7,2 Millionen Menschen kommen zur Jahrhundert-Wiesn
Eigentlich ist das beruhigend: Was helfen die neuesten Sensationen mit immer noch aufwendigeren Fahrgeschäften, was nützen das süffigste Bier, die süßesten Mandeln und die heißeste Party mit der rockigsten Kapelle im Zelt? So gut wie nichts, wenn das Wetter nicht passt. Denn eine Rekord-Wiesn bekommt man wie eh und je nur dann hin, wenn die Sonne scheint. In diesem Jahr war es so weit. Nur ein einziger Regentag in der ersten Woche, dann überwiegend sommerliche Temperaturen und noch zwei Tage Nachspielzeit, wegen des Feiertags am 3. Oktober – schon war das Allzeithoch da, was die Besucherinnen und Besucher angeht.
7,2 Millionen waren es in diesem Jahr. Im (ziemlich verregneten) Jahr zuvor waren es nur 5,7 Millionen gewesen, und auch bei der bisherigen Rekord- und Jubiläums-Wiesn 1985 – man feierte das 175. Jahr seit dem ersten Fest – waren es lediglich 7,1 Millionen gewesen. Obendrein war dieses Oktoberfest das ruhigste und friedlichste seit Langem. Was vielleicht auch damit zusammenhängt, dass der Bierkonsum zurückgegangen ist. Mit 6,5 Millionen Mass (im Vor-Corona-Jahr 2019 waren es 7,3 Millionen) war der aber immer noch recht ordentlich. Franz Kotteder
Köchinnen-Karussell bei Dallmayr
In der gehobenen Gastronomie der Stadt war in diesem Jahr generell viel Bewegung. Aber nirgendwo so sehr wie im Feinkosthaus Dallmayr. Ein Jahr davor war die Führungsspitze kalt erwischt worden, als der Zwei-Sterne-Koch Christoph Kunz überraschend zum Sommer als Küchenchef im Gourmetrestaurant Alois gekündigt hatte. Da ging es erst einmal heiß her, bis die Inhaber-Familie in Gestalt von Florian und Sunny Randlkofer dann den Nachfolger als Küchenchef präsentieren konnte: den Österreicher Max Natmessnig, zuvor Koch des Jahres im Nachbarland als Chef des Restaurants im Hotel Rote Wand in Lech am Arlberg.
Der holte auf Anhieb zwei Sterne, und verabschiedete sich umgehend wieder – nach New York, wo er jetzt Co-Küchenchef eines Drei-Sterne-Hauses ist. Ende November präsentierte Dallmayr nun seine neue Chefköchin: Rosina Ostler, 31, gebürtige Münchnerin und zuvor Chefin des Drei-Sterne-Restaurants Maaemo in Oslo. Auch Christoph Kunz, ihr Vor-Vorgänger, meldete sich wieder zu Wort. Im Sommer eröffnete er sein neues, eigenes Gourmetlokal Komu in der Hackenstraße. Franz Kotteder
So viele Sterne wie noch nie
Mit einem neu eröffneten Lokal gleich drei Sterne im Michelin: Vor Jan Hartwig mit seinem Restaurant Jan hat das noch keiner in München geschafft. In diesem Jahr war das im April der Fall, und Hartwig hatte seinen Jan in der Luisenstraße beim Königsplatz erst im November 2022 aufgemacht. Damit war er der unumstrittene Sieger im Kampf um die begehrten Sterne in der Stadt. 24 vergab der Guide Michelin in diesem Jahr an der Isar, so viele wie nie zuvor.
