Klimawandel: Welche Rolle spielte er im Extremwetter-Jahr 2023?

Erneut endet ein Jahr mit Hitzerekorden, extremen Wetterereignissen und Umweltkatastrophen. Ist der Klimawandel schuld an allem? Ein Rückblick.

Das Wetter hatte in diesem Jahr einiges zu bieten: Von eisigen Winter- und wütenden Tropenstürmen über extreme Hitze, Trockenheit und Waldbrände bis hin zu sintflutartigen Regenfällen und schlammigen Fluten war alles dabei. 2023 ist noch nicht einmal zu Ende, da überschlagen sich bereits Prognosen und Eilmeldungen zu Hitzerekorden der vergangenen zwölf Monate. Das Jahr, da ist sich die Forschung einig, hat alle bisherigen Messungen übertrumpft – zumindest was die Temperaturen angeht. Es geht nicht nur als das heißeste Jahr der Wetteraufzeichnungen in die Geschichte ein. Es soll sogar so heiß gewesen sein wie seit 125.000 Jahren nicht mehr.

Nur Klimawissenschaftler sind sich nicht ganz sicher, welche Rolle der Klimawandel genau bei all den Extremwetterereignissen gespielt hat. “Zu sagen, Extremwetterereignisse werden durch den Klimawandel grundsätzlich häufiger, wäre nicht richtig”, heißt es auf der Seite der Klima-Initiative des Helmholtz-Instituts.

Ob der menschengemachte Klimawandel für die verheerenden Waldbrände in Griechenland und Kanada verantwortlich war oder für die heftigen Fluten in China, Libyen und Osteuropa? Es kommt drauf an, sagen Attributionsforscher wie Ben Clarke vom Grantham Institute für Klimawandel und Umwelt am Imperial College in London, die sich genau mit solchen Fragen beschäftigen. Mit verschiedenen Klimamodellen wird das Wetter dabei in verschiedenen Szenarien simuliert – einmal in einer hypothetischen Atmosphäre ohne menschlichen Einfluss und unter aktuellen Bedingungen mit erhöhtem Treibhausgehalt.

Was bedeutet das für das Klimajahr 2023? Ein Überblick über die extremsten Wetterereignisse:

Extremhitze

Noch nie in der Geschichte der Wetteraufzeichnungen war es so heiß wie am 6. Juli 2023: Die globale Durchschnittstemperatur lag bei 17,08 Grad Celsius. Die ersten Temperaturrekorde meldeten insbesondere Länder im Süden Europas; die italienische Hauptstadt Rom zählte zu den Spitzenreitern. Berechnungen zufolge hat der Sommer 2023 alle bisher gemessenen Temperaturrekorde gebrochen.

Ein Mann kühlt sich mit Wasser ab.

Ein Mann kühlt sich in Madrid mit Wasser ab. Der 6. Juli 2023 dürfte als heißester Tag in der Geschichte der Wetteraufzeichnungen eingehen. Die globale Durchschnittstemperatur lag bei 17,08 Grad Celsius. 

© Ricardo Rubio / EUROPA PRESS / DPA

Das sagt die Wissenschaft: Die diesjährigen Hitzerekorde wären ohne den anthropogenen Klimawandel niemals aufgestellt worden, so Ben Clarke, wobei auch das Wetterphänomen El Niño eine Rolle gespielt habe (mehr dazu lesen Sie hier). “Unsere Studie ergab, dass die extremen Hitzewellen, die Europa und Nordamerika im Juli heimsuchten, durch den Klimawandel um 2 bis 2,5 Grad Celsius heißer geworden sind.” Besonders betroffen sind mehreren wissenschaftlichen Untersuchungen zufolge die Mitte und der Osten Nordamerikas, Mittel- und Südeuropa, West- und Zentralasien und der Süden Afrikas.

Dürre

Trockene Flussbetten oder niedrige Pegelstände in Fließgewässern versetzten im Frühjahr die französischen Behörden in Alarmbereitschaft: 30 Tage lang kein Regen, die Böden litten noch unter der Trockenheit aus dem vergangenen Jahr, hieß es. In einigen Regionen des Landes wurden Maßnahmen zu Wassersparen verhängt, bevor es überhaupt richtig heiß werden konnte. Auch in Deutschland war es für die Jahreszeit viel zu trocken. Medien schrieben von einer “Winterdürre”.

