Ester und Co.: Woher der Geschmack von Rum kommt – und warum das eklig ist

Jeder Rum ist anders. Besonders bei unterschiedlichen Herkunftsländern. Der Grund dafür ist die jeweilige Herstellung, die sich seit Jahrhunderten vollkommen anders entwickelt hat. Dem stern verrät “1423 – World Class Spirits”-Chef Joshua Singh, was einen guten Rum für ihn ausmacht – und woher manche Aromen wirklich kommen.

Aus alten Piratengeschichten ist Rum einfach nicht mehr wegzudenken. Im 18. Jahrhundert festigte sich der Mythos vom Seeräuber, der mit seiner Mannschaft “Jo-ho-ho und ‘ne Buddel voll Rum” schmettert. Ob das je passiert ist, darf infrage gestellt werden – das Lied stammt jedenfalls aus dem Buch “Die Schatzinsel” von 1881, Piratenlegenden wie Edward “Blackbeard” Teach lebten lange davor.

Spätestens aber seit dem “Black Tot Day”, dem letzten Tag, an dem offiziell Rumrationen an Seeleute der britischen Royal Navy ausgegeben wurden, ebbte die Erfolgsgeschichte des Rums zunächst ab. Das war am 31. Juli 1970. Seit einigen Jahren ist der Hype allerdings wieder entfacht – und begehrte Abfüllungen wechseln bei Auktionen für Zehntausende Euro den Besitzer. Das liegt auch an der hohen Qualität und dem einzigartigen Geschmack einiger Rum-Sorten, die während der “Auszeit” über viele Jahre vergessen in alten Lagerhallen vor sich hin reiften. Inzwischen ist es mit der Ruhe vorbei, denn Experten sprechen schon vom “zweiten Goldenen Zeitalter” der Spirituose. Aber was macht richtig guten Rum eigentlich aus? Eine Spurensuche.

Vor 20 Jahren war alles noch ganz anders

Joshua Singh

Weiß nicht, wie viele Rums er schon probiert hat: “1423 – World Class Spirits”-Chef Joshua Singh.

© Joshua Singh / 1423 World Class Spirits

“Als ich mit Rum angefangen habe, das muss jetzt ungefähr 20 Jahre her sein, gab es ausschließlich Bacardi. Das war’s. Das war alles für Rum-Cola”, verrät Joshua Singh, Gründer und Inhaber des dänischen Premium-Spirituosenimporteurs “1423 World Class Spirits“, der mit über 20 Marken unter anderem auch Spirituosen der Band Rammstein und Raritäten unter der Marke S.B.S. verkauft. “Echten Rum, oder sagen wir edleren Rum, habe ich erst vor circa 15 Jahren entdeckt. Ich erinnere mich daran noch sehr genau. Das war auf einer Whisky-Messe in Deutschland und ich war hin und weg.”

Doch Singh bemerkte, dass er offenbar auf eine Seltenheit gestoßen war. “Danach haben einige meiner Freunde und ich versucht, Rum wie diesen zu kaufen. Aber selbst in Spezialitäten-Shops fanden wir kaum etwas. Da gab es riesige Mengen Wein, viel Whisky und ein bisschen Cognac, Calvados oder Brandy. Und Rum, falls es ihn gab, stand irgendwo im hintersten Eck der Läden. Und dann war es meist Zacapa, El Dorado und Pirate – eine kleine Flasche mit einem “PI“ darauf. Das waren die holprigen Anfänge.”

Zuckersüßer Neustart

Einen Single-Cask-Rum mit besonderen Eigenschaften, wie man ihn heute relativ leicht bekommt, suchte man vergebens – weder wurde er exportiert, noch war er gefragt. Was fehlte, war die Vermarktung und ein gutes Argument gegen gängige Spirituosen wie Whisky oder Cognac. Die Lösung: Zucker. Singh: “Richtig Fahrt nahm das auf, als größere Marken wie eben Zacapa und El Dorado mit voller Fahrt in den Markt gekommen sind. Das waren aber lange nicht die Rums, die wir heute kennen, sondern vor allem stark gezuckertes Zeug. Hinterfragt hat das keiner – denn in den Köpfen der Leute war Rum aus Zuckerrohr, also musste er so süß sein. Das ist natürlich absoluter Quatsch, aber das dachten viele.”

