Das Hamburg Ballett begegnet Bach und Bernstein mit reicher Bildsprache und Bewegung

Als Mann der Kirche, nicht des Theaters, schrieb Bach nicht für den Tanz. Aber Tanz war sein Kern. Seine Instrumentalsuiten, Partiten und Konzerte, die aus Tanzformen bestehen, können einige der tiefgründigsten Musikstücke dieses tiefgründigsten aller Komponisten enthalten.

Bach hat auch keine Oper geschrieben. Doch auch das Drama war sein Kern. Seine geistlichen Kantaten und Passionen, allen voran die „St. Matthäus-Passion“ enthalten einige der tiefgründigsten Dramen dieses tiefsinnigsten aller Komponisten.

Zu Bach zu tanzen ist selbstverständlich, wie Jerome Robbins, Anne Teresa De Keersmaeker und viele andere liebevoll demonstriert haben. Bach zu inszenieren ist nicht so selbstverständlich. Aber insbesondere Peter Sellars hat eindrucksvoll bewiesen, dass dies nicht nur möglich, sondern auch unerlässlich ist.

1980, sieben Jahre nachdem er Intendant des Hamburg Balletts geworden war, inszenierte der amerikanische Choreograf John Neumeier den „St. Matthäus-Passion“ als ballettartiges mittelalterliches Passionsspiel in der Michaeliskirche der Stadt und brachte es anschließend ins Opernhaus. 1983 wurde es als Avantgarde genug für die Brooklyn Academy of Music angesehen. Bis 2005 war es ein Klassiker, der zu den glanzvollen Baden-Badener Festspielen passte.

(Jason Armond / Los Angeles Times)

Zwei Opernsänger in Schwarz.

(Jason Armond / Los Angeles Times)

Jetzt, vier Jahrzehnte nach der Entstehung des Balletts, aber immer noch selten außerhalb Hamburgs zu sehen, ist Neumeiers „St. Matthew Passion“ hat die Los Angeles Opera erreicht und wirft die weitere Frage auf, wo Tanz, heilige Passion und Oper schneiden. Um die Sache noch spannender zu machen, lud Dance at the Music Center das Hamburg Ballett ein, seine „Bernstein Dances“ für zwei weitere Abende in den Dorothy Chandler Pavilion zu bringen.

Bernstein hat zufällig 1962 Bachs Passion mit den New York Philharmonic aufgeführt und aufgenommen, was damals als umstritten galt und immer noch gilt. Bernstein kürzte Bach, um die Theatralik der Passion zu verstärken, und führte den deutschen Text auf Englisch auf. Er behandelte die rezitative Erzählung der letzten Tage Christi als ein unentrinnbar lebhaftes Drama. Er verlieh Bachs großen Chören und feierlichen Chorälen die Erhabenheit griechischer Chöre. Er entfesselte rohe Opernleidenschaft in seelensuchenden Arien statt in einer kirchlichen Passion.

Bernstein stellte alles in Frage. Die „St. Matthew“ war für ihn lebendiges, atmendes, menschliches Theater. Aber auch seine spirituelle Essenz ging Bernstein unter die Haut. Das führte zu seiner direkten Konfrontation mit Gott in seiner Dritten Symphonie, die nach der Ermordung Kennedys geschrieben wurde, und dann in seiner musikalisch und spirituell transgressiven „Messe“ von 1972.

Neumeier bringt das alles nicht genau auf den Punkt. „Bernstein Dances“ verfolgt Bernsteins Karriere von seinen frühesten Tänzen und Broadway-Shows bis hin zu „Mass“, aber nur „A Simple Song“ und „Meditation 2“ werfen einen Blick auf die spirituelle Seite von Bernstein. Neben Showmelodien und kleinen beiläufigen Klavierstücken besteht die Hauptorchestermusik aus dem Violinkonzert „Serenade After Plato’s ‚Symposium‘“ und Tänzen aus „West Side Story“.

Es gibt große Projektionen auf der Bühne von Bernstein, der bekanntermaßen mit extravagantem Gefühl dirigiert, etwas, das der Dirigent des Unternehmens, Garrett Keast, aggressiv versucht, mit einem Grubenorchester zusammenzupassen.

Für „St. Matthew“, James Conlon dirigiert ehrfürchtiger ⁠ – und vernünftiger ⁠ – das LA Opera Orchestra and Chorus zusammen mit dem Los Angeles Children’s Chorus. Die Gesangssolisten kommen aus der Welt der Oper, singen aber aus dem Graben.

Tänzer mit erhobenen Armen und gefalteten Händen bilden ein Wellenmuster.

(Jason Armond / Los Angeles Times)

Zwei männliche Tänzer stützen einen dritten, seine Arme senkrecht.

(Jason Armond / Los Angeles Times)

Neumeier ist frecher bei Bernstein, stilisierter bei Bach; in „Passion“ kreieren seine in strahlendes Weiß gekleideten Tänzer Bilder elegant überlegter klassischer Bewegung. Bachs wundersame kontrapunktische Komplexität voller numerischer Symbolik und mathematischer Reinheit spiegelt sich auf der Bühne wider, wenn die Tänzer architektonische Versatzstücke von großer Schönheit annehmen.

