Sie waren mal ein Team. Dann regierten sie das Land. Doch in Schröders Kanzlerschaft zerbrach ihr Verhältnis. Die wichtigsten Momente einer eigenartigen Beziehung.
1. Das Recht des Erstgeborenen
Oskar Lafontaine kommt am 16. September 1943 zur Welt – eine Viertelstunde nach seinem Zwillingsbruder, der den Namen des Vaters erhält. Viele Jahre später wird Oskar Lafontaine sich und seinen Parteigenossen Gerhard Schröder in einer Pressekonferenz als Zwillinge bezeichnen – diesmal aber will er das Recht des Erstgeborenen durchsetzen. Gerhard Schröder wurde sieben Monate nach Lafontaine geboren: am 7. April 1944. Noch im Alter von 66 Jahren wird Lafontaine auf diesen Altersunterschied beharren: 2010 erklärt er in einem stern-Interview, er sei grundsätzlich für eine Aussprache mit seinem Erzfeind bereit. Aber: “Es gibt Regeln im Leben: Der Jüngere grüßt den Älteren.“
2. Blutiger Aufstieg in der SPD
Zunächst wird die Geburtenordnung, wenn auch nicht abgesprochen, eingehalten: In den siebziger Jahren steigen beide Männer in der SPD auf, dabei ist Lafontaine Schröder stets eine Etappe voraus: Als Schröder 1978 Juso-Chef wird, regiert Lafontaine schon seit Jahren als Oberbürgermeister in Saarbrücken. 1985 wird er in seiner Heimat Ministerpräsident. Schröder schafft das in Niedersachsen erst fünf Jahre später. Allerdings gewinnt er die Landtagswahl nicht ohne die Hilfe Lafontaines, wie er seinem Genossen makaber mitteilt: „Der Stich in den Hals hat zwei Prozent gebracht.“ Drei Wochen zuvor hatte eine psychisch-erkrankte Frau Lafontaine bei einem Wahlkampfauftritt mit einem Fleischermesser attackiert und seine Halsschlagader nur knapp verfehlt. Er sei nicht gerade begeistert von Schröders Formulierung gewesen, sagte Lafontaine später ebenfalls im stern. Aber so sei Schröder eben gestrickt. Direkt. Eine gemeinsame Sprache finden die beiden nur auf der politischen Bühne. Private Freunde werden sie nie.
3. Konkurrieren zwei, freut sich der Dritte
Spätestens 1993 ist klar, dass Schröder Lafontaine bei seinem Aufstieg überholen will: Der Niedersachse will Kanzlerkandidat werden. Der Weg nach ganz oben verläuft für Schröder über den Bundesvorsitz. Im Juni kandidiert er. Doch Rudolf Scharping gewinnt. Lafontaine hingegen tritt gar nicht erst an – er hofft, später mit einem schwachen Scharping im Parteivorsitz selbst als rettender Kanzlerkandidat gerufen zu werden. Am Ende verkalkulieren sich beide: Scharping wird nicht nur SPD-Bundesvorsitzender, sondern auch Kanzlerkandidat. Aber auch er verliert: Die Bundestagswahl 1994. Im Machtspiel der Sozis ist wieder alles offen.
4. Schulter an Schulter gegen Kohl
1995 wählen die Genossen zum ersten Mal in ihrer Geschichte einen Parteivorsitzenden ab. Scharping verliert auf dem legendären Mannheimer Parteitag die Kampfabstimmung. Gegenkandidat Oskar Lafontaine gewinnt haushoch. Gerhard Schröder unterstützt seinen Genossen. Lafontaine wird noch Jahrzehnte später beteuern, sie seien nicht mit der Absicht zum Parteitag gefahren, Scharping vom Thron zu stoßen. Andere aber sprechen von einer Intrige. Die zwei schweißt ein Ziel zusammen: Die SPD soll 1998 endlich die Kohl-Ära beenden und nach 16 Jahren CDU-Regierung die Macht zurückerobern. Wie sie diese Macht nutzen soll, welche inhaltlichen Pläne die beiden Männer trennen, darüber streiten sie öffentlich selten.
5. Kanzler Schröder von Lafontaines Gnaden
Im Wahlkampf ist lange unklar, wer Kanzler werden soll. Lafontaine ist in der Partei beliebt, aber Umfragen sehen Schröder vorne. Der erklärt die Landtagswahl in Niedersachsen zur Abstimmung in dieser Frage. Als Schröder im März 1998 erneut die absolute Mehrheit holt, fügt sich Lafontaine seinem Schicksal: Schröder bekommt die Hauptrolle, er soll Kanzler werden. Aber Lafontaine möchte gerne der Regisseur bleiben. Er bringt die SPD auf Kurs, zermürbt die CDU von der Oppositionsbank aus, und stellt sich auf seine mögliche Rolle als Finanzminister ein – auch weil er glaubt, als „Schatzkanzler“ nach britischem Vorbild die Politik Schröders aus der zweiten Reihe kontrollieren zu können. Schröder hält dagegen: „Es gibt keinen Schatz – und Kanzler werde ich.“
6. Nach dem Siegesrausch folgt der Kabinettskater
Am Abend des Wahlsieg 1998 jubeln die beiden Machtmänner Hand in Hand. Das Kalkül ist aufgegangen: Als kumpelhaftes Duo haben die beiden mehr Stimmen geholt, als je eine Partei vorher bei einer Bundestagswahl. Doch auf den Siegesrausch folgt der Kater: Schon in den Koalitionsverhandlungen treten die Differenzen der beiden zu Tage. Der Grüne Jürgen Trittin analysiert später, dass die Grünen mit zwei Parteien verhandelt hätten: Der Schröder-SPD und der Lafontaine-SPD. Die Arbeitsteilung des Wahlkampfes: Lafontaine für die linke sozialdemokratische Seele, Schröder für die Kohl-müde Mitte – blockiert im Regierungsalltag.
