EU-Abgeordneter Martin Sonneborn im Chat: “Muss jetzt mal 2h regieren… Bis später…”

Martin Sonneborn ist Satiriker und EU-Abgeordneter der “PARTEI”. Wenn er im Brüsseler Parlament ans Mikro tritt, gefriert Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen das Gesicht. Der “stern” hat ihn chattend in seinem Alltag begleitet.

Martin Sonneborn hat das Humorhandwerk bei der Satirezeitschrift “Titanic” gelernt. 2004 gründete er zusammen mit anderen “Titanic”-Redakteuren “Die PARTEI” und übernahm den Vorsitz. Einerseits parodiert “Die PARTEI” den klassischen Politik-Betrieb; anderseits ist es eine reguläre deutsche Kleinpartei mit inzwischen über 50.000 Mitgliedern. Bei der letzten Europawahl erzielte “Die PARTEI” 2,4 Prozent der Stimmen und errang zwei Sitze im Europäischen Parlament. Der stern hat zwei Tage lang mit Sonneborn gechattet. Das Gespräch ist Auftakt einer neuen Reihe, in der wir Prominente chattend in ihrem Alltag begleiten.

Moin, Herr Sonneborn. Wie geht’s Europa heute Morgen?
Gähn, guten Morgen, Herr Maus, Sie sind aber früh auf… Mein Wecker geht erst um 9 Uhr. Seit den furchtbaren Bombenanschlägen in Brüssel – die sich gegen 9 ereigneten – gehe ich aus Sicherheitsgründen nie vor 11 ins Parlament.

Frisch ans Werk, Volksvertreter! Was steht an gleich?
Erst mal Kopfschmerztabletten (belgisches Bier darf leckere Farb- und Zuckerzusätze enthalten), dann Dusche, 30 Min zum Parlament laufen, jährliche Routineuntersuchung, eine Stunde Kaffeetrinken mit Büroleiter Dustin Hoffmann, um die Woche zu planen.

Ich gehe dann jetzt auch mal duschen und denke mir ein paar gemeine Fangfragen für Sie aus. Eine habe ich schon: “Ist diese komische EU nun eigentlich gut oder schlecht?”
Der PARTEI-Slogan “JA zu Europa, NEIN zu Europa” brachte es schon gut auf den Punkt.

Ziemlich dialektisch für diese Uhrzeit.
Das Konstrukt ist gut und sinnvoll. Aber wir brauchen eine Kursänderung, weg von den Interessen der großen Konzerne, hin zu Bürgerinteressen. Ich glaube, nach allem, was ich hier (und in Deutschland) gesehen habe, würde ich dafür plädieren, Bürger ins Parlament zu losen. Wie bei den alten Griechen. Mit Nebentätigkeitsverbot.
*
JA zu Europa, NEIN zu Europa…

Ganz kurz: Sie sind um 9:00 nicht wirklich noch im Schlafanzug, oder?
Doch. Ich arbeite später.

Send pic!
(Sonneborn schickt ein Selfie)
*
Das ist aber nicht zum Veröffentlichen…

Da sprechen wir noch mal drüber.
Nur als Beweis, damit Sie anfangen, mir zu trauen.

Man sieht: Sie schlafen im “PARTEI”-T-Shirt!
Ja, das ziehe ich mir im Bett an…
*
Muster
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Unikat
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Im EU-Parlament gibt’s nur kaltes Wasser – und Legionellen

Schickes Bad. Ist das bei Ihnen zuhause oder in einem Luxushotel nach einem Gelage mit Lobbyisten?
Smiley. Seit ich Späße mit “Huawei” gemacht habe, werde ich kaum noch eingeladen von Lobbyisten. Mein Zuhause in Brüssel.
*
Übrigens: Freuen Sie sich gleich über den Wasserdruck in Ihrer Dusche, in Belgien ist der in älteren Gebäuden oft nicht sehr hoch Grrrrr. (Freuen Sie sich auch über warmes Wasser, im EU-Parlament gibt es nur kaltes. In den Warmwasserleitungen des wichtigsten EU-Gebäudes tummeln sich seit über 10 Jahren Legionellen, deshalb wurde einfach das warme Wasser abgestellt…

Dann will ich mal nach den Hamburger Legionellen schauen.
Gut zum Wachwerden, so eine Konversation.

