Grüne Jugend mit Botschaft an Lindner: “Chrissi, mach Geld locker”

Kassierte Haushaltstricks, eine aufgeheizte Asyldebatte und der Rauswurf in Hessen: In turbulenten Zeiten treffen sich die Grünen ab Donnerstag zum Parteitag in Karlsruhe. Vorab erhöhen die neuen Chefinnen des Jugendverbands schon mal den Druck.

Seit einem Monat stehen Sie beide an der Spitze der Grünen Jugend: Was haben Sie sich anders vorgestellt?   
Svenja Appuhn: Uns war natürlich bewusst, in welcher politischen Lage wir in das Amt starten. Aber ganz ehrlich: Es ist schon heftig, im Wochentakt werden neue Vorschläge zur Verschärfung des Asylrechts präsentiert, mit dem Klimaschutz geht’s wenig voran – und dann kommt das Urteil aus Karlsruhe. Wir sind nicht komplett deprimiert, aber gerade jetzt wollen wir erst recht dafür sorgen, dass die Dinge besser werden.

Die Grüne Jugend – Wappentier Igel – ist immer so etwas wie der Stachel im Fleisch der Grünen. Haben Sie nicht im Moment das Gefühl, Sie müssten den “Alten” eher helfen?
Katharina Stolla: Nein, ehrlicherweise befinden wir uns gerade an einigen Stellen mit der Partei im Konflikt. Uns geht es nicht darum, die Partei aus einer misslichen Lage zu retten, sondern uns geht es darum, die Politik einzufordern, die notwendig ist – für soziale Gerechtigkeit, Klimaschutz und Menschenrechte. Und da beteiligen sich die Grünen gerade oft an einer Politik, die in die entgegengesetzte Richtung weist. Wir sind nicht die kleinen Helfer der Grünen, wir sind ein eigenständiger Jugendverband. Das bedeutet, dass wir unsere eigenen Positionen haben und uns dafür einsetzen – vor allem durch Druck von der Straße.

Gerade sieht es so aus: Der Ampel fehlt das Geld für Klimaschutz und Transformation. Scheitern die Grünen in der Regierung?   
Appuhn: Das ist kein exklusives Problem der Grünen. Die Klimakrise ist die größte Bedrohung unserer Zeit. Das kann man nicht nur bei den Grünen abladen. Vor dem Problem steht die ganze Koalition. Allein die Tatsache, dass in den letzten Jahren so viele Schattenhaushalte geschaffen wurden, zeigt doch: In diesen Zeiten kann man keine sinnvolle Politik ohne neue Kredite machen.

Nehmen wir das Heizungsgesetz: Für den Austausch der Heizungen war viel Geld vorgesehen, auch um Bürgerinnen und Bürger sozial abzusichern, die sich den Tausch nicht so einfach leisten können. Dieses Geld fehlt jetzt. Wie würde die Grüne Jugend das lösen?  
Appuhn: Die Ampel muss die Schuldenbremse sofort aussetzen und Geld in die Hand nehmen. Sonst rückt neben wichtigen Investitionen auch das Klimageld in noch weitere Ferne. Das brauchen wir aber dringend, um den Menschen das Vertrauen zu geben, dass Klimaschutz ihr Leben besser machen kann. Die Lösung dafür ist, die Schuldenbremse kurzfristig auszusetzen und sie mittelfristig abzuschaffen. Die Schuldenbremse in die Verfassung zu schreiben war von Anfang an ein Fehler. Grundsätzlich gilt aber auch: Wir lösen die Klimakrise nicht, ohne Verteilungsfragen zu stellen. Das Geld ist vorhanden, es ist nur ungerecht verteilt. Wir müssen die Superreichen und ihre Vermögen und Erbschaften stärker besteuern.

Mit Schulden belastet man die künftigen Generationen – ist das egal?  
Stolla: Dass eine Sparpolitik im Interesse der jungen Generation sei, ist eine beliebte Erzählung, faktisch aber vollkommen falsch. Erstens nimmt der Investitionsstau immer weiter zu, wenn kein Geld in die Hand genommen wird. Auch das sind ja Schulden für die kommende Generation. Zweitens: Wenn das letzte Jugendzentrum schließt, jetzt an Klimaschutz gespart wird und die Busfahrpläne zusammengestrichen werden, hat niemand was davon – ganz besonders junge Menschen nicht: Damit wird uns die Gegenwart und die Zukunft verbaut. Erleben immer mehr Menschen finanzielle und soziale Einschnitte, droht der gesellschaftliche Zusammenhalt zu kippen.

