Olaf Scholz: Der Bundeskanzler will Gesamtkonzept zum Einsparen von Energie

Drei Gipfel in sieben Tagen: Vom kommenden Donnerstag an beraten EU, G7 und Nato vor allem über den Ukraine-Krieg und seine Folgen. Bei einem der Treffen hat Kanzler Scholz eine besondere Rolle. 

Bundeskanzler Olaf Scholz ist gerade einmal ein halbes Jahr im Amt und schon Gastgeber eines großen internationalen Gipfels. Am kommenden Wochenende empfängt der SPD-Politiker US-Präsident Joe Biden und sechs weitere Chefs wirtschaftsstarker Demokratien auf Schloss Elmau in Bayern. Das G7-Treffen ist eingebettet in weitere Gipfel der Europäischen Union und der Nato.

Der Kanzler hat sich unter anderem mit einer Bahnreise nach Kiew darauf vorbereitet. Im Interview mit der Deutschen Presse-Agentur sagt er, was er sich für den Gipfelmarathon vorgenommen hat. Der stern dokumentiert das Gespräch in voller Länge.

Olaf Scholz über den Ukraine-Krieg, Merkels Russland-Politik und den bevorstehenden Gipfel-Marathon

Sie sind gerade aus der Ukraine zurückgekehrt, wo Sie neben der Hauptstadt Kiew auch das teilweise zerstörte Irpin besucht haben. Können Sie schildern, wie Sie empfunden haben, was Sie dort gesehen haben?

Wir wissen alle, welche furchtbaren Zerstörungen der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine hinterlässt. Wie viele Menschen gestorben sind, wie viele verletzt sind. Und trotzdem ist es etwas anderes, wenn man die Zerstörungen mit eigenen Augen sieht und selbst spürt, dass an einem Ort konkret Menschen gestorben sind, dass in den Autos, die dort zerstört herumstehen, Familien saßen, die fliehen wollten und brutal erschossen wurden. Der russische Präsident (Wladimir Putin) hat mit seiner Entscheidung, die Ukraine zu überfallen, furchtbare Schuld auf sich geladen. 

Sie waren lange skeptisch hinsichtlich einer Reise nach Kiew zu Kriegszeiten. Wie würden Sie jetzt das Ergebnis beschreiben? War die Reise ein Erfolg? 

Es war richtig, jetzt zu reisen und gemeinsam mit dem französischen Präsidenten, dem italienischen Premier und dem rumänischen Präsidenten ein starkes europäisches Signal zu senden. Ich hatte mich vor Kriegsbeginn drei Mal persönlich mit Präsident (Wolodymyr) Selenskyj getroffen und seither erörtern wir regelmäßig am Telefon die Lage. Das Treffen jetzt in Kiew war wieder ein sehr vertrauensvolles, kooperatives Gespräch. 

Wir haben uns darüber unterhalten, wie Europa seinem Land jetzt weiter helfen kann. Konkret geht es um schwere Artillerie und Munition. Denn die braucht die Ukraine gerade am dringendsten. Es geht auch um Schutz vor Angriffen aus der Luft mit Raketen. Und, ganz grundsätzlich, geht es um eine Zukunftsperspektive – die Hoffnung auf eine europäische und demokratische Perspektive für die Bürgerinnen und Bürger der Ukraine. Beim kommenden EU-Gipfel in dieser Woche wollen wir dazu einen einvernehmlichen Beschluss erreichen.

Sie sind dafür, dass die Ukraine EU-Beitrittskandidat wird, die EU-Kommission auch. Es gibt aber noch einige Staaten, die skeptisch sind. Wie wollen Sie die überzeugen?

Die Europäische Union unterstützt die Ukraine seit Kriegsbeginn sehr geschlossen und entschlossen. In diesem Geist der Einigkeit sollten wir weiter handeln. Klar ist, dass der Weg in die EU nicht einfach werden wird, sondern viele Anforderungen zu erfüllen sind von jedem Kandidaten, der sich auf den Weg machen will. Das betrifft Rechtsstaatlichkeit und Demokratie, aber auch alle anderen Regeln, die wir uns in Europa miteinander gegeben haben. 

