Liveblog: ++ Spaenle: Schutz jüdischen Lebens als Staatsziel ++


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Stand: 24.10.2023 11:17 Uhr

Der bayerische Antisemitismusbeauftragte will der Bekämpfung von Antisemitismus Verfassungsrang einräumen. Frankreichs Präsident Macron hat Israel seine Solidarität ausgesprochen. Alle Entwicklungen im Liveblog.

Der gesellschaftliche Druck auf Israels Ministerpräsident Benjamin Netanyahu steigt von zwei Seiten, berichtet ARD-Korrespondent Oliver Mayer-Rüth. Einerseits werde vor dem Beginn einer erwarteten Bodenoffensive gewarnt – mit dieser müsse gewartet werden, bis die von der Hamas genommenen Geiseln in Sicherheit seien, sagen Unterstützerinnen und Unterstützer. Andere hingegen fordern harte Maßnahmen.

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat davor gewarnt, Muslime in Deutschland unter Generalverdacht zu stellen. Gleichzeitig müsse jeder verstehen, “dass wir es nicht dulden können, wenn Jüdinnen und Juden in unserem Land wieder in Angst leben müssen”, sagte Steinmeier laut eines Redemanuskripts im Schloss Bellevue. Dort findet zur Stunde eine Veranstaltung für Stipendiatinnen und Stipendiaten der Deutschlandstiftung Integration statt. Wer in Deutschland lebe, “der muss wissen, welche Verantwortung uns aus Auschwitz erwächst, der muss die Werte unseres Grundgesetzes respektieren”, betonte der Bundespräsident den Angaben zufolge.

Jüdisches Leben in Deutschland zu schützen, sei eine Aufgabe, “die jeden in unserem Land etwas angeht”. Rassismus und Menschenfeindlichkeit dürften nicht geduldet werden. Die Demokratie unterscheide nicht nach Abstammung und Religion. “Das gilt auch in diesen Schreckenstagen seit dem 7. Oktober, an dem die Terrororganisation Hamas 1.400 Israelis grausam ermordete und seitdem mehr als 200 Menschen in Geiselhaft hält”, so Steinmeier.

Der Journalist und Nahost-Experte Mirco Keilberth sieht eine drohende Auseinandersetzung mit dem Nachbarland Libanon als wichtigsten Grund, warum Israel bislang noch keine Offensive auf den Gazastreifen unternommen hat: Denn im Libanon liege “das wesentlich gefährlichere Schlachtfeld”. Der Libanon sei ein “Knotenpunkt in der Region” und ein von der Hisbollah hochgerüsteter Waffenstützpunkt – allgemein sei aber in der gesamten arabischen Welt eine “Mobilisierungsphase” der Öffentlichkeit gegen Israel im Gange.

Der Antisemitismusbeauftragte der bayerischen Staatsregierung, Ludwig Spaenle (CSU), hat sich dafür ausgesprochen, den Schutz jüdischen Lebens und die Bekämpfung von Antisemitismus in die bayerische Verfassung und das Grundgesetz als Staatsziel aufzunehmen. Dies würde staatliches Handeln in einen anderen Rahmen setzen, so der CSU-Politiker im Bayerischen Rundfunk. Zugleich rief er zu mehr Solidarität mit der jüdischen Bevölkerung auf. Er verwies auf Fälle von jüdischen Gemeinden in Bayern, die überlegen, keine Gottesdienste mehr zu feiern.

“Die Auswirkungen sind dramatisch und hier ist jetzt endlich Zeit für Klarheit. Wir müssen uns an die Seite der jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürger stellen und dann aber auch handeln.” Spaenle nannte als Beispiele Fragen des Aufenthaltsrechts oder beim Erwerb der Staatsbürgerschaft sowie Initiativen in Wissenschaft und Schulen. Auch müsse Israel eine Art Luftbrücke angeboten werden, “für israelische Menschen, zu uns zu kommen und hier eine Rückzugszone zu finden”.

Die USA unterstützen Medienberichten zufolge Israel bei der Vorbereitung einer Bodenoffensive im Gazastreifen auch mit der Entsendung hochdekorierter Militärs. So soll unter anderem der Drei-Sterne-General des Marine Corps, James Glynn, die israelischen Streitkräfte im Hinblick auf eine Invasion des dicht besiedelten Gebiets beraten, berichtete das Portal “Axios”. Die Entsendung Glynns, der schon im Irak die Terrormiliz IS bekämpfte, bestätigte das Pentagon auch der “New York Times”. Sie bedeute allerdings nicht, dass die USA Entscheidungen für Israel treffe, hieß es. Sollte der Truppeneinmarsch beginnen, werde Glynn nicht “am Boden” dabei sein, so das Pentagon.