Zwei Sterne gab es wieder für Bobby Bräuer (Esszimmer), Benjamin Chmura (Tantris), Tohru Nakamura (Tohru in der Schreiberei), Anton Gschwendtner (Atelier im Bayerischen Hof) und Max Natmessnig (seinerzeit Alois im Dallmayr). Namen, die man auch bei der Konkurrenz vom Gault & Millau, dem anderen großen internationalen Gourmetführer, auf vordersten Positionen findet. Der zeichnete in diesem Jahr, als Statement, vor allem Frauen am Herd aus. Aus München mit dabei: Sigi Schelling vom Werneckhof. Die ehemalige Sous-Chefin von Hans Haas im Tantris wurde zur “Aufsteigerin des Jahres” ernannt. Franz Kotteder
Traumhochzeit mit Schwächeanfall
Sogar ein Schreckmoment war dabei, besser hätte man auch in einem Drehbuch diese Münchner Hochzeit des Jahres nicht planen können. Ein junges Paar, das früher Bayerns nächstes Königspaar gewesen wäre, feiert festlich mitten in der Stadt, umrahmt von Tausenden Schaulustigen und beklatscht von allem, was Rang und Namen hat in dieser Stadt. Am Samstag, 20. Mai, feierten Ludwig Prinz von Bayern und seine Verlobte Sophie-Alexandra Evekink ihre Trauung in der Theatinerkirche. Abgesehen von einer Kutsche, die durch einen Oldtimer ersetzt wurde, hätte man die Kulisse auch für eine Traumhochzeit zu Bayerns Monarchiezeiten halten können.
Nur die über allen emporragenden Handys verrieten eindeutig, dass man es mit der Hochzeit eines Nachkommen der Wittelsbacher zu tun hat, der den Prinz nur noch als Namenszusatz trägt. Festliches Vorfahren, königliches Spalier-Schreiten, Fotos und ab in die Kirche, wo die dann zur Prinzessin avancierte Sophie-Alexandra einen ganz kurzen Schwächeanfall erleidet, der aber gleich wieder vorübergeht, so dass man standesgemäß auf Schloss Nymphenburg, dem Wohnsitz des amtierenden Wittelsbacher-Chefs und Ludwigs Onkel Franz Herzog von Bayern, weiterfeiern konnte. Philipp Crone
Hunderttausende Glücksmomente im Olympiastadion
Glück ist im Pop etwas sehr Individuelles. Deswegen gab es im Olympiastadion in diesem Jahr Hunderttausende Glücksmomente, mindestens, allein bei den großen internationalen Stargastspielen. Einer war es am 23. Juli zum Beispiel für ein kleines Mädchen auf dem Arm seines Vaters, als Bruce Springsteen, für viele die erdverbundenste Erlöserfigur des amerikanischen Rock, von der Bühne herabstieg und ihm sein Gitarrenplektrum schenkte.
So war für jede Generation heuer etwas dabei im Olympiastadion: Beim 73-jährigen Springsteen, der, wie der SZ-Kritiker schrieb, “in einem Drei-Minuten-Song das religiöse Erweckungserlebnis schafft, die geilste Zeit des Lebens würde noch vor einem liegen”. Das Wetterleuchten am Himmel, als Depeche Mode “Just can’t get enough” spielten. Bei The Weeknd sicherlich, als Kanadas Superstar mit “Blinding Lights” einen der größten Hits der Spotify-Ära unter einer Riesenroboterfrau anstimmte.
Bei Harry Styles, dem regenbogenglitzerndsten Charmeur dieser Tage, erlebte ihr großes Glück gewiss eine Frau namens Cecilia, die sich vom Freund betrogen Rat suchend an den Sänger wandte. “Du verdienst jemand mit Respekt, Ehrlichkeit, Offenheit”, sagte er ihr. Zwar flossen während der grandiosen artistischen Pop-Show von Pink kurz die Tränen bei einem Kind, das sich nicht traute, mit der Sängerin auf der Bühne zu singen, aber unvergesslich wird der Moment dennoch bleiben. Michael Zirnstein
Mega-Konzerte mit Protesten
Noch ein halbes Jahr zuvor wollten viele Politiker im Rathaus der Band Rammstein den roten Teppich für ein Silvesterkonzert auf der Theresienwiese auslegen (zu dem es dann nicht kam), bei den tatsächlich stattfindenden vier Konzerten der Deutsch-Metal-Gruppe im Olympiastadion versuchte man dann zu verhindern, was ging: Nachdem junge Frauen Vorwürfe gegen Rammstein-Sänger Till Lindemann und ein System sexueller Ausbeutung von weiblichen Fans angeprangert hatten, wurden Aftershow-Partys im Stadion abgesagt und der Sicherheitsgraben (“Row Zero”) von Zuschauerinnen geräumt. Während in den Konzerten insgesamt 280 000 Fans die Band unbeeindruckt feierten, demonstrierte draußen eine Gruppe von Aktivistinnen und skandierte: “Gewalt in der Branche ist kein Einzelfall. Sexismus bekämpfen: überall.”
