, er hoffe, dass es bei den Erben, die so lange auf diesen Tag warten mussten, “keine Bitterkeit” gebe. Nein, antwortet Felix Bloch, “ich bedaure nur, dass mein Großvater das hier nicht mehr miterleben kann”. Drei Jahre alt war er, als seine Familie emigrierte, sagt er nun in einer kleinen Rede. An das Bild, das den Großeltern 1938 neben anderen Kunstwerken unter Drohungen abgehandelt wurde, habe er sich nicht mehr erinnern können. Nun, im Oktober 2021, sagt er: “Es ist jetzt wie ein Geschenk des Himmels.”

Das Gemälde “Großmutter, Mutter und Kinder” (1865) von Georg Ferdinand Waldmüller gehörte dem Schweinfurter Sammler Georg Schäfer. Wo es jetzt ist, lässt sich nicht herausfinden.

Könnte es ein schöneres Schlussbild geben für diese Facette des dunklen Kapitels Raubkunst? “Eigentlich habe ich nur noch ein Problem: Jetzt habe ich ein Bild – aber zwei Töchter”, sagt Bloch, Enkelsohn Cooper trägt das in Luftpolsterfolie verpackte Aquarell da schon unter dem Arm. Und während sie sich zum Erinnerungsfoto vor dem Gebäude aufstellen, weist Michael Haering noch auf eine besondere Pointe dieses Tages hin. “Das hier war das sogenannte braune Haus, die Parteizentrale der NSDAP in München, in der jetzt die Graphische Sammlung untergebracht ist. Gegenüber war der Führerbau, das Büro von Adolf Hitler.” Da scheint kurz auf, dass die Auslöser dieser Zeremonie erzwungene Emigration und Holocaust waren. Und dass die Großeltern und Eltern Blochs ihre Sammlung eben nicht zurückbekommen haben – und auch Felix Bloch nun auch nur einen Bruchteil.

Was der 86-Jährige aus diplomatischer Höflichkeit nämlich nicht erwähnte oder weil er den Festakt nicht verderben wollte: Es gibt noch deutlich mehr Bilder – sie würden für beide Töchter reichen und Enkelsohn Cooper auch. Das Gemälde “Mutter mit Kindern unter einem Blütenstrauch” etwa von Ferdinand Georg Waldmüller, einem bedeutenden Maler der Biedermeierzeit. Oder ein weiteres Aquarell von Rudolf von Alt, der “Dogenpalast von Venedig”, das schon deswegen bedeutender ist als das restituierte Blatt, weil es eines der berühmtesten Bauwerke Italiens aus ungewöhnlicher Perspektive zeigt.

Womöglich sind einige dieser Werke auch gar nicht weit entfernt von dem Ort, an dem die Blochs nun stehen. Hängen in eleganten Esszimmern oder – hoffentlich lichtgeschützt – in Bibliotheken, werden in Kunstlagern verwahrt. Denn die Experten, die Louis Rönsberg beauftragt hat, der Anwalt der Familie, können genau eingrenzen, wo man suchen müsste. Nur erzwingen können sie das in Deutschland offensichtlich nicht.

NS-Raubkunst: Auch das Aquarell Rudolf von Alts "Dogenpalast in Venedig" (1874) soll der Familie von der Kunsthändlerin Maria Almas-Dietrich abgepresst worden sein. Dennoch tauchte es immer wieder im deutschen Kunsthandel auf.

Auch das Aquarell Rudolf von Alts “Dogenpalast in Venedig” (1874) soll der Familie von der Kunsthändlerin Maria Almas-Dietrich abgepresst worden sein. Dennoch tauchte es immer wieder im deutschen Kunsthandel auf.

(Foto: Galerie Kovacek & Zetter/Bearbeitung: SZ/privat)

Damit setzt sich bis heute fort, was an dem Tag begann, an dem Maria Almas-Dietrich in der Wiener Wohnung von Richard und Jenny Stein auftauchte. Fünf Kunstwerke werde sie mitnehmen, kündigte die Kunsthändlerin im Frühling 1938 an, für einen Schleuderpreis von 2000 Reichsmark. Allein für das Waldmüller-Gemälde “Mutter mit Kindern unter einem Blütenstrauch” hatte Stein wenige Jahre zuvor 4000 Reichsmark bezahlt.

