Kytes: So will die Band international durchstarten

Die Indie-Band Kytes verrät im Interview, was ihr drittes Studioalbum zu bieten hat und warum die Musiker neuerdings farbenfrohe Anzüge.

Die Münchner Band Kytes veröffentlicht am 27. Juli ihr neues Album “To Feel Something At All”. Was hinter dem Albumtitel steckt, warum die vier Bandmitglieder neuerdings mit rosa Anzügen auftreten und warum TikTok ein leidiges Thema für die Musiker ist, erzählen Schlagzeuger Timothy Lush (30) und Sänger Michael Spieler (31) im Interview mit der Nachrichtenagentur spot on news.

Was war bei der Arbeit an “To Feel Something At All” anders als bei den Alben davor?

Timothy Lush: Beim dritten haben wir uns mehr überlegt, wo wir hinwollen. Eine Prämisse war, dass es Songs sein müssen, auf die wir live total Lust haben. Da wir schon immer eine Band sind, die Bock auf schnelle, energiereiche Songs hat, konnten wir das gut eingrenzen. Die zwei Alben davor waren mehr eine Sammlung von Songs, die in einem Zeitraum entstanden sind, da waren auch langsamere dabei. Die haben wir dieses Mal in der Schublade gelassen.

Michael Spieler: Die Arbeit an dem Album war auch anders. Wir waren dazu eineinhalb Wochen in Kärnten in einer verlassenen Hütte, mitten im Nirgendwo, das war super. Dich stört niemand, du bist aus deiner gewohnten Umgebung und kannst voll bei der Musik sein. Es gab zu fast allen Songs schon Ideen, aber dort haben wir das Album einfach fertig gemacht. Der strukturierte Workflow in diesen zehn Tagen hat uns sehr geholfen.

“To Feel Something At All”: Was bedeutet der Titel für euch?

Lush: Es ist eine Textzeile aus dem Song “Out Of Time”. Wir haben lange überlegt, ob wir das Album nicht wie den Songtitel nennen sollen, wollten aber nicht ein Lied besonders herausstellen. “To Feel Something At All” fanden wir als Thema gut, was sich durch das Album zieht, also dieses irgendwas fühlen, was vom Leben wollen. Wir sind alle in komplett unterschiedlichen Lebenslagen. Aber was uns auf jeden Fall eint, ist, dass wir was machen wollen, wo wir richtig was fühlen. Sei es im Privaten oder auch mit der Band, fühlen ist einfach gut.

Im Video zu “Out Of Time” und auch auf der Bühne tragt ihr neuerdings Anzüge, zum Beispiel in rosa. Wie kam es zu der Idee?

Lush: “Out Of Time” ist doppeldeutig, für mich heißt es nicht, dass man keine Zeit mehr hat, sondern dass etwas aus der Zeit gefallen ist. Das war auch ein Thema des Albums, dass wir Indie-Musik in einer Zeit machen, wo wir eigentlich strategisch gesehen Musik für TikTok machen sollten. Die Idee des Videos war dann, dass wir Zeitreisende sind, die durch eine Galaxie steuern und dass es eigentlich keine Zeit gibt. Passend zum Astronauten-Look hat uns eine Designerin dann die Anzüge gemacht. Die fanden wir vor Ort so cool, dass wir sie auch für die Bühne haben wollten.

Spieler: Ich dachte nicht, dass wir das durchziehen, aber dann wurden gleich noch welche in Pink, Braun, Grün und Rot bestellt (lacht).

Lush: In der Band hatten wird schon länger das Thema, wie wir auf der Bühne noch mehr eine Einheit sein können und ob wir uns bei den Outfits nicht mehr abstimmen sollten. Wir haben das total unterschätzt, was so Anzüge für eine Wirkung haben. Wir sind nicht die super stylischen verrückten Künstler, die man sofort auf der Straße erkennt. Beim Modular Festival in Augsburg dieses Jahr haben wir in unseren Outfits unseren Bus eingeladen und bestimmt 25 Leute wollten Fotos von uns machen. Selbst ich als Drummer wurde erkannt – Wir haben uns zum ersten Mal in der Kytes-Geschichte wie echte Stars gefühlt (lacht).

Die Anzüge sind in jedem Fall auch TikTok würdig. Ist die Plattform denn überhaupt kein Thema bei euch?

