Jemen: Im Roten Meer droht eine historische Ölkatastrophe

Im Roten Meer liegt die “FSO Safer”. Der Tanker gehört den Houthi-Rebellen im Jemen. Wegen des Bürgerkrieges wurde er acht Jahre lang vernachlässigt – mit dramatischen Folgen.

Knapp neun Kilometer vor der Küste des Jemen dümpelt die Ölplattform “FSO Safer”. Der 47 Jahre alte Tanker ist so groß wie drei Fußballfelder und führt über eine Million Barrel Öl. Der Jemen wäre für Wartung und Instandhaltung verantwortlich. Doch seit 2014 tobt in dem Land ein Bürgerkrieg zwischen den Iran-treuen Houthi-Rebellen und der unter anderem von den USA und Saudi-Arabien unterstützen international anerkannten jemenitischen Regierung. Der Tanker hat deshalb seit Jahren keine frische Schraube mehr gesehen. Ohnehin ist er längst veraltet: In der Industrie gilt eine kommerzielle Lebensdauer für Öltanker von rund 25 Jahren.

Jetzt ist das Gefährt rostig geworden, Wasser soll in die Maschinenräume eingedrungen sein. Die Vereinten Nationen befürchten, dass das Schiff auseinanderbricht oder explodiert. Die Folge wäre eine historische Ölkatastrophe. Die UN haben deshalb Geld für eine Rettungsaktion gesammelt, die nun angelaufen ist.

Was passiert jetzt mit dem Tanker? Welche Folgen hätte eine Ölpest für die Region und Wie viel kostet die Rettungsaktion? Die wichtigsten Fragen und ihre Antworten:

Warum retten die UN einen Tanker?

1976 wurde die “Safer” als Supertanker gebaut und wird seit 1986 als schwimmender Ölcontainer genutzt. Seitdem der Bürgerkrieg im Jemen tobt, ist der Tanker außer Betrieb und rottet auf dem Roten Meer vor sich hin. Seewasser soll in den Maschinenraum gelaufen sein und die Rohre beschädigt haben. Leitungen und Schiffswände rosten, hochexplosive Gase können nicht abgesaugt werden.

Der Tanker soll viermal so viel Öl gelagert haben, wie die “Exxon Valdez”, die 1989 havarierte und damit die bisher wohl schlimmste Ölkatastrophe auslöste. Die Katastrophe, die nun im Roten Meer droht, könnte noch größer sein, befürchten die Vereinten Nationen. Das Schiff gilt als nicht reparierbar und soll deshalb abgepumpt und anschließend entfernt werden.

Zwei Jahre lang hat die UN Gelder bei Mitgliedstaaten und privaten und öffentlichen Unternehmen gesammelt. Von dem Geld kaufte die Organisation ein Schiff, auf dem das Öl der “Safer” zwischengelagert werden soll. Die Rettungsaktion begann am 25. Juli, am 10. Juli hatten die Houthi-Rebellen die Erlaubnis dafür gegeben. Laut dem Chef des UN-Entwicklungsprogramms (UNDP), Achim Steiner, handelt es sich um eine schwierige Mission. Bis das Öl aus dem Tanker vollständig abgepumpt wurde, können zwei bis drei Wochen vergehen. Danach muss die “Safer” noch gesäubert, abgeschleppt und entsorgt werden.

Was würde eine Ölpest für die Region bedeuten?

Eine Ölkatastrophe könnte die Anrainerstaaten am Roten Meer empfindlich treffen. Auch der Schiffsverkehr im Suezkanal, eine der am meisten befahrenen Wasserstraßen der Welt, wäre betroffen. Ebenso die Touristen, von denen die Region zum Teil lebt, könnten wegbleiben.

Eine Ölpest würde weitere Lebensmittellieferung und humanitäre Hilfe für den Jemen über die Häfen Hodeidah und Saleef unterbrechen. Wie lange, ist unklar. Zudem stehen Millionen Existenzen auf dem Spiel: Viele Menschen am Roten Meer leben vom Fischfang. Allein im Jemen könnten 200.000 Fischereiexistenzen vernichtet werden, schätzen die UN. Anwohner wären zudem lebensbedrohlichen Giftstoffen ausgesetzt. Zusätzlich müssten Entsalzungsanlagen stillgelegt werden – mit dramatischen Folgen für die Wasserzufuhr.

Aber auch die Umwelt ist gefährdet. Schon ein Leck in der “Safer” könnte die Luft durch giftige Gase verschmutzen, schreiben die UN. Experten der Organisation rechnen damit, das sich die Fischbestände bei einer Ölpest erst in 25 Jahren erholen würden. Ein Ölteppich könnte nicht nur die jemenitische Küste erreichen, sondern auch Saudi-Arabien, Eritrea, Dschibuti und Somalia erreichen. Das Rote Meer zu reinigen würde nach UN-Angaben 20 Milliarden Dollar kosten.

Was kostet die Rettungsaktion?

Ursprünglich sollte die Rettungsaktion 83 Millionen Dollar kosten. Heute sind es 143 Millionen (rund 128 Millionen Euro). Deutschland hat zwölf Millionen Dollar beigetragen und gehört damit zu den großzügigsten Geberländern. Die Regierung im Jemen, der das Schiff gehört und die für die Wartung zuständig gewesen wäre, steuerte nach UN-Angaben fünf Millionen Dollar bei.

