Privatinitiative Familienzentrum: “Wir wollen die Generationen wieder zusammenbringen”

Im hessischen Butzbach ist aus einer privaten Idee ein Familienzentrum entstanden – als Coworking Space mit Kindern, Ort für Ältere oder einfach als Treffpunkt auf einen Kaffee. Nun geht “dasgute.haus” ins Rennen um den Deutschen Engagementpreis.

Wie lösen wir das gesellschaftliche Problem, als Familie das Berufs-, Erwerbs- und Familienleben zusammenzubringen, sodass sich die Erwachsenen beruflich verwirklichen können, die Kinder glücklich sind und die ganze Familie zu ihrem Recht kommt? So oder so ähnlich mag die Leitfrage gelautet haben, der sich Agnes Model und Stefanie Santila Krause 2018 gestellt haben. In ihrer Elternzeit schlossen sie Freundschaft und fanden Zeit, ihre Visionen auszubauen. Fünf Jahre später können sie auf ein stolzes Ergebnis zurückblicken: eine Mehr-Generationen-Begegnungsstätte, mit der sie einen Ort geschaffen haben, der die Bedürfnisse vieler Menschen erfüllt – und eine Lücke in der Gemeinde geschlossen hat. Der stern hat mit der Mitgründerin Agnes Model darüber gesprochen, wie so etwas geht.

Frau Model, wann und wie hat alles rund um dasgute.haus begonnen?
Meine Mitgründerin Stefanie Krause und ich haben uns 2018 privat als junge Eltern kennengelernt. Wir haben darüber diskutiert, wie man es schafft, wieder in den Beruf einzusteigen und hatten beide Spaß daran. Wir haben uns die Elternzeit inhaltlich damit angereichert rumzuspinnen, wie die Vereinbarkeit von Familie und Beruf hier im halbländlichen Bereich machbar ist. Wir leben in Butzbach, einer 26.000-Einwohner-Stadt zwischen Gießen und Frankfurt, und haben uns gefragt: Wie kann man hier seinen beruflichen Ansprüchen weiterhin gerecht werden? Wo kann man hier einen Treffpunkt finden? Es gibt zwar noch Gastronomie und eine Einkaufszone, die Innenstadt ist noch nicht ausgestorben. Aber keine der zugezogenen jungen Familien weiß darüber Bescheid, was vor Ort an Angeboten gibt. Wie kann man sich gegenseitig unterstützen und wo kann man als Familie andocken? Im Restaurant ist das schwierig, es fehlte uns ein Familienzentrum.
Wir kannten damals Begriffe wie Familienzentrum oder die sonstiger sozialer Einrichtungen gar nicht. Wir haben uns also angeguckt, wie andere Städte das lösen und mit vielen Menschen gesprochen. Und dann haben wir in der Kommune gefragt, was es für Flächen gibt, wo man mit Kinderwagen, aber auch mit Rollator hineinpasst. Unsere Idee, die Lücke zu schließen, entstand in einer Zeit des großen Zuzugs von jungen Familien wegen nicht mehr bezahlbaren Wohnraums in den Städten. 
Wir haben hier den demografischen Wandel erlebt. Man hat seine Herkunftsfamilie nicht mehr vor Ort, dadurch hat nicht jeder Oma und Opa, aber Oma und Opa haben auch ihre Enkel nicht in der Nähe. Wir dachten, es wäre gut, die Generationen wieder zusammenzubringen.

Vorstand und Aufsichtsrat
© dasgute.haus

dasgute.haus

Vorstand und Aufsichtsrat (v.l.n.r.): Stefanie Santila Krause, Dr. Agnes Model, Walter Strasheim-Weitz, Regine Richter, Christin Löbrich.

