Münchner Spaziergang zu den ehemaligen Hoflieferanten – München

Eine bessere Werbung konnte Ludwig Beck kaum bekommen. In seiner Werkstatt fertigte er Knöpfe, Bänder, Kordeln, Posamenten und Epauletten mit so großem Geschick, dass König Ludwig II. ihn 1876 zum “Königlich bayerischen Hofposamentier” ernannte. Hoflieferant – das war ein Ehrentitel, mit dem sich zur Zeit der bayerischen Monarchie ausgewählte Handwerker oder Geschäftsleute schmücken durften. “Der junge Beck hatte unter anderem Betten und Kutschen des Märchenkönigs mit prächtigen Gold- und Silberposamenten verziert”, erzählt Josef M. Redl, gelernter Schneidermeister und langjähriger Mitarbeiter bei Ludwig Beck.

Das heutige Modehaus ist also ein guter Ausgangspunkt für die Stadtführung von Georg Reichlmayr zu ehemaligen Hoflieferanten. “Es gab ursprünglich ungefähr 800 bis 850 königlich bayerische Hoflieferanten”, sagt er. “Zwei Drittel waren im Großraum München angesiedelt.” Wie viele es genau waren, weiß man heute nicht, weil alle Dokumente, die in der Allerheiligen-Hofkirche der Residenz gelagert wurden, verbrannt sind, als die Kirche im Zweiten Weltkrieg weitgehend zerstört wurde. Die historische Forschung ist deshalb auf Unterlagen der Familien angewiesen, die einst den Titel trugen und so stolz drauf sind, dass sie ihr Wissen und ihre Geschichten gerne teilen.

Die Titel wurden seit 1852 vom königlichen Hofmeisterstab vergeben, besonders zahlreich in der Regierungszeit von Prinzregent Luitpold, der von 1886 bis zu seinem Tod 1912 das damalige Königreich Bayern regierte. Wer die Auszeichnung erhielt, durfte das Familienwappen der Wittelsbacher führen und Mitglieder der königlichen Familie beliefern. “Mit dem Titel wollte die Monarchie eine direkte Verbindung zwischen Hof, Unternehmertum und aufstrebendem Bürgertum schaffen”, sagt Reichlmayr. “Alle sollten die Monarchie lieben, das war die Absicht, die hinter dem Titel stand.”

Seit Ludwig Beck 2011 sein 150-jähriges Jubiläum feierte, führt das Unternehmen wieder offiziell das Wittelsbacher Wappen.

(Foto: Lorenz Mehrlich)

Kulturgeschichte: Einst einer der größten Arbeitgeber der Stadt: Roeckl - mit seinen Lederhandschuhen, Tüchern und Taschen.

Einst einer der größten Arbeitgeber der Stadt: Roeckl – mit seinen Lederhandschuhen, Tüchern und Taschen.

(Foto: Lorenz Mehrlich)

Heute ist – grob geschätzt – noch ein Prozent der ehemaligen bayerischen Hoflieferanten als lebendiger Familienbetrieb im Geschäft. So führt zum Beispiel Annette Roeckl in sechster Generation das gleichnamige Unternehmen für Handschuhe, Tücher und Taschen.

Kulturgeschichte: Maßschuhe fertigt Ed. Meier heute nicht mehr, aber beste Qualität ist für Peter Eduard und Brigitte Meier auch heute noch selbstverständlich.

Maßschuhe fertigt Ed. Meier heute nicht mehr, aber beste Qualität ist für Peter Eduard und Brigitte Meier auch heute noch selbstverständlich.