Lush: Für mich ist es schon ein Thema, weil ich jede Chance, dass Leute unsere Musik hören können, eigentlich gerne nutzen würde. Wir als Band strugglen damit, unser Marketing-Team fordert auch immer wieder, dass wir was posten sollen. Das ist bei mir schon zu einem negativen Trigger-Wort geworden – lasst uns in Ruhe, wir machen einfach nur Musik (lacht). Ich mag es nicht, wenn alle denken, das ist jetzt die eine Lösung, wie man ein Album zu promoten hat. Was ich aber an der TikTok-Generation schätze ist, dass je echter und mit weniger Filter die Videos sind, desto besser funktionieren sie. Ich mag die Idee daran und finde es sympathisch, weil es gefühlt echter ist als irgendwelche Verkleidungen oder aufwendig produzierte Videos.

Spieler: Für mich fühlt es sich an wie eine Lotterie, wenn ein Video viral geht. Es stresst mich, weil ich mir denke, dass es eigentlich nicht so schwer sein kann, so ein Video zu machen. Andere Bands, die irgendwelche Songs covern und nicht mal besonders gut sind, haben auf einmal 180.000 Views. Gleichzeitig ist dieses Vergleichen mit anderen total nervig, Musik ist kein verdammter Wettbewerb. Es geht nicht darum, wer mehr Instagram-Follower oder mehr Spotify-Hörer hat, sondern die Fans sollten beides gut finden und am besten auf beide Konzerte gehen.

Mit dem Song “Help Me” thematisiert ihr, dass man sich oft zu wenig Hilfe sucht und diese viel öfter einfordern sollte. Sprecht ihr da aus eigenen Erfahrungen?

Spieler: Ich habe bei mir selbst gemerkt, dass ich Fan davon bin, wenn ich Sachen alleine schaffen kann, wo ich niemand anderen damit nerven muss oder niemandem zur Last falle. Aber ich finde es sehr wichtig, dass man sich eingesteht, wenn man Hilfe braucht, weil fast alle Dinge zu zweit oder zu dritt einfacher sind.

Lush: Auch wenn es einem Mal nicht gut geht, sollte man sich nicht davor scheuen, seinen Kumpel anzurufen und sich mit ihm auf ein Bier zu treffen. Das machen wir alle viel zu selten.

Sprecht ihr denn in der Band viel miteinander?

Lush: Auf jeden Fall. Für mich sind es meine besten Freunde und es ist verrückt, dass wir als Kumpels das Privileg haben, so ein Business zusammen zu machen. Trotzdem habe ich gemerkt, dass wir auch an unseren Freundschaften arbeiten müssen. Nur weil wir dreimal die Woche Bandprobe haben oder im Studio oder auf Tour sind, findet man nicht immer die Zeit, die tiefsten Gespräche zu führen und mal nicht über Musik zu reden. Es ist immer ein Spagat.

Gab es schon echte Krisen in der Band?

Lush: Corona hat uns auf jeden Fall zugesetzt. Im Februar kam unser zweites Album heraus, im März war plötzlich Pandemie. Wir haben versucht, das Album weiter zu promoten, mit Instagram-Livestreams usw. Und dann war Mai, Juni und wir hatten diese Liste von 25 Festivals, die dann doch nicht stattfinden konnten. Wir haben noch versucht weiter zu wursteln, haben dann aber gemerkt: ‘Okay, wir müssen darüber quatschen, was das emotional gerade mit uns macht. Eigentlich würden wir gerade auf irgendwelchen Bühnen stehen, stattdessen sitzen wir alle zu Hause.’ Im Sommer haben wir dann sechs Wochen Pause gemacht und auch keine Proben gehabt und uns wenig gesehen.

Spieler: Das hat uns auch gutgetan. Wir haben verstanden, dass eine Band einfach wie eine Beziehung ist und dass du sogar mit drei Menschen und drei verschiedenen Charakteren zusammen bist und es womöglich noch komplizierter ist.

Lush: Mit drei verschiedenen Köpfen kann es auf jeden Fall anstrengend sein. Aber wir können mit Stolz sagen, dass wir in der Band auf jeden Fall eine Demokratie pflegen. Wie in der Politik kann das auch bedeuten, dass wir in Entscheidungen sehr langsam sind, weil nicht einfach einer alles entscheidet, sondern alle irgendwie mitlabern wollen (lacht). Aber am Ende ist es einfach gesünder, wenn es nicht den einen Boss gibt.

