Grape of the Art und Armagnac: So soll die Spirituose gerettet werden

Armagnac ist die älteste bekannte französische Spirituose. Schon 1310 wird sie in einem Buch erwähnt. Doch dem Weinbrand haftet ein eher staubiges Image an – der neuzeitliche Hype wie bei Whisky und Rum blieb bislang aus. Fünf Freunde meinen: Das ist kein Zustand. Und packen’s an.

Die letzte Abfüllung von “Grape of the Art” (“GotA”) liegt noch nicht lange zurück. Als die 350 Flaschen des 36 Jahre alten “Hontambère 1985” Anfang Februar in den Verkauf gingen, waren nach einer Viertelstunde fast alle verfügbaren Bestände vergriffen – trotz des stolzen Preises von 175 Euro pro Exemplar. 

Solche Preise, die bei begehrtem Whisky oder Rum in der Szene längst mit einem leidigen Schulterzucken hingenommen werden, sind für Armagnac eher ungewöhnlich. Denn dem “kleinen Bruder” des deutlich berühmteren Cognac haftet ein staubiges, fast langweiliges Image an. “Völlig unverdient”, meint Robert Bauer, Gründungsmitglied von “Grape of the Art”, im Gespräch mit dem stern. Zusammen mit seinen Kollegen Oliver Gerhardt, Christian Maier, Leonard Stumpf und Sascha Junkert, der inzwischen hauptberuflich den Online-Shop Armagnac.de betreibt, hat sich das Team zur Mission gesetzt, dieser völlig unterbewerteten Spirituose eine neue Bühne zu schaffen.

Vier der fünf Mitglieder von "Grape of the Art": Sascha Junkert (l.), Oliver Gerhardt, Robert Bauer und Christian Maier. Es fehlt: Leonard Stumpf.

Vier der fünf Mitglieder von “Grape of the Art”: Sascha Junkert (l.), Oliver Gerhardt, Robert Bauer und Christian Maier. Es fehlt: Leonard Stumpf.

© Grape of the Art

Guter Wein macht guten Armagnac

Das französische “Wasser des Lebens” ist ein Weinbrand, dessen Produzenten in erster Linie Winzer sind, also französischen Wein in drei bestimmten Anbaugebieten der Region Armagnac anbauen. “Entscheidend für einen guten Armagnac ist ein hochqualitativer Wein, weswegen extra Rebflächen nur für Armagnac bewirtschaftet werden,” erklärt Junkert. Armagnac darf sich nur nennen, was aus Bas-Armagnac, Haut-Armagnac oder Ténarèze kommt.

Hergestellt wird die Spirituose dann wie folgt: Aus insgesamt zehn zugelassenen Rebsorten, in erster Linie aber Ugni Blanc, Baco Blanc, Colombard und Folle Blanche, wird zunächst Weißwein gekeltert. Dieser wird dann in meist mobilen Brennblasen aus Kupfer durch einen einzigen Brennvorgang destilliert. Schon allein die Brennblase, die sogenannte Alambic Armagnacais versprüht einen ungeheuren Charme. Denn die abenteuerlich wirkenden, teils recht kleinen Apparate werden von einem Traktor von Hof zu Hof gefahren und stehen dort “von Termin zu Termin für die Weingüter zur Verfügung”, erklärt Junkert. Den Grund dafür kennt er auch: “Die meisten Weingüter sind so klein, für die würde sich das überhaupt nicht lohnen, den Armagnac komplett in Eigenregie zu brennen. Deshalb läuft das schon immer in Kooperation mit den spezialisierten Destillateuren.” Anschließend kommt das Destillat in neue Fässer aus der Gascogner Schwarzen Eiche und lagert dort mindestens ein Jahr, oft aber wesentlich länger.

Alambic Armagnacais

In einer solchen Alambic Armagnacais wird der Armangnac mit direkter Befeuerung destilliert.. Mit den riesigen Whisky-Brennblasen hat das wenig gemeinsam.

