Hochwasser aktuell: Mindestens 176 Todesopfer – Panorama


Im Hochwasser-Katastrophengebiet im Norden von Rheinland-Pfalz sind bisher 128 Menschen tot geborgen worden. Das teilte Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) im Landtag mit. Damit steigt die Zahl der Todesopfer in Deutschland auf insgesamt mindestens 176. Dreyer sagte zudem, 764 Menschen seien in ihrem Bundesland verletzt worden und 155 Personen würden noch vermisst. Man müsse “von der schrecklichen Annahme ausgehen”, dass die Zahl der Toten noch steigen werde.

Von den bislang 128 geborgenen Toten konnten erst 62 identifiziert werden, wie Innenminister Roger Lewentz (SPD) sagte. Man plane aber keine Massenbestattungen. “Wir wollen, dass die Menschen in Würde von ihren Familien verabschiedet werden können”, sagte Lewentz. Die Polizei bemühe sich mit erheblichem Aufwand, das Schicksal aller Menschen aufzuklären, sagte Lewentz. Allerdings könne er nicht versprechen, dass dies in jedem Fall gelingen werde.

Dreyer würdigte den Einsatz der Rettungskräfte, diese katastrophale Situation zu bewältigen. Am Nürburgring sei “eine gigantische Helferstadt” entstanden. Bei allem Leid zeige die Katastrophe: “Rheinland-Pfalz steht zusammen.” Die Regierungschefin sagte: “Der Wiederaufbau wird langwierig werden und sehr viel Geld kosten. Dafür brauchen wir eine nationale Kraftanstrengung.” (22.07.2021)

Zehntausende Corona-Impfdosen für Katastrophengebiete

In die von der Hochwasserkatastrophe gezeichneten Gebiete sollen Zehntausende Corona-Impfdosen geliefert werden. Das Bundesgesundheitsministerium habe den betroffenen Ländern zusätzlichen Impfstoff angeboten, teilte eine Sprecherin mit. Damit könnten niedrigschwellige Impfangebote vor Ort gemacht werden. Rheinland-Pfalz habe dieses Angebot bereits angenommen und erhalte 23 400 zusätzliche Impfdosen Biontech. Sie sollen durch mobile Teams zum Beispiel dort verimpft werden, wo die Arztpraxen aufgrund des Hochwassers schließen mussten, hieß es. Neben Impfstoff sollen bei Bedarf auch Masken, Tests und Medikamente geliefert werden. (22.07.2021)

NRW-Kabinett beschließt 200 Millionen Euro Soforthilfe

In Nordrhein-Westfalen hat das Landeskabinett 200 Millionen Euro Soforthilfe für die Betroffenen der Hochwasserkatastrophe beschlossen. Der Bund habe zugesagt, die Summen der Länderhilfspakete jeweils zu verdoppeln, sagte Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) nach einer Sondersitzung des Kabinetts in Düsseldorf. Anträge könnten sofort gestellt werden. Soforthilfen gebe es für vier Gruppen: Privatbürger, Wirtschaft, Landwirte und Kommunen.

Für betroffene Bürger gebe es einen Sockelbetrag in Höhe von 1500 Euro pro Haushalt, sagte der CDU/CSU-Kanzlerkandidat. Für jede weitere Person stünden 500 Euro bereit. Insgesamt würden maximal 3500 Euro pro Haushalt ausgezahlt. Im Formular könne eine Kontoverbindung angegeben werden, auch Barauszahlungen seien aber möglich. Bedürftigkeits-, Vermögens- und Detailprüfungen werde es nicht geben. “Wir vertrauen hier den Bürgern, dass es keinen Missbrauch gibt”, sagte Laschet. “Entscheidend ist, dass das Geld jetzt schnell bei den Menschen ankommt.” Auf dem zweiseitigen Formular sei lediglich zu versichern, dass einem die Leistung zustehe und man keine andere Hilfsleistung empfangen habe.

