Quantenverschränkung misst Erdrotation wie nie zuvor

Das Experiment wurde durch die Zeichnung eines faserbasierten Sagnac-Interferometers in einem Vergrößerungsausschnitt dargestellt, ausgehend von einer lokalen Position (Wien, Österreich) der rotierenden Erde. Zwei nicht unterscheidbare Photonen treffen auf einen Strahlteilerwürfel, es entsteht eine Verschränkung zwischen ihnen und dann werden sie im Faserinterferometer gekoppelt. Bildnachweis: Marco Di Vita

In einem quantenphysikalischen Experiment an der Universität Wien gelang die bahnbrechende Präzision bei der Messung der Erdrotation mittels verschränkter Photonen.

Die Studie nutzt ein verbessertes optisches Sagnac-Interferometer, das die Quantenverschränkung nutzt, um Rotationseffekte mit beispielloser Präzision zu erkennen und damit potenzielle Durchbrüche sowohl in der Quantenmechanik als auch in der allgemeinen Relativitätstheorie bietet.

Bahnbrechendes Quantenexperiment

Ein Forscherteam hat ein bahnbrechendes Experiment durchgeführt, bei dem es die Auswirkungen der Erdrotation auf quantenverschränkte Photonen gemessen hat. Die Arbeit unter der Leitung von Philip Walther an der Universität Wien wurde gerade in der Zeitschrift Wissenschaftliche Fortschritte. Es handelt sich um eine bedeutende Errungenschaft, die die Grenzen der Rotationsempfindlichkeit bei auf Verschränkung basierenden Sensoren erweitert und möglicherweise den Weg für weitere Untersuchungen an der Schnittstelle zwischen Quantenmechanik und allgemeiner Relativitätstheorie ebnet.

Fortschritte bei Sagnac-Interferometern

Optische Sagnac-Interferometer sind die empfindlichsten Geräte für Rotationen. Sie haben seit Anfang des letzten Jahrhunderts entscheidend zu unserem Verständnis der fundamentalen Physik beigetragen und zur Etablierung von Einsteins spezieller Relativitätstheorie beigetragen. Heute sind sie aufgrund ihrer beispiellosen Präzision das ultimative Werkzeug zur Messung von Rotationsgeschwindigkeiten, das nur durch die Grenzen der klassischen Physik begrenzt ist.

Sagnac-Interferometer

Sagnac-Interferometer mit 2 Kilometern Glasfasern, die um einen quadratischen Aluminiumrahmen mit einer Kantenlänge von 1,4 Metern gewickelt sind. Bildnachweis: Raffaele Silvestri

Quantenverschränkung erhöht die Empfindlichkeit

Interferometer, die Quantenverschränkung nutzen, haben das Potenzial, diese Grenzen zu durchbrechen. Wenn zwei oder mehr Teilchen verschränkt sind, ist nur der Gesamtzustand bekannt, während der Zustand des einzelnen Teilchens bis zur Messung unbestimmt bleibt. Dadurch können pro Messung mehr Informationen gewonnen werden, als ohne diese Methode möglich wäre. Der versprochene Quantensprung in der Empfindlichkeit wurde jedoch durch die äußerst empfindliche Natur der Verschränkung behindert.

Hier machte das Wiener Experiment den Unterschied. Sie bauten ein riesiges Sagnac-Interferometer aus Glasfaser und hielten das Rauschen mehrere Stunden lang niedrig und stabil. Dies ermöglichte die Erkennung von genügend hochqualitativen verschränkten Photon Paare, die die Rotationspräzision bisheriger quantenoptischer Sagnac-Interferometer um das Tausendfache übertreffen.

Innovative Techniken in der Quantenmessung

In einem Sagnac-Interferometer erreichen zwei Teilchen, die sich in entgegengesetzter Richtung auf einem rotierenden, geschlossenen Pfad bewegen, den Startpunkt zu unterschiedlichen Zeiten. Bei zwei verschränkten Teilchen wird es unheimlich: Sie verhalten sich wie ein einzelnes Teilchen, das beide Richtungen gleichzeitig testet, während sie die doppelte Zeitverzögerung im Vergleich zu dem Szenario ohne Verschränkung ansammeln. Diese einzigartige Eigenschaft wird als Superauflösung bezeichnet. Im eigentlichen Experiment bewegten sich zwei verschränkte Photonen in einer 2 Kilometer langen Glasfaser, die auf eine riesige Spule gewickelt war, wodurch ein Interferometer mit einer effektiven Fläche von mehr als 700 Quadratmetern entstand.

Herausforderungen bei Quantenexperimenten meistern

Eine große Hürde für die Forscher war die Isolierung und Extraktion des stetigen Rotationssignals der Erde. „Der Kern der Sache“, erklärt Hauptautor Raffaele Silvestri, „besteht darin, einen Referenzpunkt für unsere Messung zu finden, an dem das Licht von der Rotation der Erde unberührt bleibt. Da wir die Rotation der Erde nicht stoppen können, haben wir uns einen Workaround ausgedacht: Wir teilen die Glasfaser in zwei gleich lange Spulen auf und verbinden sie über einen optischen Schalter.“

Durch das Ein- und Ausschalten des Schalters konnten die Forscher das Rotationssignal nach Belieben effektiv ausschalten, was ihnen auch erlaubte, die Stabilität ihres großen Apparats zu verlängern. „Wir haben das Licht im Grunde dazu gebracht zu glauben, es befinde sich in einem nicht rotierenden Universum“, sagt Silvestri.

Bestätigung der Wechselwirkungen zwischen Quantenmechanik und Relativität

Das Experiment, das im Rahmen des Forschungsnetzwerks TURIS der Universität Wien und der Österreichischen Akademie der Wissenschaften durchgeführt wurde, konnte den Effekt der Erdrotation auf einen maximal verschränkten Zwei-Photonen-Zustand erfolgreich beobachten. Damit wurde die Wechselwirkung zwischen rotierenden Referenzsystemen und Quantenverschränkung, wie sie in Einsteins spezieller Relativitätstheorie und der Quantenmechanik beschrieben wird, mit einer tausendfach verbesserten Präzision im Vergleich zu früheren Experimenten bestätigt.

„Das stellt einen bedeutenden Meilenstein dar, da ein Jahrhundert nach der ersten Beobachtung der Erdrotation mit Licht die Verschränkung einzelner Lichtquanten endlich den gleichen Empfindlichkeitsbereich erreicht hat“, sagt Haocun Yu, der als Marie-Curie-Postdoktorand an diesem Experiment arbeitete.

„Ich glaube, dass unser Ergebnis und unsere Methodik die Grundlage für weitere Verbesserungen der Rotationsempfindlichkeit von auf Verschränkung basierenden Sensoren bilden werden. Dies könnte den Weg für zukünftige Experimente ebnen, die das Verhalten der Quantenverschränkung durch die Kurven der Raumzeit testen“, fügt Philip Walther hinzu.

Referenz: „Experimentelle Beobachtung der Erdrotation mit Quantenverschränkung“ von Raffaele Silvestri, Haocun Yu, Teodor Strömberg, Christopher Hilweg, Robert W. Peterson und Philip Walther, 14. Juni 2024, Wissenschaftliche Fortschritte.
DOI: 10.1126/sciadv.ado0215


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