© Wet Drams GmbH

Für Sammler ergibt sich derzeit noch ein günstiges Zeitfenster, welches bei Whisky und sogar bei Rum seit Jahren fest verschlossen ist. “Was uns am Anfang an Armagnac begeistert hat – und was immer noch der Fall ist: Man kann auch sehr alte Jahrgänge, also 30er oder 40er Jahre, noch relativ günstig kaufen”, weiß Junkert zu berichten, “nur wenige Flaschen, etwa ein Armagnac von 1895, kosten vierstellig. Alles andere ist, verglichen mit anderen Spirituosen, beinahe lächerlich günstig zu haben.” Woran das genau liegt, vermag niemand so recht zu sagen. Die Macher von “Grape of the Art” gehen davon aus, dass der heutige Ruf von Armagnac auch damit zusammenhängt, dass dem Produkt das ihm gebührende Marketing fehlt. “Viele kennen das Produkt nicht einmal”, erklärt Robert Bauer und fügt hinzu: “Oder nicht mehr.” Für diesen Umstand könnte es mehrere Gründe geben. 

Die vergangenen 100 Jahre waren schwere Zeiten für Armagnac

Ende des 19. Jahrhunderts zerstörte die Reblausplage große Teile der französischen Weinanbaugebiete, was Jahrzehntelang katastrophale Folgen für die Ernten hatte. Als sich die Lage dank neuer Rebensorten wieder erholt hatte, folgten zwei Weltkriege. In den Nachkriegsjahren, so heißt es, sei Armagnac dann äußerst beliebt gewesen. Die hohe Nachfrage habe allerdings dazu geführt, dass die Qualität der Spirituose sehr stark sank. Das Image wurde damals entsprechend beschädigt und das hallt bis heute nach.

Anders als bei Whisky und Rum haben es sich bislang auch keine großen Konzerne zur Aufgabe gemacht, Armagnac aus der Senke zu heben. “Es gibt so 600 bis 700 kleine Produzenten, das meiste in Familienbesitz. Etwas wie Diageo, Beam Suntory oder LVMH gibt es in dieser Welt bislang kaum”, erklärt Junkert.

Gut für Entdecker wie die Jungs von “Grape of the Art”. Denn die Kombination aus altem Kram und guter Verfügbarkeit zu fairen Preisen war es schließlich, die zur Gründung der Unternehmung führte – und damit zu einer ersten Renaissance der Spirituose. Zumindest innerhalb der Sammler-Szene.

Schätze im Keller

Feuchte Keller voller Flaschen und Glasballons: Die Jagd nach altem Weinbrand wird nicht selten mit solchen tollen Szenen belohnt.

© Wet Drams GmbH

“Bei mir hat das in Freiburg angefangen, als ein befreundeter Barkeeper mir vor zehn Jahren meinen ersten Armagnac ausgeschenkt hat”, erinnert sich Junkert, “dann habe ich Armagnac aber wieder aus den Augen verloren und rückte erst einige Jahre später in den Fokus. Da hat es dann Klick gemacht und ich habe mich mehr damit beschäftigt und bei einigen kleinen Höfen mit Händen und Füßen eine Auswahl verschiedenster Abfüllungen bestellt.”

Robert Bauer kam später dazu. “Sascha und ich kennen uns aus dem Internet. Wir hatten erstmals Kontakt über Facebook, wo wir uns mit ein paar Leuten aus Stuttgart und dem Umland zum Tasting diverser Spirituosen verabredet haben. Der Fokus lag eigentlich auf Whisky und Rum. Armagnac kam dann irgendwie dazu und fiel immer wieder bei Blindverkostungen äußerst positiv auf.”

Schnell war man sich einig: “Armagnac ist geschmacklich sehr vielfältig, die Bandbreite ist riesengroß. Ein guter Armagnac kann nach dunklen oder hellen Früchten schmecken, florale oder schwere Noten haben und sogar an High-End-Rum aus Guyana erinnern”, fügt Bauer hinzu, “aber in Deutschland gab es nur sehr wenig Auswahl. Die ‘Einstiegsdroge’ kam für alle von L’Encantada (ein unabhängiger Abfüller von Armagnac, Anm. d. Red.), danach wurde es schnell dünn am deutschen Markt.”

Irgendwann hatte der Freundeskreis die Faxen dicke. Es musste etwas passieren. Denn obwohl Armagnac in manchen Supermärkten im Regal steht, mangelte es sehr an dem, wonach der Stammtisch lechzte: Unverfälschte und unverdünnte Einzelfässer, gerne sehr alt.

