Stand: 19.02.2022 01:41 Uhr
Der zweite Orkan binnen zwei Tagen tobt über Deutschland – “Zeynep” ist heftiger als “Ylenia”. Mindestens drei Menschen kamen ums Leben. Die Bahn stellte den Verkehr im Norden ein.
In der Gemeinde Wurster Nordseeküste in Niedersachsen stürzte ein Mann tödlich, wie Radio Bremen berichtet. Er war offenbar auf das Dach seines Hauses geklettert, von dem sich Dachpfannen gelöst hatten. In Nordrhein-Westfalen starben zwei Autofahrer. Auch in anderen europäischen Ländern gab es Tote: In den Niederlanden kamen drei Menschen durch umstürzende Bäume ums Leben, Großbritannien meldete ebenfalls drei Tote.
Weitere Informationen
Der Orkan hatte am Nachmittag die deutsche Nordseeküste erreicht. Die Windstärke nimmt laut Berechnungen des Deutschen Wetterdienstes (DWD) im Laufe der Nacht weiter zu. Auf Borkum wurden bereits Orkanböen mit einer Windgeschwindigkeit von 146 Kilometern pro Stunde gemessen. Auch im norddeutschen Tiefland muss mit Orkanböen bis Windstärke 12 gerechnet werden. An der Nordseeküste werden in der Nacht die höchsten Windgeschwindigkeiten bis 160 Kilometer pro Stunde erwartet. “Zeynep” zieht schnell ostwärts weiter – rund um Rügen werden die schwersten Orkanböen gegen 6 Uhr am Sonnabendmorgen erwartet.
DWD ruft höchste Warnstufe aus: Schwere Schäden möglich
Videos
Für den gesamten Norden gilt eine Unwetterwarnung – derzeit bis Sonnabendmorgen um 6 Uhr. Für die Nordseeküste hat der Deutsche Wetterdienst (DWD) die höchstmögliche Warnstufe ausgegeben und warnt vor extremen Sturmböen. “Es sind unter anderem verbreitet schwere Schäden an Gebäuden möglich. Bäume können entwurzelt werden und Dachziegel, Äste oder Gegenstände herabstürzen”, heißt es in der Warnung. Fenster und Türen sollten geschlossen, Gegenstände im Freien gesichert werden. Zudem gelte es, Abstand von Gebäuden, Bäumen, Gerüsten und Hochspannungsleitungen zu halten. Wetterexperte Frank Böttcher schätzt den Sturm an der oberen Grenze dessen ein, was meteorologisch an der Küste möglich sei. Er könne historische Dimensionen erreichen.
Warnungen vor Sturmfluten
Rekordwerte wie beim Wind werden beim Wasserstand nicht erwartet. Allerdings warnt das Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie (BSH) vor einer schweren Sturmflut an der Nordseeküste: Am Sonnabend werden das Nacht-Hochwasser bzw. das Morgen-Hochwasser an der ostfriesischen Küste, im Weser- und Elbegebiet 2 bis 2,5 Meter höher als das mittlere Hochwasser eintreten und an der nordfriesischen Küste und im Hamburger Elbegebiet etwa 3 Meter höher als das mittlere Hochwasser eintreten. Für Hamburg wird der Hochwasserscheitel um 6.12 Uhr erwartet – mit einer Höhe von 2,75 Meter bis 3,25 Meter über dem mittleren Hochwasser.
Zugverkehr im Norden eingestellt
Die Deutsche Bahn hat ihren Fern- und Regionalverkehr in ganz Norddeutschland eingestellt. Der Stopp betrifft auch weite Teile Nordrhein-Westfalens und gilt mindestens bis zum Vormittag. Fahrgäste sollen sich laut Bahn unbedingt im Internet über ihre Züge informieren. Kostenlose Stornierungen und die Nutzung anderer als der gebuchten Züge ist möglich. Auch private Regionalbahnen wie metronom stellten den Verkehr ein.
Schleswig-Holstein: Orkanböen in allen Landesteilen
Bereits am frühen Nachmittag traf “Zeynep” auf die Westküste von Schleswig-Holstein. In Büsum wurden am Abend bereits Böen mit einer Windgeschwindigkeit von 143 Kilometern pro Stunde gemessen. Bis 22 Uhr wurden bereits 580 sturmbedingte Einsätze gezählt. In Wesseln bei Heide stürzte ein Baum auf Einfamilienhaus, eine Hauswand brach zusammen. Verletzte gab es nach Polizeiangaben nicht. Auf der Bundesstraße 77 bei Hohenlockstedt im Kreis Steinburg stürzten zwei Bäume um. Ein Autofahrer konnte nicht mehr rechtzeitig bremsen – er wurde leicht verletzt. Ein weiterer Autofahrer blieb unverletzt, als sein Pkw von einem umstürzenden Baum getroffen wurde. Wegen der Gefahr weiterer umstürzender Bäume wurde die Bundesstraße gesperrt. Auch die Rader Hochbrücke über den Nord-Ostsee-Kanal bei Rendsburg ist für alle Fahrzeuge gesperrt.
Weitere Informationen
Mecklenburg-Vorpommern: Baum stürzt auf Wohnhaus
Auch Mecklenburg-Vorpommern hat das Orkantief erreicht. In Rossin bei Ducherow (Landkreis Vorpommern-Greifswald) stürzte ein Baum auf ein Wohnhaus. Die Bewohner wurden nicht verletzt. Auf der Bundesstraße 111 bei Buddenhagen (ebenfalls Landkreis Vorpommern-Greifswald) fuhren vier Menschen mit ihrem Auto in einen umgestürzten Baum. Eine Person wurde leicht verletzt. Die Polizei in MV empfahl: “Bleiben sie zu Hause!” Die Stromfähre in Warnemünde stellte den Betrieb am Abend ein. Die Fahrreederei Scandlines setzte abermals Fahrten zwischen Rostock und dem dänischen Gedser aus. Frühestens heute Vormittag sollen die Fahrten wieder aufgenommen werden.