In beiden Fällen funktionieren narrative Versuche weniger gut. Bernstein sitzt gequält, ekstatisch und vieles dazwischen an seinem Klavier und träumt von Tänzen, die zum Leben erwachen. In einem Augenblick – oder Sie werden es verpassen – wirft sich Bernstein auf das Klavier, die Arme ausgestreckt, als ob er auf der Tastatur gekreuzigt wäre. Am besten blinzeln.

Der unvereinbare Unterschied zwischen „Bernstein“ und „St. Matthäus“ ist der Umgang mit Musik, das Hauptthema beider. In dem einen ein Mischmasch aus Bernstein-Flair mit zwei Sängern und einem Pianisten auf der Bühne, die Stimmung, die Methode und die Energie immer wieder anders. Im „St. Matthew“ fühlt sich die Musik weniger frei an. Die Einschränkungen des Tanzes bedeuten, dass Tänzer Choreografien in bestimmten Tempi lernen müssen. Alles muss zur Bewegung auf der Bühne passen.

Musik erfordert weniger Ausdruck, um dem Tanz mehr zu geben. Das raubt den Sängern Persönlichkeit, die im Graben bleiben, vielen im Publikum verborgen. Bei der Eröffnung am 12. März kam Susan Graham in der feurigen Alt-Arie „Erbarme Dich“ dem Einfangen einer greifbaren Gefühlstiefe am nächsten. Ben Bliss bewies dabei einen durchdringenden Tenor. Aber Kristinn Sigmundsson, ein würdiger Jesus bei Aufnahmen, scheiterte als Bassistin. Die Sopranistin Tamara Wilson klang im ersten Teil der langen Passion verloren, erhob sich aber im zweiten mehr zur Sache.

In den Rezitativen, in denen der Evangelist die Passion erzählt und Jesus in der ersten Person ausruft (Joshua Blue bzw. Michael Sumuel), dröhnten die Sänger, um ihre Anwesenheit spürbar zu machen, wenn sie nicht gesehen wurden. Nichts kann den großartigen Chor der Oper dämpfen, obwohl es seine Wirksamkeit verringerte, wenn man ihn hinter einem Scrim hinter der Bühne platzierte, weit weg von Conlon und dem Orchester im Graben.

Eine Reihe kniender Männer, die Gesichter zum Himmel erhoben.

Tänzer des Hamburg Ballett.

(Jason Armond / Los Angeles Times)

Eine Reihe männlicher Tänzer hebt die Arme gen Himmel.

Tänzer treten im Rahmen von „St. Matthäus-Passion“.

(Jason Armond / Los Angeles Times)

All dies belastet die Schultern der Tänzer enorm. Ironischerweise sind sie für die Oper ohnehin am emotionalsten, wenn sie am wenigsten ausdrucksstark sind. Wenn sie sich mit einer von Bach geleiteten Anmut bewegen, könnten sie Sie glauben machen, dass sie von Gott geleitet wurden, und die Passion nimmt eine anmutige Spiritualität an.

Aber Neumeiers Bemühungen um Symbolik und Erzählung können auch das bedauerliche Gegenteil erreichen. Die Tänzer sind nicht in Bestform, wenn sie in einer Szene als gefesselt gezeigt werden oder von ihnen verlangt werden, eine heilige Gesinnung aufrechtzuerhalten, während sie wie am Kreuz sitzen. Jesus, der im Schneidersitz als Buddha in der Meditation sitzt, ist jedoch eine interessante Alternative. Aufgerichtete Bänke, die vielseitigen Eigenschaften der Hauptbühne, die den Charakter von Jesus gefangen halten, lassen ihn aussehen, als ob er in einer Telefonzelle wäre, die den Himmel anruft. Brustklopfen und Chaos bei Jesu Tod haben weniger Kraft, Ihr Herz zu zerreißen als Bachs Musik.

Jesus mag verkünden, dass der Geist willig ist, aber das Fleisch schwach ist. Für Neumeier ist das Fleisch nie schwach und der Geist nicht immer willig.

Und das könnte das große Geheimnis des Choreografen sein. Trotz all seiner gemischten Botschaften erschafft Neumeier ein Ritual, das sich über vier Stunden zu einem Spektakel unaufhörlicher, reichhaltiger Bilder und Bewegungen entwickelt. Tänzer mit Ausdauer und Anmut werden langsam zu Agenten des Erstaunens. Bei weiteren Auftritten fühlen sich die Musiker vielleicht etwas freier.

Bekämpfe Neumeier, wenn es sein muss. Wehe, dass eine Bach-Passion auf der lyrischen Bühne nichts zu suchen hat. Bach gewinnt. Diese „St. Matthew“ ist etwas Besonderes, wenn es das Recht dazu hat, und auf wundersame Weise, wenn es nicht so ist. St. Lenny kommt nicht so leicht davon.

‘St. Matthäus-Passion“ und „Bernstein-Tänze“

Woher: Dorothy Chandler Pavillon, 135 S. Grand Ave., LA

Wann: „Bernstein Dances“, 19.30 Uhr, 19. März; „St. Matthäus-Passion“, 20. und 27. März, 14 Uhr, 23. und 26. März, 19.30 Uhr

Eintrittskarten: „Bernstein“, $38-$138; „St. Matthew“, $19-$292

Die Info: musiccenter.org, (213) 972-0711


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