¨Cane truck in the mountains at Lluidas vale, get out the way! they can break down hill

Ein LKW voller Zuckerrohr macht sich im Lluidas Vale, Jamaika, auf den Weg zur Destille. Einwohner wissen: Den Ungetümen geht man besser aus dem Weg, nicht immer können sie bei Hindernissen rechtzeitig bremsen.

© Joshua Singh / 1423 World Class Spirits

Das Rezept ging auf. Singh erinnert sich, dass auf Familienfesten eigentlich nie jemand Interesse an einem harten Absacker hatte, weil den meisten ein Whisky oder Brandy zu scharf und bitter war. Rum hatte die Lösung: Viel Alkohol, aber so süß, dass er zugänglicher wurde. Das ließ sich verkaufen – und fungiert noch heute als Türöffner für High-End-Produkte, deren Herstellung weitaus weniger wirtschaftlich ist.

Denn von teurem Premium-Rum könne man heute noch immer nicht leben, erklärt Singh. “Auch meine Firma verkauft gesüßten Rum – und zwar in großen Mengen. Compañero oder Cristóbal gehören zu den erfolgreichsten Marken für uns. Das sind kommerzielle Marken, die Massen verkaufen. Das McDonald’s der Rum-Welt”, sagt er. “Schauen wir uns Marken wie S.B.S. oder Worthy Park an, kommen wir lange nicht an die Umsätze. Der Markt ist aktuell einfach nicht groß genug dafür. Würde ich nur Einzelfassabfüllungen verkaufen, säße ich nicht in meinem Büro, das ich heute habe. Zucker bezahlt uns überhaupt erst die Möglichkeit, außergewöhnliche Produkte anbieten zu können. Das ist die Basis, auf der wir bauen.”

Nicht nur für die Geldbörse ist gesüßter Rum wichtig. Je nach Situation würde Singh die zugänglichen Getränke jedem High-End-Rum vorziehen. Der Grund: “Der beste Rum ist ein Rum, der zur Situation passt. Wenn ich mit Experten zusammensitze, ist ein guter Rum etwas, das uns begeistert. Ich nenne das mal ‘Geeky Rum’. Wenn wir unterwegs sind oder mit der Familie feiern, muss es einer sein, den alle mögen. Der beste Rum mit dem höchsten Ester- und Alkoholgehalt hilft dir nicht, wenn niemand ihn mag – du also niemandem eine Freude machen kannst.”

Hampden Pot Stills

Eine Brennblase bei Hampden, Jamaika.

© Joshua Singh / 1423 World Class Spirits

Wie kommt der Geschmack in die Flasche?

Ist aber kein Zucker im Spiel, muss der Geschmack aus anderen Quellen kommen. Also: Wie erhält ein echter Rum ohne Zucker überhaupt seinen Geschmack? Singh: “Alles fängt mit dem Anbaugebiet an und der Sorte des Zuckerrohrs. Genau wie es unterschiedliche Äpfel gibt, gibt es beim Zuckerrohr große Unterschiede. Und wo es wächst, macht viel aus. Wie ist das Klima? Wie ist die Erde beschaffen? Danach geben Wasser, Hefe und die Art der Fermentation den Ton an. Gärt die Maische geschlossen? Wird offen fermentiert und arbeiten wilde Hefen in der Maische? Und dann natürlich die Destillation – was kommt rein, welche Brennblase kommt zum Einsatz, und und und. Sollte es ein gelagerter Rum sein, kommt das Fass noch hinzu. Welches Holz ist es? Was war vorher drin? Im Grunde ergibt jeder noch so kleine Arbeitsschritt am Ende eine andere Rum-Note. Einige dominanter, andere weniger auffällig.”

Wer sich in der Rum-Welt bewegt, stößt früher oder später auf einen weiteren wichtigen Baustein für besondere Aromen: Ester. Das sind chemische Verbindungen, die durch eine Reaktion von Alkohol mit Säure entstehen. Es gibt zum Beispiel Buttersäureethylester, Hexansäureethylester, Milchsäureethylester, Essigsäureisopentylester oder Caprinsäureethylester. Bekannt dafür sind vor allem die Jamaikaner – dort nennt man es gerne “Funk”. Um den Estergehalt zu steuern, nutzt man besonders im Landkreis Trelawny zwei Komponenten: Dunder und Muck. Dunder sind Rückstände aus der Brennblase, die nach einer Destillation übrigbleiben. Das kann man zurück in einen Maischebottich kippen und damit die Aromen verstärken. Bei Bourbon heißt das “Sour Mash”. Besonders aromatischer Rum wird zudem durch Muck angereichert. Dieser “Mist” oder “Dreck” liegt zum Beispiel bei der jamaikanischen Hampden-Destillerie in einer Grube unter den Gärbottichen.