Spieler: Das ist wichtig für das Gesamtprojekt, dass die Leute komplett dahinterstehen können.

Dazu gehört auch, dass ihr seit 2018 unter eigenem Label veröffentlicht?

Lush: Auf jeden Fall, ich mag es, dass wir mehr Entscheidungskraft und Selbstbestimmung haben, dass uns niemand vorschreibt, wie unser Musikvideo zu sein hat oder für was wir unser Geld ausgeben sollen. Am Ende des Tages war es auch eine wirklich glückliche Entscheidung, zwei Jahre vor Corona. So konnten wird durch Streaming Geld einnehmen. Wären wir bei irgendeinem Label gewesen wären, hätten wir nur einen Bruchteil von dem Geld bekommen.

Mit dem Album geht es Ende des Jahres auch auf Tour. Es ist die größte, die ihr bisher gemacht habt. Hat sich die Planung einer Tour durch Corona etc. verändert?

Lush: Wegen Corona habe ich kein Unsicherheitsgefühl mehr. Ich bin eher dankbar dafür und schätze es mehr, dass wir diese Konzerte spielen dürfen. Wir Menschen tendieren leider immer dazu, dass wir schnell alles für selbstverständlich nehmen. Wir müssen uns ab und zu mal vor Augen halten, was wir überhaupt geschafft haben und das dann auch mal kurz feiern.

Nach vorne blickend: Welche Ziele habt ihr als Band?

Lush: Als Indie-Band wollen wir so viel wie möglich live spielen. Wir versuchen zum Beispiel, dass wir international mehr Support-Shows spielen können. Wir machen das Ganze jetzt schon ein bisschen länger und sind nicht mehr so naiv wie 2015, als wir uns die Welttournee erträumten. Wir wissen jetzt, dass da viel dranhängt und dass eine Tour in Amerika gerne mal 50.000 Euro oder mehr kosten kann. Wir haben da immer noch voll Bock drauf, aber wollen Schritt für Schritt gehen, England ist jetzt erst einmal das Ziel. Wir arbeiten mit Booking-Agenturen zusammen und haben zum Beispiel die Idee, dass wir eine Band aus England zu der Tour von uns dazu holen und danach einfach tauschen und wir bei ihnen spielen.

Spieler: Die Support-Shows sind einfach die beste Promo, die du kriegen kannst. Du fährst irgendwo hin, wo dich kein Mensch kennt und spielst vor 2.000 Leuten, weil du dir einen guten Slot gesichert hast.

Der Verkauf von Tickets und die Marktmacht von Ticketanbietern sind derzeit ein großes Thema. Wie seht ihr das?

Lush; Ich finde es wichtig, dass es keine Monopolstellung gibt. Ich finde es wichtig, dass es so Sachen gibt wie Eventbrite und dass Eventim nicht einfach alles kontrolliert. Gleichzeitig ist es wie bei Spotify oder Apple, man will natürlich mitspielen und wir wollen auch, dass Leute unsere Tickets kaufen. Sich ganz rauszunehmen und zu sagen, wir machen bei dem ganzen System nicht mit, ist nicht unser Ding. Es gibt ja auch Vorteile für den Käufer, man kommt schnell, unkompliziert und vertrauensvoll an Tickets. Wir wollen vor allem, dass es fair abläuft und die Leute nicht abgezogen werden. Künstler sollten immer wieder auf Schwarzmarkt- und Fake-Tickets aufmerksam machen und die Fans warnen. Sodass zumindest keiner Tickets kauft und damit Geld machen kann.

Wie seht ihr die Entwicklung bei den Ticketpreisen?

Lush: Als Band hast du durchaus Einfluss auf den Ticketpreis. Wir haben bei dieser Tour gesagt, dass ein Ticket, die Gebühren nicht miteinberechnet, nicht mehr als 30 Euro kosten soll. Wir machen uns viele Gedanken darüber, zum Beispiel wo wir überhaupt spielen, wie viel die Miete der Location kostet und ob es vielleicht mehr Sinn macht, zweimal in einer kleineren Halle zu spielen. Viele Bands lassen München aufgrund der hohen Mieten in der Tour-Planung mittlerweile komplett raus, weil es sich nicht mehr rentiert. Ich hoffe, dass Kultur hier nicht ausstirbt und dass es weiterhin Orte gibt, wo Bands spielen können. Mehr Unterstützung von der Stadt wäre da auf jeden Fall angebracht.

SpotOnNews

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