Dialekt-Kolumne: Bairische Begriffe und ihre Bedeutung – Bayern

Fräulein

(Foto: Scherl/SZ Photo)

In der vom ZDF ausgestrahlten Krimiserie “München Mord” haben die Kommissare Flierl, Neuhauser und Schaller zuletzt in gewohnt lässigem Eigensinn den Mord an einer Clubbesitzerin aufgeklärt. Die Serie ist reich an Wortwitz und Skurrilität, und sie verstößt bei Bedarf auch gerne gegen die Regeln des Zeitgeists. Etwa, wenn Ludwig Schaller (gespielt von Alexander Held) die Münchner Damen charmant mit Handkuss begrüßt und vor allem, wenn er seine Kollegin (gespielt von Bernadette Heerwagen) stets mit Fräulein Flierl anredet. Fräulein Flierl – das klingt extrem sonor, wenn der Schauspieler Held es flüstert, aber im wirklichen Leben würden ihm viele Fortschrittliche wohl sofort die Segnungen der sogenannten Cancel Culture angedeihen lassen. Diskriminierung, Abwertung, Sprachrassismus – die aktuelle deutsche Sprachordnung verurteilt den Gebrauch von Wörtern wie Fräulein gnadenlos.

Die Anrede Fräulein wurde schon 1971 aus dem Kosmos des Amtsdeutschen verbannt. Auch andere Sprachen kennen vergleichbare Diminuitive, deren lieblicher Klang unbestreitbar ist: Signorina, Señorita, Mademoiselle – übersetzt bedeuten sie freilich allesamt kleine Frau oder kleine Dame. Übertüncht wurde diese Abwertung durch gefühlige Aufwallungen wie dem Fräuleinwunder in den 50er-Jahren oder durch das lange Zeit unverzichtbare Fräulein vom Amt. Und es gab das Schulfräulein, eine respektable und Autorität ausstrahlende Institution. Wenn das “Schuifreilein” etwas angeordnet hatte, dann hat das was gegolten. Der Autor Hans Niedermayer schildert in seinem Erinnerungsbuch “Kind in einer anderen Welt” eindrücklich, wie ihn das Schulfräulein einfach ignorierte, obwohl er manche Frage hätte beantworten können.

Raner

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(Foto: imago images/Westend61)

Ein Leser hat mitgeteilt, in einem oberbayerischen Krankenhaus habe man ihm einen Rote-Bete-Salat serviert, die Krankenschwester habe das Wort Raner nicht gekannt. Auch die Gelben und Roten Rüben fallen dem Sprachwandel zum Opfer, im Supermarkt findet man nur noch Möhren und Rote Bete. Sogar einheimische Marktfrauen zeichnen ihre Rannen oder Raner (dunkles a), wie die Roten Rüben hießen, als Rote Bete aus. “Ranen und rothe Rüben” tauchen bereits im Wörterbuch von Andreas Zaupser aus dem Jahre 1789 auf. So lauten die Urbezeichnungen dieses Gemüses, die heutigen weltmännischen Ansprüchen nicht mehr genügen. Nachteil: Man neigt zur Falschschreibung. Rote Beete sind aber, so es solche gibt, rot gefärbte Gartenbeete. Die Gelbe Rübe, im Dialekt Goiberuam genannt, fristet ihr Dasein heute als Karotte, Mohrrübe und als Möhre.

gführiger Schnee

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(Foto: via www.imago-images.de/imago images/Manngold)