“Das kann man sich vorstellen wie eine schwarze, übel riechende und blasenwerfende Brühe, in der sich Bakterien befinden, die Carbonsäuren herstellen. Zum Beispiel Buttersäure. In ihrer puren Form riecht das ein bisschen nach Erbrochenem. Reagiert es aber mit Alkohol, wird daraus ein Geruch nach Früchten und Ananas – typisch für jamaikanischen Rum. Was genau in der Grube liegt, die dort seit Hunderten von Jahren vor sich hin brütet, weiß niemand. Da geht niemand hin. Für die Fermentation wird ein Eimer abgelassen, die Brühe geholt und in die Tanks gekippt. Eine faszinierende Chemie, die vor Ort aber recht abstoßend wirkt – zumindest für Außenstehende. Ich liebe das sehr. Das Prinzip kennt man hierzulande vielleicht vom Sauerteig – da hebt man auch immer ein bisschen vom ursprünglichen Produkt auf und verwendet es wieder”, schwärmt Singh. 

Doppel-Retorten-Brennblase

Eine Doppel-Retorten-Brennblase der Worthy-Park-Brennerei auf Jamaika. 

© Joshua Singh / 1423 World Class Spirits

Er führt aus: “Und wenn das immer noch nicht reicht, verwendet man ein Verfahren des Chemikers Herbert Henry Cousins. Der war vor 120 Jahren Inselchemiker auf Jamaika und hat ein Verfahren erfunden, wie man in der zweiten Destillationsretorte einer Doppel-Retorten-Brennblase Säuren hinzufügen kann. Wenn man das macht, beschleunigt man die Herstellung von Estern um ein Vielfaches. Ein Rum aus diesem Verfahren kann bis zu 7000 Gramm Ester pro Hektoliter puren Alkohols (gr/hlpa) aufweisen. Zur Erinnerung: Bei 1600 zieht die jamaikanische Regierung die Grenze für den Export.” 

Eine blubbernde schwarze Masse – lecker. Doch das ist nicht das Schlimmste, was Joshua Singh auf seinen Reisen mit eigenen Augen sehen musste: “Die Muckpits sind einfach undefinierbar – das riecht fies und ist schwarz. Was mich aber geschockt hat, sind die offenen Fermentationstanks. Am Anfang hast du da einfach eine Flüssigkeit mit ein bisschen Schaum – Fermentation eben. Wenn man das aber lange stehenlässt, also drei bis vier Wochen, tut sich da noch sehr viel. Nach drei Wochen ist das eine solide Kruste und Schimmel überall. Das sieht wirklich nicht gut aus. Ungesund, wenn man es freundlich umschreiben will. Und es riecht.”

Funky-Rum herzustellen wäre in Europa ein Grund für harte Strafen

Womit auch der Grund klar wäre, warum in Europa keine vergleichbare Spirituose mit derartigen “Funky”-Aromen hergestellt wird – es wäre schlicht unmöglich, das ohne Verstöße gegen die Hygieneverordnung zu tun. “Das würde hier so niemals funktionieren. Würden wir das in Nordeuropa versuchen, käme das Gesundheitsamt, würde die Türen versiegeln und alle Beteiligten einbuchten. Für sowas käme man hier ins Gefängnis. Ein Lebensmittel auf diese Weise herzustellen, ist hier undenkbar. Aber wenn man darüber liest und lernt, versteht man irgendwann, wieso Rum eben auf diese Weise hergestellt wird. Das hat schon alles seinen Grund – und ehrlicherweise ist das alles sehr faszinierend”, erklärt Singh.

Hampden Offene Fermentation

Lässt man bei Hampden auf Jamaika eine Maische sehr lange gären, bildet sich viel Schimmel und eine harte Kruste. Destilliert man das, kommen dabei echte Geschmacksbomben raus.

© Joshua Singh / 1423 World Class Spirits

Er ergänzt: “Aber ich kenne Leute, die versuchen Mittel und Wege zu finden, etwas ähnliches unter anderen Bedingungen auf die Beine zu stellen. Am Ende geht es ja nur um Geschmack. Ich würde sagen, J. Gow in Schottland ist schon sehr weit. Mein Bruder arbeitet aktuell auch an einem solchen Projekt in Dänemark. Ich will also nicht ausschließen, dass sowas bald erhältlich ist.”