Auch vor einem zweiten Konzert wurde demonstriert: Roger Waters sei ein “antisemitischer Brandstifter” und “hier nicht willkommen”, rief Charlotte Knobloch. Die Stadt hatte ihre Versuche, das Konzert des israelfeindlichen und Putin-verstehenden Sängers in der Olympiahalle verbieten zu lassen, nach einer Stellungnahme der Regierung von Oberbayern aufgegeben. Der Olympiapark wurde daraufhin mit ukrainischen und israelischen Flaggen geschmückt. Waters selbst postet am Konzerttag ein den Holocaust verharmlosendes Video von sich am Grab Sophie Scholls. Im Konzert hielt er sich mit Israel-Kritik zurück – nur einmal trug er einen Palästinenser-Schal. Michael Zirnstein
Größtes Hip-Hop-Festival der Welt am Rand des Abbruchs
Das größte Hip-Hop-Festival der Welt “Rolling Loud” feierte Anfang Juli Premiere in Deutschland: auf dem Freigelände der Messe in Riem. Internationale Rap-Größen wie Kendrick Lamar oder Travis Scott, aber auch deutsche Acts und aufstrebende Künstler standen auf dem Line-up. Das Festivalgelände war geprägt von Fans im Streetstyle-Look der 90er: mit Baggy-Jeans, Mini-Rock oder geflochtenen Frisuren. Die Stimmung war gut – bis es zu Stein- und Flaschenwürfen kam. Zwei Konzerte des ersten Abends wurden abgesagt.
Die aggressive Stimmung hielt auch am zweiten Festivaltag an, Wellenbrecher wurden überrannt, Konzerte wurden unterbrochen. Auch ein Komplettabbruch stand im Raum. Im Gegensatz dazu verlief der letzte Tag des Spektakels gesittet. Am Ende gab es 50 Strafanzeigen, Sanitäter mussten Hunderte Personen behandeln. Obwohl Veranstalter André Lieberberg eine Neuauflage ankündigte, zieht das Festival nach Wien. Jana Jöbstl
Münchens Gaststätten und ihr Mäuse-Problem
LFGB. Wenn diese Buchstabenkombination an der Türe eines Amtsgerichtssaals steht, weiß der Eingeweihte schon: Das wird unappetitlich! Die Versalien mit den entsprechenden Paragrafen stehen für Verstöße gegen das Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuch. In diesem Jahr erwischte es unter anderem im gehobenen Küchensegment den Brenner-Operngrill sowie das vegetarische Restaurant Kismet der Gastronomin Sandra Forster. Dass beide vor dem Amtsgericht landeten, ist dem geschuldet, dass beide wegen Hygienemängel einen Strafbefehl erhielten, und beide Einspruch einlegten, weshalb in aller Öffentlichkeit verhandelt wurde.
Zum einen gab es das viel beschworene und angeblich amtsbekannte Mäuse-Problem, mit dem offenbar auch andere Restaurants in der Innenstadt zu kämpfen haben, was sich in diversen Hinterlassenschaften in beiden Lokalen niederschlug. Zudem (empfindliche Mägen bitte weglesen) huschten laut dem Strafbefehl im Kismet Kakerlaken hinter der Kühltruhe, gab es einen schimmelähnlichen Befall an der Eiswürfelmaschine, und im Brenner sei im Innenraum der Theke “der Geruch von Mäusen und deren Ausscheidungen wahrnehmbar” gewesen. Der Brenner-Betriebsleiter wurde wegen 51 hygienischer Mängel zu einer Geldstrafe von 7000 Euro verurteilt. Kollegin Forster zog im Prozess ihren Einspruch zurück und zahlte 3200 Euro Strafe. Susi Wimmer
Liebeskummer beim “Lovecraft”
Es sollte ein Projekt mit Strahlkraft über München hinaus werden: Ein “Kulturkaufhaus und Social Hub” sollte das “Lovecraft” am Stachus sein. Der ehemalige Kaufhof sollte sich in eine Begegnungsstätte mit Angeboten für alle verwandeln, mit Ausstellungen, Rollschuhbahn, Café und Restaurant, mit Arbeitsplätzen für Kreative, Raum für Diskussionen und Veranstaltungen. Michi Kern und sein “This is Really Happening”-Team, das schon andere große Zwischennutzungen wie das “Sugar Mountain” in Obersendling umgesetzt hat, wagte sich an die 25 000 Quadratmeter auf acht Stockwerken.
