Presseecho zu Aiwangers Entschuldigung: “Taktisch”, “nicht aufrichtig”

“Taktisch getrieben”, “nicht aufrichtig”, “kein Klartext”: Die Stellungnahme von Hubert Aiwanger zu den Vorwürfen wegen eines antisemitischen Flugblattes stößt in den Kommentarspalten der Presse vor allem auf Kritik.

Nach langem Zögern hat sich Bayerns Vize-Regierungschef Hubert Aiwanger am Donnerstag in der Affäre um ein antisemitisches Flugblatt aus Schulzeiten erstmals öffentlich entschuldigt. “Ich bereue zutiefst, wenn ich durch mein Verhalten in Bezug auf das in Rede stehende Pamphlet oder weitere Vorwürfe gegen mich aus der Jugendzeit Gefühle verletzt habe”, sagte der Freie-Wähler-Chef bei einem kurzen Pressetermin, auf dem Nachfragen nicht erlaubt waren. “Meine aufrichtige Entschuldigung gilt zuvorderst allen Opfern des NS-Regimes, deren Hinterbliebenen und allen Beteiligten und der wertvollen Erinnerungsarbeit.”

In Bezug auf die Vorwürfe blieb bei Aiwanger bei seinen bisherigen Darstellungen – insbesondere, dass er das Flugblatt nicht verfasst habe und dass er sich nicht erinnern könne, als Schüler den Hitlergruß gezeigt zu haben. Gleichzeitig ging er zum Gegenangriff über, beklagte eine politische Kampagne gegen ihn und seine Partei.

So bewertet die Presse die Stellungnahme von Hubert Aiwanger:

“Kölner Stadt-Anzeiger”: “Dieses Flugblatt ist widerlich hetzerisch, menschenverachtend und antisemitisch. Nach deutschem Recht dürfte es justiziabel sein. Was Aiwanger dazu in Salami-Taktik sagt, hat bisher nicht erkennen lassen, dass er ein Gespür für die Tragweite seiner Verfehlung hat und für die Notwendigkeit einer überzeugenden Aufklärung mit maximaler Distanzierung von den Inhalten. Daran ändert auch seine am Mittwochnachmittag vorgetragene Entschuldigung nichts.”

“Reutlinger General-Anzeiger”: “Aiwanger könnte seine unglückliche Verteidigung vor die Füße fallen. Da hilft auch keine Entschuldigung. Würde er rechte Sympathien als Jugendlicher einräumen und sich als inzwischen geläuterter Mann präsentieren, dann wäre die Sache wohl schon überstanden. Wenn die Presse keine weiteren schmutzigen Details ausgraben kann, ist eine Affäre in der Regel vorbei. Doch Aiwanger bleibt wischiwaschi: Als Schüler habe er Dinge getan, die man “so oder so interpretieren” könne.”

“OM-Medien” (Vechta/Cloppenburg): “In nur 105 Sekunden entschuldigte Aiwanger sich für eventuelle Entgleisungen, an die er sich nicht erinnern könne, versuchte damit, möglichen weiteren Enthüllungen die Schlagkraft zu nehmen und stilisierte sich selbst als Opfer einer Kampagne. Neu war in dem Auftritt vor den Fernsehkameras lediglich die Geste der Entschuldigung. Das aber ist nicht genug. Denn die Erinnerungslücken, die Aiwanger vorsorglich ins Spiel bringt, nähren den Verdacht, dass da durchaus mehr gewesen sein könnte. Kurz: Aiwanger gelingt es nicht, Zweifel an seiner politischen Einstellung als Jugendlicher zu zerstreuen. Der Haken ist, dass Aiwanger seit Jahren schon Sprüche von sich gibt, die an seiner Eignung als Minister zweifeln lassen. Es wird Zeit, dass er seinen Hut nimmt.”

“Frankenpost” (Hof): “Diese Stellungnahme war richtig und wichtig. Allein, sie kommt spät, viel zu spät. Gleich nach Bekanntwerden der Affäre hätte der Freie-Wähler-Chef offen kommunizieren und sich ausführlich erklären müssen. Doch seine Taktik – wenn es denn überhaupt eine gab – war verheerend. Tagelang gärte das Thema, das mit Vorwürfen und Gegenvorwürfen, mit Verteidigungsversuchen und immer neuen Vorhaltungen, mit Fragen und immer noch mehr Fragen zu etwas Unkontrollierbarem mit Rücktrittsforderungen heranwuchs. Und nun? Alles gut? Mitnichten! Am Ende seines nur knapp zweiminütigen Statements schwenkte Hubert Aiwanger ein in die seit Tagen übliche Argumentationslinie, alles zu einer Kampagne gegen ihn hochzustilisieren. Vermutlich ist das die Rolle, in der er die Zeit des Wahlkampfes bestreiten möchte. Dabei ist er es, der wieder keinen Klartext gesprochen hat und Antworten schuldig blieb. Nur er könnte alles beenden.”