Mir ist zugleich wichtig, dass wir denjenigen, denen vor beinahe 20 Jahren zugesagt wurde, dass sie Mitglied der Europäischen Union werden können, jetzt sehr konkrete Fortschritte anbieten. Sonst entsteht das Gefühl, dass ein Kandidatenstatus zu gar nichts führt. Den Ländern des westlichen Balkans müssen wir zeigen, dass es uns ernst ist. Albanien und Nordmazedonien erfüllen alle Voraussetzungen für die Aufnahme konkreter Verhandlungen über einen EU-Beitritt – sie sollten jetzt beginnen. 

Hinzu kommt: Die Europäische Union muss sich selbst auf Erweiterung vorbereiten. Dazu muss sie ihre Strukturen und Entscheidungsprozesse modernisieren. Nicht immer wird alles einstimmig entschieden werden können, was heute einstimmig entschieden werden muss. Und das werden wir beim EU-Gipfel neben vielen anderen Fragen zu besprechen haben.

Werden Sie noch erleben, dass die Ukraine in die EU aufgenommen wird?

Die Staaten und ihre Bürgerinnen und Bürger haben es selbst in der Hand, wie schnell es gelingt, dass sie Bedingungen für eine Aufnahme erfüllen. Das frühere Mazedonien hat sich in Nordmazedonien umbenannt, um einen Streit mit Griechenland zu lösen, und ist nicht dafür belohnt worden. So etwas darf nicht nochmal passieren. Mit dem Kandidatenstatus wollen wir Hoffnungen schaffen und nicht Hoffnungen enttäuschen.

Sie haben den ukrainischen Präsidenten Selenskyj zum G7-Gipfel in Elmau in der neuen Woche eingeladen. Was werden Sie dort mit ihm besprechen?

In Elmau wird die längerfristige Perspektive für die Ukraine im Blickpunkt stehen. Klar ist, und das werden wir dort nochmal als G7 zusichern, dass wir die Ukraine so lange unterstützen, wie das nötig ist. Wir wollen dafür sorgen, dass das Kalkül des russischen Präsidenten nicht aufgeht. Putin hofft offenbar, dass sich alles wieder einrenkt, wenn er genug Land erobert hat, und die internationale Gemeinschaft zur Tagesordnung zurückkehrt. Das ist eine Illusion. 

Ein weiteres Thema beim G7-Gipfel wird die weltweite Ernährungskrise sein. Es gibt Experten, die mit der größten Hungersnot seit dem Zweiten Weltkrieg rechnen. Was kann die G7 tun um gegenzusteuern?

Der Krieg, den Russland gegen die Ukraine vom Zaun gebrochen hat, hat Folgen für die ganze Welt und für viele Länder, die weit weg sind vom Kriegsgeschehen. Hier ist globale Solidarität angesagt. Wir haben eine weltweite Initiative auf den Weg gebracht, um Ernährungssicherheit zu gewährleisten. Die Getreidesilos in der Ukraine sind voll, Millionen von Tonnen Getreide warten auf die Ausfuhr. Allerdings musste die Ukraine ihre Häfen verminen zum Schutz vor Angriffen Russlands vom Schwarzen Meer aus. 

Wir unterstützen die Bemühungen des Generalsekretärs der Vereinten Nationen, einen Exportkorridor für ukrainisches Getreide zu öffnen. Die Verhandlungen laufen seit längerem und gehen hin und her. Man muss für die Welt hoffen, dass eine Verständigung gelingt. Russland muss einen sicheren Transport ermöglichen und zugleich glaubhaft zusichern, dass es einen solchen Korridor nicht für eine Invasion nutzt. Es kann ja nicht sein, dass die Getreideschiffe die ukrainischen Häfen verlassen und die russischen Kriegsschiffe die Häfen ansteuern.