Das sagt die Wissenschaft: Der Deutsche Wetterdienst unterscheidet vier verschiedene Arten von Dürre:

Global gesehen sind Länder und Regionen unterschiedlich stark betroffen. Dürren entstehen, wenn es zu wenig regnet. Der Klimawandel kann sie verstärken. “Unsere Studien haben ergeben, dass lang anhaltende Dürren am Horn von Afrika und in Westasien durch den Klimawandel viel intensiver geworden sind”, sagt Clarke.

Waldbrände

2023 gab es keinen Kontinent, der nicht von starken Waldbränden betroffen war. In der kanadischen Provinz Québec brannte es im Juni derartig, dass der Rauch über die Grenze zog und die US-Metropole New York in einen orangefarbenen Schleier hüllte. In Australien bekämpfte die Feuerwehr gigantische Buschbrände, im unteren Drittel Afrikas loderte es, ebenso in Teilen Asiens und Lateinamerikas. In Europa sorgte vor allem der Brand auf der griechischen Insel Rhodos für Aufsehen: 20.000 Menschen mussten in Sicherheit gebracht werden, mehrere Naturschutzgebiete wurden zerstört.

Feuerwehrleute versuchen, einen Waldbrand in der Nähe von Mendigorria in Spanien unter Konrtolle zu bringen. Im Jahr 2023 brannte es in verschienden europäischen Ländern. Besonders verheerend waren die Feuer auf der griechischen Urlaubsinsel Rhodos,

© Alvaro Barrientos / AP / DPA

Das sagt die Wissenschaft: Bei Waldbränden sind sich Forscher überwiegend einig, dass der Klimawandel selbst keine Feuer auslöst. Er begünstigt sie aber. Fachleute sprechen vom “Feuerwetter”. Trockenheit, kaum oder kein Niederschlag und hohe Temperaturen sorgen für genug Brennmaterial. Doch erst menschliche Unachtsamkeit oder Blitzeinschläge lösen Brände aus (mehr dazu lesen Sie hier).

Studien zeigen, dass besonders im Westen der USA und in Kanada, im Mittelmeerraum, Amazonien, Südostasien und Australien das Waldbrandrisiko massiv gestiegen ist. Grund dafür sind die Erderwärmung und Trockenheit. Laut Weltklimabericht hat sich die Waldbrandsaison zwischen 1979 bis 2013 um knapp 19 Prozent verlängert. Bis 2050 soll sich die Brandhäufigkeit im Vergleich zur Jahrtausendwende um fast 20 Prozent erhöhen.

Stürme

In den USA ging das Jahr chaotisch los: Über Kalifornien, Alabama und Nevada tobten Stürme, die wochenlang heftige Schnee- und Regenfälle mit sich brachten. In einigen Regionen regnete es innerhalb von 50 Tagen so viel wie sonst in zwölf Monaten. Erstmals seit Jahrzehnten warnten die kalifornischen Behörden vor Blizzards. Der US-Präsident musste für die Bundesstaaten Kalifornien und Alabama den Notstand ausrufen. Mindestens 15 Menschen starben durch die Unwetter.

Im Februar rauschte Zyklon “Freddy” über den Indischen Ozean und die Ostküste Afrikas. Betroffen waren die Insel Madagaskar sowie die Länder Malawi und Mosambik. Meteorologen bezeichnen “Freddy” als den langlebigsten Wirbelsturm, der jemals aufgezeichnet wurde. Er dauerte von Anfang Februar bis Mitte März und forderte mehr als 1400 Todesopfer.

Das sagt die Wissenschaft: Winter- und Wirbelstürme könnten wegen der Erderwärmung seltener auftreten, dafür aber heftiger ausfallen, so Klimaforscher Clarke. Besonders gut belegt sei der Zusammenhang zwischen Klimawandel und Stürmen für den Nordatlantik: “Wegen des Klimawandels wird erwartet, dass starke Hurrikane wie Katrina 2005 und Maria 2017 nicht nur mit erhöhter Niederschlagsmenge, sondern auch mit extremeren Windgeschwindigkeiten zunehmen werden”, sagt der Wissenschaftler. 

Hurrikane der Stärke drei bis fünf haben sich laut einer Studie im Fachmagazin “Pnas” zwischen 1979 und 2017 verfünffacht. Gleichzeitig haben sie innerhalb von 60 Jahren an Geschwindigkeit eingebüßt, werden also langsamer.

Für die tropischen Regionen gibt es dagegen kaum gesichertes Wissen, weil es an Wetterdaten mangelt. Forscher beobachten jedoch, dass sich die Zugbahnen der Tropenstürme im westlichen Pazifik nach Norden verlagern, “was zu extremen Bedingungen in Gebieten führen kann, in denen dies in der Vergangenheit nicht der Fall war”, erklärt Clarke.

