Ecstatic Dance – das steckt hinter dem beliebten Tanz-Trend

Ecstatic Dance-Events gibt es mittlerweile in nahezu jeder Großstadt. Der beliebte Tanz-Trend verspricht den Teilnehmern einen Raum ohne Bewertung, in dem sie sich frei und intuitiv der Musik hingeben können. Und einen Rausch ganz ohne Rauschmittel.

Die sanften, klangvollen Beats steigern sich nach und nach. Die Rhythmen werden wilder, intensiver. Die Menschen wirbeln über die Tanzfläche. Manche hüpfen und springen, andere schütteln sich, drehen Pirouetten oder lassen sich auf den Boden fallen. Beim Ecstatic Dance geht es sprichwörtlich darum, zu “tanzen als würde niemand zusehen”. Die einzige Anweisung: Erlaube dem Körper, sich so zu bewegen, wie er sich bewegen möchte. Ecstatic Dance ist kein neues Phänomen. Im Gegenteil: die Wuzeln der Praxis sind viele Jahrhunderte alt. Doch erst in den vergangenen Jahren haben die Tanz-Veranstaltungen massiv an Beliebtheit gewonnen. Ecstatic Dance gibt es von Tulum in Mexiko über Sydney und New York bis nach Berlin und Hamburg auf dem ganzen Globus.

Ohne Alkohol und Drogen: Ecstatic Dance setzt auf natürlichen Rausch

Ecstatic Dance definieren Wissenschaftler im Fachblatt “Complementary Therapies in Clinical Practice” als “nicht choreografierte, nicht wertende, achtsame Bewegung, die üblicherweise in einer Gruppe zum Zwecke des authentischen Selbstausdrucks, der Selbstfindung, der zwischenmenschlichen Verbundenheit und der persönlichen Heilung oder des persönlichen Wachstums praktiziert wird”. Die Bewegungspraxis komme laut der “New York Times” einem “wachsendes Bedürfnis nach körperlichem Ausdruck in einer Zeit der technologiegetriebenen Isolation” nach. Deshalb reite Ecstatic Dance “auf der Popularitätswelle anderer Bewusstseinspraktiken wie Yoga, Meditation und Tai-Chi”, mutmaßt das Nachrichtenportal “US News“.

Obwohl sich Ecstatic Dance als Praxis mit viel Freiheit versteht, folgen die Events klaren Regeln: Kein Alkohol, keine Drogen, keine Handys auf der Tanzfläche, kein respektloses Verhalten, und vor allem keine Urteile über die Bewegungen der anderen. Ebenfalls nicht gestattet sind Gespräche während des Tanzens. Wer sich unterhalten will, muss das in einem Nebenraum tun. Die meisten Teilnehmer, deren Altersspanne von Anfang 20 bis über 60 reicht, tanzen barfuß und in bequemer Kleidung. Menschen auf einer Ecstatic Dance-Party sind manchmal desillusionierte Clubgänger, die den Rave lieben, aber nichts von Drogen halten. Manche sind spirituelle Yogis auf der Suche nach einem Transzendenz-Erlebnis. Viele andere wollen sich schlicht bewegen und Spaß haben. “Alle, die zu einer friedvollen Stimmung beitragen, sind willkommen”, fasst “Deutschlandfunk” zusammen.

Ekstase durch Tanzen ist ein jahrhundertealtes Phänomen

Die Events beginnen meist mit einem “Opening Circle”, in dem die Regeln erklärt werden. Danach folgt eine Meditation oder eine Dehn-Einheit und schließlich das Tanzen. Die Musik geht von klangvollen, harmonischen Tönen bis hin zu psychedelischem Techno. Man bewegt sich individuell, aber in der Gruppe. Manche tanzen zusammen, die meisten bleiben aber auf sich selbst fokussiert. Besonders wichtig im Konzept des Ecstatic Dance: “Die Praxis betont emotionale Sicherheit und Zustimmung”, heißt es in einer Studie der University of California. Eine Person darf also nur angetanzt werden, wenn sie vorher ihr Einverständnis gibt. Persönliche Grenzen sollen zu jeder Zeit respektiert werden.

Mann und Frau tanzen gemeinsam am Strand

Manche tanzen beim Ecstatic Dance gemeinsam – jedoch nur wenn dies einvernehmlich passiert.

© Jae C. Hong / Picture Alliance

Die Ursprünge des Ecstatic Dance lassen sich viele Jahrhunderte zurückverfolgen. Religionswissenschaftler identifizierten Tanz und sich wiederholende Musik als eine der Techniken, die Schamanen nutzen, um ekstatische Zustände in Gemeinschaft mit den Göttern zu schaffen. Tanzen kann rauschhaft und transzendent sein, meint auch der “Deutschlandfunk”-Reporter: “Man tanzt sich in Trance, in Ekstase, so wie das viele Völker taten und tun.” Die heutige Form des Ecstatic Dance geht laut “New York Times” auf eine “meditative, dynamische Bewegungspraxis” aus den 1970er-Jahren zurück, die den Namen “5 Rhythms” trägt. Die Tanzabfolge, die von der Musikerin Gabrielle Roth auf Hawaii entwickelt wurde, führt die Teilnehmer durch eine “Welle” fünf verschiedener Bewegungssequenzen, die sich “von sanft bis wild” steigern. Ein gewisser Mark Fathlom kombinierte Anfang der 2000er den Tanz mit elektronischer Musik, woraus der Ecstatic Dance wurde.