Machen wir jetzt jeden Morgen.
Smiley!

Martin Sonneborn: "Mein Büroleiter Dustin Hoffmann (real name) bereitet den Besucherraum für Studenten vor."

Martin Sonneborn: “Mein Büroleiter Dustin Hoffmann (real name) bereitet den Besucherraum für Studenten vor.”

© Martin Sonneborn

So, U-Bahn jetzt. Ganz kurz noch: Wann haben Sie zuletzt tiefes, echtes, wahres Glück im EU-Parlament empfunden?
Bei Merkels Abschied in Straßburg… Als ich Udo Voigt von der NPD die Redezeit geklaut habe…
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Zwischendurch mal dies: ich habe beim medizinischen Dienst zur Routineuntersuchung exakt 45 Sekunden in einem neurenovierten leeren Wartezimmer auf die Blutabnahme gewartet … Fahrdienst (vor allem in Berlin) und medizinische Versorgung machen in diesen Zeiten den eigentlichen Luxus dieses Parlamentarierdaseins aus … Jetzt muss ich noch ein Formblatt ausfüllen, darüber, wieviel ich trinke und was für Drogen ich nehme – das “Blatt der Unwahrheit”, wie die Assistenten es nennen …

Wahrscheinlich müssen wir irgendwann alle Parlamentarier werden, um ordentlich versorgt und zur Arbeit transportiert zu werden.
Wir haben mit dem Bundestag zwar das zweitgrößte Parlament der Welt, nach China, aber ich würde das trotzdem für keine gangbare Lösung halten … Lieber vernünftige Sozialpolitik machen und das System entökonomisieren …

Sie erheben ja plötzlich ganz pragmatische Forderungen. Sind Sie etwa nicht nur ein Polit-Clown?
Wir machen Politik mit satirischen Mitteln. Aber wir machen Politik. Die von-der-Leyen-Reden werden millionenfach gesehen, Reden zu Werten und NATO auch gut gesehen… und unsere Texte zu den Pfizer-Verträgen oder Fiona Scott Morton von Zeitungen nachgedruckt oder veröffentlicht … wir haben schon ein klares humanistisches und soziales Weltbild – und ein Programm mit Existenzmaximun (10 Mio) und der Forderung nach einer deutschen Atombombe.
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Smiley.
*
Nicht alles ist wörtlich zu nehmen.

Manche werfen Ihnen ja vor, sich immer nur über Absurditäten des Parlamentarismus und knirschende Demokratie lustig zu machen. Diese Leute sagen, Sie schürten Demokratieverachtung. Das machten sonst nur Rechtspopulisten. Was sagen Sie denen?
Die großen Parteien betreiben keine wirkliche Kritik am EU-Kurs, es ist ja ihr eigener. Kritik am Kriegskurs der ehemaligen Friedensunion, an der Schuldenaufnahme, die uns wahnsinnig Geld kosten wird, am komplett überzogenen Haushalt, am fortlaufenden Versuch, eine Totalüberwachung der Bürger einzuführen, an den 22 Prozent Armen in der EU, die es seit 20 Jahren lt. Eurostat-Daten gibt…
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An der Unterstützung Aserbaidschans bei der Bombardierung & Vertreibung von über 100.000 Menschen in Bergkarabach – die kleine christliche, demokratische Enklave im Kaukasus wurde gerade abgewickelt…
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Ein guter Witz macht den Irrsinn hier erträglicher. Und das ist halt meine Art des Umgangs, ich hab’ es bei TITANIC so gelernt…

Nehmen wir mal an, ich bin ein engagierter EU-Bürger, der Ihre Werte teilt. Aber der sich auch ganz konkret Veränderungen in Europa wünscht. Macht es da überhaupt Sinn, satirische Aktivist:Innen wie “Die Partei” zu wählen, statt eine ganz klassische Partei, die sich schön pragmatisch mit ihrer ganzen Power für ganz realistische Belange einsetzt?
Ich muss Sie leider enttäuschen: Die klassischen Parteien vertreten Ihre Interessen nicht (mehr).
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Schreibe etwas später
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weiter