Washington befürchtet nach Angaben der Zeitung, dass eine Bodenoffensive mit hohen Verlusten unter palästinensischen Zivilisten einhergehen könnte. Auch US-Verteidigungsminister Lloyd Austin habe in einem Telefongespräch am Montag mit seinem israelischen Amtskollegen Joav Galant erneut betont, wie wichtig der Schutz von Zivilisten sei, so die Pentagon-Mitarbeiter. Die US-Regierung hege jedoch auch Zweifel, ob die israelischen Streitkräfte für eine Bodenoffensive bereit seien.

Das israelische Militär rechnet mit einem längeren Kampf gegen die radikal-islamische Hamas im Gazastreifen. “Wir haben lange Wochen des Kampfes vor uns”, sagte Militärsprecher Daniel Hagari der Nachrichtenagentur Reuters zufolge. Für die nächste Phase des Krieges sei das Militär “bereit und entschlossen” und warte auf die Anweisungen der Politik. Bei den Verhandlungen über die Freilassung der von der Hamas gefangengenommenen Geiseln spiele Ägypten eine Schlüsselrolle, fügt Hagari hinzu. Die Freilassung der Geiseln habe für Israel oberste Priorität.

Nach seiner Ankunft in Tel Aviv hat Frankreichs Präsident Emmanuel Macron laut eigenen Angaben bei einem Treffen mit Angehörigen die Solidarität der Nation zum Ausdruck gebracht. Frankreich sei “durch Trauer” mit Israel verbunden, schrieb er auf X (vormals Twitter). 30 französische Staatsbürger seien bei dem Massaker der islamistischen Hamas ermordet worden. Neun weitere werden demnach noch immer vermisst oder als Geiseln gehalten.

Medienberichten zufolge sind tagsüber weitere Treffen mit Israels Ministerpräsident Benjamin Netanyahu sowie Präsident Izchak Herzog geplant. In der vergangenen Woche hatte Macron gesagt, in den Nahen Osten zu reisen, sobald es eine Aussicht auf konkrete Verhandlungen zwischen Israel und der Hamas gebe. Für ihn sei wichtig, eine konkrete Einigung erzielen zu können, die Lage zu deeskalieren sowie über humanitäre Fragen zu reden.

“Bisher sind über 2.000 Anträge eingegangen von der ultraorthodoxen Bevölkerung”, so Armeesprecher Daniel Hagari. Politikwissenschaftlerin Nechumi Yaffe schätzt, dass etwa 30 Prozent der Ultraorthodoxen bereit sind für den Wehrdienst. Weitere 20 Prozent könnten sich vorstellen, andere Aufgaben zu übernehmen. Beim Militär ist die Rede von einer historischen Gelegenheit.

Israels Botschafter in Deutschland, Ron Prosor, hat die Forderung aus der EU nach einer humanitären Feuerpause für den Gazastreifen abgelehnt. “Die Antwort ist Nein”, sagte Prosor bei RTL/ntv. Die Hamas greife Israel weiter mit Raketen an und halte viele Geiseln in ihrer Gewalt. Prosor sagte, dass die angekündigte israelische Bodenoffensive vor allem mit Blick auf mögliche Befreiungen noch nicht begonnen habe.

Der Chef der konservativen EVP-Fraktion im Europäischen Parlament, Manfred Weber, hat die Rolle Europas bei der finanziellen Unterstützung der Palästinenser hervorgehoben. “Wir als Europäer sind der größte Geldgeber für die Palästinensischen Gebiete, wir haben in den letzten Jahren und Jahrzehnten die Lehrer bezahlt, die Krankenschwestern bezahlt, die Ärzte bezahlt”, sagte der CSU-Politiker im Deutschlandfunk. “Wir haben den Staat, die Palästinensischen Gebiete, am Laufen gehalten.” Falls notwendig, sei man auch bereit, diese Mittel zu erhöhen – allerdings dürften sie nicht in den Taschen der Terrorgruppe Hamas landen.

Problematisch sei derzeit wegen der geschlossenen Grenzposten zum Gazastreifen, wie Hilfe überhaupt zu den Bedürftigen gelangen könne. “Wir alle wissen, dass wir Krieg gegen Hamas führen, aber nicht den Krieg gegen die Palästinenser führen”, sagte Weber. Gleichzeitig verteidigte er Israels aktive Rolle in dem Konflikt nach den Terrorangriffen der Hamas auf dessen Bürger. “Das Selbstverteidigungsrecht Israels steht nicht zur Debatte”, sagte der EU-Politiker, müsse sich aber im Rahmen des Völkerrechts bewegen. In der jetzigen Situation einen Waffenstillstand zu fordern, lehnte Weber ab.