Hubert Aiwanger bittet in Flugblatt-Affäre um Entschuldigung – und spricht von politischer Kampagne gegen ihn

“Nürnberger Zeitung”: “Wie werden nun seine Kritiker, seine politischen Gegner reagieren? Weiterhin Forderungen nach Rücktritt zu erheben, könnte bei einem Teil der Öffentlichkeit nun als des Guten zu viel ausgelegt werden. Jedenfalls, solange die von Regierungschef Markus Söder ihm auferlegten 25 Fragen zum Zustandekommen des Nazi-Pamphlets nicht vollständig, genau und nachvollziehbar beantwortet sind. Diese Chance, für reinen Tisch zu sorgen, muss Aiwanger gegeben werden. Aiwanger ist selbstverständlich nicht der einzige, der nicht auf alles stolz sein kann, was er in seiner Jugend von sich gegeben hat. Doch Aiwanger ist eben auch nicht irgendwer, bei dem vermeintliche oder tatsächliche Sünden aus der Jugendzeit zumindest in der allgemeinen Öffentlichkeit keine Relevanz mehr hätten. Er ist Chef der Freien Wähler im Bund und in Bayern, er ist bayerischer Wirtschaftsminister und stellvertretender Ministerpräsident, mithin gehört er im Freistaat zur ersten politischen Riege. Und genau deshalb gelten für ihn, auch in der medialen Betrachtung, andere, strengere Regeln.”

“Wer glaubt ernsthaft, dass Aiwanger ins neue Kabinett einziehen kann?”

“Volksstimme” (Magdeburg): “Ob Hubert Aiwanger nun 25 Söder-Fragen tadellos beantwortet, einen besten Jugendfreund mit SPD-Hintergrund vorstellt oder einen glaubwürdigen Pfarrer als Leumund aufbieten kann – für den bayerischen Vize-Regierungschef dürfte es mit der politischen Karriere vorbei sein. Die Flugblatt-Affäre mit all den Falschaussagen, Mutmaßungen und Weiterungen ist Aiwanger entglitten. Da hilft weder eine Entschuldigung bei allen NS-Opfern noch die Empörung über die vermeintliche Kampagne gegen ihn. Zumindest für seine Partei könnte er etwas tun – wenn er selbst einen Schlussstrich zöge. Sicher wird es bei der Bayern-Wahl manchen geben, der in Jetzt-erst-recht-Manier für Aiwanger stimmen wird. Doch wer glaubt ernsthaft, dass er ins neue Kabinett einziehen kann? Er würde als braun-befleckte Dauerlast vom Regierungschef mitgeschleppt werden müssen. Ein Markus Söder – sollte er bleiben – wäre der Letzte, der dies täte.”

“Nürnberger Nachrichten”: “Aiwanger und seine Freien Wähler, die noch ganz hinter ihm stehen, müssen sich fragen lassen: Wie ist das mit den Tugenden einer Partei, die sich mit dem Adjektiv “bürgerlich” von anderen abheben will? Wo blieb sehr lange der Anstand des Ministers Aiwanger, zu Fehlern zu stehen? War das, was er nun lieferte, jene glasklare, unverrückbare Distanz zu Antisemitismus und Rechtsextremismus, die aus nur zu verständlichen Gründen zur Grundausstattung deutscher Demokraten zählt? Es kommt darauf an, wie die CSU und Markus Söder das bewerten, die da zu Recht auf zweifelsfreie Eindeutigkeit pochen. Erneut liegt es an Söder – der auf die Beantwortung der 25 Fragen wartet: Vertraut er Aiwanger, reicht ihm das, was sein Vize geliefert hat?”

“Hannoversche Allgemeine Zeitung”: “Wenn die Union jene Wählerinnen und Wähler einsammeln möchte, die mit der Ampelregierung unzufrieden sind, muss sie zweierlei tun: Sie muss sich inhaltlich überzeugender aufstellen als bisher. Und sie muss aus bürgerlicher Haltung die so oft zitierte Brandmauer zu Rechtsextremen, Demokratiefeinden und Antisemiten ziehen. Letzteres gelingt, indem man sich in einem Fall wie dem von Aiwanger glasklar verhält. Der hat bisher alle Gelegenheiten zur überzeugenden Rechtfertigung und Aufklärung entweder bewusst verstreichen lassen oder verstolpert. Es ist höchste Zeit für Konsequenzen.”

“Rhein-Neckar-Zeitung” (Heidelberg): “Aiwanger hingegen rief erst vor Kurzem dazu auf, “die Demokratie zurückzuholen”. Gleichwohl: Der Zeitpunkt der Veröffentlichung ist mit einem unguten Gschmäckle behaftet. Es soll Stimmung gemacht werden. Dabei verhindert genau dieser Zeitpunkt den Rauswurf Aiwangers. Stünde die Landtagswahl nicht in wenigen Wochen bevor, hätte Ministerpräsiden Söder seinen Vize längst in die Wüste geschickt. So aber muss er Angst haben, dass der einst jugendliche Antisemit zum Märtyrer der Unzufriedenen wird. Ein Trauerspiel.”