Die Grünen und die Linke dürften doch ähnliche Programme haben wie Sie, oder? Und sie haben Fraktionsstärke.
Die Linke hat gute Anträge, hat schon früh auf die Militarisierung aufmerksam gemacht, kritisiert unsoziale EU-Politik  – kann aber keine Öffentlichkeit herstellen. (Wir können das zum Glück in beschränktem Maße, dank meines Vorlebens)
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Die Grünen haben alles Linke, Soziale, den kleinen Bürgern Verbundene (wenn sie das jemals hatten) abgelegt. Sie kooperieren mit den Konservativen und Frau von der Leyen… Es gibt viel zu kritisieren – aber echte Kritik kommt zur Zeit nur von links und rechts außen. Wir haben eine Marktlücke: EU-Kritik aus der “extremen Mitte” (Die PARTEI)
*
Wir dürfen die Kritik nicht den Radikalen von rechts überlassen…

Wann haben Sie zuletzt tiefe Sympathie und Ergriffenheit für das idealistische Projekt Europa empfunden?
Als wir mit 2,4 % ins Parlament gewählt wurden…
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Diesmal brauchen wir 1,6 Prozent, dann muss Sibylle Berg mit…
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UND ICH MUSS WENIGER ARBEITEN

Die Schriftstellerin Sibylle Berg steht auf Listenplatz 2 Ihrer Partei bei der Europawahl. Was erwarten Sie von ihr?
Ich habe ihre Kolumne beim Spiegel gelesen, eine der wenigen, die man lesen konnte…
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Sie ist antikapitalistisch, menschenfreundlich
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zynisch, lustig – und kennt sich mit der EU aus
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Hat ein Buch darüber geschrieben.
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Sie kann die Aufgabe der Piraten übernehmen… Netzthemen, Überwachung
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Und sie kann schreiben!

Brauchen Sie unbedingt immer Promis in Ihrer Partei?
Nein, aber das hat Tradition
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Von K.I.Z.
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über Heinz Strunk, Mark Benecke, Serdar Somuncu bis zu Nico Semsrott
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den einen Hamburger Depressiven da…

Nico Semsrott war auch Europaabgeordneter Ihrer Partei. Aber er ist bei Ihnen ausgetreten, weil er Ihren Umgang mit Rassismusvorwürfen falsch fand. Sie hatten damals einen Witz gemacht, der mit Klischees über Chinesen gearbeitet hat. Als man über Semsrotts Abgang las, hatte man den Eindruck, Sie sind ganz schön autoritär als Parteivorsitzender.
Hahaha, nein.

Die junge Generation ist humor, lust- und alkoholfeindlich

Klang aber so.
Es war Corona, wir haben gar nicht gesprochen zu der Zeit… Wenn wir uns einfach auf dem Flur gesprochen hätten, wäre das anders gelaufen…
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Ist aber ein Generationenkonflikt
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Ob der Witz lustig war oder nicht, darüber kann man streiten
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Aber er war nicht rassistisch…

Was ist denn mit dieser jungen Generation?
Zu humor- lust- und alkoholfeindlich

Semsrott hatte ja vor allem kritisiert, dass Sie sich partout nicht entschuldigen wollten damals.
Hab ich bei “Titanic” nicht gelernt
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Das sind doch nur Rituale, bei denen jeder weiß, was für eine Rolle er spielt
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jedenfalls im Netz
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Muss jetzt richtig arbeiten, sehe aber zwischendurch immer rein…

Glauben Sie etwa auch, “man könne heute gar nichts mehr sagen”?
Nein, das glaube ich nicht. Man kann alles sagen – aber die Konsequenzen sind härter als früher. Schlecht für Satire, Diskussionskultur, Demokratie.

Können Sie zwischendurch mal eben kurz ein Lagebild geben? Was passiert da gerade um Sie herum?
Gerade ging “Professor” Gunnar Beck (AfD) grußlos vorbei… Hat knapp 10.000 Euro dafür bezahlt, dass er sich Professor nannte… Jetzt Andreas Schwab, CDU. Als ich ihn das letzte Mal sah, hatte er ein Sektglas in der Hand und sagte: “Wir müssen die Scheiß China-Karren raushalten aus Europa!”