Falls Sie “dasgute.haus” beim Deutschen Engagementpreis unterstützen möchten, können Sie das hier: Stimmabgabe

Wie sind Sie vorgegangen?
Wir haben uns verschiedene Geschäftsmodelle angesehen, auf dem Marktplatz gestanden, Interessierte gesucht und dann in die Pandemie hinein gegründet. Wir sind eine gemeinnützige Genossenschaft, weil das ein Projekt ist, das viele Mitstreiter braucht. Aufgrund der Pandemie haben wir keine Räume anmieten können, wir haben also zu digitalen Treffen eingeladen, um Menschen zusammenzubringen, die ihre Kommune gestalten wollen. Wir haben ein Festival ins Leben gerufen und über vier Wochen Kulturveranstaltungen für Familien angeboten. Zwischen den Veranstaltungen konnte man in den Park kommen und Coworking mal ausprobieren. 2021 haben wir das mit entsprechenden Fördermitteln für Kultur im Freien wiederholt. Und seit 2022 existieren wir mit unseren Räumen in Butzbach, jetzt als feste Genossenschaft mit 155 Mitgliedern und fortlaufendem Kursangebot, Coworking, als Begegnungsstätte für alle Generationen, Kinderbetreuung und vielem mehr.

Leisten die Mitglieder einen finanziellen Beitrag?
Es gibt verschiedene Ebenen, wie sich Menschen engagieren. Einige sind finanziell am Unternehmen beteiligt und zahlen einen einmaligen Betrag von 100 Euro und besitzen dann einen Anteil am Unternehmen. Es ist eigentlich eher ein Zeichen, dass man die Idee unterstützt. Jährliche Mitgliedsbeiträge gibt es nicht. Für uns ist es aber ein wichtiger Beitrag, um Eigenkapital zu bilden. Zudem gibt es viele Ehrenamtliche, manche sind Mitglieder, manche nicht. Einige kommen ganz regelmäßig, öffnen den Laden und unterstützen uns. Andere machen vereinzelt Angebote wie Nähen, Stricken, Häkeln, Basteln für Kinder oder steigen nur projektweise ein. 

Dienstags bietet "dasgute.haus" Kinderbetreuung durch eine Erzieherin an, da bildet sich vorm Haus schon mal eine Transportmittelschlange

Dienstags bietet “dasgute.haus” Kinderbetreuung durch eine Erzieherin an, da bildet sich vorm Haus schon mal eine Transportmittelschlange

© dasgute.haus

Das Angebot, in Anwesenheit der Kinder zu arbeiten, ist stark nachgefragt. Gibt es in Butzbach keinen Kindergarten und keine Kita?
Das Coworking mit Kinderbetreuung ist entstanden, als hier der Druck am größten war. Vor drei Jahren war die kommunale Versorgung komplett überlastet mit den Kita- oder Krippenplätzen für Kinder ab einem Jahr. Zuvor waren hier Neubaugebiete ausgeschrieben worden, die Kitaplätze aber nicht entsprechend ausgebaut. Wir wollten diesen kommunalen Auftrag nicht ersetzen und eine Kita gründen. Das Problem soll die Kommune lösen. 
Aber es gibt den Bedarf für andere Modelle der Betreuung, etwas Flexibles für ein paar Stunden in der Woche. Zu wissen, dass man in einem Dreivierteljahr endlich einen Krippenplatz bekommt, hilft nicht, weil man auch vorher mal zwei, drei Stunden am Rechner sitzen muss, vielleicht um mit dem Arbeitgeber Kontakt aufzunehmen oder Bewerbungen zu schreiben. Man kann ja nicht alles nachts machen, wenn das Kind schläft.
Manche Eltern wollen auch gar keine Fünf-Tage-Betreuung, wenn ihre Kinder noch unter drei Jahren sind, sondern nur zwei oder drei Tage die Woche eine Tagesmutter. Doch das rechnet sich wiederum für die Tagesmütter nicht. Kitas gibt es hier also schon und wenn man keinen Platz bekommt, wird auf dem Land noch erwartet, dass sich die Mutter erstmal kümmert. Das sind hier andere gesellschaftliche Diskussionen als zum Beispiel in Berlin.

Ich hab mir dieses Fernsehfilmchen angesehen, das “dasgute.haus” vorstellt, und mich gefragt, ob ich dort sitzen und arbeiten könnte. Ich musste das für mich glasklar mit Nein beantworten. Coworking meint wohl eher keinen Acht-Stunden-Tag, oder?
Nein, aber gibt ja auch verschiedene Arbeitstypen. Der Film ist an einem Dienstag entstanden, das ist der Tag mit Kinderbetreuung, da ist es unruhig. Die Menschen, die das nutzen, haben die Hoffnung, etwas mehr geschafft zu bekommen als zu Hause. Manche Mütter sind lärmresistenter, wenn sie wissen, dass das Kind gut versorgt ist. An anderen Tagen ist es weitaus ruhiger iund daher bereits jetzt ein guter Ort, um dort seiner Arbeit in gemeinschaftlich genutzten Räumen nachzugehen. Fortlaufend, fünf Tage die Woche, Räume für Coworker anzubieten, die es ruhiger brauchen, ist der nächste Schritt im kommenden Jahr.