Die FDP denkt eher an Kürzungen der Sozialausgaben. Wie besorgt sind Sie, dass die Grünen in der Regierung dabei mitmachen?  
Appuhn: Die Sorge ist da. Wir werden alles daransetzen, dass das nicht passiert. Inmitten dieser Krise weiter an Sozialausgaben zu sparen, wäre sozialer Sprengstoff und würde rechten Parteien weiteren Nährboden bieten. Die AfD gewinnt schon jetzt überall immer mehr Zuspruch. Die Ampel aber gewinnt kein Vertrauen, indem sie Einschnitte für die Bürgerinnen und Bürger beschließt.

Der Staat hat irre viel Geld. Da muss die Frage erlaubt sein, ob wirklich alle Ausgaben sinnvoll sind. Über welche Einsparungen könnte man mit Ihnen reden?   
Appuhn: Bei den klimaschädlichen Subventionen, das sind ungefähr 60 Milliarden Euro pro Jahr. Ein Großteil ließe sich einsparen – natürlich nicht alles, denn auch hier spielt die soziale Frage mit, etwa bei der Pendlerpauschale. 

Beim Thema Asyl gehen Sie in den Konfrontationsmodus: Die Grünen sollen “verbindlich zu Menschlichkeit” stehen, haben Sie über Ihren Änderungsantrag für den Parteitag geschrieben. Sind die Grünen da falsch abgebogen?  
Stolla: Die Debatte ist in den letzten Wochen nach rechts gerückt. Es stehen massive Asylrechtsverschärfungen an, etwa das sogenannte Rückführungsverbesserungsgesetz. Sie sind unnötig und unmenschlich. Es löst keine Probleme, jetzt diese Verschärfungen zu beschließen, sondern schafft nur mehr Leid. Deshalb fordern wir in unserem Antrag, dass es dafür keine grüne Zustimmungen geben darf.

Aus dem ganzen Land kommen die Hinweise, selbst von Grünen in den Kommunen: Wir sind überfordert, wir schaffen das nicht mehr. 
Stolla: Das stimmt, und es geht uns nicht darum, das wegzureden. Aber die meisten Maßnahmen, die auf dem Tisch liegen, werden an dieser Situation nichts verbessern. Härtere Abschiebungen helfen den Kommunen überhaupt nicht. Sachleistungen werden für mehr Bürokratie sorgen, aber nicht dafür, dass weniger Menschen nach Deutschland kommen. Das sind Scheinlösungen. Dass die Kommunen mehr Geld bekommen sollen, ist gut, aber die versprochenen 7.500 Euro pro geflüchteter Person sind nicht genug. Insbesondere für die soziale Infrastruktur in den Kommunen – von Kitas, über Sozialberatung, Sportvereine bis hin zur medizinischen Versorgung – fehlt seit Jahren eine solide Finanzierung.

Sie meinen, das Problem lässt sich allein mit Geld lösen?
Appuhn: Sicher nicht. Der fehlende Wohnraum ist ja auch ein riesiges Problem. Die Kommunen müssen mehr investieren können. Auch, dass der Wohnraum so schlecht verteilt ist, müsste man angehen.

Wollen Sie Leuten die Wohnung wegnehmen?  
Appuhn: Das halte ich für keine gute Idee. Aber viele ältere Menschen bleiben in großen Wohnungen, obwohl sie den Platz nicht mehr brauchen. Das liegt auch daran, dass oft ein neuer Mietvertrag für eine kleinere Wohnung noch teurer wäre. Wir sind dafür, die großen Wohnkonzerne zu vergesellschaften und so dafür zu sorgen, dass die Mieten wieder sinken.  

Stolla: Die Wahrheit ist: Die Kommunen werden seit Jahren kaputtgespart und sind deshalb seit Jahren an den Grenzen ihrer Kapazitäten – unabhängig von der Migration. Es darf nicht darum gehen, Rechte von Geflüchteten zu beschneiden, sondern man muss die Kapazitäten ausbauen.

Appuhn: Wenn Geburtsstationen überlastet sind, sagt man den Menschen ja auch nicht: Kriegt keine Babys mehr. Stattdessen wären sich in dem Fall wahrscheinlich alle einig, dass man die Kapazitäten der Geburtsstationen ausbauen sollte. Zum ehrlichen Umgang mit der Migrationsdebatte gehört, anzuerkennen, dass es durch Kriege und die Klimakrise zu mehr Migration kommen wird. Darauf muss sich Deutschland jetzt vorbereiten, um Chaos und Leid zu vermeiden. 

Vielleicht ist das Problem ja, dass – um im Bild der Geburtsstationen zu bleiben – Babys von vielen Deutschen gewollt sind, Geflüchtete dagegen nicht so sehr. 
Stolla: Das ist doch eine absurde Debatte. Es geht um Menschen, die Schutz suchen – vor Krieg, vor Verfolgung, vor Perspektivlosigkeit. Niemand begibt sich freiwillig auf ein Schlauchboot, eine potentiell tödliche Flucht mit der Perspektive darauf, in einem anderen Land dann rassistisch angegriffen zu werden – es sei denn, die Umstände in den Herkunftsländern zwingen einen dazu. Aber ja, auch wir hören die Stimmen, die eine restriktivere Migrationspolitik fordern. Nur kann die Antwort eben nicht sein, dann mit nach rechts zu rücken. Das hilft uns nicht, das stärkt nur die Rechten und ist deshalb gefährlich. Was hilft, ist eine soziale Politik, die den Menschen Abstiegsängste nimmt und so Rechten den Nährboden entzieht. 