(Foto: Lorenz Mehrlich)

Peter Eduard und Brigitte Meier verkaufen in der Brienner Straße handgefertigte Schuhe, die sie als Gegenentwurf zur Obsoleszenz sehen, dem eingebauten Verschleiß vieler Produkte. Und weil so ein Paar rahmengenähter Budapester von Ed. Meier 1000 Euro und mehr kosten kann, bieten die beiden sogar Schuhputzseminare an, damit die edlen Schnürer möglichst lange halten. “Für unser Haus ist der Hoflieferanten-Titel ein unglaublicher Ansporn zu hoher Qualität”, sagt Brigitte Meier. Heute legten unzählige Normen und Zertifizierungen zwar fest, wie ein Produkt zu sein habe. Aber für herausragende Qualität stünden sie nicht unbedingt. Über das Modewort Nachhaltigkeit kann Brigitte Meier nur staunen: “Für uns ist es normal, dass Schuhe ein langes Leben haben und repariert werden können.”

Kulturgeschichte: Das verschnörkelte Gitter erinnert an das Wäschehaus Rosner & Seidl, das von Prinzregent Luitpold einst zum Hoflieferanten ernannt wurde. Der Regent steht links vom Wappen Wache.

Das verschnörkelte Gitter erinnert an das Wäschehaus Rosner & Seidl, das von Prinzregent Luitpold einst zum Hoflieferanten ernannt wurde. Der Regent steht links vom Wappen Wache.

(Foto: Lorenz Mehrlich)

Viele der einstigen Hoflieferanten gibt es heute nicht mehr. An sie erinnern allenfalls noch die Häuser, in denen sie ihre Geschäfte hatten. So findet sich über einem der Schaufenster des Kaufhauses Beck ein schmiedeeisernes Gitter, Reminiszenz an das Wäschehaus Rosner & Seidl. Friedrich Rosner hatte die Kunstschmiedearbeit 1913 anfertigen lassen. Sie ist eine Verbeugung vor dem Prinzregenten Luitpold, der darauf als Soldat wacht, und erinnert an das traditionsreiche Geschäft, in dem höhere Töchter ihre Aussteuer erhielten.

Ein paar Häuser weiter, dort, wo heute das italienische Modeunternehmen Diesel Jeans Lederjacken verkauft, fand sich einst der Trachtenausstatter Wallach, wo Damen und Herren sich für den perfekten Auftritt auf der Wiesn einkleiden ließen; berühmt war Wallach aber vor allem für seine Handweberei und Textildrucke. Gegenüber lag Max Bullinger, königlich bayerischer Hoflieferant für Papier und Schreibwaren, der später mit Andreas Kaut zu Kaut-Bullinger fusionierte und mittlerweile nicht mehr in der Innenstadt zu finden ist: Büromaterial wird meist im Internet gekauft.

Kulturgeschichte: Der Tabakwarenladen Zechbauer sieht von außen aus wie früher, im Inneren findet sich heute aber auch ein begehbarer Klimaraum, wo kostbare Zigarren lagern.

Der Tabakwarenladen Zechbauer sieht von außen aus wie früher, im Inneren findet sich heute aber auch ein begehbarer Klimaraum, wo kostbare Zigarren lagern.

(Foto: Lorenz Mehrlich)

Weiter geht’s zum Zechbauer. “Raucht noch jemand Zigarren?”, fragt Reichlmayr sein Publikum. Gelächter. Zechbauer hat unten im Geschäft, das nahezu unverändert im alten Stil erhalten ist, einen begehbaren Humidor eingebaut. Luftfeuchtigkeit und Temperatur sind so eingestellt, dass es der Havanna guttut, Luxus für eine kleine Zielgruppe. “Die Zechbauer-Familie lebt heute nicht nur von ihren Zigarren, sondern sicherlich auch von Mieteinnahmen”, sagt der Gästeführer.

“Das 18. Jahrhundert hat g’schnupft und Pfeife g’raucht. Das 19. Jahrhundert war das Zeitalter der Monarchen und Zigarren.” Es gebe etliche Fotografien, die den Prinzregenten Zigarre rauchend zeigen. “Der letzte Monarch, der Zigarre so geraucht hat wie der Luitpold, war Gerhard Schröder”, der frühere Bundeskanzler, sagt Reichlmayr. Eigentlich gehörte das 20. Jahrhundert der Zigarette. Und selbst die hat inzwischen einen schweren Stand.