Die Münchner Händlerin droht mit sofortiger Beschlagnahmung und Repressalien

Aber die jüdische Familie muss nach dem Anschluss Österreichs so schnell wie möglich in die USA auswandern. Und die Kunsthändlerin, zu deren Kunden Adolf Hitler und Hermann Göring gehören, droht mit sofortiger Beschlagnahmung und Repressalien. Die Bilder reisen also nach Deutschland, während man in Wien Biedermeiermöbel für die Passage in die USA verpackt.

Auch die verheirateten Töchter der Steins bereiten sich auf die Ausreise vor. Eine von ihnen, die Mutter von Bloch und seiner Zwillingsschwester Susi, sie und ihr Mann zögern zu lange. Ihre Pässe sind schon eingezogen, da findet der Vater noch einen “Familienpass”, in den auch die Zwillinge eingetragen sind. Über die Schweiz gelangen sie nach Le Havre, dort legt die Queen Mary ab.

Richard Stein, der seinen Papierhandel mit Niederlassungen in Budapest, Prag, Belgrad und Temeswar aufgeben musste, fängt neu an, der Schwiegersohn steigt ins Geschäft ein. Die Kinder sollen als Amerikaner aufwachsen, werden protestantisch getauft, zu Hause wird überwiegend Englisch gesprochen. Felix Bloch hat sich sein makelloses Deutsch erst während des Studiums angeeignet, das der Vater ihm als Grundlage für eine Diplomatenkarriere finanziert. Weder die Steins noch die Blochs trauern um den von den Nazis geraubten Besitz. Der Familie ist Schlimmeres widerfahren: Die greise Mutter von Richard Stein, die sich zu alt für die Flucht fühlte, wurde deportiert und in Theresienstadt ermordet. Eine Tante, die sie begleitete, in Treblinka.

Doch der Kunstraub ist mit den Deportationen und der Ermordung der Juden in Europa untrennbar verbunden, an deren Eigentum sich Deutsche systematisch bereichern: Gesetze regeln die Enteignungen, wer flieht, zahlt hohe Steuern, während sein Eigentum beschlagnahmt wird. Schon deswegen boomt in Deutschland der Kunsthandel. Und weil sich NS-Größen als Kulturmenschen und Sammler inszenieren.

Richard Steins anmutiges Waldmüller-Gemälde “Mutter mit Kindern unter einem Blütenstrauch” kauft Heinrich Hoffmann, der “Leibfotograf des Führers” und Schwiegervater Baldur von Schirachs, der in Wien die Deportation der Juden organisiert. Sammler wie Hoffmann sind nicht eben zimperlich, wenn es um die Vorbesitzer ihrer Kunst geht; doch wird Maria Almas-Dietrich die Herkunft mit dem Hinweis “aus Wiener Privatbesitz” verschleiern. Bald taucht das Gemälde mit dem Hinweis “Slg. Heinrich Hoffmann” und dem neuen Titel “Mutter und Großmutter mit spielenden Kindern” in einer Publikation auf.

Heinrich Hoffmann kauft das geraubte Bild – und lässt es sich nach dem Krieg “zurückerstatten”

Der “Der Dogenpalast in Venedig” ist so bedeutend, dass Maria Almas-Dietrich es direkt an die von Adolf Hitler persönlich betriebene “Sammlung Linz” verkauft, wie sie später bei Verhören durch die sogenannten “Monuments Men” angibt, von der USA-Armee eingesetzte Kunsthistoriker. Allerdings verweist sie hier wieder lediglich auf “Wiener Privatbesitz”, weswegen das Blatt vom Central Collecting Point in München in den Besitz der Bundesregierung gelangt. Die hat den klaren Auftrag, solche Raubkunst zu restituieren. Doch offensichtlich gibt man sich nicht viel Mühe. Eine Verbindung zur Sammlung der Emigranten Richard und Jenny Stein wird nicht hergestellt. Schlimmer noch: Das Bild geht verloren, gilt von 1968 an als verschollen.