Starkregen

Im August spülten starke Regenfälle Teile Österreichs und Sloweniens weg. Besonders schlimm war die Lage in Libyen: In dem afrikanischen Land konnten zwei Staudämme den Wassermassen nicht Stand halten. Die Fluten ergossen sich Richtung der Küstenstadt Darna. Mehr als 5000 Menschen starben. Ausgelöst wurde die Katastrophe vom Sturmtief Daniel im östlichen Mittelmeerraum. Davon betroffen waren auch Griechenland, die Türkei und Bulgarien. Die libysche Regierung sprach von den schwersten Regenfällen seit 40 Jahren.

Das sagt die Wissenschaft: Welche Rolle der Klimawandel bei nassen Extremereignissen spielt, ist noch nicht abschließend geklärt. Dafür sind nach Einschätzungen von Meteorologen und Klimawissenschaftlern mehr Daten nötig. Klar ist nach Einschätzung von Klimaforscher Clarke aber, dass Regenfälle durch erhöhte Temperaturen intensiver werden, “weil eine wärmere Atmosphäre mehr Wasser aufnehmen kann”. Der Klimawandel könnte demnach das Ausmaß der Regenfälle etwa in Osteuropa verstärkt haben.

Überschwemmungen

Auf extreme Hitze und Trockenheit folgten in China heftige Überschwemmungen. Tausende Menschen aus mehreren Provinzen mussten evakuiert werden. Auch die Hauptstadt Peking war betroffen.

Das sagt die Wissenschaft: “Starke Regenfälle sind zwar oft die Hauptursache für Überschwemmungen, aber menschliche Faktoren wie Landnutzung und Infrastruktur können sie verschlimmern”, erklärt Klimaforscher Clarke. Manche Überschwemmungen, etwa im Ahrtal, hätte es nach Einschätzung von Wissenschaftlern auch ohne Erderwärmung gegeben, weil die Böden in der Region überwiegend versiegelt sind und das Wasser nicht mehr aufsaugen können.

Ob der Klimawandel selbst das Flutrisiko steigert, ist in der Forschung allerdings umstritten. Laut den Analysen des Weltklimarates sollen starke Regenfälle beispielsweise in Ostasien wegen der Erderwärmung häufiger auftreten. Andere Untersuchungen zu den Überschwemmungen in China zeigen, dass lang anhaltende Starkregenfälle von kürzeren Extremereignissen mit Sturzfluten abgelöst werden. “Es ist daher wahrscheinlicher, dass die extremen Überschwemmungen, die China 2023 erlebt hat, durch den Klimawandel verstärkt wurden, aber die Beweise sind immer noch relativ schwach und hängen von der Art der betreffenden Niederschlagsereignisse ab”, so Clarke.

Dass das Flutrisiko in den kommenden Jahren auf allen Kontinenten steigt, gilt allerdings als sehr wahrscheinlich. Denn der Klimawandel trocknet die Böden aus und Niederschläge können nicht mehr so gut oder gar nicht aufgenommen werden.

Klimaforscher auf der Suche nach einer Erklärung

Nicht alle Wetterereignisse lassen sich also mit dem Klimawandel erklären. Dennoch weiß die Wissenschaft: Hitzewellen werden durch ihn verursacht, viele andere Extremereignisse werden durch ihn wahrscheinlicher. Zudem beeinflusst die globale Erwärmung, wie stark ein Wirbelsturm oder ein Waldbrand ausfällt “und kann zu Ergebnissen führen, die ohne ihn nicht möglich gewesen wären”, fasst Klimaforscher Clarke zusammen.

Derzeit gibt es 70 verschiedene Modelle, in denen Wetter- und Klimaveränderungen mit unterschiedlichen Bedingungen teilweise bis zu 200 Mal simuliert werden. Allerdings gibt es nicht für alle Wetterereignisse ein passendes Modell. Hitzewellen und Starkregen lassen sich einfacher untersuchen, weil ihre Hintergründe weniger kompliziert sind als bei Stürmen oder Waldbränden.

Die Attributionsforscherin Friederike Otto resümiert daher in einem Interview: “Letztendlich kann man allein auf Grundlage von Beobachtungen aus 100 Jahren keine Aussage über ein Jahrhundertereignis treffen. (…) Wir (brauchen) mehr Daten, um überhaupt Statistik zu Extremereignissen betreiben zu können.”

Quellen: Klima-Initiative Helmholtz-Institut, IPCC, Science Media Center, “Spektrum der Wissenschaft“, “Nature Climate Change“, Deutscher Wetterdienst, Carbon Brief, IPCC, “Pnas

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