Der Bundesvorstand spricht in seinem Antrag für den Parteitag davon, dass dort, wo Kapazitäten erschöpft seien, auch Zahlen sinken müssen. Sind die Grünen schon von diesem Rechtsruck, den sie beschreiben, ergriffen worden? 
Appuhn: Die grüne Partei beteiligt sich an Asylrechtsverschärfungen, die von rechts getrieben sind. Das finden wir falsch. Wir haben nichts dagegen, wenn die Zahlen sinken – wenn das durch eine aktive Bekämpfung der Fluchtursachen geschieht. Dazu gehören zum Beispiel faire Handelsabkommen oder ein Schuldenschnitt für den globalen Süden. Niemand darf sich gezwungen sehen, seine Heimat zu verlassen. Aber in der aktuellen Debatte ist mit der Aussage “Die Zahlen müssen sinken” ja eher gemeint, dass man sich weiter abschottet.

In diesem Jahr flogen die Grünen sowohl in Berlin als auch in Hessen aus der Landesregierung. Wie würden Sie den Zustand der Grünen aktuell beschreiben?    
Appuhn: Also in Hessen ging es ja nicht so sehr um die Grünen, sondern darum, dass die SPD sich der CDU angebiedert hat, insbesondere in der Migrationspolitik. Insgesamt sehen wir gerade mit Sorge, dass keine Partei sich ernsthaft um die großen Gerechtigkeitsfragen kümmert. Diese Lücke muss jetzt dringend gefüllt werden. Wir denken, dass das der Weg in die gesellschaftliche Mitte für die Grünen sein muss: Sich um die Nöte der Menschen zu kümmern, ohne diese gegeneinander auszuspielen. 

Quasi nicht “grün pur” sondern “sozial-ökologisch pur”.  
Stolla: Ja, das darf kein Entweder-Oder sein: Klimaschutz kann nur funktionieren, wenn er sozial ist. Das sagen zwar auch die Grünen, aber es wird in ihrem Regierungshandeln nicht genug deutlich. Wenn Klimaschutz nur negative Einschränkungen für Menschen bedeutet, setzt man gesellschaftliche Mehrheiten für Klimaschutz aufs Spiel.

Berlin und Hessen könnten Vorzeichen dafür sein, dass den Grünen die Koalitionsoptionen ausgehen. CDU-Chef Friedrich Merz sieht sie als Hauptfeind, der FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai nannte sie ein “Sicherheitsrisiko”. Warum werden die Grünen so gehasst?  
Appuhn: Ich würde darauf antworten: Die FDP ist ein finanzpolitisches Sicherheitsrisiko für unsere Demokratie. Deren anvisierte Sparpolitik würde zu Armut und Perspektivlosigkeit führen, die die Demokratie nachgewiesenermaßen gefährdet.    

Stolla: Ehrlich gesagt sind Koalitionsoptionen gerade nicht die größte Sorge der Menschen – das sind eher die Mietpreise und Abstiegsängste. Der Hass, der den Grünen gerade entgegenschlägt, ist auch eine Projektion davon, dass viele Menschen verunsichert sind und die Erfahrung gemacht haben, dass Krisen und Veränderungen immer auf ihrem Rücken ausgetragen werden. Deshalb braucht es eine Politik, die den Menschen soziale und wirtschaftliche Sicherheit gibt und Menschen die Erfahrung machen lässt, dass Veränderung zu ihren Gunsten stattfinden kann.

Frau Stolla, nehmen wir an, Sie treffen auf dem Parteitag zufällig auf Wirtschaftsminister Robert Habeck, was würden Sie ihm sagen?  
Stolla: Ich würde ihm sagen, dass wir eine Politik brauchen, die sich ernsthaft um soziale Belange kümmert. Aber es ist nicht damit getan, Appelle an Politiker zu richten. Sondern wir wollen Druck aufbauen, den die Regierung nicht mehr ignorieren kann. Wir gehen auf die Straße, wir organisieren den Protest. 

Und Frau Appuhn, wenn Sie heute zufällig auf Finanzminister Christian Lindner von der FDP treffen würden, was würden Sie ihm sagen?  
Appuhn: Ich kenne den guten Mann ja ehrlicherweise noch nicht so gut, deshalb würde ich es wohl etwas förmlicher formulieren. Aber die Botschaft wäre: Chrissi, mach Geld locker.

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