NS-Raubkunst: Der Unternehmer Richard Stein musste nach dem Anschluss Österreichs als Jude vor der Verfolgung fliehen. Vor der Emigration verkaufte er seine Kunstsammlung zu einem Schleuderpreis - sein Porträt konnte er aber verschicken.

Der Unternehmer Richard Stein musste nach dem Anschluss Österreichs als Jude vor der Verfolgung fliehen. Vor der Emigration verkaufte er seine Kunstsammlung zu einem Schleuderpreis – sein Porträt konnte er aber verschicken.

(Foto: privat/privat)

Die Kulturbehörden der jungen Bundesrepublik sind aber nicht nur nachlässig – sie sind auch verstrickt mit den NS-Funktionären, die am Kunstraub unmittelbar beteiligt waren. Das Schicksal des Waldmüller-Gemäldes belegt es erneut. Wie etwa die SZ 2016 erstmals berichtete, wurden viele der nach dem Krieg beschlagnahmten Kunstwerke nicht den ursprünglichen Besitzern zurückgegeben, sondern Profiteuren des NS-Regimes, etwa der Familie Göring oder von Schirach. Ein Schreiben von Ernst Buchner, dem Direktor der Münchner Staatsgemäldesammlungen während der NS-Zeit, der nach dem Krieg bald wieder auf seinen alten Posten zurückkehrt, belegt 1954 die Herausgabe der “Kunstgegenstände von Heinrich Hoffmann” – ohne die eigentlich erforderliche Prüfung der Herkunft.

Im Werkverzeichnis wird als Standort die Sammlung Schäfer angegeben

Das Dossier der von Felix Bloch beauftragten Provenienzforscher endet mit dem Beleg, dass Heinrich Hoffmann das Waldmüller-Gemälde “Mutter mit Kindern unter einem Blütenstrauch” nach der Rückgabe “an den Schweinfurter Sammler Georg Schäfer verkauft” hat. Sie berufen sich auf das Werkverzeichnis, dessen Autor Rupert Feuchtmüller 1996 als Standort des Bildes “Schweinfurt, Sammlung Georg Schäfer, Inv. Nr. 2418” angibt.

Schäfers Sammlung ist heute weltberühmt: Der Kugellagerfabrikant begann in den Fünfzigerjahren, Malerei und Grafik anzukaufen, beraten wurde er von Kunsthistorikern und Museumsleuten wie Ernst Buchner. Schäfer sammelte vor allem Künstler des 19. Jahrhunderts, Caspar David Friedrich, Adolph Menzel oder Carl Spitzweg.

Bei seinem Tod 1975 hinterlässt er mehr als 1000 Gemälde und 4000 Zeichnungen, Aquarelle und Gouachen, die seine Erben 1998 in die Dr.-Georg-Schäfer-Stiftung einbringen. Der Freistaat finanziert einen gewaltigen Museumsbau in Schweinfurt, den seit der Eröffnung 2000 die Stadt betreibt. Diese Konstruktion – private Stiftung in öffentlich finanziertem Gebäude – ermöglicht es dem Museum, sich trotz zahlreicher Hinweise lange der Erforschung und Herausgabe von Raubkunst zu entziehen. Die 1998 verabschiedeten Washingtoner Prinzipien, mit denen sich Museen weltweit zu einer solchen Aufarbeitung verpflichten, sind rechtlich nicht bindend, beziehen Privatsammlungen oder Stiftungen nicht ein. Auf Anfragen der Blochs antwortet Museumsdirektor Wolf Eiermann, in seiner Sammlung befinde sich das Waldmüller-Gemälde nicht. Dem Eintrag im Werkverzeichnis Feuchtmüllers zum Trotz wisse man nicht mehr, so die Stiftung.

NS-Raubkunst: Der "Leibfotograf Adolf Hitlers" Heinrich Hoffmann war ein gieriger Kunstsammler. Er kaufte der Galeristin Maria Almas-Dietrich das Biedermeier-Gemälde Waldmüllers ab - und ließ es sich nach dem Krieg von den deutschen Behörden "zurückgeben".

Der “Leibfotograf Adolf Hitlers” Heinrich Hoffmann war ein gieriger Kunstsammler. Er kaufte der Galeristin Maria Almas-Dietrich das Biedermeier-Gemälde Waldmüllers ab – und ließ es sich nach dem Krieg von den deutschen Behörden “zurückgeben”.

