Deutschlands rechtsextreme „Firewall“ knackt – POLITICO

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Gesprochen von künstlicher Intelligenz.

BERLIN – Bei dem politischen Manöver, das die demokratische Nachkriegsordnung Deutschlands erschüttert, handelt es sich um ein Gesetz, das so banal ist, wie es nur geht.

Mitte-rechts-Abgeordnete im ostdeutschen Bundesland Thüringen wollten die kommunale Grundsteuer geringfügig senken – und taten dies mit Unterstützung der rechtsextremen Alternative für Deutschland (AfD).

Der Schritt brach mit der jahrelangen Tradition, in der sich die Mainstream-Parteien geschworen hatten, eine beizubehalten Brandmauer, oder Firewall, zwischen ihnen und der AfD, einer Partei, die viele in einem Land, das sich des Erbes des Nationalsozialismus bewusst ist, als große Bedrohung für die Demokratie betrachten. Selbst die Annahme der Unterstützung der Partei, so die Überlegung, würde rechtsextreme Kräfte legitimieren oder sie schwächen salonfähig – gesellschaftsfähig.

Und als die Abgeordneten der CDU an einem späten Nachmittag im September die Steuersenkung mit Stimmen der AfD verabschiedeten, löste dies Erschütterungen in der politischen Landschaft des Landes aus, die bis heute nachhallen.

„Für mich ist ein Tabu gebrochen“, sagte die aus Thüringen stammende Grünen-Chefin Katrin Göring-Eckardt nach der Abstimmung. „Es zeigt mir nicht nur, dass die Firewall weg ist, sondern auch, dass es eine offene Zusammenarbeit gibt.“

Für die Mainstream-Parteien und insbesondere die CDU wird die Frage, wie mit der wachsenden Präsenz rechtsextremer Radikaler in Regierungsgremien vom Bundes- und Landesparlament bis hin zu den Kommunalräten umgegangen werden soll, wahrscheinlich nur noch problematischer werden.

Dies gilt insbesondere für die Bundesländer der ehemaligen DDR, wo die AfD in Umfragen mittlerweile mit rund 28 Prozent an der Spitze liegt. Im nächsten Jahr finden in den östlichen Bundesländern Thüringen, Sachsen und Brandenburg Landtagswahlen statt. Umfragen zeigen, dass die Partei in allen drei Bundesstaaten führend ist.

Die AfD dürfte ihre Präsenz in den Parlamenten Bayerns und Hessens ausbauen, wenn diese am Sonntag abstimmen. In Hessen steht die AfD den jüngsten Umfragen kurz davor, die Mitte-Links-SPD von Bundeskanzler Olaf Scholz zu überholen.

Das Dilemma, mit dem die Mainstream-Parteien konfrontiert sind, ist klar. Mit der AfD zusammenzuarbeiten bedeutet, eine Partei zu normalisieren, von der viele glauben, dass sie die Republik von innen heraus untergraben will. Aber die Partei auszugrenzen, entfremdet nur ihre vielen Wähler.

Die Firewall dient auch als unbeabsichtigtes politisches Geschenk und ermöglicht es der AfD, sich – in einer Zeit großer Unzufriedenheit mit den Mainstream-Parteien – als klare Wahl für diejenigen darzustellen, die dem politischen Establishment des Landes eine niederschmetternde Botschaft senden wollen.

Gleichzeitig scheint die Kontroverse um die jüngste Abstimmung in Thüringen der AfD in die Hände gespielt zu haben und es ihr zu ermöglichen, sich als eine Partei darzustellen, die eher auf die Aufrechterhaltung als auf die Zerstörung der Demokratie abzielt.

„Die ‚Firewall‘ ist Geschichte – und Thüringen ist erst der Anfang“, postete AfD-Fraktionschefin Alice Weidel nach der Abstimmung auf X, ehemals Twitter. „Es ist an der Zeit, auf den demokratischen Willen der Bürger überall in Deutschland zu reagieren.“

Historische Ängste

Die politischen Führer Deutschlands sind sich nur allzu bewusst, dass die Machtergreifung der Nazis mit einem demokratischen Wahlerfolg begann. Tatsächlich war es in Thüringen, wo die NSDAP 1930 in einer Koalition mit konservativen Parteien erstmals die tatsächliche Regierungsmacht übernahm.

„Die ‚Firewall‘ ist Geschichte – und Thüringen ist erst der Anfang“, postete AfD-Fraktionschefin Alice Weidel nach der Abstimmung auf X, ehemals Twitter. „Es ist Zeit, auf den demokratischen Willen der Bürger überall in Deutschland zu reagieren“ | Christof Stache/AFP über Getty Images

Diese Tatsache war den Gegnern der CDU nicht entgangen.

„Der deutsche Konservatismus war bereits ein Steigbügelhalter des Faschismus“, sagte Janine Wissler, Vorsitzende der Linkspartei, nach der Abstimmung der Deutschen Presse-Agentur. „Auch damals hat es in Thüringen angefangen“, fügte sie hinzu. „Statt daraus gelernt zu haben, beschreitet die CDU einen brandgefährlichen Weg.“

CDU-Spitzen in Thüringen dementieren, dass die Abstimmung über die Steuersenkung bedeutet, dass die Firewall bröckelt. Sie sagen, es habe im Vorfeld der Abstimmung keine Zusammenarbeit mit der AfD gegeben (obwohl AfD-Mitglieder sagen, dass es Diskussionen zwischen den Abgeordneten gegeben habe).