7. Gebrochene Versprechen
Noch im Wahlkampf hatte Schröder Lafontaine versprochen, wichtige Entscheidungen als Kanzler nur mit ihm zusammen zu treffen – und ihre Absprache angeblich mit einem Glas Schnaps besiegelt. So erzählte es Lafontaine noch Jahre später, er nahm das Versprechen ernst. Und musste bald lernen, dass Schröder es damit nicht so genau nahm. So sagt er den Amerikanern die deutsche Beteiligung am Kosovokrieg zu, bevor er Lafontaine darüber informierte. Auch von Schröders Plänen zur „Demontage des Sozialstaates“, wie Lafontaine die Agenda 2010 nennt, erfährt er mehr aus der Bildzeitung, als vom Kanzler selbst. Schröder vertrete in diesen beiden Kernfragen das Gegenteil von dem, was er vertrete, sagte Lafontaine später dem Spiegel. Das sei nicht das, was sie im Wahlprogramm vereinbart hatten. Lafontaine fühlte sich von Schröder und vielen anderen Sozialdemokraten verraten.
8. Plötzliche Trennung
Lafontaines Plan, dem Kanzlerstar im Hintergrund sein Drehbuch vorzuschreiben, geht nicht auf. Die beiden liefern sich Anfang 1999 einen erbitterten Machtkampf. Statt sich persönlich auszusprechen, wird im Bundestag gezischt, im Kabinett gestichelt. Am Abend des 10. März 1999 erreicht Lafontaine die Meldung, Schröder habe wegen ihm mit Rücktritt gedroht. Der Finanzminister ist außer sich, schreit seine Presseberaterin an, sie solle beim Gerd anrufen, er solle das dementieren. In der Nacht trifft er sich noch mit einem Schröder Vertrauten, klagt ihm sein Leid: „Er oder ich“, soll Lafontaine gesagt haben. Die Entscheidung trifft er dann ganz allein. Am nächsten Tag bringt ein Bote einen Umschlag in Schröders Bonner Büro. „Für Herrn Bundeskanzler – persönlich“, steht darauf. Ohne Vorwarnung tritt Lafontaine von seinen Ämtern zurück. Von allen. Niemand ist darauf vorbereitet. Alle versuchen, ihn zu erreichen, doch Lafontaine ist schon auf dem Weg nach Hause. Drei Tage verschanzt er sich bei seiner Familie in Saarbrücken, wo Reporter das Haus belagern. Dann nennt er das „schlechte Mannschaftsspiel“ in der Regierung als Grund. Noch vermeidet er, Schröder persönlich anzugreifen.
9. Schröders härtester Kritiker
Mit den Jahren wird Lafontaine zum schärfsten Kritiker der Agenda-Politik. Er schreibt in Zeitungen, spricht in Talkshows darüber. Und wird gehört. Bei den Protesten gegen die Hartz-Reformen ziehen Zehntausende auf die ostdeutschen Straßen. Lafontaine zieht mit. Schröders Sozialreform sei „Armut per Gesetz“, sagt er. 2005 gibt Lafontaine sein rotes Parteibuch ab. Er wechselt zur neugegründeten Wahlalternative Arbeit & soziale Gerechtigkeit (WASG), die durch seine Initiative bald mit der SED-Nachfolgepartei PDS verschmilzt. Als Spitzenkandidat des neuen Wahlbündnisses ringt Lafontaine bei den Bundestagswahlen 2005 der SPD schmerzlich viele Stimmen ab. Und sieht dann zu, wie Schröder sein Kanzleramt peinlich polternd verliert. Als der Altkanzler kurz darauf den Job wechselt, kommentiert Lafontaine im stern: Eigentlich sei es ihm egal, “ob Schröder oder irgendein russischer Mafioso nun viel Geld von Gasprom kassiert.“ Aber man könne sich schon fragen, “ob ein ehemaliger Kanzler sich in die Verpflichtungen eines russischen Staatsunternehmens einspannen lassen kann.”
10. Jahrelanges Schweigen – und vielleicht eine Versöhnung
Als Lafontaine 2009 an Krebs erkrankt, übermittelt ihm Schröders damalige Ehefrau öffentlich Genesungswünsche. Das berührt den Linkenchef: Er habe ihr geschrieben und gedankt, sagte er dem stern. Auch für eine Aussprache mit ihrem Ehemann sei er bereit – dieser müsse als Jüngerer jedoch auf ihn zukommen (siehe oben). Doch Schröder scheint nicht mal die lebensgefährliche Erkrankung dazu zu bewegen, auf seinen einstigen Genossen zuzugehen. 2012 fragt eine Satiresendung ihn auf einer Veranstaltung, bei der auch Lafontaine anwesend ist, ob er sich nicht mit ihm versöhnen wolle. Schröder dreht sich auf dem Absatz um und geht. Nun aber ist das 24 Jahre lange Schweigen zu Ende: Schröder gratuliert im aktuellen stern Lafontaine zum achtzigsten Geburtstag. Mehr noch: Die beiden Männer haben sich, begleitet von ihren Ehefrauen, bereits im Mai bei Lafontaine zu Hause im Saarland getroffen und fünf Stunden miteinander ausgesprochen, wie Vertraute erzählen. Wurde ja auch Zeit.
Telefonate, ein Geheimtreffen und jetzt ein Glückwunsch zum Geburtstag: Gerhard Schröder und Oskar Lafontaine bemühen sich um Versöhnung. Kann ihr Bruch heilen?