Invasion in die Ukraine: Biden: Westen muss Putin klare Grenzen aufzeigen

Seit der Nacht herrscht Krieg in Europa: Russland hat die Ukraine angegriffen. Joe Biden äußert sich zur aktuellen Lage – und viele weitere Politiker auch.

Der Westen muss laut US-Präsident Joe Biden dem Kremlchef Wladimir Putin klare Grenzen aufzeigen.

«Das Einzige, wovon ich überzeugt bin, ist, dass er ermutigt sein wird, wenn wir ihn jetzt nicht aufhalten – wenn wir jetzt nicht mit diesen erheblichen Sanktionen gegen ihn vorgehen», sagte Biden am Donnerstag in Washington.

USA verlegen Soldaten nach Deutschland

Die US-Regierung verlegt weitere Soldaten nach Europa. «Jetzt genehmige ich die Entsendung zusätzlicher US-Streitkräfte nach Deutschland als Teil der Nato-Reaktion», sagte US-Präsident Joe Biden im Weißen Haus in Washington.

Es handle sich dabei auch um Soldaten, die bereits in Alarmbereitschaft versetzt worden seien, so Biden weiter. Er betonte: «Unsere Streitkräfte gehen nicht nach Europa, um in der Ukraine zu kämpfen, sondern um unsere Nato-Verbündeten zu verteidigen und die Verbündeten im Osten zu beruhigen.»

Die US-Regierung hatte erst Anfang der Woche eine Verlegung von zusätzlichen Soldaten und Ausrüstung nach Osteuropa angekündigt. Die Kräfte umfassen etwa ein Infanteriebataillon mit etwa 800 Militärs, das von Italien ins Baltikum verlegt wird, sowie Militär und Kampfhubschrauber aus Deutschland, die an die Nato-Ostgrenze geschickt werden.

Das US-Militär hat nach eigenen Angaben derzeit mehr als 90.000 Soldatinnen und Soldaten in Europa. Zuletzt hatte Biden wegen des Ukraine-Konflikts zusätzlich rund 5000 Soldatinnen und Soldaten aus den USA nach Osteuropa verlegt. Tausende US-Soldaten in den USA waren auf Bidens Anordnung Ende Januar in erhöhte Alarmbereitschaft versetzt worden.

Biden plant kein direktes Gespräch mit Putin: «Ich plane nicht, mit Putin zu reden.» Er bezeichnete Russlands Angriff auf die Ukraine als großen Fehler Moskaus: «Putins Aggression gegen die Ukraine wird Russland am Ende teuer zu stehen kommen, wirtschaftlich und strategisch.» Er betonte: «Diese Aggression kann nicht unbeantwortet bleiben.»

Amerika stehe für die Freiheit ein. Dies sei ein gefährlicher Moment für Europa und für die Freiheit auf der ganzen Welt. Doch die Freiheit werde sich am Ende durchsetzen. Die USA und ihre Verbündeten würden stärker aus dieser Krise hervorgehen, während Russland isoliert sein werde.

Die westlichen Verbündeten stünden nun enger zusammen als je zuvor, sagte Biden: «Die gute Nachricht ist, dass die Nato geeinter und entschlossener denn je war.» Es bestehe kein Zweifel, dass alle NATO-Verbündeten ihre Verpflichtungen nach Artikel 5 erfüllen werden, «der besagt, dass ein Angriff auf einen als Angriff auf alle gilt». Biden sieht den Krieg Russlands in der Ukraine nur als einen ersten Schritt von Präsident Wladimir Putin. «Er hat viel größere Ambitionen in der Ukraine. Er will nämlich die ehemalige Sowjetunion wiederherstellen. Darum geht es hier», sagte er.

OSZE zieht Beobachter aus Ukraine ab

Wegen der sich verschlechternden Sicherheitslage zieht die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) vorübergehend ihre internationalen Beobachter aus der Ukraine ab. Das gab OSZE-Generalsekretärin Helga Schmid am Donnerstagabend bekannt. Der vorübergehende Abzug betrifft außerdem OSZE-Mitarbeiter, die an Projekten zum Aufbau von demokratischen Institutionen gearbeitet hatten. «Die Sicherheit dieser Menschen, die im ganzen Land vor Ort die Augen und Ohren der internationalen Gemeinschaft sind, steht an oberster Stelle», begründete die deutsche Diplomatin.

Die Überwachungsmission der in Wien ansässigen Organisation hatte bislang vor allem die Aufgabe, in der Ostukraine die Waffenstillstandslinie zwischen staatlichen Truppen und pro-Russischen Separatisten zu überwachen.

In den vergangenen Tagen und Wochen waren die internationalen, unbewaffneten Beobachter häufig an ihrer Arbeit gehindert und auch bedroht worden. Derzeit seien rund 500 Beobachter und Projektmitarbeiter im Land, sagte ein OSZE-Diplomat der Deutschen Presse-Agentur. Laut Schmid soll die Evakuierung so bald wie möglich beginnen.

