J. Peirano: Ich bin im Homeoffice unkonzentriert und lustlos

Seit er im Homeoffice arbeitet, schafft Martin nur wenig – und hängt eher durch. Wie kann er aus dem Strudel aus Antriebslosigkeit und schlechtem Gewissen ausbrechen?

Liebe Frau Dr. Peirano,

ich fühle mich seit längerer Zeit antriebslos und erschöpft. Ich arbeite im Homeoffice, schlafe schlecht und stehe erst gegen elf Uhr auf. Dann muss ich mich wirklich zwingen, an die Arbeit zu gehen.

Ich lasse mich sehr leicht ablenken und brauche meistens sehr lange, um meine Aufgaben zu schaffen. Wenn meine Freundin sich bei mir meldet, mache ich spontan mit ihr was und denke dann, dass ich ja auch abends arbeiten kann. Das wird dann meistens nichts und ich habe ein schlechtes Gewissen. Ich bin dann wieder viel am Handy oder auf Netflix.

Dann schlafe ich wieder schlecht und nehme mir vor, am nächsten Tag oder am Wochenende wieder aufzuholen.

Ich war früher in der Schule auch schon jemand, der alles auf den letzten Drücker erledigt hat und erst die Nacht vor der Klausur wie ein Bekloppter gelernt hat. Anscheinend brauche ich den Druck.

Haben Sie ein paar Tipps für mich?

Viele Grüße

Martin V.

Lieber Martin V.,

Sie schreiben mir leider nicht, ob Sie mit Ihrer Arbeit grundsätzlich zufrieden sind und ob es weitere Themen gibt, die Sie belasten. Ein paar Ihrer Probleme können auch Symptome einer Depression sein: Müdigkeit, Antriebslosigkeit, Schlafstörungen, Verlust von Freude und Schuldgefühle.

Vielleicht können Sie sich ja einmal mit dem Buch

Matthew Johnstone: Mein schwarzer Hund

 in das Thema “Depressionen” einlesen und dann für sich selbst entscheiden, inwieweit das auf Sie zutrifft. Der Autor hat übrigens selbst unter Depressionen gelitten und weiß genau, wie sich das anfühlt. Seine Zeichnungen und Beschreibungen machen das Buch zu einem wirklich gelungenen Klassiker, wenn es um den Einstieg in das Thema Depressionen geht. Wenn Sie denken, dass Sie eine Depression haben, würde ich eine Therapie empfehlen.

Dr. Julia Peirano: Der geheime Code der Liebe

Ich arbeite als Verhaltenstherapeutin und Liebescoach in freier Praxis in Hamburg-Blankenese und St. Pauli. In meiner Promotion habe ich zum Zusammenhang zwischen der Beziehungspersönlichkeit und dem Glück in der Liebe geforscht und anschließend zwei Bücher über die Liebe geschrieben.

Informationen zu meiner therapeutischen Arbeit finden Sie unter www.julia-peirano.info.

Haben Sie Fragen, Probleme oder Liebeskummer? Schreiben Sie mir bitte (maximal eine DIN-A4-Seite). Ich weise darauf hin, dass Anfragen samt Antwort anonymisiert auf stern.de veröffentlicht werden können.

Für die Empfehlung, die ich Ihnen gebe, spielt es aber keine Rolle, ob Sie eine Depression haben oder nicht. Eine für mich sehr kostbare Seite meines Berufes als Psychotherapeutin ist es, dass die Strategien, die man in einer Therapie vermittelt, nicht nur dafür sorgen, psychische Erkrankungen zu beheben, sondern auch insgesamt glücklicher und achtsamer zu leben. Bessere Kommunikation, regelmäßige Pausen, Selbstfürsorge, mehr positive Aktivitäten, die Suche nach erfüllenden sozialen Kontakten und einliebevollen und konstruktiven Umgang mit den eigenen Gefühlen verbessern immer die Lebensqualität, auch bei psychisch gesunden Menschen. Sie schaden nie (im Vergleich zu einer unnötigen Operation oder den Nebenwirkungen von Medikamenten). Und bei Menschen mit psychischen Erkrankungen wie Ängsten, Essstörungen, Depressionen oder Zwängen sind diese Therapie-Bausteine besonders wertvoll, um sich von den Beschwerden zu befreien oder sie zumindest zu lindern.

Ein insbesondere bei Depressionen ganz wichtiger Therapiebaustein ist der Aufbau einer Tages-und Wochenstruktur. Teilweise verbringen meine Patienten und ich viele Stunden am Beginn einer Therapie damit, eine individuell passende Tagesstruktur aufzubauen und daran zu feilen. Und meistens fällt dann auch die Bemerkung “Ich habe völlig unterschätzt, wie wichtig das ist. Mit der Tagesstruktur geht es mir viel besser und ich tue alles dafür, um sie einzuhalten.”

Ich habe selbst einmal eine sehr einprägsame Erfahrung damit gemacht, was passieren kann, wenn man keine Struktur hat. Vor ein paar Jahren kam ich gut gelaunt aus einem schönen Urlaub. Allerdings hatte ich den Urlaub wegen schlechten Wetters drei Tage früher als geplant beendet. Da dachte ich mir: Super, drei Tage nur machen, was ich will! Endlich mal!