(Foto: Knorr & Hirth/SZ-Photo)

Wer dem Gemälde hinterherrecherchiert, bekommt einen Eindruck von der Zähigkeit, mit der deutsche Behörden, Archive, Stiftungen und Kunsthandel ihre Inventare, Akten, Rechnungsbücher und Belege verteidigen. Alles verdichtet sich zu einem papierhellen, undurchdringlichen Nebel. Wolf Eiermann teilt auch der SZ mit, dass er über den Bestand des Museums hinaus nicht zuständig sei. “Bereits 1978 scheint das Bild nicht mehr greifbar gewesen zu sein”, vermutet er. Es sei im Ausstellungskatalog zu Werken des Künstlers aus der Sammlung von Georg Schäfer nur noch abgebildet, aber nicht mehr verortet worden.

Und Hans Peter Schäfer, der die Familie im Kuratorium der Stiftung vertritt, sagt, er könne nur für sich sprechen “und nicht für die zahlreichen Mitglieder der Familie Schäfer, die nicht irgendwie verfasst oder organisiert sind und auch keinen Sprecher haben”. Jedenfalls: “Das von Ihnen genannte Gemälde befindet oder befand sich nicht in meinem Besitz und über die Auflösung der Sammlung Schäfer nach dem Tod von Dr. Georg Schäfer 1975 habe ich ebenfalls keine Detailkenntnisse.” Er weist noch darauf hin, dass man sich erst jüngst in einem Raubkunst-Fall gütlich mit den Erben von Max und Martha Liebermann geeinigt habe.

Doch wie kann das alles sein? Georg Schäfer hat zeitlebens kein Bild verkauft, erst drei Jahre nach seinem Tod haben die Erben Hunderte Spitzenstücke versteigert, zugunsten der Gründung der Stiftung. Hätte die Familie nicht anbieten können, nach Unterlagen aus dieser Zeit zu suchen? Ein Gemälde wie “Mutter mit Kindern unter einem Blütenstrauch” ist jedenfalls zu groß und zu kostbar, um verloren zu gehen.

Die bundeseigene Kunstsammlung verliert das Aquarell. Und übersieht die Versteigerung

Ähnlicher Nebel umwabert auch den Verbleib des Aquarells “Der Dogenpalast in Venedig”, das von den bundeseigenen Sammlungen sicher verwahrt werden sollte. Dabei tauchte es sogar wieder auf – was aber übersehen wurde: 1997 wird der “Dogenpalast” bei einer Auktion versteigert, unbemerkt von den deutschen Kulturbehörden. Als die Wiener Galeristin Sophie Zetter-Schwaiger es im Jahr 2015 erneut verkaufen will, entdeckt sie, dass es sich womöglich um Raubkunst handelt. Doch das Amt für offene Vermögensfragen in Berlin, bei dem sie sich meldet, winkt ab. Man habe ihr ausdrücklich gestattet, über das Aquarell zu verfügen, wird die Galeristin Blochs Anwalt später schreiben.

Der Grund? Weil es Jahre zuvor bei der öffentlichen Auktion verkauft worden sei, habe der Bund seine Ansprüche aufgrund des Eigentumsverlustes nicht geltend machen können, erklärt eine Mitarbeiterin der Kunstverwaltung des Bundes der SZ. Deren Direktorin Marianne Czisnik konstatiert, “dass wir nach unserem aktuellen Kenntnisstand davon ausgehen, dass das Werk aus ehemaligem Bundesbesitz nicht identisch mit dem unter Lost Art-ID 581185 als Verlust gelisteten Werk ist”. Es zeige den Palast in Seitenansicht, das verlorene Bild sei dagegen als “Vorderansicht” deklariert gewesen. Zudem unterschieden sich die von Richard Stein einst angegebenen Maße von den tatsächlichen um einige Zentimeter.