Kulturgeschichte: Georg Reichlmayr bietet in München Kunst- und Kulturführungen an. Seine Gäste kommen meist aus der Region.

Georg Reichlmayr bietet in München Kunst- und Kulturführungen an. Seine Gäste kommen meist aus der Region.

(Foto: Lorenz Mehrlich)

Reichlmayr hat Geschichte studiert – “mit Schwerpunkt Mittelalter”, sagt er. “Aber deswegen finde ich mich in der Neuzeit schon zurecht.” Stadtführer wurde er, “weil dieser Beruf wunderbare Verbindungen herstellt zwischen der Vergangenheit und der eigenen Gegenwart.” Die Hoflieferanten-Tour ist neu im Programm. Wenn er so einen Rundgang entwickelt, müssen selbstverständlich die Fakten stimmen, aber es soll auch amüsant sein, sonst kommen die Leute ja nicht. Reichlmayrs Spaziergänge sind rasch ausgebucht. Meist sind es Münchnerinnen und Münchner, die sich für die Geschichte und Geschichten der Stadt interessieren.

Bei den Teilnehmern der Hoflieferanten-Tour spürt Reichlmayr “eine Sehnsucht nach Beständigkeit, nicht nach dem Königreich, aber nach einem Anker.” Diesen Halt fänden viele bei den ehemals königlich bayerischen Hoflieferanten. Dort, so glaubt man gerne, werden Traditionen gepflegt, die sich seit Jahrhunderten bewährt haben, und Werte wie Qualität hochgehalten. “Das ist paradox”, sagt Reichlmayr. “Den Titel hast du nicht nur bekommen, weil du gleichbleibend gute Qualität geliefert hast, sondern vor allem auch, weil du innovativ warst. Du musstest was Neues bringen, ein schwungvolles Unternehmen sein.” Überhaupt sei die Zeit des Prinzregenten “unglaublich dynamisch” gewesen.

Der rasante technologische Fortschritt in den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg habe vielen Menschen Angst gemacht. Sie fürchteten, nicht mehr Schritt halten zu können. Wer das perfekt ins Bild gesetzt hat, war Luitpold, der in der Lederhose zur Automobilausstellung reitet. “Dieses Klischee von Laptop und Lederhose hat weder Edmund Stoiber noch Roman Herzog erfunden, sie haben es nur aus der Schublade geholt”, sagt Reichlmayr.

Kulturgeschichte: Im einstigen Augustiner-Kloster am heutigen Frauenplatz wurde das beliebte Bier erstmals gebraut. Das Stammhaus der Augustiner-Brauerei ist um die Ecke in der Neuhauser Straße.

Im einstigen Augustiner-Kloster am heutigen Frauenplatz wurde das beliebte Bier erstmals gebraut. Das Stammhaus der Augustiner-Brauerei ist um die Ecke in der Neuhauser Straße.

(Foto: Lorenz Mehrlich)

Seine Führung endet im Augustiner Stammhaus. Die Geschichte von Münchens ältester Brauerei beginnt im Jahre 1294, als der Grundstein des Augustiner-Klosters auf dem heutigen Frauenplatz gelegt wurde. Zum Kloster gehörte auch ein Brauhaus, das nach der Säkularisierung 1803 privatisiert und an Therese und Anton Wagner verkauft wurde. Die beiden erhielten zwar niemals den Hoflieferanten-Titel, da Brauereien, Hotellerie und Gastronomie grundsätzlich davon ausgeschlossen waren. Allerdings ließen sich die Wagners von Feinkost Dallmayr, Rosner&Seidl oder Ludwig Beck beliefern. Diese Kundschaft der Hoflieferanten gehört auch zu so einem Rundgang.