Ich spüre insgesamt große Ernsthaftigkeit bei dem Satiriker Sonneborn. Sie sind seit 10 Jahren EU-Parlamentarier. Wie hat sich Ihre Haltung zur EU und Ihrer Arbeit dort geändert in all den Jahren? Sind Sie konstruktiver geworden?
Sicher nicht. Mein EU-Bild wird schlechter und schlechter…
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Konstruktiv ist aber nicht unser Stil. Macht keinen Spaß, können wir nicht besonders…
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Die Groko Haram aus Union und SPD will uns über eine unseriöse Wahlrechtsreform und Sperrklausel
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hier rausschmeißen wegen: zu schlechter Witze und zu viel Transparenz…

Was treibt Sie denn am meisten in den Wahnsinn in der EU?
Im Moment: der Kriegskurs. Jetzt schicken wir Schiffe Richtung Jemen.

Muss man denn nicht die Wirtschaftswege im Roten Meer vor den Angriffen der Huthi-Rebellen schützen?
Wirtschaftswege? Wir schützen die Schiffe, die unter israelischer oder US-Flagge fahren… andere werden nämlich von den Huthi nicht angegriffen.
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Wenn Baerbock gerade etwas anderes sagte, hat sie gelogen…
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Für die Angriffe auf den Jemen gibt es kein UN-Mandat…

Martin Sonneborn: “Telefoniere mit meiner europapolitischen Beraterin wegen Strack-Rheinmetalls Kandidatur. Resümee: Sie hat den falschen Hashtag für ihre EU-Kandidatur – viel einleuchtender als #Eurofighterin ist doch #Arschbombe.”

© Martin Sonneborn

Okay, jetzt müssen wir tatsächlich noch vor dem Mittagessen die ganz dicken Bretter bohren: Wie weit kommt man mit dem Pazifismus der “PARTEI” im Ukraine-Krieg? Er spielt Putin in die Hände.
Den Krieg hat die Ukraine doch schon verloren, wenn Sie britischen oder US-Zeitungen Glauben schenken mögen. Und 100.000 tote ukr. Soldaten spielen Putin auch in die Karten. Nur die deutsche Politik glaubt noch an einen ausgeglichenen Krieg, den man gewinnen kann. Die Deutschen sind da immer ein bisschen langsamer, wenn man das von außen betrachtet… Wir verraten die Ukrainer, weil wir ihnen suggeriert haben, dass wir ihnen helfen, diesen Krieg zu gewinnen…

Im Februar 2023 haben Sie das “Manifest für den Frieden” von Alice Schwarzer und Sahra Wagenknecht unterschrieben. Das Manifest fordert, Waffenlieferung zu stoppen und Friedensverhandlungen zu befördern. Das dürfte Putin sehr freuen.
Die 100.000 Leute, die seitdem gestorben sind, ohne dass sich die Front sehr verändert hat, dürften das ähnlich sehen. Bzw ihre Familien.
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Lustige Zeit, in der Friedensverhandlungen als etwas Unsittliches gelten
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Alexander Kluge sagt: Auch der 30-jährige Krieg ist durch Friedensverhandlungen beendet worden. Man hat 5 Jahre lang verhandelt – aber in dieser Zeit ist niemand mehr erschossen oder mit der Hellebarde totgepiekt worden…

Jeder will doch Friedensverhandlungen. Fragt sich doch aber, aus welcher Position heraus. Wenn man Putin jetzt die Ukraine kampflos übergibt, nimmt er sich als nächstes Moldawien.
Wieso übergibt? Verhandlungen, nicht Aufgabe…

Vor 4 Jahren sagten Sie, die EU habe sich immer weiter gen Osten bewegt und den Machtbereich Russlands eingeschränkt. Klingt, als würden Sie Putins Narrativ von der legitimen Selbstverteidigung Russlands nachvollziehen können.
Die NATO wahrscheinlich, die EU war ja damals noch eine “Friedensunion”…
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Sagen wir mal so: wenn wir eine Lösung des Konfliktes wollen, müssen wir über unseren Tellerrand hinaussehen… Aber solange Tüpen (Rechtschreibung beabsichtigt) wie Strack-Rheinmetall und Carlo Massaka meinungsprägend sind…