Wie haben Sie Ihre jetzigen Räume gefunden und wie viel Platz haben Sie?
Wir sind in einem Erdgeschoss mit 120 Quadratmetern, es besteht vor allem aus 90 Quadratmetern multifunktionaler Fläche. Ein Bereich ist mit Akustikwänden abgetrennt, dort sind Arbeitstische und -stühle etc. Die Fläche, die eigentlich immer existiert, ist die zum Spielen. Es gibt noch einen kleinen Garten, ungefähr 20 oder 30 Quadratmeter groß, wo die Kinder im Sommer rauskönnen. Dazu kommen eine Küche, ein Bad, ein kleines Lager – und das war es schon. Wir platzen aus allen Nähten. Einerseits ist es schön, nach zwei Jahren zu sagen, okay, das Konzept hat sich bewährt. Aber wir brauchen mehr Fläche, einen Teambesprechungsraum und einen eigenen Raum für die Kinder. Derzeit geht alles ineinander über und wir schieben und klappen Tische und Stühle, um daraus mal eine Yogafläche zu machen, mal einen Arbeitsplatz, mal mehr Raum für die Kinder.

Wie finanzieren Sie diesen Ort?
Es gibt einen Beschluss, dass die Kommune die Hälfte der Warmmiete für drei Jahre finanziert. Wir sind zudem vom Land Hessen als Familienzentrum anerkannt, dadurch bekommen wir eine jährliche Förderung, über die wir auch Mietgelder abrechnen können. Ferner haben wir einen Zweckbetrieb, indem wir Kurse im weitesten Sinne im Eltern-Kind-Bereich anbieten, Bewegung, Entspannung, Kreatives, Kultur und darüber Einnahmen generieren.

Das heißt, diese Kurse sind kostenpflichtig?
Genau. Es gibt kostenlose Angebote wie Informationsgespräche, die Familiensprechstunde oder das Beratungscafé, zu denen die Familienkasse kommt, oder auch das Arbeitsamt zur Umorientierung im Berufsleben oder den Business-Stammtisch. Und dann gibt es noch kostenpflichtige Kursangebote, wie sie manchmal auch eine Familienbildung oder eine VHS anbieten.

Macht die dienstägliche Kinderbetreuung eine ehrenamtliche Mitarbeiterin?
So haben wir gestartet, aber das macht inzwischen eine voll ausgebildete Erzieherinnen, die wir auf Honorarebene bezahlen. Das Angebot kann man wahrnehmen, ohne einen festen Betrag bezahlen zu müssen, es läuft über Spenden. Wir spüren diesen Fachkräftemangel zum Glück noch nicht, es gibt Erzieherinnen, die es als das für sie passende Arbeitsmodell empfinden. Bei der Kinderbetreuung steigt unser Bedarf, das werden wir wohl auch im kommenden Jahr ausbauen dürfen – und müssen. 

Es gibt viele ältere Menschen, insbesondere Frauen, die mit ihrer Rente nicht auskommen. Können Sie denen einen Minijob anbieten, wenn sie verlässlich kommen möchten?
Ja, wir haben das teilweise schon so umgesetzt. Es gibt bei uns sogenannte Gastgeberinnen, die zum Familien- oder Mehrgenerationencafé da sind, und ein bisschen darauf achten, dass immer Kuchen da ist und die Kaffeemaschine läuft. Einige machen das gerne ehrenamtlich, für andere kan das ein Minijob sein. Wir versuchen fortlaufend, Angebote zu schaffen, bei denen sich sowohl junge Leute mit Kind angesprochen fühlen als auch ältere. Das klappt witzigerweise sehr gut bei allem rund um Handarbeit und Kreatives. Die Omi lehrt dann etwa das Stricken, es gibt zunehmend Kinder, die das interessiert – und da begegnen sie sich. Wir haben auch eine Suche-Finde-Wand, über die man Kontakte knüpfen kann. Etwa: Ich habe einen Garten, der ist zu groß für mich im Alter. Welche junge Familie möchte sich darum kümmern? So kommen die Generationen über ganz verschiedene Ebenen zueinander.
Bei der Dienstagsbetreuung hilft uns aktuell eine Asylbewerberin, die Deutsch lernen möchte. Sie will einfach ein bisschen mehr Deutsch sprechen. Sie kommt aus der Türkei, ist eigentlich Lehrerin und möchte zur Erzieherin umsatteln.