Auf Jamaika gibt es ebenfalls eine Alternative zu Gruben und Rückständen aus der Destillation: Vor-Fermentation. Als Worthy Park 2005 die Destille völlig neu errichtete, plante man dort von Anfang an ohne Muck und Dunder – wollte aber trotzdem viel Ester in die Flaschen kriegen. Das gelang durch einen weiteren Schritt in der Herstellung von Rum. Wie Singh beschreibt, legt man bei Worthy Park noch vor der eigentlichen Fermentation einen Tank an, wo Melasse, Schnittreste vom Zuckerrohr und Zuckerrohrsaft reinkommen. Das bleibt dann so stehen und es bildet sich durch wilde Hefen und Bakterien eine Art moderne Entsprechung für Muck und Dunder. “Diese Masse kommt dann in die Gärbottiche der Maische. Das funktioniert auch. Damit ist Worthy Park allerdings bisher alleine. Man weiß von Long Pond und eben Hampden, dass auf Muck und Dunder gesetzt wird und von New Yarmouth erwartet man es ebenfalls – in letzterem Fall weiß es aber keiner so genau”, fügt Singh hinzu.

Auch Experten schmeckt nicht alles

Joshua Singh befasst sich seit mittlerweile anderthalb Jahrzehnten mit Rum. Und hat in dieser Zeit schon sehr viele Sorten probiert. Wie viele, das weiß er nicht mehr. Umso schwerer ist es für einen Rum, bei Singh im Gedächtnis zu bleiben. Meistens verbindet er einen solchen Rum mit Erlebnissen oder Meilensteinen. Zu seinen Schätzen gehört ein 1986er Rockley Still aus dem Sherry Cask von Bristol Spirits. Ein Rum, der ihm anfangs gar nicht schmeckte, dann aber immer zugänglicher wurde. An dieser Abfüllung konnte Singh messen, wie sich sein Geschmack langsam veränderte. 

Das heißt aber nicht, dass er jeden Rum mag: “Ich kann den 1993er Trinidad Caroni ‘The Beast #3’ von S.B.S. bis heute nicht gut trinken. Mit dem Ding stimmt einfach irgendwas nicht. Als wir die 198 Flaschen in den Handel gegeben haben, habe ich das mit einer Warnung gemacht. In der Mail an die Händler stand: ‘Aufpassen. Irgendwas stimmt mit dem Caroni nicht. Der Preis ist gut, aber der schmeckt seltsam. Ich halte ihn für untrinkbar.’ Das einzige Feedback, was kam, war: ‘Gibt es noch mehr?’ Super merkwürdig. Aber ja, es gibt natürlich Rum, der mir nicht schmeckt.”

Seiner Experimentierfreude tut das aber keinen Abbruch, erzählt Singh. Zuletzt habe er sich viele Jahre auf den Tag gefreut, an dem er mit dem “S.B.S. Guyana 2014 PM/DHE” (Port Mourant/ Diamond High Ester) endlich einen hochestrigen Rum aus Guyana abfüllen durfte. Damit ist er weltweit der erste Händler, der das eingeschränkt durfte. Eingeschränkt deshalb, weil Hersteller DDL das hocharomatische Erzeugnis aus der DHE-Brennblase vor Ort selbst mit einem anderen Rum gemischt hat (Fassblend) und den High-Ester-Rum nicht pur rausrückt.

DDL DHE Brennblase

Bei Demerara Distillers Limited (DDL) auf Guyana haben sich aufgrund der Zusammenlegung zahlreicher Destillerien viele Brennapparate angesammelt. Aus der “DHE Pot Still” macht das Unternehmen bis heute ein großes Geheimnis. Erzeugnisse daraus gibt es pur nicht zu kaufen.

© Joshua Singh / 1423 World Class Spirits

Künftig freut er sich besonders auf Rum aus bisher unbekannten Ländern, die bereits heute eine Handvoll Erzeugnisse vorweisen können. “In den nächsten zehn Jahren werden wir viel aus Afrika und Indien sehen, was echt spannend ist. Der ganze Kontinent Afrika ist hochspannend. Das Klima für Zuckerrohr ist stellenweise perfekt und es gibt dort Destillerien. Da ich Halb-Inder bin, will ich natürlich auch wissen, was aus meiner Heimat stammt. Aber aktuell ist sehr viel, was von dort kommt, wirklich miserabel. Ich bin gespannt, wann und wie sich das ändert. Ich denke in drei oder vier Jahren ist es soweit. Wir leben definitiv im zweiten goldenen Rum-Zeitalter nach der ersten Hochphase im 18. Jahrhundert”, resümiert er.