Ok, ganz kurz Ihren Friedensplan für die Ukraine, bitte.
Alles einfrieren.
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Der Westen kann – wenn er die Voraussetzungen wirklich erfüllt – gern in die EU. Wir haben einen neuen eisernen Vorhang und in etwa
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55 Jahren entspannt sich die Sache wieder. Und: wir beziehen wieder billiges Gas aus Russland, statt umweltschädlichstes LNG aus den USA. Wirtschaftswunder und der ganze Scheiss wieder von vorne…

Und jetzt bitte noch schnell die Lösung des Nahost-Konfliktes, dann Mittagessen.
Waffenruhe, Frieden. Das Töten muss aufhören. Ist aber nicht mein Kerngebiet, hab in der EU selbst genug zu tun… Mein Außenbeauftragter Sepp Borrell fordert eine Zweistaatenlösung…
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Da vertraue ich ihm ausnahmsweise… Smiley
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Muss jetzt mal 2h regieren… Bis später… Und: guten Appetit

Danke! Gutes Gelingen beim Herrschen!
Danke.

Traditionelles Brüsseler Abgeordneten-Frühstück. 

© Martin Sonneborn

Wie war das Regieren? Konnten Sie Europa in den letzten Stunden zu einem schöneren Ort machen?
Moment, frühstücke gerade, etwas spartanisch wie meistens: Frisches Baguette, eine Supermaktpackung belgischen Käses, Kaffee… Schreibe gleich
*
Frischer O-Saft aus der Saftmaschine, die es in vielen Märkten gibt.

Gottogott, klingt nach Camping. Haben Sie denn keine Kantinenversorgung mit frischen Austern und belgischen Waffeln?
Die Kantine ist okay, aber ich frühstücke normalerweise im Café und lese dabei Zeitung.

Bon appétit! Bin gleich auch in einer Art Parlament (“Themenkonferenz”), werde aber unterm Tisch heimlich weiterchatten.
Smiley.
*
Hab vorhin meine Abschiedsrede für Dr. Patrick Breyer vorbereitet, der Pirat, der leider nicht wieder antritt.
*
Idealist, Kämpfer für Bürgerrechte par excellence, aber leider ohne große öffentliche Wirkung. Oder haben Sie davon gehört, dass die EU ihre Bürger künftig in Echtzeit überwachen will, mit Gesichterkennung etc? Schlimmer als in China…

Nee, wusste ich nicht. Vielen im Parlament gelten Sie sicher als Nervensäge. Es heißt sogar, die meisten EU-Abgeordneten hätten Angst vor Ihnen. Genießen Sie das?
Nein, das wäre Unsinn. Davon merke ich auch nichts. Selbst Monika Straußtochter Hohlmeier grüßt mich herzlich – auch wenn ich ihr mal ein Gesetz versaut habe (in dem es auch über Massenüberwachung ging, von Messengern nämlich – Ihnen ist hoffentlich klar, dass alles, was wir hier von uns geben, gesammelt und auf Verwertbares durchsucht wird…)
*
Rainer Wieland hat mir ein frohes Neues Jahr gewünscht, letzte Woche in Straßburg. Dabei
*
haben wir ein bisschen Aufmerksamkeit darauf gerichtet, dass er sein Büro für 630.000 Euro renovieren ließ…

Ursula von der Leyen hat aber schon ganz schön giftig geguckt nach Ihrer “Rede zur Lage der EU.”
Ja, die hat es begriffen, dass ich nicht FÜR sie arbeite.
*
Aber schauen Sie mal, wie viele Kommissare, hochrangige, ihr abgesprungen sind… Ein Trümmerhaufen, diese Kommission.

Viele Diplomaten kritisieren Ursula von der Leyen hinter vorgehaltener Hand. Das gab es noch nie.