„Ich kann gute, wichtige Entscheidungen für den Staat, die Familien und Wirtschaft entlasten, nicht davon abhängig machen, dass vielleicht die Falschen zustimmen“, sagte Mario Voigt, der Vorsitzende der CDU in Thüringen, nach der Abstimmung.

Friedrich Merz, der Bundesvorsitzende der CDU, hat gemischte Signale zur Firewall gesendet – oder zumindest zur genauen Bedeutung der Firewall. Merz sagt, die CDU werde keine Koalitionen mit der AfD eingehen, äußerte sich jedoch weniger klar darüber, ob die CDU auf andere Weise mit der Partei zusammenarbeiten werde.

In einem Fernsehinterview im Sommer schien er anzudeuten, dass eine Zusammenarbeit mit der AfD auf lokaler Ebene so gut wie unvermeidlich sei.

Friedrich Merz, der Bundesvorsitzende der CDU, hat gemischte Signale an die Firewall gesendet | Tobias Schwarz/AFP über Getty Images

„Wir sind natürlich verpflichtet, demokratische Wahlen zu akzeptieren“, sagte er. „Und wenn dort ein Landrat, ein Oberbürgermeister gewählt wird, der der AfD angehört, ist es selbstverständlich, dass man nach Wegen sucht, um dann in dieser Stadt weiterzuarbeiten.“

Nachdem es zu einem Aufruhr kam, nahm Merz den Kommentar zurück. „Auch auf kommunaler Ebene wird es keine Zusammenarbeit zwischen CDU und AfD geben“, postete er auf X, ehemals Twitter.

Nach der Abstimmung in Thüringen stand Merz an der CDU-Landesspitze. „Wir orientieren uns nicht daran, wer zustimmt, sondern daran, was wir in der Sache für richtig halten“, sagte er im deutschen Fernsehen.

Selbst einige innerhalb seiner eigenen Partei sehen das nicht so. Daniel Günther, CDU-Ministerpräsident des nördlichen Bundeslandes Schleswig-Holstein, übte scharfe Kritik an seinen Parteikollegen in Thüringen. „Als Konservativer muss ich klar und deutlich den Satz sagen können: ‚Ich bilde keine Mehrheiten mit Extremisten‘“, sagte Günther.

„Cordon sanitaire“

Es ist nicht das erste Mal, dass Thüringen im Mittelpunkt einer Kontroverse um die Firewall steht. Im Jahr 2020 wurde mit Unterstützung von CDU und AfD ein wenig bekannter Politiker der FDP, Thomas Kemmerich, zum Ministerpräsidenten gewählt. Die damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel meldete sich zu Wort und bezeichnete die Abstimmung als „unverzeihlich“.

In der darauffolgenden Aufregung traten Kemmerich und der damalige CDU-Fraktionsvorsitzende im Land zurück. Doch angesichts der großen Präsenz der AfD im Kommunalparlament musste das Thema wieder auftauchen.

Es ist nicht das erste Mal, dass Thüringen im Mittelpunkt einer Kontroverse um die Firewall steht | Christof Stache/AFP über Getty Images

Das Problem ist bei weitem nicht nur Deutschlands Problem. Die Mainstream-Parteien stehen aufgrund des Aufstiegs der radikalen Rechten in ganz Europa zunehmend unter Druck.

In Frankreich haben sich Parteien aus dem gesamten politischen Spektrum gebildet Cordon Sanitaire, oder Sanitärsperre, um Marine Le Pen, eine Anführerin der rechtsextremen National Rally, von der Präsidentschaft fernzuhalten. Doch da Le Pens Partei inzwischen die größte Oppositionsgruppe in der Nationalversammlung ist, wird es immer schwieriger, die Abriegelung aufrechtzuerhalten.

Im Europäischen Parlament, wo eine ähnliche Absperrung errichtet wurde, wirbt die Mitte-Rechts-Europäische Volkspartei offen um die Europäischen Konservativen und Reformisten, die Heimat der nationalistischen Partei „Recht und Gerechtigkeit“ Polens und der rechtsextremen „Brüder Italiens“ der italienischen Premierministerin Giorgia Meloni Party.

In Thüringen steht noch mehr auf dem Spiel, da im Ortsverband der AfD einige der extremsten Mitglieder der Partei vertreten sind. Landesstaatliche Geheimdienste, die mit der Überwachung verfassungsfeindlicher Gruppen beauftragt sind, haben den örtlichen Zweig der Partei als extremistisch bezeichnet.

Der Vorsitzende der AfD in Thüringen ist Björn Höcke, dem wegen verbotener Nazi-Rhetorik ein Prozess droht. (Im Jahr 2021 schloss er eine Rede mit dem Satz „Alles für Deutschland!“ oder „Alles für Deutschland!“ – ein Slogan der Nazi-Sturmtruppen.)

Höcke wetterte gegen das Holocaust-Gedenken in Deutschland und warnte vor „Volkstod„, der Tod des Volkes durch „Bevölkerungsersatz“. Aufgrund dieser Ansichten haben deutsche Gerichte entschieden, dass Höcke zu Recht als Faschist oder Nazi bezeichnet werden könne.

DEUTSCHE NATIONALPARLAMENTSWAHL UMFRAGE

Weitere Umfragedaten aus ganz Europa finden Sie unter POLITISCH Umfrage der Umfragen.

Nach der Abstimmung über die Grundsteuer in Thüringen zeigte sich Höcke sichtlich erfreut und meinte, die AfD habe zu einer pragmatischen Politik beigetragen.

„Es ist einfach ein guter Tag für Thüringen“, sagte er.

Peter Wilke trug zur Berichterstattung bei.


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