Ein Gefühl der Verbundenheit – mit sich selbst und anderen

Die ursprüngliche Absicht hinter Ecstatic Dance liegt – getreu des Namens – darin, ein Zustand der Ekstase zu erreichen. Wie dieser sich genau anfühlen soll, unterschiedet sich je nach Quelle. Ursprünglich bedeutete Ekstase “verrückt” oder “am Ende seiner Seele zu sein”, schreiben die Künstler Joséphine A. Garibaldi und Paul Zmolek in ihrer wissenschaftlichen Arbeit “Dance as Ecstatic Ritual/Theatre“. Heutzutage sprechen Psychologen und Philosophen eher von einer “Erfahrung der Beschlagnahme und Verzückung”, einem “erhabenen Gefühlszustand” oder einer “universellen Verbundenheit”. Die Tänzer sollen sich dem Rhythmus hingeben und sich durch die Ekstase im Einklang mit sich selbst und verbunden mit den anderen fühlen. Es geht einerseits um das Gefühl der Gemeinschaft und andererseits um den Kontakt zum Selbst. Um eine neue Körpererfahrung, die man in dem tranceähnlichen oder meditativen Zustand spüren soll.

Als “tiefenentspannte Glückseligkeit, die es in sich zu suchen und zu realisieren gilt”, benennt es ein Redakteur des Schweizer Lokalportals “Tsüri“. Er wolle auf den Partys größtmögliches Glück erzeugen, betont DJ Marius Beyer, der den Ecstatic Dance in Hamburg veranstaltet. “Hier wird niemand verurteilt. Jedes Mal entsteht ein Raum für Toleranz, Respekt und Gemeinschaft”, sagt er im Gespräch mit der “Hamburger Morgenpost“. Ecstatic Dance erfülle ein lang vermisstes Bedürfnis. Da die Menschen nüchtern sind, ergeben sich andere Möglichkeiten, in Kontakt zu treten. “Das erzeugt ein Zugehörigkeitsgefühl. Das ist auch ein Grund dafür, dass die Leute so glücklich sind”, glaubt er. Studien, die die Wirkung von Ecstatic Dance untersucht haben, geben ihm recht.

Studien zeigen therapeutische Wirkung von Ecstatic Dance

Das gemeinsame, freie Tanzen hat eine euphorische Wirkung auf die Teilnehmer – verantwortlich dafür sind Glückshormone. Diese lösen nicht nur das Hochgefühl, sondern möglicherweise auch den Transzendenz-Zustand aus. Dieser sei das “Ergebnis von Endorphinen, körpereigenen Substanzen, die wie Opiate auf das Gehirn einwirken, Schmerzen lindern und Halluzinationen erzeugen”, schreibt Tiefenpsychologin Heather Celeste. Als bedeutungsvollsten Aspekt des Transzendenz-Erlebnis machte die Wissenschaftlerin das Gefühl der Verbindung aus.

Dieses manifestiere sich in zweifacher Weise: Auf der einen Seite als Gefühl der Verbindung zu etwas Größerem als dem eigenen Selbst und als tiefere Verbindung zum eigenen Körper. In der Studie zeigte sich, dass die Ecstatic Dance-Teilnehmer nur in diesen Zustand gelangen, wenn sie die Akzeptanz der anderen Teilnehmer spürten: Das Gefühl, willkommen sein und nicht beurteilt zu werden. “Akzeptanz schien nicht nur nötig zu sein, um sich mit der Gruppe verbunden zu fühlen, sondern auch um die Verbindung zum eigenen Körper zu fördern”, schließt die Psychologin. Sich dem Bewegungsimpuls des Körpers ohne Zurückhaltung hinzugeben und dabei Verbundenheit mit der Gruppe zu spüren, “scheint der Schlüssel zu sein, um Transzendenz zu erleben”.

Menschen tanzen bei einem Ecstatic Dance-Event am Strand

Ecstatic Dance am Strand. In der Studie der Tiefenpsychologin Heather Celeste beschrieben die Tanzenden ihr Transzendenz-Erlebnis unter anderem als ein immenses Plus an Energie, als Freiheit von negativen Gedanken und als erhöhtes Bewusstsein und erhöhte Sensibilität.