Nachdem Landtagspräsidentin Ilse Aigner vor Kurzem auf dem Gäubodenvolksfest in Straubing den Dialektpreis “Bairische Sprachwurzel” erhalten hatte, wurde sie von den Journalisten gefragt, welche Wörter ihr denn besonders gut gefielen. Sie hatte eine überraschende Antwort parat, und die hieß: “a gführiger Schnee!” Wie könnte es anders sein bei einer Frau, die am Fuße der Alpen daheim ist. A gführiger Schnee, das ist der Traum eines jeden Skifahrers, ein Schnee, auf dem die Brettl butterweich ins Tal gleiten. Schon in einem Pfrontener Volkslied von 1921 wird dieser Traum von Herzen besungen: “Zwoa Brettl, a gführiger Schnee, juchhe, des is halt mei höchste Idee!” Und doch haben sprachliche Perlen wie der gführige Schnee wohl keine große Zukunft mehr. Das belegte in Straubing eine junge fleißige Journalistin, die den Begriff wohl nicht kannte und ihn leicht umdeutete: “a gfriariger Schnä.” Der Schnee ist gefroren, das ist schon wahr, aber diese Version war sprachlich leider nicht sehr gführig. Im modernen Journalismus hat der gführige Schnee also schon jetzt einen schweren Stand. Skeptiker sehen darüber hinaus ein noch größeres Problem. Der Klimawandel, unken sie, sorge längst dafür, dass der Schnee und damit auch Ilse Aigners Lieblingswort verschwinden werden.

Ratz

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(Foto: imago images/ZUMA Wire)

“Du Ratte”, dieses grobe Schimpfwort ist in den Krimis, die im Fernsehen gezeigt werden, ziemlich oft zu hören. Schön klingt es wahrlich nicht, kein Wunder, dass dieses Wort nie Eingang in die bayerischen Sprachvarietäten gefunden hat. Schon deshalb, weil das doppelte “t” in diesem Fall für dialektal geprägte bayerische Menschen fast unaussprechbar ist. Deshalb wurde aus der Ratte der Ratz (Mehrzahl: Ratzen), der unter anderem im Kabarett als kraftvolle Metapher gerne verwendet wird. Monika Gruber merkte vor Jahren einmal an, der Fußballer Philipp Lahm sei bei einer Veranstaltung “an seiner Frau droghängt wia da Ratz am Pressack”. In Regensburg waren einst die Klingelratzen recht berüchtigt. Anarchisch veranlagte Burschen fingen bei aufkommender Langeweile gerne einen Ratz, steckten diesen in ein Netz und hängten ihn dann an den Glockenzug eines Wohnhauses. Sie betrachteten das als eine zünftige Gaudi. Die Gebrüder Ratzinger waren zwar keine Gaudiburschen, aber im Traunsteiner Knabenseminar trugen sie immerhin Spitznamen. Joseph war der Bücherratz, sein Bruder Georg hieß Orgelratz, weil er quasi auf der Orgelbank festgepappt war.

Gäu

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(Foto: Armin Weigel/dpa)

Am Freitag beginnt das Gäubodenvolksfest, das wohl wieder eine Millionenschar an Gästen nach Straubing locken wird. Ein “Trumm vom Paradies” wird das bis zum 20. August dauernde Spektakel gerne genannt, trefflicher lässt sich die Herrlichkeit dieser Festivität nicht beschreiben. Namensgeber ist die fruchtbare niederbayerische Gäubodenregion. Das bis ins Althochdeutsche zurückreichende Wort Gäu beschreibt die geografische Struktur einer Landschaft. Der Gäuboden ist ein flaches, getreideschweres Bauernland. Früher kutschierten die Bauern noch mit einem Gäuwagerl in ihr Gäu hinaus. In dem Begriff Gäu kommen aber auch Besitzverhältnisse und örtliche Zuständigkeiten zum Ausdruck. Die Umgangssprache kennt die Redewendung “jemandem ins Gäu gehen”. In diesem Fall wildert eine Person auf fremdem Terrain, sie mischt sich in fremde Angelegenheiten ein, was oft ungute Folgen hat. “Geh mir ja nicht ins Gäu!” So klingt eine veritable Drohung. Mit dem Wort Gäu eng verwandt ist der Begriff Gau, der im Mittelalter einen Verwaltungsbezirk markierte. Im 19. Jahrhundert diente das Wort zur Benennung von regionalen Vereinen und Parteien. In einigen Landschaftsnamen und Verbandsstrukturen lebt der Gau bis heute fort (Isengau, Schützengau). Das ist erstaunlich. Denn auch die Nazis hatten sich des Wortes Gau bemächtigt und es auf ewig ruiniert.