Weitere Informationen
Niedersachsen: “Zeynep” knickt Bäume um
In Niedersachsen muss laut DWD insbesondere auf den Ostfriesischen Inseln und an exponierten Lagen mit extremen Orkanböen gerechnet werden. Der Orkan könnte der stärkste an der Küste seit Beginn der Wetteraufzeichnungen 1890 werden. Es gilt die höchstmögliche Warnstufe. In Aurich stürzten Bäume auf Häuser – mindestens eines ist unbewohnbar. Auch im Landkreis Hameln-Pyrmont stürzten Bäume auf Häuser. Verletzt wurde niemand. Vielerorts blockierten umgestürzte Bäume den Verkehr auf den Straßen – unter anderem auf der A27 zwischen Hagen und Uthlede (Landkreis Cuxhaven) und auf der B6 zwischen Neustadt-Otternhagen und Neustadt-Bordenau in der Region Hannover. Da der Sturm auch weiteren starken Regen bringt, wird aus den Talsperren der Harzwasserwerke kontrolliert Wasser abgelassen, um Platz zu schaffen.
Hamburg: Baum stürzt um – Kind verletzt
In Hamburg kam “Zeynep” am späten Nachmittag an. Die Feuerwehr musste bereits in den ersten Stunden nach Ankunft des Sturms zu mehr als 160 Einsätzen ausrücken. Unter anderem wurden die Einsatzkräfte nach Eilbek gerufen. Dort stürzte die Fassade eines mehrstöckigen Wohnhauses ein. Auch der Dachstuhl wurde sei stark beschädigt. Ob es Verletzte gibt, ist noch unklar. Im Stadtteil Bahrenfeld fiel ein Baum um und verletzte ein Kind, das mit dem Fahrrad unterwegs war. Am Abend stellte die Hochbahn den Betrieb auf den oberirdischen Strecken ein. Dort werden frühestens am Sonnabendmorgen wieder Züge verkehren. Die AKN stellte ebenfalls den Verkehr ein, S-Bahnen fahren nur sehr eingeschränkt. Das Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie (BSH) rechnet mit einer schweren Sturmflut mit Wasserständen von drei Metern über dem normalen Hochwasser. Für Schutzeinrichtungen und Deiche werde das aber nicht zum Problem.
Weitere Informationen
Bremen: Evakuierung in Gebiet außerhalb des Hauptdeichs
In Bremen ist am Abend wegen der drohenden Sturmflut ein Gebiet außerhalb der Hauptdeichschutzlinie evakuiert worden. Betroffen seien die Bereiche Pauliner Marsch, Stadtwerder und Rablinghauser Deich, hieß es in einer Mitteilung der Polizei. “Das ist Jahre her, dass wir zu so einer Maßnahme greifen mussten”, sagte eine Polizeisprecherin. Die Feuerwehr Bremen richtete zusammen mit dem DRK eine Betreuungsstelle in einer Schule ein. Die Polizei bat, die betroffenen Gebiete zu verlassen.
Kaum Fährverkehr zu den Inseln im Norden
Zu den Ostfriesischen Inseln fuhren am Donnerstag keine Fähren. Für heute und morgen gibt es bereits Fahrplanänderungen – etwa für die Fähren nach Borkum und Langeoog. So legte die Fähre von Emden nach Borkum heute bereits um 11 Uhr ab und nicht um 14 Uhr. Die Abfahrt um 17.45 Uhr entfällt. Der Schiffsverkehr nach Langeoog wurde ab 14 Uhr eingestellt. Auch zwischen Cuxhaven und Helgoland werden nach Angaben der Reederei Cassen Eils heute und am Sonnabend weiter keine Schiffe fahren. Ob der Betrieb am Sonntag wieder aufgenommen wird, soll am Sonnabend entschieden werden. In Schleswig-Holstein blieben viele Fähren zu den Nordfriesischen Inseln und Halligen wegen des Sturms in den Häfen. Die Wyker Dampfschiffs-Reederei (W.D.R.) teilte mit, dass sie auf der Föhr-Amrum-Linie mit angepasstem Fahrplan fährt. Passagiere sollten sich vor Fahrtantritt über die Webseite der W.D.R. informieren.
Ausfälle auch im Flugverkehr
Die Lufthansa hatte deutschlandweit vorsorglich etliche Verbindungen gestrichen. Aktuelle Infos über Starts und Landungen gibt es im NDR Text ab Seite 710.
Harz: Vor Betreten der Wälder wird wegen Sturmschäden gewarnt
Besonders stark traf das Sturmtief “Ylenia” in der Nacht zu Donnerstag den Harz. In der Spitze wurden Windgeschwindigkeiten von bis zu 156 Kilometern pro Stunde gemessen. Der Wert sei kurz nach Mitternacht aufgezeichnet worden, sagte ein DWD-Sprecher. Er wies darauf hin, dass die Zahlen noch vorläufig seien. Die Verwaltung des Nationalparks Harz rät wegen der Sturmschäden dringend vom Betreten der Wälder ab. Es bestehe durch abbrechende Äste und umstürzende Bäume eine “akute Gefahr für Leib und Leben”, sagte ein Sprecher.
Weitere Informationen