Fußball-WM: Deutschland gegen Kolumbien – die TV-Kritik

TV-Kritik
“Das darf doch nicht wahr sein!” – kein Happy End trotz Power-Popp

Da war noch alles drin: Martina Voss-Tecklenburg, Bundestrainerin der deutschen Frauen-Fußballnationalmannschaft, applaudiert beim Aufwärmen.

© Sebastian Christoph Gollnow / DPA

Es sollte die Krönung eines tollen Fußballwochenendes werden, am Ende verlor Deutschland in letzter Sekunde gegen das kolumbianische Team. Auf Seiten der ARD erweist sich der Kick dagegen als solider Reality-Check.

Von Ingo Scheel

“Mit links mal einen reinheben”, konstatiert Kommentator Bernd Schmelzer kurz vor dem Halbzeitpfiff. Das deutsche Team ist im Angriff, rollt über den linken Flügel nach vorn, in der Mitte stellt sich Alexandra Popp in Position, jetzt “einen reinheben”, dann könnte es klingeln.

Zweites Spiel der deutschen Mannschaft bei der WM in Australien und Neuseeland, Premiere für die ARD, die nach dem Auftaktsieg gegen Marokko im ZDF nun in den Genuss kam, “Tippi-Toppi-Poppi” und ihr Team zu präsentieren, und es ist nicht zu überhören: Kneipen-Dialektik, “Oberschenkel, die halten” und “worst worst cases”, auch sprachlich ist der Frauenfußball endlich in der Mitte der Gesellschaft angekommen. 

Unterhaltung auf dem Rasen, Kompetenz in der Sprecherkabine, solide Arbeit im Studio

Im Ernst (und ohne die Ironie des vorherigen Satzes): Wofür die Fußball-Männer selbst bei erfolgreichen Turnieren locker die Gruppenphase und ein bis zwei K.O.-Spiele benötigen, gelingt bei der Frauen-WM, so scheint es, aus dem Stand, auch wenn das Spiel gegen Kolumbien dramatisch-tragischer kaum hätte ausgehen: Unterhaltsamer Fußball auf dem Rasen, passioniert-kompetenter Kommentar aus der Sprecherkabine – und eine solide Dreierkette im ARD-WM-Studio.

Nun mag die halbrunde Sitzgelegenheit so ein bisschen nach Kundenfoyer einer Großbank aus den späten 80er Jahren aussehen, die Besetzung jedoch ist up to date. Almuth Schult als “Lady in Black”, Nia Künzer im sommerlichen Freizeitlook und Claus Lufen ohne Socken zum Anzug, in Sachen Fashion as diverse as it gets.

Im Stadion in Sydney ist man schon vor dem Anpfiff auf Betriebstemperatur. Auf den Rängen ist es bereits so laut, dass Interviewerin Lea Wagner und Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg ihre Stimmen anheben müssen, als würden Motörhead im Hintergrund Soundcheck machen. Oder wie Claus Lufen es nannte: “Schon vor dem Spiel im Coaching Modus”.

Im soliden Experten-Modus agiert das Doppel Schult/Künzler, die sich die Bälle zupassen, ohne sich der Schönspielerei verdächtig zu machen: “Die Qualität ist da” (Künzer) vs. “Kolumbien kann die Deutschen ärgern” (Schult), ein Floskel-Kurzpassspiel zwischen effektiv und konservativ, kurzum: ein solides Unentschieden. Fraglich dagegen, ob ein Einspieler über die Kolumbianerinnen unter dem Motto “So jung, so stark, so gefühlvoll” angekündigt werden muss … nun ja.

Pointiert fällt die Analyse im Anschluss ans Happy-End-befreite Spiel aus, bei der Almuth Schult die schiedsrichterliche Inkonsequenz in puncto gelbe Karten anprangerte, und Nia Künzer die Gewinnformel schlicht mit “Kopfball, Tor!” auf den Punkt brachte. Selbstkritisch analysierte Alexandra Popp, die kurz zuvor noch den vermeintlichen Remis-Elfer mit links reingemacht hatte, nach der unglücklichen Niederlage, dass “der letzte Druck, der letzte Mut” gefehlt hätte. Man sei enttäuscht, aber es sei “ein recht gutes Spiel” gewesen. 

Weniger ist mehr

Apropos “gefehlt”: Zuweilen ergibt sich die Qualität partiell auch aus dem Fehlenden, aus den Dingen, die nicht stattfinden: Kein x-tes Anekdötchen um Klara Bühls Häkel-Koala, eine gute Entscheidung. Und noch ein Standard wird bei dieser WM kaum vermisst: Das traditionelle Expertengespräch an der Seitenlinie, so etwas wie Basti Schweinsteiger und Jessy Wellmer beim Davor- und Danach-Geplänkel, gibt es diesmal nicht. Die Kunst des Weglassens, in der ARD scheint man sie heuer zu beherrschen.

“Mutiger, klarer, ruhiger”, so lautete schließlich die Marschroute der gefasst wirkenden Bundestrainerin für das Alles-oder-nichts-Spiel gegen Südkorea. Kommentator Bernd Schmelzer, im Last-Minute-Drama vom Gurgelfaktor her fast etwas an die ZDF-Kollegin Neumann erinnernd, resümierte mit schmerzender Klarsicht: “Der Boden der deutschen Realität ist heute ein kolumbianischer.” Das Schlusswort hatte schließlich Schult: “Egal, wer kommt, Hauptsache, wir erreichen das Achtelfinale.” Beim High-Noon am Donnerstag in Brisbane geht es um alles.

yks

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