Her mit dem alten Stoff

Die Idee von “Grape of the Art” war geboren und Ende 2020 nahm das Projekt konkrete Formen an. Im Juni 2021 ging es erstmals mit dem Mannschaftsbus in die Anbaugebiete im Westen Frankreichs, irgendwo zwischen Bordeaux und Toulouse. Die Jagd auf “charaktervolle, besondere Einzelfässer” war eröffnet. Das jahrelange Tresen-Training kam dabei wie gerufen. “Dadurch, dass wir uns alle bei Rum und Whisky sehr gut auskennen und dort viele Benchmarks probieren durften, wussten wir auch bei Armagnac, worauf wir achten müssen, damit es Spirituosen-Liebhabern wie uns schmeckt”, sagt Bauer. Die Expertise der “GotA”-Mitglieder ist durchaus belegbar. Oliver Gerhardt ist Gründer der weltgrößten Rum-Datenbank “Rum-X”.

Im Dezember 2021 war es dann erstmals soweit: Mit dem “Le Frêche 2007” präsentierte das junge Unternehmen zusammen mit L’Encantada seine erste Abfüllung eines 13 Jahre alten, kraftvollen Armagnacs. In der Fachpresse kam das Debüt ausgesprochen gut an, die 150 Flaschen waren recht schnell vergriffen. Kurz darauf folgte ein 20 Jahre alter Armagnac der “Domaine de Séailles”, verfüllt in 195 ebenfalls schnell verkaufte Flaschen. Inzwischen hat “Grape of the Art” acht Veröffentlichungen hinter sich und bereitet die neunte Abfüllung in diesem Moment vor. Am 30. März 2023 ist es schon wieder soweit.

Armagnac Danis

Sticht hervor: Die nächste Abfüllung von “Grape of the Art” zeigt erneut, dass Armagnac nicht immer nur mit Reben, Trauben, Siegeln und Degen verziert werden muss. Es wird ein 33-jähriger Armagnac 1988er aus der Domaine Danis.

© Wet Drams GmbH

Bis “Grape of the Art” einen neuen Armagnac auf Flasche zieht, ist hinter den Kulissen allerdings eine Menge passiert. Wenn die “GotA”-Crew in den Anbaugebieten ankommt, stehen viele Termine an. Entweder steuert das Team dann Höfe an, bei denen man sich vor Abfahrt für eine Verkostung angemeldet hat, oder man schaut entlang der Straßen, wo Schilder stehen, die zu Winzern und Armagnac-Herstellern führen. “Bei der Domaine Séailles, deren Armagnac wir inzwischen zwei Mal abgefüllt haben, fing alles mit einem kleinen Schild an, das auf ein unscheinbares Wäldchen gezeigt hat”, erinnert sich Robert Bauer, “an dem Tag waren wir eigentlich schon mit allen Terminen fertig und bereits auf dem Heimweg, aber irgendwie hat es uns dort magisch auf den Hof gezogen. Da trafen wir dann den Julien Franclet auf seinem Traktor und haben ihn gefragt, ob wir etwas probieren können. Wenig später standen wir bei ihm im Keller und haben uns stundenlang durch die Fässer gewühlt.” 

Keine teuren Entscheidungen in feuchten Kellern

Romantischer und authentischer geht es kaum – das wissen auch die Macher von “Grape of the Art”. Deswegen wird vor Ort erstmal nichts gekauft – so schwer es in dem Moment auch sein mag. “Man muss tierisch aufpassen, vor Ort ist man irgendwann einfach nicht mehr objektiv. Dieses Keller-Feeling, der Pegel, die Gerüche, das Setting – davon darf man sich nicht einlullen lassen”, berichtet Bauer. Bei “Grape of the Art” gibt es deshalb eine feste Regel: Es muss ein zweiter Durchgang folgen. 

Fasskeller L'Encantada

In solchen Fässern lagert das flüssige Gold aus dem Südwesten Frankreichs.

© Wet Drams GmbH

Nach den Frankreich-Trips, die meistens eine Woche dauern, pausiert das Team und trifft sich erneut zum Tasting. Erst, wenn vier von fünf Mitgründern auch im zweiten Durchlauf von einer bestimmten Abfüllung begeistert sind, erfolgt der Zuschlag für das Fass. “Streit gibt es dabei selten”, sagt Junkert, “manchmal stellen wir uns gegenseitig auf die Probe und loben ein strittiges Sample besonders, um die Reaktion der anderen zu sehen. Aber meistens sind wir uns einig.” Bauer stimmt zu.

Sobald die Entscheidung steht, wird der “Kellerfund” bestellt. Das Fass verlässt die Höfe aber nicht – denn würde “Grape of the Art” den Armagnac in Stuttgart abfüllen, dürfte er nicht mehr so heißen – so ist das eben bei einer geschützten Herkunftsbezeichnung. Also schickt das kleine Unternehmen die Flaschen nach Frankreich und erhält sie gefüllt und versiegelt zurück. Viele Arbeitsschritte erledigen die Jungs auch gerne selbst.