Ist eine UN-Mission denkbar, um den Zugang zu ukrainischen Häfen wie Odessa zu sichern?

Über all diese Fragen wird gegenwärtig verhandelt, aber öffentlich darüber zu spekulieren, machten diese schwierigen Verhandlungen noch komplizierter als sie ohnehin schon sind, deshalb tue ich das nicht. 

Welche Themen wollen Sie bei dem Gipfel noch voranbringen? 

In Elmau geht es darum, wie wir den menschengemachten Klimawandel aufhalten, wie wir konkret vorankommen bei der Digitalisierung. Und wie wir Fragen der Demokratie bewegen. Die G7 ist der Zusammenschluss von sieben wirtschaftlich starken Demokratien, das macht sie aus. Unser Verständnis von Demokratie greift aber zu kurz, wenn wir uns nur auf den klassischen Westen konzentrieren. Die großen, mächtigen Demokratien der Zukunft sind in Asien, Afrika und im Süden Amerikas und werden unsere Partner sein. Wir müssen den ganzen Globus in den Blick nehmen und dürfen nicht nur einen reduzierten Blick auf Europa, Nordamerika und Japan haben. Deshalb habe ich sehr bewusst fünf zusätzliche Gäste eingeladen: die Staats- und Regierungschefs von Indonesien, Indien, Südafrika, Senegal und Argentinien. 

Erwarten Sie konkrete Ergebnisse in Sachen Klimawandel auf dem Gipfel oder Arbeitsaufträge? 

Wir haben den Klimaschutz die ganze Zeit als zentrales Thema dieses G7-Gipfels vorangetrieben. Mir ist wichtig, dass wir dabei kooperieren. Die Staaten, die sich gemeinsam auf den Weg machen für mehr Klimaschutz, sollten untereinander so zusammenarbeiten können, wie wir es uns für die ganze Welt vorstellen. Das ist die Idee des Klimaclubs, der vergleichbare Regeln für den CO2-Verbrauch etablieren will. 

Wann wäre der Gipfel für Sie ein Erfolg?

Wenn von Elmau ein Signal der Geschlossenheit ausgeht, wäre ich sehr zufrieden. Wenn wir es schaffen, bei den wichtigen Herausforderungen für die künftige Welt voranzukommen – ich habe Klimaschutz, Digitalisierung, die Frage genannt, wie wir Solidarität mit denen organisieren können, die Angst vor Hunger haben müssen. Wir wollen, dass bei der Pandemiebekämpfung ein solidarisches Unterhaken stattfindet. Und dann geht es natürlich um unsere Reaktion auf den Krieg in der Ukraine. 

Ein besonderer Erfolg wäre es, wenn der Gipfel der Ausgangspunkt für einen neuen Blick auf die Welt der Demokratie sein könnte. Die Welt wird in 30 Jahren noch multipolarer sein als heute. Sie wird viele Machtzentren haben, nicht nur zwei oder drei. Wenn wir es schaffen, dass diese Welt trotzdem zusammenarbeitet und Demokratien dabei eine zentrale Rolle spielen, ist das ein großer Schritt nach vorne.

Sie waren ja vor einiger Zeit schon einmal in anderer Funktion Gastgeber eines G-Gipfels, dem G20-Gipfel in Hamburg, der von heftigen Krawallen überschattet wurde. Haben Sie die Befürchtung, dass es bei diesem G7-Gipfel ähnliche Szenen geben könnte? 

Die Sicherheitskräfte müssen sich immer auf alle Fälle vorbereiten. Auch wenn ich an vielen G7- und G20-Gipfeln schon teilgenommen habe, die alle störungsfrei verlaufen sind, muss man natürlich vorbereitet sein. Das haben Polizei, Verfassungsschutz, die Dienste und auch die bayerischen Sicherheitsbehörden ganz sorgfältig gemacht. Alle hoffen, dass sich der friedliche Ablauf des letzten G7-Gipfels 2015 in Elmau wiederholt.

