Ostdeutschland-Tour: Cem Özdemir und der “Zielkonflikt”

Hartnäckig hält sich die Erzählung, der “Minischter” für Ernährung und Landwirtschaft strebe nach höheren Würden. Nun war Cem Özdemir in Ostdeutschland unterwegs. Lässt sich das als Hinweis verstehen?

Ja, sagt er, das seien schon “die schönsten Momente” für einen Minister. Cem Özdemir, 57, hat mehr als 18 Millionen Euro mit ins Moor gebracht, frisches Fördergeld für den Klimaschutz: Vier trockengelegte Moorflächen sollen wiedervernässt werden. “Damit können Sie jetzt zur Bank gehen”, sagt Özdemir, als er die Förderurkunden überreicht. Gelächter, Applaus, ein glücklicher Grüner.

Aber auch die schönsten Momente sind eben nur: Momente. Und noch keine Ergebnisse.

Der Landwirtschaftsminister hat sich auf eine Sommerreise durch Ostdeutschland begeben. Drei Tagen tourt er durch Sachsen, Sachsen-Anhalt, Brandenburg und Thüringen. Es ist eine Reise durch den ländlichen Raum, auf schwierigem Terrain. Für seine Partei, die in Ostdeutschland nur in Großstädten ordentliche Ergebnisse erzielt. Und für Özdemir, dem immer noch der Ruf anhängt, mit seinem Ressort zu fremdeln.

Reichstagsgebäude in Berlin
© serienlicht / Imago Images

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Der Minister hat sich viel vorgenommen. Schließlich wird hier im brandenburgischen Gollwitz wesentlich mehr verhandelt als eine nachhaltige Moornutzung. Es geht um eine Frage, an der Politik mitunter verzweifelt: Wie lassen sich tiefgreifende Veränderungen anstoßen, die allen etwas abverlangen, aber niemanden abhängen sollen? Oder, akademischer ausgedrückt: Wie gelingt Transformation?

Bei den Mooren könnte es so funktionieren: Die Wiedervernässung soll Treibhausgase einsparen. Das soll sich auch für die Landwirtschaft lohnen. So ließen sich etwa Pflanzen aus dem Moor auch für die Produktion von Tierfutter nutzen. Das Problem: Viele Bauern wollen ihre Moorflächen weiter bestellen – sie bangen um ihre Existenzgrundlage.

“Wenn die Leute Angst haben, dann ist es schwierig Entscheidungen nach vorne zu treffen”, sagt Detlef May, ein Landwirt aus der Umgebung. Er begrüße zwar den Moorschutz, aber die Skepsis unter vielen Bauern sei groß. Özdemir spricht von einem “Zielkonflikt”. Auch Julia Klöckner, CDU, seine Amtsvorgängerin, redete bei vielen Gelegenheiten davon. Bei ihm aber bekommt der abstrakte Begriff noch eine persönliche Note.

Will er denn?

Özdemir muss viel Überzeugungsarbeit leisten. Noch immer fremdeln viele Landwirte mit ihrem Ansprechpartner in Berlin, der vor eineinhalb Jahren eher überraschend ins Amt kam. Ein Vertrauensvorschuss war dem Ökopolitiker ebenso wenig vergönnt: Bei der letzten Bundestagswahl haben 45 Prozent der Landwirte die Union gewählt, nur fünf Prozent die Grünen.

Entsprechend viel hat Özdemir zu gewinnen – aber auch zu verlieren. Er muss sich daran messen lassen, was er am Ende seiner Amtszeit erreicht hat. Seine Bilanz wird auch davon abhängen, ob er den “Zielkonflikt” gelöst bekommt: Die Agrarwende vorantreiben, ohne dabei einen Kulturkampf vom Zaun zu brechen.

Özdemir hat den Landwirten ein Versprechen mitgebracht: “Rein in die Kartoffeln, raus aus den Kartoffeln – das ist nicht mein Weg.” Er komme aus Baden-Württemberg, da könne man sich aufeinander verlassen. Ich lasse euch nicht hängen, das ist seine Botschaft.

Wenn sie ankommt, profitiert auch er. Eine gute Bilanz macht sich im Lebenslauf besser, wenn man sich für den nächsten Job bewerben möchte.

Das ist Özdemirs persönlicher “Zielkonflikt”: Er könnte jetzt auch in Baden-Württemberg unterwegs sein, da, wo er herkommt und möglicherweise wieder hinwill – als künftiger Ministerpräsident des Ländle. Darüber wird schon lange spekuliert. In seiner Heimat ist er beliebt. Kein Direktkandidat im Südwesten holte so viele Erststimmen bei der letzten Bundestagswahl wie Özdemir in Stuttgart.