Ab diesem Punkt unterscheidet sich “Grape of the Art” dann aber deutlich von anderen Anbietern. Denn während der Großteil aller Armagnac-Anbieter klischeebehaftete Reben, Trauben, Degen, Schreibschriftzüge oder königlich anmutende Siegel auf die Flaschen druckt, hebt sich ein “GotA”-Release davon ab. Die Etiketten lässt man von der Desigerin Theresa Plos fertigen, der gesamte Auftritt im Netz wirkt moderner und mutiger. Und das fällt auf.

Auch alte Trauben brauchen Marketing und Social Media

“Natürlich kann man bei den meisten Bauern anrufen, eine Mail schicken oder sogar im Online-Shop einkaufen. Aber die findet im Zweifel nur jemand, der sich auskennt. Wir bieten den Produzenten eine ganz andere Bühne und erschließen damit Zielgruppen, die bisher außer Acht gelassen worden sind. Das sind zum Beispiel Rum-Enthusiasten, die bereit sind, mal was Neues kennenzulernen, sich aber für die Standard-Abfüllungen kaum interessieren. Derweil sind Fassstärken, also unverdünnte Abfüllungen, in Frankreich von der Stammkundschaft wenig gefragt. Da fungieren wir als Bindeglied und bieten den Herstellern Abnehmer für ihre besonderen Fässer, die man der Welt eigentlich in ihrer Rohform präsentieren will”, erklärt Bauer.

Abfüllung Armagnac Probe

Keine Technik, alles wie immer: Guy Saint Pastou von Châtau de Castex demonstriert eine Probenentnahme aus dem Fass.

© Wet Drams GmbH

Social Media spiele dabei auch eine riesige Rolle, erklären die beiden. Viele Höfe konzentrieren sich ausschließlich auf die Produktion und den Direktverkauf, seien aber mangels Bühne in der weltweit vernetzten Community von Spirituosen-Liebhabern nicht auf dem Schirm. Bauer: “Da kommen wir dann ins Spiel. Wir pusten quasi den Staub von den Fässern und packen Sie in Flaschen mit einem modernen, komplexen Design. Denn Armagnac hat sein verstaubtes Image nicht verdient. Der Star unserer Abfüllungen ist jedoch der Produzent, deshalb findet man auch den Namen der jeweiligen Domaine immer sehrt prominent auf dem Etikett.”

Um eine neue Bühne geht es “Grape of the Art” auch bei ihrer nächsten großen Premiere. Am 24. Und 25. Juni 2023 wird das erste Armagnac-Festival Deutschlands in Stuttgart stattfinden und versuchen, den zahllosen Whisky- und Rummessen die Stirn zu bieten.

Aktuell haben fast alle Gründer noch Hauptberufe und betreiben “GotA” quasi in der Freizeit. “Die Zahlen sehen aber gut aus und gehen in die richtige Richtung”, meint Robert Bauer, der für den Vertrieb verantwortlich ist, “aber wir lassen uns Zeit und konzentrieren uns auf das Produkt. Es wird nicht passieren, dass wir plötzlich jeden Monat 5 Releases raushauen und so auf Biegen und Brechen irgendwie skalieren. Dafür wäre der Markt auch nicht bereit.”

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Was dabei rauskommt, wenn man die Dinge überstürzt, kriegt Armagnac schließlich heute noch zu spüren. Den Ruf der edlen Spirituose wiederzubeleben ist also kein Wettrennen, sondern ein schmackhafter Marathon. Ohnehin ist die aktuelle Situation Fluch und Segen zugleich. Denn wäre Armagnac so beliebt wie Whisky oder Rum, käme die Produktion der kleinen Betriebe (schon wieder) kaum nach. Wie die Spirituose selbst, muss die aktuell positive Entwicklung also langsam reifen und sich den Gegebenheiten anpassen.

Nun steht erst einmal die nächste Abfüllung an. Ein 33-jähriger Armagnac 1988er aus der Domaine Danis, einem kleinen Hof aus der südfranzösischen Weinbauregion Côtes de Gascogne. Das künstlerische Etikett zeigt einen Bernhardiner mit Fässchen um den Hals, Weinfelder, Bäume und Berge. Was in der Flasche wartet, wird sich zeigen. Wie lange (oder kurz) man sie kaufen kann, auch.

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