Was das probieren angeht – mag sein. Was das große Geld angeht, scheint der Zug bereits abgefahren zu sein. Wer die Anfänge des legendären Abfüllers Luca Gargano und seinem Label Velier verpasst hat, kommt heute nur noch mit sehr viel Geld an die Flaschen. Das gilt auch für Singhs wohl teuersten Besitz, eine Holzkiste mit zwei originalen Navy-Rums der britischen Marine, der in den Sechzigern eigentlich an Matrosen gehen sollte. Darin sind zwei Keramik-Flaschen mit je 4,5 Litern Rum drin. Singh geht davon aus, dass diese Kiste bei einer Auktion fünfstellig unter den Hammer käme.

Doch auch zu solch entlaufenen Einhörnern hat Singh eine Meinung: “Ich bin da gar nicht traurig drum. Jede Woche kommen tolle neue Abfüllungen, die zumindest qualitativ mit dem High-End-Sammler-Rum mithalten können. Es wird nie gleich sein, aber mindestens ähnlich gut. Also keine Sorge.”

Jeder Rum ist einzigartig – aber viele sind sich ähnlich

Singh räumt an dieser Stelle auch mit dem Mythos auf, ein alter Demerara-Rum aus Guyana komme so nie wieder: “Die alten Jahrgänge sind vielleicht ausverkauft, aber der Geschmack dieser Rums ist kein Geheimnis. Das kann ich aus zahlreichen Blindverkostungen so bestätigen. Woran das liegt? Sehr einfach. Die sind gesüßt. Meistens reden wir ja hier von Guyana-Rum – und die werden nach einem bestimmten Rezept hergestellt, was sich seit Jahrzehnten kaum ändert. Ein wichtiger Bestandteil der alten Rezepte ist Karamell. Kein industrielles Zeug, sondern eine eigene Mischung, die direkt nach der Destillation zusammen mit dem Rum ins Fass kommt. Das dient der Farbe und natürlich dem Geschmack. Das Karamell für die alten Rezepte kommt direkt vom Demerara-Zuckerrohr und beinhaltet, anders als Industrie-Karamell für die Färbung, eine Menge Zucker. Ich würde tippen, dass ein alter Skeldon zwischen fünf bis zehn Gramm Zucker pro Liter aufweist. Im Grunde ist das also gesüßter Rum, weil das Rezept so funktioniert. Mit der Reifung hat das dann nur noch bedingt zu tun. Natürlich macht eine lange tropische Reifung etwas anderes mit dem Rum als eine kontinentale Lagerung – und das Fass spielt natürlich auch eine Rolle. Den Charakter bekommen die alten Guyana-Rums aber vom Karamell.”

Joshua auf Guyana

Bildungsreise: Rum-Liebhaber Joshua Singh hat so ziemlich jedes Land bereist, das Rum herstellt. Hier steht er vor der Skeldon Zuckerfabrik in Guyana.

© Joshua Singh / 1423 World Class Spirits

Alt bleibt trotzdem Premium – auch da ist sich Singh sicher. Denn die meisten Abfüllungen mit einem Alter über 20 seien aus Sicht eines Unternehmens einfach uninteressanter, als ein Rum mit einem Alter von zwölf Jahren, den man noch fair bepreisen kann. “Je teurer ein Rum ab Werk ist, desto mehr Arbeit macht es, ihn zu verkaufen. Womit wir wieder beim Markt wären. Man bedient erstmal die Masse mit einem Produkt, welches sich sehr einfach verkauft und an sich bereits sehr gut ist. Für Kenner und Enthusiasten arbeitet man eher nebenbei, vielleicht weil man selbst einer ist – für das große Geld macht man das aber nicht”, verrät er.

Im Grunde ist das aber ein beruhigender Gedanke: Denn für jeden Geschmack und für jeden Geldbeutel ist etwas dabei. Für Singh geht es künftig immer häufiger am Fass vorbei: “Einen Fokus setzen wir aktuell auf ungealterte Rums, was echt spannend ist. So kann man Experten und Cocktail-Liebhabern die Unterschiede der Hersteller ohne Fasseinflüsse zeigen und – was vielleicht noch witziger ist – die Ursprungsversion der Abfüllungen probieren, die wir in zehn oder 15 Jahren rausbringen. Ich sage ja – goldenes Zeitalter.”

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