Können Sie sich selbst Gehälter auszahlen oder machen Sie das auch alles ehrenamtlich?
Inzwischen schaffen wir es, dem Kernteam Teilzeitgehälter auszuzahlen, da ist auch die 520-Euro-Seniorin drin. Wir werden alle nicht reich damit, aber es ist nicht mehr so wie in den Anfangsjahren, als wir alle komplett ehrenamtlich gearbeitet haben.

Was ist der Deutsche Engagementpreis?

Der Deutsche Engagementpreis zeichnet bürgerschaftliches Engagement in Deutschland aus. Wer einen Preis für freiwilliges Engagement zwischen dem 1. Juni 2022 und dem 31. Mai 2023 gewonnen hat, konnte von dem Ausrichter dieses Preises für den Deutschen Engagementpreis 2023 nominiert werden, das war bei “dasgute.haus” mit dem Hessischen Demografiepreis der Fall. Der Deutsche Engagementpreis bezeichnet seine Arbeit so: “Der Deutsche Engagementpreis ist die bedeutendste Auszeichnung für bürgerschaftliches Engagement in unserem Land. Als Preis der Preise verbindet er die Wettbewerbe, die zu freiwilligem Engagement ermutigen. Er begeistert für Engagement, macht es sichtbar und stärkt die Wertschätzung für freiwilliges Engagement.”

Kommen wir zum großen Finale: der Deutsche Engagementpreis. Ich kannte den bis zu unserem Gespräch gar nicht. Für Sie ist die Teilnahme wichtig, weil man 10.000 Euro gewinnen kann, oder?
Ja, das ist schon mal sehr wichtig. Aber gleichzeitig ist es auch eine Möglichkeit, in einem anderen Kreis über unser Anliegen zu sprechen. Sie kannten den Preis nicht, wir kannten ihn bis vor kurzem auch nicht. Wir wurden durch das Team vom Hessischen Demografiepreis, den wir im vergangenen Jahr gewonnen haben, vorgeschlagen. Der Deutsche Engagementpreis ist für uns eine Herausforderung, weil die nominierten Institutionen selbst um Stimmen buhlen müssen. Aber bei der Beantwortung der gesellschaftlichen Frage, wie Berufs-, Erwerbs-und Familienleben funktionieren sollen und welche Angebote die Gesellschaft dafür bisher bietet, sind wir immerhin ein Baustein mit einer Antwort.

Vielleicht können Sie mir noch sagen, worauf Sie ganz besonders stolz sind? Etwas, wo sie denken: Das haben wir wirklich gut gemacht!
Was ich im Tagtäglichen besonders schön finde, ist, dass die Begegnungen funktionieren. Viele Menschen finden Anknüpfungspunkte über “dasgute.haus” und dadurch häufig auch Lösungen für ihre Probleme. Jetzt ist es bei uns in der Realität tatsächlich genau so, dass Wissen über die Generationen hinweg weitergegeben wird. Und dass man einen Arbeitsort wiederfindet, wie er früher einmal für die verschiedenen Generationen möglich war. Dass das so aufgeht, das macht uns sehr stolz und froh.

Wie sind Sie auf diese doch sehr ungewöhnliche Schreibweise für “dasgute.haus” gekommen?
Das entwickelte sich aus dem Namen. Es gibt den geschichtswissenschaftlichen Begriff “das ganze Haus” für die Haus- und Hofgemeinschaft im 16. Jahrhundert. Für uns wurde daraus “das gute Haus” und als wir erfahren haben, dass Internetdomains nicht mehr mit “.de” beendet werden müssen, sondern auch “.haus” geht, haben wir das für das Logo übernommen, “dasgute.haus”.

Und dort treffen sich jetzt wöchentlich 250 Leute aller Altersklassen.
Genau!

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