War es auch eine Reaktion auf die Erfahrungen des Gipfels in Hamburg, jetzt wieder Elmau zu wählen? 

Elmau bietet ideale Voraussetzungen, damit der Gipfel friedlich verläuft und gut wird für unsere Gäste und für das, was wir gemeinsam politisch erreichen wollen. 

Auch die Energiepreise dürften ein Thema beim G7-Gipfel sein. Gazprom hat jetzt die Gaslieferungen über Nord Stream 1 gedrosselt. Befürchten Sie, dass das der erste Schritt zu einem kompletten Lieferstopp ist?

Zunächst mal erleben wir gerade eine Drosselung der Gaslieferungen nach Deutschland und zu anderen westeuropäischen Ländern, die technisch begründet werden. Das kann Zufall sein, muss es aber nicht. Wir werden das weiter ganz genau beobachten und von unserer Seite alles tun, dass es keine technischen Gründe gibt für diese Drosselungen. 

Es wird jetzt schon über Maßnahmen diskutiert, mit denen man Energieeinsparungen auch in Privathaushalten erzwingen könnte. Wirtschaftsminister Robert Habeck hat über mögliche gesetzliche Regelungen dazu gesprochen. Es gibt auch Überlegungen, die Heiztemperaturen in Wohnungen auf einen Höchstwert von 18 Grad zu begrenzen? Denken Sie auch über solche Maßnahmen nach?

Ich bin kein Anhänger davon, jetzt einzelne Maßnahmen zu diskutieren, bevor ein Gesamtkonzept vorliegt. Wichtig ist, dass wir uns auf alle Eventualitäten vorbereiten, um dann die jeweils richtige Entscheidung zum richtigen Zeitpunkt zu treffen.



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Teaserbild: John MacDougall/AFP

Nach dem G7-Gipfel steht der Nato-Gipfel an. Die frühere Bundeskanzlerin Angela Merkel hat kürzlich in ihrem ersten Interview nach Ausscheiden aus dem Amt verteidigt, dass sie sich gegen einen Nato-Beitrittsprozess der Ukraine gestellt hat. War diese Entscheidung damals richtig?

Die Kriterien für einen Beitritt zur Nato müssen von jedem Staat, der dem Bündnis beitreten möchte, erfüllt werden. Ein Beitritt der Ukraine zur Nato stand nicht an. Das wusste jeder, im Übrigen auch der russische Präsident. Umso absurder ist es, dass Putin seinen Überfall auf die Ukraine unter anderem damit begründet hat, irgendwann könnte die Ukraine irgendwie plötzlich doch dort landen. Dabei ist klar gewesen, dass das auf absehbare Zeit überhaupt kein Thema sein würde.

Die Ex-Kanzlerin hat in dem Interview auch klargemacht, dass sie in ihrer Russland-Politik nichts falsch gemacht hat. Finden Sie diese Haltung richtig? Und würden Sie das für sich auch so behaupten?

Der Versuch einer Aussöhnung kann nie falsch sein und der Versuch, friedlich miteinander zurechtzukommen, auch nicht. Da sehe ich mich eng an der Seite meiner Vorgängerin. Ein Fehler der deutschen Wirtschaftspolitik war es aber, dass wir unsere Energieversorgung zu sehr auf Russland konzentriert haben, ohne die nötige Infrastruktur zu bauen, dass wir im Falle eines Falles schnell umsteuern können. Als Bürgermeister von Hamburg habe ich mich schon seit langem dafür eingesetzt, an der norddeutschen Küste Flüssiggas-Terminals zu bauen. Nun müssen wir das rasch nachholen. 

Verstehe ich Sie dann richtig. Sie haben nichts falsch gemacht, aber die Bundeskanzlerin schon? 

Das ist eine unzulässige Verkürzung meiner Antwort. Mit der früheren Bundeskanzlerin habe ich immer gut zusammengearbeitet, und ich sehe keinen Anlass, das im Nachhinein infrage zu stellen.

Sven Gösmann, Michael Fischer, Friederike Heine / fs
DPA

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