Sie sind hart ins Gericht gegangen mit Ursula von der Leyen. Sie nannten Sie “unfähig”, “ein bisschen kriminell” und “beeindruckend moralfrei”. Warum halten Sie sie eigentlich für so eine schlechte Kommissionspräsidentin?
Viele Diplomaten und Beamte kritisieren sie – hinter vorgehaltener Hand. Das gab es noch nie
*
Sie maßt sich Dinge an, für die sie keine Zuständigkeit hat – und macht dann Unsinn. Ich glaube, dass eigentlich ihr Büroleiter Seibert die Politik macht. Einen eigenen Gedanken dürfte man bei vonderLeyen lange suchen müssen. Seibert ist noch weniger demokratisch legitimiert als sie – und telefoniert ein paar Mal in der Woche mit Sullivan, dem Büroleiter bei Biden…
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Dann kommen die schlechtesten Verträge heraus, die die EU nach Ansicht von Fachleuten je geschlossen hat: Pfizer. 35 Milliarden, den größten Teil in den Sand gesetzt…
*
Dazu: Positionierung in Israel. Nicht autorisiert. Sie darf das nicht. Genauso wenig wie Verträge aushandeln (per SMS) und die nicht offenlegen, egal ob es Strafanzeigen gibt oder Aufrufe der Europäischen Bürgerrechtsbeauftragten.

Mal ganz kurz unter uns drolligen Überwachungsopfern: Halten Sie die EU einfach nur für eine üble kapitalistische Vereinigung zur Profitmaximierung? Oder finden Sie den Zusammenschluss von 23 Ländern auch irgendwie positiv? Glauben Sie noch an die Idee der europäischen Werte?
An die Idee: Klar! An die Umsetzung: immer weniger. Nach 5 Jahren war mein Resümee: Das Konstrukt funktioniert, es ist nur mit den falschen Leuten besetzt… Aber das war unter Chulz und Juncker – die ich mir mittlerweile zurückwünsche. Die hatten noch eine Idee, eine Vision von (einem friedlichen) Europa…
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Heute glaube ich, dass wir lange Zeit brauchen würden, um uns von der vonderLeyen-Zeit zu erholen… Wir bräuchten eine kritischere Presse, die nicht nur EU-Mitteilungen abdruckt…

Victor Hugo hat mal einen Baum für Europa in seinem Garten auf der Kanalinsel Guernsey gepflanzt. Würden Sie sich trotz allem als überzeugten Europäer beschreiben?
Ja, sofort.
*
Es gibt keine sinnvolle Alternative…
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Ich würde einen Wald pflanzen…
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Wir können nur gegen die Entwicklung anschreiben und -witzeln… Aber wenn Journalisten Kontakt mit meinem Büro aufnehmen, sagen fast alle, fast alles, was sie über die EU wüssten, wissen sie aus meinem ersten Brüssel-Buch…

Sie sind seit 10 Jahren Parlamentarier. HERR SONNE!!!000???BORN: Wie machtgierig sind Sie?111000???
Oh, wenn ich doch mehr Macht hätte… Aber hier sitzen Abgeordnete, die für multinationale Konzerne ihre Stimmen geben, für ihre Parteikarriere, für ihre Eitelkeit…
*
Ein griechischer Kollege, den ich fragte, wie viele Idealisten im EU-Parlament sitzen, antwortete: 5%
*
Eine Riesenenttäuschung, ich hatte auf 10% getippt

Sie arbeiten in einem riesigen bürokratischen Gefüge. Was gibt Ihnen das Gefühl, dort überhaupt irgendetwas bewegen zu können?
Die Reaktionen der Leute, die mich auf der Straße ansprechen (in Deutschland) oder bei Lesungen. Und die Reaktionen im Netz… Lesen Sie mal die Kommentare auf YouTube. Ich habe da schon 10.000-Zeichen-Texte eingestellt – und die wurden von Tausenden Leuten gelesen. Es gibt ein starkes Interesse an ehrlicher, ungefilterter Information…

Manchmal bekommen Sie auch ordentlich Beifall von Schwurblern und Impfgegnern.
Beifall nehme ich lieber als Kritik entgegen – wenn der Absender noch erkennbar ungeduscht, verrückt oder rechtsradikal oder FDPler ist.

Muss für heute Feierabend machen. Melde mich morgen, okay?
(Eine Nacht verstreicht ohne Antwort.)

Moin Herr Sonneborn! Ist etwas später geworden heute. Ich dachte, ich warte mal Ihre morgendliche Dusche ab. War der Wasserdruck okay heut früh? Legionellen alle vollzählig?
(Keine Antwort.)