“Potenzielle Versicherungsleistungen werden zunächst nicht geprüft”, erklärte der Ministerpräsident. Natürlich sei klar: “Wenn jemand von anderer Seite eine Erstattung bekommt, kann er nicht zusätzlich dieses Geld beantragen.” Für jede unwettergeschädigte Betriebsstätte könnten Leistungen in Höhe von 5000 Euro abgerufen werden. Für die Kommunen würden insgesamt 65 Millionen Euro bereitgestellt, sagte Kommunalministerin Ina Scharrenbach (CDU). Laschet versicherte: “Wir werden so viel Geld aufbringen, wie erforderlich ist.” (22.07.2021)

Versicherer: Flutschäden wohl höher als im Jahr 2002

Die Versicherungsschäden durch die Flutkatastrophe im Westen Deutschlands belaufen sich nach Branchenangaben auf vier bis fünf Milliarden Euro. “Die Schäden dürften sogar noch über denen des August-Hochwassers im Jahr 2002 von 4,65 Milliarden Euro liegen”, sagte der Hauptgeschäftsführer des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV), Jörg Asmussen. Dabei seien die jüngsten Überschwemmungen in Bayern und Sachsen in der Rechnung noch nicht enthalten.

Nach den Überschwemmungen in mehreren Regionen in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz, bei denen mindestens 170 Menschen das Leben verloren, zeichnet sich für die Versicherungen damit das schadensträchtigste Jahr seit 2002 ab. Damals lag der versicherte Unwetterschaden im ganzen Jahr laut GDV bei 10,9 Milliarden Euro. Bereits im Juni dieses Jahres hatten Starkregen und Hagel einen geschätzten versicherten Schaden von 1,7 Milliarden Euro verursacht.

Und viele Betroffene sind nicht gegen solche Katastrophen versichert. In ganz Deutschland verfügen laut GDV im Schnitt knapp die Hälfte der Verbraucherinnen und Verbraucher über eine Elementarschadenversicherung, die bei Naturereignissen wie Starkregen, Hochwasser oder Erdrutschen einspringen würden. In den nun betroffenen Gebieten lag dieser Anteil sogar noch deutlich niedriger: Der Versicherer HUK-Coburg etwa gibt für die entsprechenden Regionen in NRW eine Quote von 39 Prozent an. In Rheinland-Pfalz liegt sie bei 36 Prozent. Angesichts dieser Zahlen ist in Deutschland eine Debatte darüber entbrannt, wie Schäden durch Flutkatastrophen nach Starkregen und Überschwemmungen besser abgesichert werden könnten. (21.07.2021)

Seehofer will bald per SMS warnen lassen

Die Bundesregierung hat als Konsequenz aus der Flutkatastrophe und der Corona-Pandemie erste Schritte einer neuen Vorsorgestrategie beschlossen. Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) versprach am Mittwoch eine engere Zusammenarbeit von Bund und Ländern im Katastrophenschutz. Gleichzeitig stellte er in Aussicht, dass die Bevölkerung bei Hochwasser und anderen Gefahren künftig auch per SMS gewarnt werden soll. Der Präsident des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK), Armin Schuster, habe bereits im Frühjahr zu dieser Form der Warnung, “Cell Broadcasting” genannt, eine Machbarkeitsstudie in Auftrag gegeben, sagte Seehofer. Schuster gehe davon aus, dass das noch vor der Bundestagswahl erwartete Ergebnis positiv sein werde.

Beim Cell Broadcasting wird ähnlich wie bei einer SMS eine Nachricht an Handy-Nutzer verschickt – und zwar an alle Empfänger, die sich zu dem Zeitpunkt in der betreffenden Funkzelle aufhalten. Datenschützer halten diese Technologie, die in vielen anderen Staaten bereits genutzt wird, für relativ unbedenklich. Für die Warnung vor akuten Gefahren sei ein Mix aus analogen und digitalen Methoden notwendig, sagte Seehofer. Sirenen alleine seien kein Allheilmittel, denn “es reicht ja nicht aus, nur akustisch zu warnen, die Bevölkerung muss ja auch wissen, was sie tun soll”.

Die vom Kabinett nun beschlossene “Nationale Reserve Gesundheitsschutz” soll der erste Teil einer umfassenden Strategie für den Bevölkerungsschutz sein. Mittelfristig soll auch die Vorsorge für Krisen wie Hochwasser und größere Brände verbessert werden. Geplant ist zudem ein gemeinsames Kompetenzzentrum von Bund und Ländern beim BBK, in dem auch die Bundeswehr und Hilfsorganisationen mitwirken.