Die von Felix Bloch beauftragten Experten haben solche Ungereimtheiten berücksichtigt. Dass Sammler Jahre nach der Flucht bei Maßen irren und Titel oder Beschreibungen abweichen, sei nicht selten. “Müssen die Erben immer ein Foto des Kunstwerkes in ihren Wohnungen parat haben?”, seufzt eine Expertin aus dem Team von Louis Rönsberg. “Als Maria Almas-Dietrich sich im Frühjahr in Wien aufhielt, um jüdischen Sammlern Kunstwerke abzupressen, gehörten hierzu wohl kaum verschiedene Versionen des Aquarells Dogenpalast.”

Auch die Maße des Bildes “Häuser in Teplitz”, das die Familie von Minister Sibler übergeben bekam, wichen von den Angaben ab. Nur durch Zufall entdeckte man in der Graphischen Sammlung den Schriftzug “Richard Stein” auf der Rückseite. Wäre es nicht die Pflicht des Bundesamtes gewesen, die Provenienz des “Dogenpalasts” zu überprüfen? Das Aquarell in der Wiener Galerie zu sichten und auf Hinweise zu untersuchen?

Warum ehrt Bayern einen Mann, der Raubkunst kaufte?

Für die Erben Richard Steins muss sich jede dieser verpassten Gelegenheiten wie eine erneute Enteignung anfühlen. Dass das Land Bayern einen Sammler, der auch Raubkunst ankaufte, mit einem Museumsbau ehrt, ist aus der Perspektive der Opfer so unverständlich wie die Tatsache, dass Museum, Stiftung und Familie bis heute Anfragen der Blochs aussitzen.

NS-Raubkunst: Das kleine Aquarell "Häuser in Teplitz" wurde Felix Bloch (rechts) und seiner Familie in der Graphischen Sammlung in München zurückgegeben.

Das kleine Aquarell “Häuser in Teplitz” wurde Felix Bloch (rechts) und seiner Familie in der Graphischen Sammlung in München zurückgegeben.

(Foto: privat/privat)

Der Auftritt des Kunstministers bei der Rückgabe wirkt vor diesem Hintergrund zumindest zwiespältig. Sibler wird auf Anfrage der SZ bei verfolgungsbedingt entzogenem Kulturgut, das sich im Besitz von Privatpersonen oder Stiftungen befindet, von einem “ungelösten Problemfeld” sprechen. Er wünsche sich ein Restitutionsgesetz “mit klaren Kriterien”, auch in Bezug auf natürliche und juristische Personen des Privatrechts. “Als Vorsitzender der Kulturministerkonferenz habe ich mich im Jahr 2020 dafür stark gemacht und war dazu auch mit der Staatsministerin Monika Grütters im Austausch.” Ausgerechnet, will man meinen: Monika Grütters , die als Staatsministerin für Kultur der Behörde vorstand, die Richard Steins Erben abwimmelte.

Und so ist die Bilanz der Deutschland-Reise von Felix Bloch durchwachsen: “Ich bin eher pessimistisch, was vielleicht auch an meinem Alter liegt”, sagt er. Seit eine Berliner Forscherin ihn 2018 erstmals auf die Ansprüche aufmerksam machte, bemüht er sich um die Restitution der verstreuten Kunstwerke: “Zwischen dem Verlust im Jahr 1938 bis zum Jahr 2018, als sie sich mit mir in Verbindung setzte, sind achtzig Jahre vergangen”, sagt er. “Aber ich bin zufrieden.” Tochter Andrea ist kämpferischer. “Remember, babbo”, sagt sie zum Vater, “was es jetzt für uns bedeutet, dieses Aquarell zu besitzen. Opas Name steht darauf.” Für sie und ihre Schwester Kathleen ist der Kunstbesitz eine der wenigen Verbindungen zur Wiener Herkunft der Familie.

Ein paar Wochen später wird Felix Bloch eine E-Mail schreiben. Bei seiner Deutschland-Tour hat er das Aquarell nicht nur Kunstkennern und Freunden gezeigt, sondern es auch in einem Auktionshaus schätzen lassen. “Man war dort sehr beeindruckt”, teilt er mit – auch wenn er nicht daran denke, es je wieder herzugeben. Felix Bloch wird es an eine lichtgeschützte Wand seines Apartments hängen. Dort wird es ihn an seine Großeltern erinnern. An den Erfolg seiner Bemühungen, aber auch an den Verlust der anderen Bilder. Und daran, dass Deutschland ein Raubkunst-Gesetz braucht.

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