Im Konflikt zwischen der radikal-islamischen Hamas und Israel sind nach Angaben der britischen Regierung mindestens zehn britische Staatsbürger getötet worden. Weitere sechs Personen würden noch immer vermisst, teilte die Staatssekretärin im Finanzministerium, Victoria Atkins, im “Times Radio” mit.

Bei nächtlichen israelischen Luftangriffen auf den Gazastreifen sind nach Angaben der dort herrschenden radikalislamischen Hamas, auf die sich die Nachrichtenagentur AFP bezieht, mindestens 140 Menschen getötet worden. Hunderte weitere seien verletzt worden, teilte die Hamas mit. Seit Beginn des Kriegs zwischen Hamas und Israel vor mehr als zwei Wochen sind nach Angaben der radikalislamischen Miliz, die nicht unabhängig überprüft werden konnten, mindestens 5.087 Menschen im Gazastreifen getötet und mehr als 15.000 weitere verletzt worden.

Konfliktparteien als Quelle

Angaben zu Kriegsverlauf, Beschuss und Opfern durch Stellen der palästinensischen und der israelischen Konfliktparteien können in der aktuellen Lage zum Teil nicht unmittelbar von unabhängiger Stelle überprüft werden.

Die israelische Luftwaffe hat nach eigenen Angaben erneut Hunderte Ziele im Gazastreifen bombardiert und dabei mehrere Kommandeure der islamistischen Hamas getötet. Wie das israelische Militär auf Telegram bekanntgab, seien im Verlaufe des vergangenen Tages mehr als 400 “Terrorziele” getroffen worden. In einer “großangelegten Operation zur Zerschlagung der terroristischen Kapazitäten der Hamas” habe man Dutzende Hamas-Kämpfer getroffen, die sich darauf vorbereitet hätten, Raketen abzufeuern und Terroranschläge gegen Israel zu verüben.

Ein Kampfflugzeug habe zudem einen Tunnelschacht der Hamas bombardiert, der Terroristen einen schnellen Zugang zur Küste ermöglichte, hieß es. Ferner seien in der Nacht Kommandozentralen von Hamas-Aktivisten und Aufenthaltsorte in von der Hamas genutzten Moscheen angegriffen worden. Die stellvertretenden Kommandeure von drei Bataillonen der Islamistenorganisation seien getötet worden.

Der französische Präsident Emmanuel Macron ist zu einem Besuch in Israel eingetroffen. Seine Maschine landete auf dem Flughafen Tel Aviv. Geplant sind Gespräche mit Ministerpräsident Benjamin Netanyahu, Präsident Izchak Herzog sowie den Oppositionspolitikern Benny Gantz und Jair Lapid.

Im Gazastreifen sind binnen 24 Stunden sechs weitere Mitarbeiter des UN-Hilfswerks für palästinensische Flüchtlinge (UNRWA) getötet worden. Damit starben seit dem Großangriff der radikalislamischen Hamas auf Israel am 7. Oktober und dem Beginn der israelischen Luftoffensive bereits 35 Mitarbeiter des Hilfswerks in dem Palästinensergebiet, wie das UN-Büro für humanitäre Angelegenheiten (OCHA) mitteilte. “Wir trauern und wir denken an sie. Das sind nicht nur Zahlen. Dies sind unsere Freunde und Kollegen”, erklärte das UNRWA im Onlinedienst X, ehemals Twitter. Bei vielen Opfern handele es sich um Lehrer, die in vom UNRWA betriebenen Schulen arbeiteten. 

Auch UN-Generalsekretär Antonio Guterres trauerte um den Verlust von “35 unserer UNRWA-Kollegen – humanitäre Helfer, Lehrer – die seit dem 7. Oktober im Gazastreifen getötet wurden”. “Wir stehen an der Seite der Kollegen, die alles tun was sie können, um Bedürftigen zu helfen”, erklärte Guterres im Onlinedienst X. 

Die radikal-islamistische Hamas verwehrt nach Angaben des israelischen Militärs Krankenhäusern im Gazastreifen von ihr gehorteten Treibstoff. Die Hamas habe “mehr als” eine Million Liter Treibstoff gelagert, “gibt diesen aber nicht an bedürftige Krankenhäuser ab”, erklärte der israelische Armeesprecher Jonathan Conricus in der Nacht auf der Plattform X (vormals Twitter). “Die Hamas ist für das Leid in Gaza verantwortlich, nicht Israel”, sagte der Sprecher.

Hilfsorganisationen der Vereinten Nationen beklagen, dass mit den ersten Hilfslieferungen in den Gazastreifen bislang kein Treibstoff in das Gebiet gelangte.

