Protokoll der Flutkatastrophe – SWR Aktuell


Rund zwei Monate nach der Flutwelle steht die Frage im Mittelpunkt, wie es so weit kommen konnte: Wann gingen die ersten Warnungen ein? Gab es nicht genug Hinweise auf das nahende Unglück?

Innerhalb von 24 Stunden fielen in der Nacht vom 14. auf den 15. Juli mehr als 100 Liter pro Quadratmeter in Teilen der Bundesländer Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen – mit verheerenden Folgen für die Menschen vor Ort. Viele waren nicht gewarnt worden.

Insbesondere der Landrat des Kreises Ahrweiler, Jürgen Pföhler (CDU), wird deswegen kritisiert: In seinem Landkreis wurde als letztes der Katastrophenfall ausgerufen, und der Kreis wurde am schwersten getroffen. Gegen Pföhler und ein weiteres Mitglied seines Krisenstabs laufen Ermittlungen wegen fahrlässiger Körperverletzung und fahrlässiger Tötung.

Noch immer sind viele Fragen offen, was den Verlauf des Abends und der Nacht betrifft. Die Opposition im Landtag hat angekündigt, einen Untersuchungsausschuss zu beantragen. Doch es gibt auch Daten und Fakten dazu, wann Warnungen von welcher Stelle ausgesprochen wurden und was vor Ort passierte – eine Spurensuche.

Die Messdaten des Pegels in Altenahr sowie die prognostizierten Höchststände und ihre entsprechenden Uhrzeiten wurden dem SWR vom Landesamt für Umwelt (LfU) auf Nachfrage zur Verfügung gestellt.

Vor der Flut – Frühzeitige Warnungen laufen ins Leere

Schon am Samstag hatten Behörden vor dem drohenden Unwetter am Mittwoch gewarnt, zuletzt wurden diese Warnungen immer konkreter.

Messungen im Ahrtal selbst werden am Mittag auffällig

An der Ahr selbst beginnt es am Mittwoch schon morgens vereinzelt zu regnen, am Vormittag großflächig. Der Regen hört nicht auf.

Der Pegel steigt, der Krisenstab kommt zusammen

Die Kreisverwaltung in Ahrweiler wird am Nachmittag aktiv und agiert dabei in Etappen. Währenddessen steigt der Ahrpegel weiterhin über Stunden an. Benachbarte Landkreise ziehen früher Schlüsse aus dieser Entwicklung.

Die Flut in vollem Gange

Am späten Abend wird klar, wie außergewöhnlich die Wucht des Hochwassers ist – spätestens, als das Messgerät der Ahr zum Opfer fällt.

Die Nacht

Anwohner verbringen Nacht auf Dächern

Die Fluten schneiden in der Nacht zahlreiche Orte von der Außenwelt ab. Mindestens 50 Menschen werden von Hausdächern gerettet, auf denen sie Zuflucht vor den Wassermassen suchen. Die Rettungseinsätze seien sehr schwierig und teils sogar unmöglich gewesen, wird Landrat Pföhler am Tag danach sagen: “Viele haben die ganze Nacht im Regen auf einem Dach oder dem Dach ihres Campingbusses ausgeharrt, ohne zu wissen, wann Hilfe kommt.”

Dokumentation auf Social Media

Auf Instagram dokumentiert die Mediengestalterin Rebecca Arnoldy-Heimansfeld, wie sie den späten Abend und die Nacht in Dernau im Landkreis Ahrweiler erlebt:

Im Bereich der Bäche und Flüsse besteht Lebensgefahr. Laut Polizei ist das Ahrtal über keine der Zufahrtsstraßen mehr erreichbar. Seit der Nacht suchen hunderte Einsatzkräfte nach Vermissten. Dabei sind allein 100 Bundeswehrsoldaten zu Lande und zu Luft unter den Rettungskräften. Auch Höhenretter der Feuerwehr Wiesbaden kommen zu Hilfe, ebenso wie Experten aus Baden-Württemberg. Aus dem Kreis Altenkirchen unterstützen mehr als 200 Feuerwehrleute und Katastrophenhelfer die Einsatzkräfte im Kreis Ahrweiler und auch im betroffenen Nachbarbundesland Nordrhein-Westfalen.

Der Morgen danach

Erst am Donnerstagmorgen wird das volle Ausmaß der Katastrophe allmählich offenbar – denn erst nach und nach wird bekannt, wie viele Menschen tatsächlich noch in den Fluten verschollen sind.

Bis Ende August (Stand: 30.08.21) wird sich die Zahl der Todesopfer auf 133 erhöhen. Die Polizei bearbeitet zu diesem Zeitpunkt noch drei offene Vermisstenfälle.

Das Nachspiel

Nach der Flut stehen zwei Fragen im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses: Wie kommt es zu so gewaltigen Hochwassern vergleichsweise kleiner Gewässer? Und wie viel Verantwortung trägt der Krisenstab des Landkreises Ahrweiler?

Im Nachgang wird außerdem von den Landkreisen Kritik am Meldeverfahren geübt. Es soll jetzt verbessert werden, um zukünftig bei heftigen Naturkatastrophen effizienter zu handeln.

Bilanz einer Katastrophe

Entlang der Ahr leben laut EU-Auswertung rund 56.000 Menschen. Dabei geht die Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion (ADD) von 42.000 Betroffenen aus. Mindestens 17.000 von ihnen haben Hab und Gut verloren oder stehen vor erheblichen Schäden.















Die Flut reißt mindestens 467 Gebäude mit sich, darunter mindestens 192 Wohnhäuser. Von den 4.200 Gebäuden entlang der Ahr sind geschätzt mehr als 3.000, also mehr als 70 Prozent aller Gebäude, beschädigt worden.

Schon Außenstehenden fehlen angesichts der Flutkatastrophe im Ahrtal die Worte. Die Betroffenen haben einen Anspruch darauf, zu erfahren, was genau passiert ist – und ob und wo es in der langen Verkettung von Ereignissen zu Versäumnissen kam.

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