G7: Blutvergießen stoppen

Die USA, Deutschland und fünf weitere führende demokratische Wirtschaftsmächte (G7) forderten Russland derweil eindringlich auf, das Blutvergießen in der Ukraine zu stoppen und seine Truppen aus dem Land abzuziehen.

«Präsident Putin hat den Krieg zurück auf den europäischen Kontinent gebracht. Er hat sich selbst auf die falsche Seite der Geschichte gestellt», heißt es in einer Erklärung der Staats- und Regierungschefs der Siebenergruppe nach einer Videoschalte unter Leitung von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD). Deutschland führt in der Gruppe derzeit den Vorsitz.

Die G7 ruft die Weltgemeinschaft in der Erklärung auf, den russischen Angriff «in schärfster Weise» zu verurteilen und «Schulter an Schulter» mit der Ukraine zu stehen. Sie spricht von einem «völlig ungerechtfertigten» Angriff. «Er stellt eine ernsthafte Verletzung internationalen Rechts dar und einen schweren Bruch der Charta der Vereinten Nationen.» Die Krise sei eine ernsthafte Bedrohung der internationalen Ordnung mit Auswirkungen weit über Europa hinaus. «Es gibt keine Rechtfertigung, international anerkannte Grenzen gewaltsam zu verändern.»

Die sieben Staats- und Regierungschefs boten der Ukraine zudem humanitäre Hilfe an. Russland forderten sie auf, die Beobachter der OSZE (Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa) in der Region nicht zu gefährden. Der G7 gehören neben den USA und Deutschland auch Großbritannien, Frankreich, Italien, Kanada und Japan an.

UN-Chef: Russlands Krieg ist «inakzeptabel»

UN-Generalsekretär António Guterres sieht trotz des Krieges in der Ukraine noch eine Chance, das Schlimmste zu verhindern. Die gegenwärtige militärische Operation «ist falsch, gegen die (UN-)Charta, sie ist inakzeptabel – aber nicht unumkehrbar», sagte Guterres am Donnerstag in New York und appellierte erneut an Russlands Präsidenten Wladimir Putin, seine Truppen zurückzuziehen. Es habe zudem oberste Priorität, Zivilisten in dem Konflikt zu schützen. Für humanitäre Zwecke stellten die UN 20 Millionen Dollar Soforthilfe aus einem Notfallfonds zur Verfügung. Der UN-Chef hatte während einer Dringlichkeitssitzung des Sicherheitsrates am Mittwochabend (Ortszeit) von der Einmarschankündigung Moskaus erfahren. Kurz zuvor hatte Guterres sich noch in einer dramatischen Ansprache an Putin gewandt, damit dieser seine Truppen stoppe. Später sprach er vom seinem «traurigsten Tag» als UN-Generalsekretär.

USA bereiten UN-Resolution gegen Russland vor

Die USA bereiten bei den Vereinten Nationen eine gegen Moskau gerichtete Resolution vor. An diesem Freitag soll es dazu in New York eine neue Dringlichkeitssitzung des UN-Sicherheitsrats geben, wie am Donnerstag aus Diplomatenkreisen verlautete. Die Resolution werde Russlands Aggression Russlands aufs Schärfste verurteilen, die Souveränität und territoriale Integrität sowie die Unabhängigkeit und Einheit der Ukraine bekräftigen, hieß es. Von Russland soll darin der sofortige Rückzug verlangt werden.

Da Russland als einer von nur fünf Staaten im Sicherheitsrat ein Veto hat, ist klar, dass die Resolution bei einer Abstimmung scheitern würde. Die USA und ihre westlichen Verbündeten hoffen jedoch, Moskau im Rat weitgehend zu isolieren – idealerweise bei einer Enthaltung der Vetomacht China und Zustimmung aller anderer Mitglieder des 15-köpfigen Gremiums. Peking war zumindest bei den UN in New York zuletzt zurückhaltend, seinen Partner Russland zu verteidigen.

Sollte die Resolution wie erwartet am Veto Moskaus scheitern, soll der Text nach Angaben mehrerer Diplomaten an die UN-Vollversammlung überstellt werden. Dort stimmen alle 193 Mitgliedsstaaten ab. Sie könnten die Entschließung mit einfacher Mehrheit annehmen.

Weitere Reaktionen aus dem Ausland

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron droht Russland mit schweren Folgen. «Auf diese Kriegshandlung werden wir ohne Schwäche antworten – kaltblütig, entschlossen und geeint», sagte er in einer Ansprache an die Nation. Die Sanktionen entsprächen der russischen Aggression. «Im militärischen und wirtschaftlichen Bereich wie im Energiesektor werden wir keine Schwäche zeigen.» Man werde Russland außerdem vor dem UN-Sicherheitsrat zur Rechenschaft ziehen.

Dänemarks Ministerpräsidentin Mette Frederiksen sprach von einem dunklen Tag für den Frieden in der Welt. «Wir sehen einen militärischen Angriff auf eine friedliche, freie und souveräne Nation.» Es handle sich nicht nur um einen Angriff auf die Ukraine, sondern auch auf Frieden und Stabilität. «Jetzt ist Krieg in Europa.» Man trete ein in eine ungewisse Zeit. Eine direkte militärische Bedrohung gegen die Nato oder gegen Dänemark sehe man aber nicht, unterstrich Dänemarks Verteidigungsminister Morten Bødskov.