Ohne Kinder und meine Arbeit ließ ich mich dann gehen. Es war das volle Programm: Circa 8 Stunden am Tag vor dem Computer, Serien gucken und spät schlafen. Dadurch war ich abends nicht müde und schlief schlecht, und tagsüber hatte ich keine Lust, einzukaufen. Also habe ich mir essen bestellt, um noch mehr Zeit für Computer, Serien und Faulenzen zu haben.

Nach drei Tagen war ich vollkommen antriebslos, durcheinander und unkonzentriert. Ich war völlig fertig und sah auch so aus…

Ich habe mich dann gezwungen, auf den Markt zu gehen und essen einzukaufen, aufzuräumen und spazieren zu gehen. Dann waren die Ferien zu Ende, meine Kinder kamen zurück und damit die ganze Struktur: Schule, Arbeit, Essenszeiten usw.

Aber ein Gedanke hat sich mir eingeprägt: Wenn es mir in einer guten, erholten Lebensphase innerhalb von drei Tagen schon so mies geht ohne Tagesstruktur, dann muss es Menschen mit Depressionen oder psychischen Problemen ohne Tagesstruktur noch viel schlimmer gehen!

Ich würde Ihnen empfehlen, viel Energie in den Aufbau einer Tagesstruktur zu stecken!

Eine Starthilfe gibt das Buch: “Moodify” von Janine Selle, in dem Sie täglich mit wenig Aufwand Schlafenszeiten, Schlafdauer, Stimmung, Bewegung etc. eintragen.

Es ist oft hilfreich, mit den Schlafstörungen zu beginnen, da Müdigkeit zu Konzentrationsproblemen, Lustlosigkeit und fehlender Zielstrebigkeit führt. Es gibt eine Gesundheits-App, die zur Behandlung von Schlafstörungen entwickelt wurde und mit der meine PatientInnen gute Erfahrungen gemacht haben. Sie heißt “Somnio” und kann von einem Hausarzt/einer Hausärztin verschrieben werden.

Wenn der Schlaf erst einmal geregelt ist, sollten Sie eine regelmäßige Aufsteh-Zeit festlegen. Dadurch ergibt sich dann auch automatisch Bettgeh-Zeit und  auch die Einschlaf-Zeit.

Eine Morgenroutine ist sehr wichtig, denn man ist morgens und am späten Abend besonders sensibel. Einige Menschen gehen morgens gerne spazieren – hier kann auch ein Spaziergang zum nächsten Café für den Morgenkaffee oder eine Zeitung helfen, oder eine Runde im Park. Andere beginnen mit Bewegung, z.B. Yoga oder Kraftsport, was sehr gut ist, um in Schwung zu kommen. Andere schreiben erst einmal Tagebuch und kommen ganz achtsam bei sich an. Und einige Menschen sind morgens sehr fit und wollen gleich mit der Arbeit starten. Was tut Ihnen gut?

Beobachten Sie dann, wann Sie gerne essen und planen Sie die Essenszeiten. Schreiben Sie das am besten auf und notieren Sie, wie Sie sich damit fühlen. Notieren Sie auch, wann Sie mit der Arbeit beginnen und wie lange Sie bis zu einer Pause (Essenszeit, Spaziergang, Sport) arbeiten wollen. Also sollten auch die Pausen sowohl zeitlich als auch inhaltlich geplant werden (z.B. 13-14 Uhr Mittagessen, 15-15.30 Dehnübungen).

In den ersten Wochen ist die Tagesplanung noch ein Experiment. Deshalb sollten Sie jeden Abend eine kleine Bilanz ziehen und aufschreiben, was gut war und Sie beibehalten wollen und was Sie gestresst hat. Überlegen Sie sich dann Lösungen für die Themen, die noch nicht klappen und probieren Sie diese aus. Zum Beispiel: eine Playlist mit gute-Laune-Musik zum Wachwerden.

Oder: Kein Handy/ TV/Computerspielen vor 18 Uhr.

Wofür haben Sie zu wenig Zeit veranschlagt und wofür zu viel?

Welche Aktivität stört Sie zu einer bestimmten Tageszeit und lässt sich zu einer anderen Zeit besser erledigen?

Machen Sie sich auch Gedanken über folgende Themen:

  • Was ist für Sie eine schöne Pause? Wann möchten Sie sich damit belohnen?
  • Wie möchten Sie das Wochenende gestalten? Ist es für die Arbeit oder für Freizeit da?
  • Welche Aktivitäten geben Ihnen Energie und was sind Ihre persönlichen Energieräuber?
  • Was und wie möchten Sie essen? Wie viel Zeit möchten Sie für die Zubereitung aufwenden?
  • Passt es für Sie, im Homeoffice zu arbeiten oder wäre Arbeit in Präsenz gut, zumindest ein paar Tage in der Woche?
  • Wie oft im Jahr wollen/können Sie Urlaub machen und was ist für Sie ein optimaler Urlaub?

Wie Sie sehen, ist Thema Tagesplanung ist sehr komplex. Aber wenn Sie erst einmal damit anfangen und sehen, welchen Einfluss es auf Ihre Energie und Ihr Wohlbefinden hat, werden Sie wahrscheinlich daran Freude finden.

Herzliche Grüße,
Julia Peirano

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