Koch Max Strohe über seine wilden Jahre voller Sex, Drugs und Kochlöffel

Max Strohe hatte in seinem Leben schon eine Menge Sex, einige Drogen und ein bisschen Rock’n’Roll. Dann kam Berlin. In seinem autobiografischen Buch “Kochen am offenen Herzen” erzählt der Sternekoch von wilden Zeiten vor dem Ruhm.

Max Strohe ist sowas wie ein Alchemist. Was er anfasst, wird zu Gold. Sein Berliner Speiselokal Tulus Lutruk trägt einen Michelin-Stern, er selbst zählt zu den 100 besten Köchen Deutschlands. Gerade erst holte er beim Rolling Pin Award die Auszeichnung “Koch des Jahres”. Die Sonne schien aber nicht immer auf ihn. In seiner Jugend labte sich Strohe vor allem an der Selbstzerstörung, das Chaos war sein ständiger Begleiter. Nun hat der Sternekoch über diese Zeit ein Buch geschrieben. Der stern hat mit ihm über den jungen Max Strohe gesprochen.

Herr Strohe, Sie sind, das muss ich schon sagen, ein Schlawiner. Sie, ein Koch, nennen Ihr autobiografisches Buch “Kochen am offenen Herzen” und erzählen dann aber von einem verdrogten Taumel durchs Leben und Sex, viel Sex. Das Kochen selbst spielte in Ihren beruflichen Anfangsjahren wohl eine eher untergeordnete Rolle …

Ja, total. Genauso, wie ich es aufgeschrieben habe, waren früher meine Prioritäten. Heute ist das Kochen Teil meines Lebensmittelpunkts. Früher war‘s das Kochen eben nicht. Früher habe ich nicht so gerne gekocht. Ich glaube, was ich am Kochsein gut fand, war, dass man bis tief in die Nacht arbeiten konnte. Tendenziell war es möglich, ein rauschhaftes Leben zu führen und gleichzeitig zu arbeiten. Das hat sich irgendwann natürlich geändert – Gott sei Dank. Ewig hätte man das auch nicht machen können. 

Sie schreiben: “[Ich] Möchte dekadent Schindluder und Raubbau an meinen eigenen Ressourcen betreiben, ohne dass es jemand merkt”. Was trieb Sie damals an?

Ach. Mhm. Ja. Ich weiß es auch nicht so recht. Ich habe, während ich das Buch schrieb, natürlich viel darüber nachgedacht, was mich damals eigentlich so abgefuckt hat und warum ich so schnell gelebt habe. Aber mir ist nichts Schlimmes in meiner Kindheit passiert. Ich bin behütet in einem kleinen Dorf aufgewachsen. Es gab keine Traumata, auf die man das schieben könnte. Ich glaube wirklich, dass es das Nachahmen berühmter Rockstars war. Ich wollte einfach Jim Morrison sein. Oder Kurt Cobain. Oder beide. Das waren meine Helden. Ich habe deren Musik gehört, Bücher gelesen, Filme über sie geguckt und dachte, dass der einzige Weg zu existieren sei, sich abzuschießen und fertig durchs Leben zu laufen. So wie es Jim Morrison halt auch gemacht hat.

Sie erzählen schonungslos. Nicht nur Sie selbst, auch die Menschen, die Ihnen in diesen Jahren begegneten, bekommen Ihr Fett weg. Allen voran ein Küchenchef, ein sogenannter Gerd Speer, der als Tyrann beschrieben wird – haben Sie keine Sorge, sich im Nachgang eine Ohrfeige einzufangen?

Ich habe sehr offen und ehrlich über meine Zeit früher geschrieben. Die meisten Personen, die im Buch auftauchen, mussten wir natürlich verfremden und die Namen sind bei den allermeisten natürlich auch geändert. Aber die Geschichten, die ich erzähle, basieren schon auf echten Erlebnissen.

Sie waren einer, der das Scheitern scheute und gleichzeitig perfektionierte. Angefangen beim Schulabbruch, über die versiebte Lehre bis hin zu provozierten Kündigungen und Kurzzeit-Obdachlosigkeit. Haben Sie etwas zu bereuen?

