„Io Capitano“-Rezension: Eine erschütternde Reise afrikanischer Migranten

Eine senegalesische Mutter (Khady Sy) sonnt sich immer noch im Nachglühen eines Tanzabends mit ihren Kindern und bereitet sich auf das Zubettgehen vor, als ihr 16-jähriger Sohn Seydou (Seydou Sarr) seinen Wunsch gesteht, auszuwandern. Sie tadelt ihn dafür, dass er überhaupt über eine solch gefährliche Reise nachgedacht hat, aber während ihre Tränen strömen, weiß sie, dass es bereits zu spät ist, ihn aufzuhalten.

Das ist der emotionale Beginn des mitreißenden, letztlich lebensbejahenden „Io Capitano“ des italienischen Regisseurs Matteo Garrone, einem Oscar-Nominierten für den internationalen Spielfilm, der sorgfältig die zermürbende, möglicherweise tödliche Odyssee des Teenagers von Westafrika bis zur Küste Libyens nachzeichnet. Dort, an einem Hafen, der seine Vergangenheit vom Versprechen einer Zukunft trennt, versammeln sich Tausende aus dem gesamten afrikanischen Kontinent mit der gemeinsamen Absicht, das Mittelmeer nach Europa zu überqueren.

Andere gefeierte italienische Produktionen – der Dokumentarfilm „Fire at Sea“ aus dem Jahr 2016 oder das Drama „Terraferma“ – thematisierten das letzte Stück der Überfahrt über das Wasser. Garrone beschäftigt sich jedoch mit etwas, das den Schlagzeilen und Statistiken oft entgeht: den Gräueltaten vor Ort, die Migranten erdulden, bevor sie diesen Ausgangspunkt überhaupt erreichen, einschließlich der Durchquerung einer Wüste. (Kameramann Paolo Carnera fotografiert die Sahara in Weitwinkelaufnahmen, gespickt mit kaum erkennbaren menschlichen Figuren, die ihre erschreckende Weite zum Ausdruck bringen.) Garrone, der vor allem für seine einflussreiche Krimisaga „Gomorrha“ bekannt ist, schrieb das Drehbuch auf der Grundlage realer Berichte mehrerer Überlebender erzählen ihre Geschichte von unfassbarer Beharrlichkeit.

Nichts davon wissen der lebhafte Seydou, der davon träumt, Musiker zu werden, und sein Cousin Moussa (Moustapha Fall), der seinen vorsichtigeren Kumpel zum Handeln anspornt. Die Jungs haben monatelang gespart, um die Reise zu bezahlen. Nicht ganz anders als seine Darstellung junger Männer in „Gomorrha“ stellt Garrone ihre brüderliche Bindung als treibende Kraft inmitten zunehmend erdrückender Hindernisse in den Vordergrund. Ihr Ziel, gemeinsam zu fliehen, hat eine liebenswerte Reinheit.

Seydou Sarr im Film „Io Capitano“.

(Greta de Lazzaris / Cohen Media Group)

An jeder Station der erschütternden Reise kann jemand anderes finanziell davon profitieren. Es handelt sich um eine vom Leid angetriebene Wirtschaft, die Erpressung, Folter und eine moderne Variante der Sklaverei umfasst. All dies entspringt der Verzweiflung der Migranten, nicht nur voranzukommen, sondern auch nicht zu einem weiteren namenlosen Körper zu werden, der weit weg von zu Hause gefunden wird. (Und wenn Sie glauben, dass dies nur ein „ausländisches“ Problem ist, muss das US-Publikum nicht zu weit nach Süden schauen, um vergleichbare Beispiele für Entmenschlichung zu finden.)

Trotz der unaussprechlichen Grausamkeit – und einiger freundlicher Taten – strahlt der junge Sarr unauslöschliche Hoffnung aus und hält an der Überzeugung fest, dass ihn auf der anderen Seite des Wassers, an den Küsten Italiens, etwas erwarten könnte, das allen Kummer wert ist. Es ist vor allem seiner aufschlussreichen und von unerschütterlicher Standhaftigkeit geprägten Darbietung zu verdanken, dass ein Zuschauer es ertragen kann, „Io Capitano“ zu sehen. Zu glauben, dass dies Sarrs Schauspieldebüt ist, verwirrt den Verstand. (Zu Recht gewann er bei den Internationalen Filmfestspielen von Venedig, wo „Io Capitano“ Premiere hatte, einen Preis für Nachwuchsschauspieler.)

Garrone hat auch eine Affinität zum Fantastischen, wie in seinem düsteren, fabelhaften „Tale of Tales“ oder einer 2019er Version von „Pinocchio“ zu sehen ist, und es wird in zwei Traumsequenzen deutlich, die die Erzählung anmutig auf eine spirituelle Ebene heben. Einer von ihnen bietet einer erschöpften Frau in der Wüste die Kraft des Fliegens. Sie schwebt schwerelos über dem unerbittlichen Sand. In einer anderen Folge überbringt ein Engel Seydous Mutter eine reuige Botschaft.

Bei allem Bösen verliert Garrone jedoch nie die Solidarität unter den Migranten inmitten ihrer ständigen Ausbeutung aus den Augen: Seydou findet in Martin (Issaka Sawadogo) eine lebensrettende Vaterfigur, einen Familienvater, der ebenfalls auf dem Weg nach Italien ist und eine Gemeinschaft untereinander seine Mitreisenden in den Flüchtlingsunterkünften von Tripolis. Sein zunehmendes Bewusstsein für andere um ihn herum verleiht ihm eine Art Heldentum.

Fakten über diese Migranten kann man überall erfahren, aber Garrone weiß, dass das Mittel des Kinos effektiver ist. Indem er diese Heranwachsenden in all ihrer Zerbrechlichkeit und Stärke darstellt, kommt er dem Gefühl, wie sie sich fühlten, so nahe wie möglich. „Io Capitano“ ist ebenso unerschütterlich wie robust und einfühlsam.

„Io Capitano“

Nicht bewertet

Auf Wolof und Französisch, mit englischen Untertiteln

Laufzeit: 2 Stunden, 1 Minute

Spielen: In limitierter Auflage

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