“Was wir generell noch verbessern können, ist einfach der gegenseitige Austausch”, sagte Seehofer mit Blick auf das geplante BBK-Kompetenzzentrum. Die Ressourcen des bislang hauptsächlich für den Verteidigungsfall zuständigen BBK sollten in Zukunft auch in Friedenszeiten besser genutzt werden, sagte Seehofer. Zusätzlich zur Umsetzung eines dafür bereits im März vorgelegten Konzepts zur Neuausrichtung der Bonner Behörde werde es dafür im Herbst möglicherweise auch “eine kleine Gesetzesänderung” geben müssen.

Es sei zudem sinnvoll zu überlegen, ob es weiterhin so laufen solle, dass jeder Katastrophenschutz-Leiter in seiner Kommune selbst entscheide, wann die Bevölkerung gewarnt werde, oder ob es nicht sinnvoller wäre, dass bei bestimmten Gefahrenstufen automatisch auch die Länderbehörden aktiv werden. Ihm gehe es um einen “Politikwechsel hin zu mehr Vorsorge als Unterstützung für die Länder” und nicht darum, den Ländern Kompetenzen wegzunehmen, betonte Seehofer. Trotz aller bereits geplanten Reformen müsse man ehrlicherweise aber auch sagen: “Wir können keinen hundertprozentigen Schutz versprechen”.

Er appellierte wie auch Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) an die Bevölkerung, mehr Krisenbewusstsein zu entwickeln. Selbst wenn Warnsysteme verbessert würden – ohne die Mitwirkung von Medien und Bevölkerung werde dies nicht funktionieren. “Wir brauchen eine Bewusstseinsbildung für alle in der Bevölkerung, wie man mit Katastrophenszenarien umgeht”, sagte Seehofer. Spahn erinnerte an die seit Jahren vorhandenen Pandemiepläne etwa in Kommunen, die aber nie geübt wurden.

400 Millionen Euro als Soforthilfe für Flutopfer

Eine Woche nach Beginn der Hochwasserkatastrophe hat die Bundesregierung Soforthilfen für die Opfer auf den Weg gebracht. Sie will zunächst bis zu 200 Millionen Euro aus dem Bundeshaushalt bereitstellen, wie aus der Vorlage hervorgeht, die der Nachrichtenagentur Reuters vorliegt und die das Kabinett am Mittwoch billigte. Die Regierung geht davon aus, dass die Länder ebenfalls so viel Geld bereitstellen – das macht zusammen 400 Millionen Euro.

Die Soforthilfe sei zur unmittelbaren Beseitigung von Schäden an Gebäuden und der Infrastruktur sowie zur Überbrückung von Notlagen gedacht, heißt es in der Vorlage. “Ziel dieser finanziellen Hilfen soll die Beseitigung unmittelbarer Schäden an Gebäuden, land- und forstwirtschaftlichen Produktionsmitteln, einschließlich der gewerblichen Wirtschaft, und der kommunalen und der wirtschaftsnahen Infrastruktur vor Ort sowie die Überbrückung von Notlagen sein.” Wenn die 400 Millionen Euro nicht reichen sollten, werde man mehr Geld zur Verfügung stellen, versprach Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD).

Für den längerfristigen Wiederaufbau der Infrastruktur will sich der Bund mit den Ländern ebenfalls auf ein gemeinsames Programm einigen. Darüber beraten werden soll aber erst in der kommenden oder darauf folgenden Woche, wenn “der aktuelle Gesamtschaden besser abgeschätzt” werden könne. Die Reparatur der Schäden an Bundesstraßen, Autobahnen und Bahnstrecken werde der Bund selbst übernehmen, sagte Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU).

Eine Woche nach Beginn der verheerenden Überflutungen treten die Schäden an der Infrastruktur immer deutlicher zutage – mit zerstörten Straßen, Bahngleisen, Brücken, Mobilfunkmasten, Strom-, Gas- und Wasserleitungen. Zur Bewältigung all dessen will Deutschland auch Geld aus dem EU-Solidaritätsfonds beantragen. Derzeit rechnet der Bund mit Schäden von mindestens zwei Milliarden allein an Straßen und Schienen. Nach Angaben der Deutschen Bahn haben die Wassermassen allein sieben Regionalstrecken in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz so stark beschädigt, dass man sie neu bauen oder umfangreich sanieren müsse. Gleise auf rund 600 Kilometern seien betroffen.