Zögerlich beteiligt hätten sich die Öl- und Energieindustrie, sagte UNDP-Chef Steiner. “Wo sind die Öl- und Gaskonzerne der Welt, die sich hier stärker einbringen können?” fragte er im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur.

Insgesamt sind bei der Crowdfunding-Aktion 121 Millionen Dollar zusammengekommen – zu wenig, um die Katastrophe vollständig zu verhindern.

Was fehlt noch?

Um das Schiff abschleppen und den Müll entsorgen zu können, brauchen die Vereinten Nationen noch 22 Millionen Dollar. Denn nur weil das Öl aus dem Tanker abgepumpt wurde, ist die Gefahr nicht gebannt. Die darin enthaltenen Ölreste gefährden das marine Ökosystem im Roten Meer weiterhin. Wenn der Tanker explodiert oder durch den Rost auseinanderbricht, könnten die Überreste freigesetzt werden.

Warum ist die Aktion so herausfordernd?

Das Öl wird derzeit von Spezialisten der niederländischen Bergungsfirma Smit abgepumpt. Das Unternehmen hatte bereits 2021 geholfen, als ein Frachtschiff den Suezkanal blockierte. “Wir arbeiten in einer Kriegszone”, sagt Steiner. Das Gebiet um den Tanker und in der Nähe der jemenitischen Küste ist teilweise vermint. Im Umkreis von 90 Minuten Flugzeit befinden sich Flugzeuge mit Chemikalien, die im Notfall erste Schutzmaßnahmen durchführen können.

Die politische Lage im Jemen ist eine Herausforderung. Denn die Bürgerkriegsparteien können die Rettungsaktion jederzeit stoppen. Die Küste, vor der der Tanker liegt, wird von den Rebellen kontrolliert. Das Öl an Bord des Tanker gehört aber der staatlichen Ölgesellschaft – auf die beide Konfliktparteien Anspruch erheben.

“Aufgrund des Konflikts und des mangelnden Vertrauens gab es lange Verzögerungen bei den Verhandlungen, um die Zustimmung der jemenitischen Parteien zu erhalten, und bei der Beschaffung der erforderlichen Mittel”, sagte Musaed Aklan, leitender Forscher für Umwelt und Wasser am Sana’a Center For Strategic Studies der “New York Times”. “Es ist offensichtlich, dass FSO Safer als Kriegsinstrument eingesetzt wird.”

Was passiert mit dem umgeladenen Öl?

Darüber wird noch diskutiert. Nach UN-Angaben soll das Öl verkauft und der Erlös der Bevölkerung im Jemen zugute kommen.

Was bedeutet die Aktion für den Konflikt im Jemen?

Die Rettungsaktion war das Ergebnis langer Verhandlungen mit den jemenitischen Konfliktparteien. Beide einigten sich im März 2022 auf die Rettungsaktion, bei der die Vereinten Nationen vermittelten. Die Genehmigung folgte drei Monate nach Friedensverhandlungen zwischen Saudi-Arabien, das die international anerkannte Regierung unterstützt, und dem Iran, der auf der Seite der Rebellen steht. Der Jemen gilt als Schauplatz eines Stellvertreterkrieges zwischen den beiden Staaten. Trotz einer Annäherung und einem Gefangenenaustausch, gab es keinen Durchbruch. Ein dauerhafter Friede im Jemen ist weiterhin nicht in Sicht. Daran ändert auch der rostige Tanker nichts.


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Er befeuert den Konflikt zwischen den Bürgerkriegsparteien eher. Denn die offizielle Regierung macht die Rebellen für die verzögerte Bergung verantwortlich. Eigentlich sollte die Aktion vor zwei Jahren beginnen. Weil die Houthis die Sicherheit des Bergungsteams nicht garantieren wollten, wurde die Operation auf unbestimmte Zeit verschoben, teilten die UN damals mit. Die Houthis wiederum machen ihre Gegner für den Zustand des Tankers verantwortlich.

Dass der Tanker nun doch geborgen werden kann, bewertet das Auswärtige Amt positiv. “Dass die Konfliktparteien in Jemen die Rettungsaktion (…) mittragen, ist eine gute Nachricht, die es jetzt auch in andere Bereiche des Konfliktes zu übersetzen gilt, wie zum Beispiel bei einer Verstetigung der Waffenruhe in Jemen”; heißt es auf der Seite des Auswärtigen Amtes.

US-Politiker und internationale Forscher sehen darin eine Deeskalation und diplomatischen Vorstoß im Bürgerkrieg. Einige rechnen auf ein Ende des Konfliktes. “Das Beispiel Safer zeigt, wie wichtig der Dialog ist und wie wichtig es ist, ständig nach Sanaa zu reisen, um Ergebnisse zu sehen”, sagte die Jemen-Forscherin der International Crisis Group, Veena Ali-Khan, der “New York Times”.

Quellen: Vereinte Nationen, Auswärtiges Amt, Associated Press, “Al Monitor“, “Al Jazeera“, “Washington Post“, “New York Times“, mit Material von DPA

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