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan nennt das Vorgehen Moskaus einen schweren Schlag für den Frieden und die Stabilität in der Region. Er habe dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj versichert, das Nato-Land Türkei unterstütze die territoriale Integrität der Ukraine. Die Türkei pflegt enge Beziehungen zu beiden Ländern. Russland ist ein Hauptlieferant für Gas, an Kiew verkauft Ankara unter anderem Kampfdrohnen. Die Türkei ist zudem so wie Russland und die Ukraine Schwarzmeer-Anrainer.

Die Afrikanische Union (AU) forderte im Interesse des weltweiten Friedens einen unverzüglichen Waffenstillstand und die Aufnahme diplomatischer Gespräche zwischen beiden Parteien. Russland und potenziell weitere Beteiligte müssten das internationale Völkerrecht wie auch das Territorialgebiet und die Souveränität der Ukraine respektieren, hieß es am Donnerstag am Sitz der AU in Äthiopiens Hauptstadt Addis Abeba. Auch das mit Russland im Brics-Staatenbund verbandelte Südafrika schloss sich diesen Forderungen an und forderte weiterhin Versuche, den Konflikt auf diplomatischem Wege zu beenden.

Polens Regierungschef Mateusz Morawiecki erinnerte in einem emotionalen Appell vor Beginn eines EU-Sondergipfels an das Leid der Menschen in der Ukraine. «Zivilisten werden jetzt getötet, jede Minute, jede Stunde», sagte er am Donnerstag. Der russische Präsident Wladimir Putin sei dabei, ganz Europa zu destabilisieren. Er habe ein unabhängiges Land angegriffen. «Wir müssen das stoppen», sagte Morawiecki. Dies sei etwas, was man in den vergangenen 75 Jahren nicht beobachtet habe. Zudem sprach er sich für eine stärkere Ostflanke der Nato aus, um Aggressionen Russlands zu verhindern.

Keine Kritik von China gen Moskau

Trotz der Militäroperation vermeidet China direkte Kritik an Moskau greift stattdessen die USA und andere westliche Staaten für ihre Waffenlieferungen an. «Die Ukraine-Frage ist in ihrem historischen Hintergrund komplex», sagte Außenamtssprecherin Hua Chunying bei einem täglichen Pressebriefing: «Was wir heute sehen, ist das Zusammenspiel komplexer Faktoren».

Den USA und anderen westlichen Staaten warf Hua Chunying vor, durch Waffenlieferungen den Konflikt angeheizt zu haben. «Waffen können niemals alle Probleme lösen. Ich glaube also nicht, dass dies die Zeit für jemanden ist, Öl ins Feuer zu gießen. Stattdessen sollten wir dem Frieden eine Chance geben», so die Sprecherin, die zudem an frühere Militäraktionen der USA erinnerte.

OECD stellt Russland-Zusammenarbeit auf Prüfstand

Die Industrieländervereinigung OECD verurteilt den russischen Angriff auf die Ukraine aufs Schärfste. Es handele sich um eine eklatante Verletzung des Völkerrechts und eine ernsthafte Bedrohung der internationalen Ordnung, teilte die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) am Donnerstag in Paris mit. Der OECD-Rat stelle sämtliche Zusammenarbeit mit Russland auf den Prüfstand und bewerte die wirtschaftlichen und sozialen Auswirkungen. «Wir solidarisieren uns mit dem ukrainischen Volk», hieß es. Nach der Annexion der Krim durch Russland hatte die OECD Beitrittsverhandlungen mit Russland 2014 gestoppt, eine technische Kooperation bei bestimmten Themen aber fortgesetzt.

Historiker: Putin scheint «ernsthaft wahnsinnig»

Nach Ansicht des renommierten britischen Historiker Timothy Garton Ash ist das Verhalten des russischen Präsidenten Wladimir Putin als wahnsinnig einzustufen. Putin habe bereits vor mehr als 25 Jahren über verloren gegangenes russisches Territorium gesprochen, sagte Garton Ash dem Sender Times Radio am Donnerstag. In dieser Woche habe der russische Staatschef aber erstmals den Eindruck gemacht, «ernsthaft wahnsinnig» geworden zu sein. «Früher war er zynisch, brutal, ein Schurke und Diktator, aber nicht wahnsinnig, sondern immer berechnend. Deswegen ist dieser Moment so gefährlich», sagte der Professor an der Universität Oxford.

An eine rasche Wirkung von Sanktionen gegen Russland glaubt Garton Ash nicht. Langfristig könne sich der Konflikt aber für Putin negativ auswirken. «Ich denke, wenn die Leichensäcke mit gestorbenen jungen russischen Soldaten aus der Ukraine zurückkommen und der Rubel in den Keller fährt und die russische Börse, und es beginnt, den Russen weh zu tun, wird es kritisch für Putin», sagte der Wissenschaftler. Das werde aber nicht heute oder morgen sein.

dpa

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