Genierer

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(Foto: Nicolas Armer/dpa)

Im Abendprogramm des Österreichischen Fernsehens (ORF) war am Samstag ein Krimi mit dem schaurigen Titel “Steirerblut” zu sehen. Zur Handlung ist anzumerken, dass eine Journalistin ermordet wurde, die in einem Bergdorf einem Korruptionsskandal nachspürte und von einer Wirtin in etwa so charakterisiert wurde: Sie war sehr gesellig und zugänglich, “sie hat überhaupt koan Genierer ghabt”. Das war das schönste sprachliche Zuckerl des Krimis. In Österreich ist das Wort Genierer noch häufig zu hören, in Bayern nur gelegentlich. Es stammt aus dem französischen Lehnwörter-Kosmos. Bekannter ist die Verbform sich genieren (sich schämen). Ein Genierer ist demnach ein Schamgefühl. Wer keinen Genierer hat, der hat keine Hemmungen, keinen Anstand, er schämt sich nicht, etwas Fragwürdiges zu tun. Die in Wien erscheinende Zeitung Der Standard veröffentlichte im April 2020 einen Text über absurd anmutende Dienste von sogenannten Heilern. Die Überschrift lautete: “Kein Genierer: Fernheiler bieten Corona-Heilungen aus der Distanz an.”

Hitzn

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(Foto: Julian Stratenschulte/dpa)

Die Hitze setzt vielen Menschen in diesem Sommer besonders zu. Um die Strapazen, die sie verursacht, adäquat auszudrücken, wird das Wort Hitze im Dialekt gerne mit einem Präfix versehen. “Aber heut hat’s wieder eine Bluatshitzn!” Die Hitze ist auch im zwischenmenschlichen Bereich relevant. Im Roman “Täuscher” von Andrea Maria Schenkel heißt es: “Ihr jungen Leut, ihr habt ja noch Hitzen …” Etwas anderes ist die fliegerte Hitzn, das sind Hitzewallungen, wie sie bei Frauen in den Wechseljahren auftreten. Männer wiederum werden eher von Hitzwimmerln geplagt, das sind Bläschen, die entstehen, wenn der Schweiß auf der Haut nicht verdunsten kann. Die für die Hitze verantwortliche Sonne wird im Volksmund seltsamerweise Blanäd (Planet) genannt. Im Zug nach Mühldorf sagte neulich ein Fahrgast: “Dann hat der Blanäd owagstocha, furchtbar … ” Der Kabarettist Addnfahrer klagte vor einem Auftritt in Augsburg: “Da Blanäd prügelt owa bis zum Gehtnimmer.”

Kniefieselig

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(Foto: Peter Kneffel/dpa)

Ministerpräsident Markus Söder hat in einem Interview mit dem Magazin Der Spiegel sprachschöpferische Qualitäten bewiesen. Hatte er bis dahin alle Fragen rechtschaffen beantwortet, so wurde seine Geduld am Ende, als es um die Frage einer möglichen Kanzlerkandidatur ging, doch noch strapaziert. “Sie sind heute aber wieder kniefieselig”, hielt er den Journalisten entgegen, wobei er gegrinst habe, wie in Klammern zu lesen war. Das Wort kniefieselig ist in Wörterbüchern kaum zu finden. Einer der Journalisten, die das Interview führten, tat nachher auf Twitter kund, Söder sei rasch in Fahrt gekommen “und wir haben ein neues fränkisches Wort gelernt, kniefieselig”. Ein gebürtiger Franke konterte im Netz sofort: “Kniefieselig ist definitiv kein fränkisches Wort, es klingt nicht einmal fränkisch.” Auf Online-Chats findet man es vereinzelt, man muss sich die Bedeutung von kniefieselig aber zusammenreimen. Über einen Perfektionisten heißt es an einer Stelle: “Er arbeitet sorgfältig und gewissenhaft. Er ist aber auch kniefieselig, er findet die kleinsten Fehler und ist absolut pünktlich.” So könnte man also bilanzieren: Wer kniefieselig ist, der ist kleinlich, pedantisch, eine Art Tüpferlscheißer (Dipflscheißer), wie man in Bayern sagt.