Für die Soforthilfen wird das Land Nordrhein-Westfalen nach Angaben von Ministerpräsident Armin Laschet 200 Millionen Euro zur Verfügung stellen, wie er am Dienstagabend im “Heute Journal” des ZDF sagte. Manche Kommunen hätten bereits mit der Auszahlung von Bargeld begonnen. Zuvor schon hatte Rheinland-Pfalz Soforthilfen von bis zu 3500 Euro pro Haushalt beschlossen. Das Geld soll ohne Bedürftigkeitsprüfung über die Kreisverwaltungen ausgezahlt werden – ebenso wie mehr als 6,2 Millionen Euro, die als Privatspenden auf einem eigenen Konto der Landesregierung eingegangen sind. Bayern will 50 Millionen Euro für Hochwasseropfer im Freistaat bereitstellen. (21.07.2021)

Tourismus in der Krise: Auf Corona folgt Hochwasser

Verwüstete Campingplätze, zerstörte Ferienhäuser und Hotels, beschädigte Brücken, Gleise und Straßen: Die Hochwasserkatastrophe vor allem im Westen Deutschlands trifft den Tourismus in den betroffenen Gebieten hart. “Für die Gastgeber, die nach dem langen Corona-Lockdown nun im schlimmsten Fall ihre Existenzgrundlage verloren haben, ist es eine absolute Katastrophe”, berichtet Michelle Schwefel, Geschäftsstellenleiterin des Deutschen Ferienhausverbandes. Insbesondere die Regionen im ländlichen Raum seien dringend auf den Tourismus angewiesen. “Das ganze Ausmaß der Flut und die Effekte auf den Tourismus lassen sich derzeit allerdings noch nicht abschätzen”, sagte Schwefel.

Nach Angaben des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbandes (Dehoga) in Rheinland-Pfalz gibt es beispielsweise im stark betroffenen Kreis Ahrweiler so gut wie keine Wirtshäuser oder Hotels, die innerhalb der kommenden zwölf Monate wieder Gäste bedienen könnten. “Die zerstörte Infrastruktur, die kaputten Gebäude aber beispielsweise auch die fehlende Gasversorgung geben wenig Anlass zur Hoffnung”, sagte Dehoga-Landesverbandspräsident Gereon Haumann.

Zahlreiche Urlaubsgäste würden ihre Buchungen auch in Landesteilen stornieren, die überhaupt nicht von den Überflutungen betroffen waren, wie beispielsweise Rheinhessen oder die Pfalz. “Wir gehen davon aus, dass trotz Hochsaison Tausende von Betten leer bleiben”, sagte Haumann. Das liege daran, weil das Bundesland insgesamt als Katastrophengebiet betrachtet werde. Dabei seien selbst Urlaubsgebiete entlang der Mosel mittlerweile schon wieder auf Gäste eingestellt.

Nach ersten Schätzungen des Bundesverbandes der Campingwirtschaft (BVCD) in Deutschland sind vier Campingplätze in Nordrhein-Westfalen und elf in Rheinland-Pfalz so verwüstet, dass sie auf unbestimmte Zeit nicht öffnen können. Bundesweit gibt es mehr als 3000 Campingplätze, die in der Regel etwa 70 Prozent ihres Umsatzes in den Ferienmonaten Juli und August machen. “Hoffnung macht, dass es bisher überdurchschnittlich viele Buchungen für September gibt”, sagte BCD-Geschäftsführer Christian Günther. “Wir sehen Corona-Nachholeffekte.” (21.07.2021)

Bundeskabinett erlässt Ländern die Kosten für Rettungseinsätze

Nach der Hochwasserkatastrophe hat die Bundesregierung neben den Soforthilfen für Betroffene und einem Fonds zum Wiederaufbau zerstörter Infrastruktur weitere Hilfen für die Länder beschlossen. Sie erlässt ihnen die Kosten für Rettungseinsätze von Bundespolizei, Technischem Hilfswerk (THW) oder Zoll. Auch Einsätze von Bundeswehrsoldaten werden ihnen nicht in Rechnung gestellt. Üblicherweise streckt der Bund das Geld dafür vor, holt es sich dann aber von den Kommunen oder Bundesländern wieder – dies soll bei der Hochwasserkatastrophe nun nicht der Fall sein. (21.07.2021)

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