Im September folgte ein Wochenende, bei dem die Öffentlichkeit durchs Haus laufen und sich die schon fertigen Projekte ansehen konnte – viel war es noch nicht. “Extrem kompliziert” sei die Umwidmung des Gebäudes, sagte Michi Kern schon damals. Brandschutzgenehmigungen für einzelne Bereiche fehlten noch. Nach dem Wochenende blieben die Türen wieder zu. Schließlich die Ernüchterung Ende November: “Bye-bye” postete das Lovecraft in sozialen Netzwerken. Die Kosten seien gestiegen, der Eigentümer wolle sich nicht beteiligen. Was mit dem Fördergeld von knapp 300 000 Euro passiert, ist noch unklar. Wie es mit dem Gebäude im neuen Jahr weitergeht, auch. Laura Kaufmann
“Fat Cat” schnurrt im und auf dem maroden Gasteig
Wie eine fette Katze thront der Gasteig angeblich über der Isar, und so kam die Zwischennutzung hier zu ihrem Namen: “Fat Cat”. Anfang des Jahres schlossen sich die Kultur- und Veranstaltungsköpfe Till Hofmann (Lustspielhaus, Milla), Michi Kern (Sugar Mountain, Utopia), Nepomuk Schessl (Münchenmusik) Barbara Bergau (Bellevue di Monaco) zusammen, um Europas größtes Kulturzentrum bis zu seiner Sanierung zu bespielen. Im Frühling zogen die ersten Mieter ein. Ein Mix aus Kreativen und Initiativen wirkt hier nun, von den Sportfreunden Stiller bis zum aufstrebenden Künstler frisch von der Kunstakademie weg.
Im Sommer eröffnete der Kulturdachgarten, mit kühlen Getränken, asiatischen Bowls, vegetarischen Burgern und einem Blick weit über die Stadt. In Mini-München vertrieben sich die Kids die Ferienzeit, in der Philharmonie spielt jetzt der Nussknacker, und Michael Mittermeier lädt regelmäßig zum Comedy-Club im Carl-Amery-Saal. Die “Fat Cat” wird vorerst bis Ende 2024 im Gasteig schnurren. Einer Verlängerung wären die Betreiber wohl nicht abgeneigt. Laura Kaufmann
Der größte Christopher Street Day in der Geschichte der Stadt
Noch nie zuvor war der Christopher Street Day (CSD) in München so groß wie 2023. Schon Tage vor dem 24. Juni wurde in Clubs und Kneipen der Stadt gefeiert, am Samstag selbst waren offiziellen Angaben zufolge 520 000 Menschen bei der großen Pride-Parade in der Innenstadt unterwegs. 181 Wagen mit 60 000 Teilnehmenden starteten vom Mariahilfplatz aus. Der bunte Zug mit fröhlich tanzenden Menschen führte über das Gärtnerplatzviertel in Richtung Oper. Am Nachmittag wurde der Marienplatz wegen Überfüllung vorübergehend gesperrt.
Erstmals hatten sich CSD-Organisatoren aus 20 bayerischen Städten zusammengeschlossen, um die Münchner Parade gemeinsam zu gestalten. Das Motto war eine politische Forderung: “Ein queerer Aktionsplan für Bayern”. Als letztes deutsches Bundesland macht sich der Freistaat nun auf, einen Maßnahmenkatalog für geschlechtliche und sexuelle Vielfalt zu erarbeiten. Am 13. November wurden der Staatsregierung Vorschläge und eine Petition von Vertretern der Münchner LGBTIQ-Community überreicht. Sabine Buchwald