Tüpferlscheißer

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(Foto: Alessandra Schellnegger)

Gerade an Wörtern wie Tüpferlscheißer haftet die Altmünchner Seele, dieses sagenhafte Gemisch aus Grant, Laissez-faire und Lebensweisheit, das im modernen Sprachgewäsch mit seinem ausufernden Billigwortschatz leider verloren geht. Freilich will man auch kein sprachlicher Tüpferlscheißer sein, der jedes falsche Komma mit erhobenem Zeigefinger reklamiert. Unter einem Tüpferlscheißer versteht man insgesamt einen Menschen, der sich häufig kleinlich gibt, als Synonyme eignen sich die Wörter Pedant und Besserwisser. Im Norden nennt man solche Typen Korinthenkacker. Der aus der Oberpfalz stammende frühere Staatsminister Gustl Lang (1929-2004) sagte einmal: “Ich war als Minister nie ein Tüpferlscheißer.”

Pfund

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(Foto: Manfred Neubauer)

Auf dem Medium Twitter machte sich neulich ein Siebengescheiter darüber lustig, dass jemand das Wort Pfund verwendet hatte. “Pfund sagt man nicht mehr”, belehrte er die Twittergemeinde, “es heißt 500 Gramm!” Ganz so streng wird man es freilich nicht sehen müssen. Als Gewichtsangabe ist das Pfund nach wie vor beliebt, auch wenn es als Messeinheit schon im 19. Jahrhundert offiziell abgeschafft wurde. 1858 hatte der Deutsche Zollverein festgelegt, dass ein Pfund 500 Gramm schwer sein soll. Bis dahin galt in Bayern das Wiener Pfund, das waren gut 560 Gramm. Ausgehend vom Wort Pfund wurden weitere Wörter entwickelt. Der Pfundhammel etwa, ein Schimpfwort für ein grobes, ungeschlacht auftretendes Mannsbild. Auch als Präfix zur Verstärkung dient das Pfund, etwa bei der Pfundsgaudi und beim Pfundskerl. Positiv klingt auch das Adjektiv pfundig, das aber wegen der Modewörter geil und super einen schweren Stand hat. Noch seltener hört man das alte Synonym bärig.

Schachtel

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(Foto: Florian Peljak)

In der Fotoredaktion der SZ werden die für die Produktion benötigten Bilder thematisch in sogenannten Lightboxen abgelegt. Kollegin P. verwendet statt Lightbox in einer Art liebevollem Trotz ein schöneres und viel poetischeres Wort: “Schau mal in die Lichtschachtel!” Leider wird die Schachtel mehr und mehr von der Box verdrängt. Dieses fürchterliche Wort ersetzt mittlerweile Litaneien von Begriffen und deutet an, dass sich Sprache künftig auf wenige infantile Kernwörter reduzieren könnte. Neuerdings wird sogar der Strafraum im Fußball als Box bezeichnet. Die Schachtel hat dagegen Kraft und Farbe, nicht umsonst springt aus ihr der Schachterlteufel heraus. Sie hat aber auch eine dunkle Seite. Ältere Frauen werden oft als alte Schachteln bezeichnet. Dass es hier Nuancen gibt, zeigt ein Artikel im Münchener Stadtanzeiger vom August 1918, es ging um die französische Chansonette Yvette Guilbert: “Selbst als Yvette angejahrt war, hatte sie noch Zugkraft, denn auch eine alte Pariser Schachtel ist für einen deutschen Lebemann immer noch ein begehrenswertes Objekt.”

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