“Münchner Merkur”: “Spät und unter höchstem Druck hat Hubert Aiwanger sich doch noch zu einer Entschuldigung durchgerungen – und dabei das Kunststück fertiggebracht, offenzulassen wofür. Noch immer gibt der Freie-Wähler-Chef vor, sich nicht an das zu erinnern, was Mitschüler über ihn berichten, etwa die Hitlergrüße und Judenwitze. Falls, durch was auch immer, “Gefühle verletzt” worden seien, bereue er das zutiefst. Das kann glauben, wer mag. Auch wenn man Aiwanger zubilligt, dass er nicht mehr der ist, der er vor 35 Jahren war, hätte bedingungslose Ehrlichkeit nach Tagen des Dementierens und Herumlavierens anders aussehen müssen. So war Aiwangers Entschuldigung eine taktische mit dem Ziel, aus dem Stand heraus wieder zum Gegenangriff überzugehen: Er solle, schloss Aiwanger, durch eine Kampagne politisch und persönlich “fertiggemacht” werden. Der Schwarze Peter liegt nun wieder bei CSU-Chef Söder. Der Rosenkrieg in der bayerischen Koalition tobt weiter.”

“Trotz der späten Reue kann Aiwanger nicht im Amt bleiben”

“Frankfurter Allgemeine Zeitung”: “(…) Nun lässt sich nicht behaupten, dass Aiwanger, der als Redner jedes Festzelt beherrscht, ein Meister der Krisenkommunikation in eigener Sache gewesen ist. Möglicherweise hatte er auch unterschätzt, welche Sprengkraft ein solches antisemitisches Pamphlet in Deutschland auch nach dreieinhalb Jahrzehnten noch hat. (…) Das Flugblatt und die Zweifel an Aiwangers Glaubwürdigkeit beziehungsweise sogar Gesinnung, die er mit seiner Äußerung über das Zurückholen der Demokratie genährt hatte, werden auch als Munition im Wahlkampf eingesetzt. Kein politischer Gegner lässt sich so eine Gelegenheit entgehen. (…) Aiwanger hat sich entschuldigt, die (unbekannten) 25 Fragen der CSU aber noch nicht beantwortet. Erst danach wird Richter Söder sein Urteil über den Angeklagten fällen, natürlich gänzlich unparteiisch. (…)”

“Stuttgarter Zeitung”: “Er sei kein Antisemit und kein Menschenfeind, sagt Aiwanger. Dennoch scheint klar, dass er sich früher antisemitisch geäußert hat. Die Möglichkeit, dass sich alle Vorwürfe gegen ihn als haltlos erweisen, geht gegen null. Seine Entschuldigung wirkt taktisch getrieben, nicht aufrichtig. Es geht um die Frage: Ist man bereit, die Konsequenzen für seine Handlungen zu tragen? Vergangene Verfehlungen können vergeben werden – wenn man offen und transparent mit ihnen umgeht. Joschka Fischer distanzierte sich glaubhaft von seiner Zeit als gewalttätiger Straßenkämpfer und entschuldigte sich. Er wurde Außenminister und Vize-Kanzler. Diese kritische Auseinandersetzung mit der eigenen Vergangenheit sucht Aiwanger nicht. Er sagt, er habe den Eindruck, er solle fertiggemacht werden. Der Vorwurf des Antisemitismus und des Verharmlosens der Nazi-Verbrechen wiegt schwer. Deswegen darf nicht stellvertretender Ministerpräsident sein, wer sich nicht kritisch mit den eigenen Fehlern auseinandersetzt. Trotz der späten Reue kann Aiwanger nicht im Amt bleiben.”

“Frankfurter Rundschau”: “Während sich der Vorstand der CDU/CSU-Fraktion in dieser Woche zur Klausur im heimatlichen Sauerland des Vorsitzenden Friedrich Merz trifft, liegt der Schatten der Aiwanger-Affäre auf dem Treffen. Es geht aber um mehr als um eine “unappetitliche Geschichte”. Die Schwesterpartei CSU muss sich im bayerischen Landtagswahlkampf dringend zum Koalitionspartner der von Aiwanger geführten Freien Wähler positionieren. CSU-Chef Markus Söder hat sich ein wenig Luft verschafft, indem er Aiwanger einen Katalog mit 25 Fragen geschickt hat. Täglich aber kommen neue Fragen hinzu. Um es noch einmal klar zu sagen: Dieses Flugblatt ist widerlich hetzerisch, menschenverachtend und antisemitisch. Was Aiwanger dazu sagt, hat bisher nicht erkennen lassen, dass er ein Gespür für die Tragweite seiner Verfehlung hat und für die Notwendigkeit einer überzeugenden Aufklärung mit maximaler Distanzierung von den Inhalten. Daran ändert auch seine am Mittwoch Spätnachmittag vorgetragene Entschuldigung nichts.”

mad
DPA

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