Ach ja, ich glaube nicht. Ich bereue nix, weil ich mir schönrede, dass ich jetzt nicht in den nächsten fünf Jahren in eine harte Midlifecrisis reinschlittere. Ich habe schon alles mitgenommen, was geht. Also nö. Aber natürlich hätte man Dinge auch anders machen können.

Nämlich?

Ganz oft sehe ich, wie 20-jährige Jungs hier bei mir in der Küche arbeiten, genau wissen, was sie wollen und schon sehr, sehr gut in was sind. Ich habe ja erst mit 30 angefangen, gut in etwas zu werden. Natürlich hätte ich zehn Jahre mehr in die Rente einzahlen, vielleicht bisschen was sparen und schon in jungen Jahren einen besseren Job haben können. Das habe ich alles verpasst, das muss ich nachholen. Aber das bereue ich nicht. Es ist ein Stück weit schon auch cool, solche Geschichten parat zu haben. Es sind ja verwegene Geschichten.

Würden Sie diese Antwort auch Ihrer Tochter geben?

Habe ich mich auch s­­­­chon gefragt. Meine Tochter ist zwölf. Es gibt bei diesem Buch keine Sperre wie beim Macbook, die verhindert, dass man bestimmte Sachen sieht, obwohl man noch keine 18 ist. So ein Buch kriegt man immer und überall zu kaufen. Und ich bin jetzt nicht scharf darauf, dass sie es liest. Ich würd’s ihr auch nicht vorlesen.

Sie waren wirklich kein Kind der Unschuld. Auch im Buch machen Sie sich im wahrsten Sinne des Wortes nackt, bei so mancher Sexszene d­ürften Lesern die Ohren glühen. Warum diese Episoden?

Naja, ich wusste anfangs gar nicht, ob ich überhaupt schreiben kann. Und Sexszenen sind mir tatsächlich am leichtesten gefallen. Wenn ich irgendwo anders nicht reingekommen bin, habe ich einfach über Sex geschrieben. Dadurch habe ich meinen Rhythmus gefunden. Die Passagen sind kurz, haben es allerdings in sich. Außerdem lese ich selbst Sexszenen super, super gerne und bin immer enttäuscht, wenn sie nicht explizit genug sind. Ich habe früher sehr viel Henry Miller gelesen und dort ist Sex sehr explizit. Ich bin aber auch ein schonungslos kitschiger Romantiker. Ich gucke manchmal Krimiserien bloß, weil ich denke, vielleicht verlieben sich zwei ineinander und sind am Ende ein Paar. Ich habe das Buch aufgeschrieben, wie ich es gern lesen würde – und weil mir das in der Literatur fehlt. 

Nicht nur von Frau zu Frau auch von Stadt zu Stadt sind Sie getingelt, gingen gar ins Ausland. Nirgendwo blieben Sie wirklich lang. Und dann auf einmal der Wunsch nach einer Heimat. Ausgerechnet in Berlin, einer Stadt, die Sie, wie Sie schreiben, so schrecklich fanden, dass Sie sich vorstellen konnten, zu bleiben. Was kann Berlin, was Ihre Heimat, das Ahrtal, nicht konnte?

Keine Ahnung. Es war auf jeden Fall möglich, hier in der Anonymität zu versinken. Es war ein Neuanfang. Es kannte mich nicht jeder schon und wusste, wo ich irgendwo mal betrunken rumgelegen habe. Ich kannte hier ein, zwei Leute, bei denen bin ich erst einmal untergekommen. Aber sonst … das Nachtleben war es jedenfalls nicht. Ich war in Berlin noch nie in einem Club, auch nicht im Berghain. Das habe ich alles nicht gemacht.

Der Berliner Sternekoch Tim Raue spielt keine kleine Rolle in der Erzählung Ihres Werdegangs. Kann man ihn als ein Vorbild bezeichnen?