US-Präsident Joe Biden hat in einem Telefonat mit dem israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanyahu die Notwendigkeit, “einen kontinuierlichen Strom” humanitärer Hilfe in den Gazastreifen aufrechtzuerhalten, unterstrichen. Zudem habe er sein “Engagement für die laufenden Bemühungen zur Freilassung aller verbleibenden Geiseln der Hamas” bekräftigt, teilt das US-Präsidialamt mit. Er habe Natanyahu auch über “die US-Unterstützung für Israel und die laufenden Bemühungen zur regionalen Abschreckung, einschließlich neuer US-Militärstützpunkte” informiert. Einzelheiten der Unterstützung nannte das Weiße Haus zunächst nicht.

Chinas Außenminister Wang Yi hat in dem ersten Telefonat mit seinem israelischem Kollegen seit dem Großangriff der Hamas auf Israel auf das Recht “aller Länder” auf Selbstverteidigung verwiesen. “Alle Länder haben das Recht auf Selbstverteidigung”, sagte Wang im Gespräch mit Eli Cohen, wie das Außenministerium in Peking mitteilte. Dabei sollten sie “das humanitäre Völkerrecht einhalten und die Sicherheit der Zivilsten schützen”, betonte er demnach. Wang sagte außerdem zu, China werde “sein Bestmögliches” tun, um Bemühungen zu unterstützen, die “zum Frieden beitragen”. 

Der ehemalige US-Präsident Barack Obama hat Israel zur Zurückhaltung im Nahost-Konflikt aufgerufen. “Die Entscheidung der israelischen Regierung, eine eingeschlossene Zivilbevölkerung (im Gazastreifen) von Nahrungsmitteln, Wasser und Strom abzuschneiden, droht nicht nur eine wachsende humanitäre Krise zu verschlimmern, sondern könnte auch die palästinensische Haltung für Generationen verhärten, die weltweite Unterstützung für Israel unterlaufen, Israels Feinden in die Hände spielen und die langfristigen Bemühungen um Frieden und Stabilität in der Region untergraben”, sagte Obama in einer seltenen Stellungnahme zu einer aktuellen außenpolitischen Krise. Es war nicht klar, ob Obama seine Erklärung mit US-Präsident Joe Biden abgestimmt hatte, der acht Jahre lang Vizepräsident unter Obama war.

Annalena Baerbock soll als Gastrednerin im Sicherheitsrat auftreten. Die Vereinten Nationen, so die grüne Außenministerin, müsse in die Lage versetzt werden, Menschen im Gazastreifen helfen zu können. Zwei Resolutionen zum Nahostkonflikt waren in dem Gremium vergangene Woche gescheitert.

Die Forderung nach einem sofortigen humanitären Waffenstillstand in Gaza hat das US-Außenministerium mit Zurückhaltung kommentiert. Man müsse darüber nachdenken, was das für Israel angesichts der vergangenen und andauernden terroristischen Angriffe bedeute, sagte der Sprecher Matthew Miller. “Jeder Waffenstillstand würde der Hamas die Möglichkeit geben, sich auszuruhen, aufzurüsten und sich darauf vorzubereiten, weitere terroristische Angriffe gegen Israel zu verüben”, sagte er.

Auch der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell hatte in Luxemburg zuvor auf die Frage nach dem Unterschied zwischen Forderungen nach einer humanitären Feuerpause (Englisch: “humanitarian pause”) und den von den Vereinten Nationen vorgebrachten Forderungen nach einem humanitären Waffenstillstand (“humanitarian ceasefire”) erklärt, dass für ihn ein Waffenstillstand weit mehr sei als eine Feuerpause.

Bei einem Waffenstillstand brauche es eine Vereinbarung zwischen den Parteien, erklärte Borrell in Luxemburg. Eine Feuerpause sei dagegen schneller umzusetzen. Gleichzeitig gebe es lediglich eine zeitlich begrenzte Einstellung von Angriffen. So etwas brauche man, um humanitäre Hilfe sicher in den Gazastreifen bringen zu können.

Die israelische Armee hat nach eigenen Angaben ein Ziel der Hamas in einem Flüchtlingslager im Gazastreifen angegriffen. Der Angriff habe einem Stützpunkt der Hamas im Lager Al-Schati an der Mittelmeerküste gegolten, erklärt ein israelischer Militärsprecher, ohne weitere Einzelheiten zu nennen. Die von der Hamas kontrollierte Gesundheitsbehörde im Gazastreifen spricht von Dutzenden Toten und Verletzten. Palästinensische Medien berichten von fünf Toten in dem Lager. Die Berichte konnten zunächst nicht unabhängig überprüft werden.

Die USA haben Forderungen nach einer Waffenruhe im Gazastreifen zurückgewiesen. Frankreichs Präsident Macron wird am Dienstag in Israel erwartet. Die Entwicklungen im Liveblog.

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