Herr Sonneborn!? Jetzt aber bitte nicht ghosten! Hallo?! Alles gut? Hält Sie jemand fest? Ich hol Sie da raus! Ich schick das A-Team!
Guten Morgen, Herr Maus! Pardon, ich habe gestern nicht mehr geantwortet, weil ich nach zwei längeren Interviews – Schülerzeitung und die “Welt” – mit meinem Büro von der MEP-Bar in die Beer Factory übergewechselt bin. Wir haben die US-Wahlen besprochen und wurden um Mitternacht rausgeschmissen…
*
Wasserdruck kontrolliere ich gleich, A-Team bitte lieber nach Berlin schicken…

Sie haben einen recht fordernden Lebensstil, oder? Ist so ein Politikerleben strukturell ungesund?
Das will ich doch meinen…

Um was sollte sich das A-Team in Berlin denn am besten kümmern?
Baerbock, Scholz, Habeck, Lindner…

Apropos Jobs fürs A-Team: Die “Partei” hatte immer mal wieder Sexismus-Probleme. Haben Sie das inzwischen im Griff?
Hatten wir? Ich glaube, nicht mehr als in anderen Parteien oder anderen Ausschnitten unserer Gesellschaft…
*
Wie sieht es denn beim “stern” aus?

2020 gab es Klagen, dass “Partei”-Genossen Mitglieder sexuell belästigt haben sollen.
Gibt es überall. Wir haben eine vier- oder fünfstellige Summe ausgegeben, um Mitglieder zu schulen und Strukturen in den Landesverbänden aufzubauen – mehr als SPD oder CDU getan haben…

Nur die AfD hat mehr männliche Mitglieder als “Die Partei”. Wie kommt das?
Wir sind ein Tochterunternehmen der Satirezeitschrift “Titanic”. Dort gab es zu meinen Zeiten rund 20, 25 Prozent Leserinnen. Man muss schon einen etwas schrägen Blick auf die Welt haben, um unsere Art der Gesellschaftskritik zu schätzen… Aber wir sind von den Prozentzahlen in einem guten Umfeld: CSU
*
FDP nicht auch? Es waren 2 Parteien mit rund 23 % weiblichen Mitgliedern
*
Als ich das letzte Mal nachsah

Auch Frauen können ja einen schrägen Blick auf die Welt haben. Kann es nicht einfach sein, dass die Partei vor allem einen männlichen Blick auf die Welt hat?
Ja, ist in der Satire Tradition… Ändert sich aber allmählich. Ich freue mich auf den satirischen Blick von Sibylle Berg…

These: “Die Partei” spießt klassische Satire-Themen wie Korruption, Intransparenz und Waffen-Deals auf. Feminismus und Gender-Themen sind für Sie Zeitgeist-Gedöns. Stimmt die These?
Ich würde es freundlicher formulieren, aber ja. Hauptwiderspruch ist die irre Verteilung des Reichtums in D. und EU. Ich kümmere mich in erster Linie darum. Aber es gibt, glaube ich, auch genügend Streiter für die anderen Probleme…

Würden Sie also Sarah Wagenknecht zustimmen, dass die Linke heutzutage ihre Energie mit den Luxusproblemchen urbaner Lifestyle-Liberaler vergeudet?
Ein (zu) großer Teil der Linken: Ja. Ich freue mich über die Gründung einer linken Protestpartei – und den Einzug von De Masi ins EU-Parlament…

Stört es Sie nicht, dass diese Leute in AfD-Gewässern fischen?
Es gibt einen berechtigten Protest gegen die unseriöse Politik der Ampel (und soziale Verhältnisse etc) – warum sollte man das den Rechten überlassen? Damit ihre Umfragewerte weiter steigen?