Will er denn Landesvater werden? Diese Frage begleitet ihn, auch auf dieser Reise. Zitieren darf man ihn dazu nicht. Allerdings gewinnt man nicht den Eindruck, als könnte er sich dem Gedanken nicht grundsätzlich nähern – nur scheint er in seinem aktuellen Amt noch einiges unter Beweis stellen zu wollen.   

Also reist der “Minischter” durch Ostdeutschland, wo man es als Grüner besonders schwer hat. Allerorts dümpelt seine Partei im einstelligen Prozentbereich. Kein guter Ausgangspunkt für die Landtagswahlen im kommenden Jahr. Noch diesen Oktober gilt es für die Grünen, sich in Hessen und Bayern zu behaupten, wo sich die Lage zumindest als schwierig darstellt. Özdemir wird nach seiner Ost-Tour auch dort noch Halt machen. Klar.

Klar?

Es ist gar nicht so lange her, da fiel der Landwirtschaftsminister eher wenig auf. Anfang des Jahres kürte ihn die Wochenzeitung “Die Zeit” zum “Hidden Cempion”, der auch oder gerade wegen seiner eher geräuschlosen Amtsführung beliebt sei. Mittlerweile schärft Özdemir sein Profil sehr bewusst. Er tritt auf als Vermittler-Minister, der den Kompromiss sucht – nicht den Konflikt. “Mein Denken ist davon geprägt, wie man Gegensätze zusammenbringt”, sagt er.

Wie kennzeichnet man Lebensmittel, um über die Haltungsbedingungen von Tieren aufzuklären? Wie viel Werbung für Süßigkeiten können Kinder vertragen? In beiden Fällen hat Özdemir eine klare Vorstellung, wie er es gerne hätte. In beiden Fällen hat er Abstriche gemacht, um in der Sache voranzukommen. Zu viele, monieren seine Kritiker. Muss es doch mehr Konflikt statt Kompromiss sein? Noch so ein Zielkonflikt.

Kaffee und Kirschkuchen mit Cem Özdemir

Özdemir will mit seinem Ansatz – mehr Ausgleich statt Abgrenzung – auf der Ost-Tour einen bewussten Kontrapunkt setzen. Es sei von “zentraler Bedeutung”, dass die demokratischen Parteien den Strukturwandel gemeinsam angehen, mahnt er beim Besuch eines kommunalen Verbundprojekts im sächsischen Thallwitz. Dort haben sie in Eigenregie Glasfaser ausgebaut. Auch das kann Demokratieförderung sein, eine Art Anti-AfD-Programm.

Zusammenhalt müsse überall gefördert werden, sagt Özdemir. Andernfalls bestehe die “große Gefahr”, dass sich die Menschen zu den “Vereinfachern” abwenden. “Wenn wir die ländlichen Räume verlieren, dann verlieren wir als Bundesrepublik Deutschland.”

Also versucht Özdemir, immerhin auch Ressortchef für ländliche Entwicklung, diesen Raum zu verteidigen. Manchmal reicht es ja schon, wenn man da ist und mit den Menschen redet. Ob bei Kaffee und Kirschkuchen mit Ehrenamtlichen in Belleben (Sachsen-Anhalt) oder beim Fachsimpeln in einem Lehmwerk bei Gothaer (Thüringen). “Ich will zeigen, dass das Land aus sich heraus wichtig ist.” Aber auch, dass “die in Berlin” es nicht immer besser wissen.

Besser als Berlin wissen sie es beispielsweise in Treuenbrietzen, einer Kleinstadt in Brandenburg, die Özdemir abermals ein anerkennendes “klasse” entlockt. Dort hat das “Bioenergiedorf Feldheim” die Energiewende schon gemeistert. Seit Jahren versorgt sich der Ort selbst mit Strom und Wärme. “Energiewende tut nicht weh”, sagt Bürgermeister Michael Knape.

Man habe die 130 Einwohner bei jedem Schritt mit eingebunden, das habe Vertrauen und Akzeptanz geschaffen. Nun profitierten alle von günstigen Energiepreisen. “Vertrauen muss entstehen, das kann man nicht verordnen”, sagt der Bürgermeister. Cem Özdemir nickt. Er dürfte den Dauerzoff um den “Heizungs-Hammer” der Ampel-Koalition noch in Erinnerung haben.

Wohin also soll die Reise gehen? Als Ministerpräsident in Baden-Württemberg müsste Özdemir von Amtswegen auf Ausgleich setzen, Kompromisse suchen, Konflikte vermeiden. So gesehen ist er auf einem guten Weg.

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