© Jae C. Hong / Picture Alliance

Mehrere Studien haben außerdem gezeigt, dass die Ecstatic Dance-Praxis die mentale Gesundheit verbessern kann. In einer Untersuchung der University of California gaben 81 Prozent der Studienteilnehmer mit Depressionen, Angstzuständen oder Traumata in der Vorgeschichte an, dass das Tanzen positive Auswirkungen auf ihre psychische Gesundheit habe. 98 Prozent berichteten, dass die Bewegungspraxis Stimmung aufhelle und ihnen helfe, belastende Gedanken loszuwerden sowie Selbstvertrauen und Mitgefühl zu entwickeln. Zu ähnlichen Ergebnissen kommt eine Studie im Fachblatt “Complementary Therapies in Clinical Practice“. Personen, die Ecstatic Dance praktizieren, gaben an, dass die Bewegung ihnen helfen, mit stressbedingten Gesundheitsproblemen fertig zu werden. Die therapeutische Wirkung wurde vor allem von Studienteilnehmern mit Depressionen oder Angstzuständen betont, gefolgt von Personen mit einer Trauma-Vorgeschichte, chronischen Schmerzen und einer Vorgeschichte von Drogenmissbrauch oder Sucht.

“Toxic Positivity”: Wenn das Tanzen zu einer Vermeidungsstrategie wird

Nach einer informellen Umfrage unter Ecstatic Dance-Anhängern kategorisierte Anthropologin Sonya Pritzker die mentalen Vorteile der Praxis in zwei Arten: Freiheit von etwas wie Angst, negativen Gedanken und Stress oder die Freiheit etwas zu tun, wie Bewegung ohne Einschränkungen. Da Ecstatic Dance selbstgesteuert sei, ohne Regeln oder Anweisungen auskomme, falle es leichter, loszulassen, erklärt Prabha Siddarth, Biostatistikerin an der University of California. Kommt man beim Tanzen in den “Flow”, lasse man seine präfrontale Aktivität los und erlaube stattdessen, dass das emotionale Gehirn übernimmt. Das könnte laut der Forscherin den wohltuenden Effekt auf die psychische Gesundheit erklären. Auch die körperliche Gesundheit profitiert. Tanzen als Sport sind zahlreiche positive Effekte nachgewiesen worden, darunter verbesserte Kognition und Herzgesundheit sowie erhöhte Mobilität.

Allerdings kann dem Ecstatic Dance – vor allem wenn er Teil eines spirituellen Lebenswegs ist – auch eine negative Komponente innewohnen. Und zwar dann, wenn die Praxis Teil einer sogenannten spirituellen Umgehung wird. Dabei handelt es sich laut dem Trauma Recovery Institute in Dublin um ein Phänomen, bei dem Betroffene sich auf spirituelle Praktiken und Überzeugungen fokussieren, um den Umgang mit unseren schmerzhaften Gefühlen, ungelösten Wunden und Entwicklungsbedürfnissen zu vermeiden.

Ecstatic Dance ist keine Therapie – aber eine ganzheitliche, gesunde Praxis

Damit werde nicht nur die Auseinandersetzung mit dem Schmerz umgangen, sondern gleichzeitig auch das Umgehen legitimiert, wodurch langfristig keine Heilung stattfinden kann, warnt Psychotherapeut Darren Maguire vom Trauma Recovery Institute. Ein Symptom der spirituellen Umgehung kann auch die “Toxic Positivity” sein, also die übertriebene des positiven und das fast schon zwanghafte Verhalten, in allen Situationen das Positive zu suchen und damit negative Gedanken und Gefühle zu unterdrücken.

Solche Züge meint das Schweizer Lokalportals “Tsüri”, auch im Ecstatic Dance zu erkennen. Es mute an, dass sich viele Teilnehmer weigern, sich mit Schmerz im Allgemeinen auseinanderzusetzen, heißt es in dem Bericht. “Vielmehr wird eine Art postmoderne Pseudo-Esoterik postuliert, bei der der Moment bewusst nur auf das ‘Gute’ oder ‘Positive’ reduziert wird”, schreibt der Redakteur über seine Erfahrungen. Das trifft sicher nicht auf die Mehrheit der Tanzenden zu. “Für manche Menschen ist es spirituell, für andere emotional, für andere körperlich”, fasst Anthropologin Pritzker im Gespräch mit “US News” zusammen.

Ecstatic Dance sollte nicht als Therapieform betrachtet werden, allerdings beinhaltet die Bewegungspraxis – wie die Studien zeigen – einige therapeutische Aspekte, die wohltuende Wirkungen entfalten. Deshalb kann die Praxis “eine fantastische Ergänzung zur psychodynamischen Psychotherapie” sein, findet Maguire vom Trauma Recovery Institute. Die verschiedenen Untersuchungen zu dem Tanz-Trend belegen die positiven psychologischen, körperlichen und auch gesellschaftlichen Vorteile und machen in ihrer Summe den Ecstatic Dance zu einer ganzheitlichen und gesunden Praxis.

Quellen: Complementary Therapies in Clinical Practice“, “Dance as ecstatic Ritual/Theatre“,  “Deutschlandfunk“, “Ecstatic Dance: A Depth Psychological Exploration of Movement Suppression and Its Liberation“, “Hamburger Morgenpost“, “New York Times“,”The Restorative Effects of Ecstatic Dance: A Qualitative Study“, Trauma Recovery Institute, “Tsüri“, University of California, “US News

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