“Wir wollen zeigen, wie das Großbürgertum damals gelebt hat”, sagt Augustiner-Wirt Thomas Vollmer, der durch die Wagner-Salons führt. So firmiert die einstige Privatwohnung der Brauerei-Dynastie heute. Ihre Welt ist weitgehend verschwunden aus München. Es gibt die berühmten Künstlervillen, Lenbachhaus und Villa Stuck, die längst Museen sind. Wie man sich aber das großbürgerliche Leben um 1900 vorzustellen hat, kann man sich in den Wagner-Salons anschauen, die direkt über der Wirtschaft liegen. Sie wurden aufwendig renoviert und dienen als Restaurant.

Kulturgeschichte: Damals wie heute: In den Wagner-Salons - der einstigen Privatwohnung der Brauerei-Dynastie - lässt sich vornehm speisen.

Damals wie heute: In den Wagner-Salons – der einstigen Privatwohnung der Brauerei-Dynastie – lässt sich vornehm speisen.

(Foto: Lorenz Mehrlich)

Dass Reichlmayrs Tour hierherführt, ist vor allem der freundschaftlichen Beziehung zu Thomas Vollmer zu verdanken. Es gibt aber noch eine Verbindung zwischen Brauerei und Hoflieferanten: den Architekten Emanuel von Seidl. Er hat die Augustiner-Wirtschaft mit ihrem berühmten Muschelsaal und die fünf Salons der Wagner-Familie entworfen, die rings um eine spektakuläre Wendeltreppe angeordnet sind. Großbürger, Industrielle und betuchter Adel hatten ein Faible für den Münchner Architekten. So baute er beispielsweise dem Brauer Georg Theodor Pschorr und dem Unternehmer Hugo von Maffei herrschaftliche Villen.

In der Zeit des Architekten Emanuel von Seidl entstand auch die Inneneinrichtung des Dallmayr mit den großen Säulen und dem marmorgefassten Lukullusbrunnen, in dem einst lebende Flusskrebse saßen. Für das Delikatessengeschäft wurden eigens Duftstraßen entwickelt, was damals neu war: Die Kundschaft sollte von Gerüchen frischer Lebensmittel geleitet werden, vom Käse über den Fisch zum Kaffee. Es funktioniert bis heute: “Sie wollen nur schnell ein paar Pralinen kaufen als kleine Aufmerksamkeit und kommen mit einem Lachs und einer Flasche Wein wieder heraus”, veranschaulicht der Stadtführer das Prinzip.

Kulturgeschichte: Unter der tüchtigen Therese Randlkofer erarbeitete sich das Delikatessenhaus Dallmayr den Hoflieferanten-Titel - und so manch andere Auszeichnung.

Unter der tüchtigen Therese Randlkofer erarbeitete sich das Delikatessenhaus Dallmayr den Hoflieferanten-Titel – und so manch andere Auszeichnung.

(Foto: Lorenz Mehrlich)

Therese Randlkofer, die nach dem frühen Tod ihres Mannes die Geschäfte übernahm, ist eine tatkräftige Frau. Unter ihrer Führung gehört Dallmayr um 1900 bald zu den besten Delikatessenhäusern Europas. Das Geschäft bekommt den Titel eines königlich bayerischen Hoflieferanten verliehen und zählt den deutschen Kaiserhof sowie eine Reihe europäischer Fürsten- und Königshäuser zu seinen Kunden. Therese Randlkofer sind solche Auszeichnungen außerordentlich wichtig, helfen sie doch beim Marketing. Insgesamt 15 Titel erarbeitete sich die Geschäftsfrau. “Die Monarchie belobigt einen Unternehmer, der freut sich, dass er von der Monarchie belobigt wird, und die Kunden freuen sich, dass etwas Glanz der Royals auf sie beim Einkauf abfällt”, sagt Reichlmayr. So lebt das Klischee bis heute.

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