Natürlich. Dass ich jetzt mit Tim Raue rumhänge, ist in etwa so, als würde ich mit Kurt Cobain rumhängen – also für mein früheres Ich. Tim war immer ein Vorbild. Seine Straßenjungenvergangenheit, die Gewalt, seine Selfmade-Geschichte fand ich schon sehr, sehr beeindruckend. Ich fand den auch gut, weil er immer laut war, immer polarisiert hat. Entweder die Leute lieben ihn oder sie hassen ihn, auch hier in der Stadt. Trotzdem hat er immer sein Ding gemacht. Das fand ich geil. Und es schmeckt auch gut bei dem, gell?! Der packt sich selbst auf die Teller und es ist intensiv und laut, teilweise grell und wahnsinnig gut.

Wer kocht heutzutage besser: Tim Raue oder Max Strohe

Halloooo??? Das kann ich doch nicht beantworten. Ich würde sagen, wir vertrauen da auf die gängigen Institutionen. Tim hat zwei Sterne, wir haben nur einen. Ich glaube aber, dass ich mehr koche als Tim Raue. 

Inzwischen gehören Sie zur deutschen Kochelite, tragen einen Michelin-Stern und obendrauf das Bundesverdienstkreuz am Revers, sind regelmäßig im TV zu sehen und nun auch Autor. Was würde ihr 15-jähriges Cobain-Morrison-Ich über den Strohe heute denken?

Ah, der würde den hassen. Der würde sagen: Was für ein Wichser. Manchmal kommen Leute aus der alten Heimat hier in den Laden. Die Wenigsten haben so viel Geld, dass sie sich das Essen hier leisten können. Dann lade ich die natürlich ein. Das ist denen unangenehm und mir auch. Vereinzelt kommt da schon auch mal so ein Vorwurf: Bist du jetzt zu dem geworden, was du früher scheiße fandest? Zählt nur noch das rosa Poloshirt? Und so weiter.Interview mit Max Strohe

Buchcover von "Kochen am offenen Herzen"

“Kochen am offenen Herzen: Lehr- und Wanderjahre” von Max Strohe ist am 24. September 2022 bei Klett Cotta erschienen, 256 Seiten, 22 Euro.

Oh.

Ich glaube aber auch, dass mir der 15-Jährige, wenn er wüsste, welchen Weg ich gegangen bin, auf die Schulter klopfen würde: “Haste gar nicht so schlecht gemacht und bist gar nicht so ein großes Arschloch geworden.” Sind ja nicht alle Arschlöcher, die erfolgreich sind. Das war früher so ein bisschen mein Riot, nach dem Motto: Ich bin sehr links, sehr Punk und alle die Geld haben, sind Arschlöcher.

Ihr Vater war ganz anders. Vor meinem inneren Auge sehe ich ihn als einen Playboy der alten Schule, Gunter Sachs oder Rolf Eden. Er hat Sie mit dem “guten Leben”, einer anderen Form des Genusses bekannt gemacht. Wären Sie ohne seinen Einfluss Sternekoch geworden?

Nein! Tendenziell will ja jeder seine Eltern stolz machen. Ich habe meinen Vater erst mit 15 kennengelernt, das heißt, ich hatte bisschen was aufzuholen. Wenn er mich nicht dafür bewundert hätte, wie ich eine Seezunge auseinanderbaue oder eine Hollandaise aufschlage, dann hätte ich nicht weitergekocht.

Kochen hatte früher nicht so ein Rockstarimage wie das heutzutage der Fall ist, es war mehr “Wer nichts wird, wird Wirt”. Ich habe mich damals immer ein wenig geschämt, wenn mich jemand gefragt hat, was ich beruflich mache. Deswegen habe ich irgendwann probiert, das Abitur nachzumachen, was natürlich nicht geklappt hat, weil ich eigentlich überhaupt keinen Bock darauf hatte. Mein Vater hat damals zu mir gesagt, dass das Abitur Quatsch sei und Kochen ein geiler Beruf. Wenn er mir das nicht gesagt hätte, hätte ich nicht weiter gekocht.

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