Wenn man die Argumente der Rechten übernimmt, wie es Wagenknecht in der Migrationspolitik tut, stärkt man diese Tendenzen in der Gesellschaft.
Ja. Aber sie ist in guter Gesellschaft: Ampel, CDU, AfD, EU…

Zum Ausklang noch ein paar weiche Fragen: Wie ist es eigentlich, wenn Sie Ursula von der Leyen persönlich begegnen?
Bei meinen Reden zum “State of the Union” schaut sie angestrengt vor sich auf den Tisch in ihre Aufzeichnungen. Aber sie sitzt 3 Meter von mir entfernt und muss sich meine Kritik wirklich anhören. Das ist eigentlich mein Hauptspaß in der EU…
*
Ich habe sie mal am Fahrstuhl getroffen
*
Schon länger her.
*
Ich stehe unten, im Erdgeschoss, warte auf den Aufzug, es macht PLING, die Tür öffnet sich, Von der Leyen & Entourage steigen aus.
*
Ich sah erst nur ihre Betonfrisur, dann sie und mir fiel nix besseres ein als zu sagen:
*
“Oh, Frau von der ähem Leyen auf dem Weg nach unten…” sie antwortete etwas erschrocken: “Nein, nein!” und ich sagte: “Doch, ich habe es genau gesehen…” Abgang.
*
Ich glaube, sie ist nicht böse. Eine Schauspielerin, die Kommissionspräsidentin spielt
*
Ohne großes Wissen. Geführt von ihrem PR- und Büroeiter… Ohne eigene Ideen.
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Schade, dass sie die EU so heruntergewirtschaftet hat…
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Moralisch und finanziell.

Ist sie Ihr Lieblingsfeind? Oder ist das jemand anderes?
Elmar Brocken war ein anderes Kaliber… Juncker und Chulz unendlich souveräner… Aber wenn man sich ihre Arbeit so ansieht, ist sie tatsächlich die größte Bedrohung der demokratischen Werte der EU… Finde leider gerade das Bild nicht, auf dem sie Giorgia Meloni (ital. Faschistin) herzt…

Welche Ihrer Auffassungen über die EU haben sich vollkommen geändert, seit sie EU-Parlamentarier sind?
Ich dachte, das Parlament hätte mehr Einfluss. Letzten Endes diktiert der Rat, das sind die Arschlöcher in Europa, die 27 Länderchefs, die alle nationalistisch denken, nicht europäisch. Das wenige Gute, das im EP für die Bürger mühsam erstritten wird, lässt der Rat einfach unter den Tisch fallen, stellt es nicht zur Abstimmung. Oder ändert eigenmächtig die (mündlichen) Absprachen aus dem Trilog…
*
Und ich dachte, die EU wäre für die Bürger da.
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Nicht für multinationale Konzerne.
*
So kann man sich irren. Schreibe später weiter, muss noch was twittern…

Dominik Tarczynski, PISS-Partei. War mal Laienassistent bei einem britischen Exorzisten… Smiley

Was steht heute noch an?
Hab gerade 30 Min an einem Infodesk gesessen und Leuten auf Anfrage erklärt, wo sie hin müssen… Gebe gleich einen Vortrag, ein Dutzend Jurastudenten… Aber die Studenten der Uni Düsseldorf haben Verspätung, ihr Bus verlor eine Stunde in einer Grenzkontrolle. Hab mich gerade eingetragen, um mein Tagegeld zu sichern. Ein stämmiger polnischer Cowboytyp drängelte sich im Fahrstuhl an mir vorbei. Wenn sie unsympathisch aussehen, google ich sie immer. Dominik Tarczynski, PISS-Partei. War mal Laienassistent bei einem britischen Exorzisten… Smiley
*
Leider habe ich den Italiener, der sich im Plenarsaal auf meinen angestammten Platz gesetzt hatte und während der Abstimmungen telefonierte, nicht recherchiert, bevor ich ihn anraunzte. Angelo Ciocca. Er hat sich mehrfach zu höflich entschuldigt – und ich bin jetzt so gut wie tot.

Er soll mit der ’Ndrangheta verkehrt haben.
Yep.
*
Sein Vorgänger hatte einen ungeklärten Unfalltod, er hatte Merkel mit dem deutschen Gruß begrüßt… Es ist schon recht unterhaltsam hier.

Ihr Vater war Berufsberater. Was sagt er zu Ihrem jetzigen Beruf? Gute Wahl?
Seitdem ich den ersten Gehaltsscheck von TITANIC in der Hand hatte, war er zufrieden. Außerdem hätte ich ihn mal fast zum Bundespräsidenten gemacht. Er hat gegen Steinmeier 10 Stimmen geholt, darauf ist er heute noch stolz…

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