Design von Weinetiketten: Das Auge trinkt mit – Stil

Möchte man Menschen ratlos sehen, die Weinabteilung im Supermarkt ist ein guter Ort dafür. Die Sache ist kompliziert. Nicht nur, weil Geschäfte heute Hunderte Weinposten im Sortiment haben und man sich zwischen Dutzenden Rebsorten und Anbaugebieten entscheiden muss, sondern weil man auch bei der Optik die Wahl hat: Traut man sich und nimmt den freundlichen Demeter-Rosé mit der sonnenbebrillten Kuh auf der Flasche? Oder verlässt man sich auf den Dornfelder mit dem goldfarbenen Familienwappen?

In der zweiten Dezemberhälfte wird so viel Wein gekauft wie zu kaum einer anderen Zeit im Jahr: als Geschenk, Mitbringsel zum Essen oder für die Silvesterparty. Noch nie war es so schwer, die richtige Wahl zu treffen. Der Wein soll schmecken, aber auch Eindruck machen. Und natürlich gibt das niemand zu, doch man entscheidet immer nach Etikett, zumindest wenn man einen Wein zum ersten Mal kauft und ihn vorher nicht probieren kann.

“Wein verkauft sich zunächst über den Preis und dann – mehr als andere Produkte – über sein Aussehen”, sagt Clarens Jung, Geschäftsführer der Kieler Agentur Jung. Der Grund: “Die allermeisten Menschen stehen relativ unvorbereitet vor dem Weinregal, weil es dort kaum Markenprodukte gibt, auf die sie sich verlassen können.” Jung ist eine der führenden Adressen für Verpackungen im Lebensmitteleinzelhandel und die Ausstattung, das sogenannte Packaging, von Weinflaschen.

Die meisten Kunden entscheiden sich erst am Regal

70 Prozent der Kaufentscheidungen fallen erst vor Ort, sagt auch die Gesellschaft für Konsumforschung (GfK). Die Art, wie Produkte im Geschäft präsentiert werden, das weiß man, lenkt die Kunden, ja manipuliert sie sogar. Auch wenn man länger vor dem Weinregal steht als die durchschnittlichen 2,5 Sekunden, die eine Kaufentscheidung dauert – die Nicht-Kaufentscheidung fällt sofort, sagt Jung. “Menschen wissen nach einem Bruchteil von Sekunden, welche der 300 Produkte im Regal sie überhaupt nicht interessieren.” Wo Kunden seiner Erfahrung nach hängen bleiben: bei einer berühmten Rebsorte, einer tollen Herkunft und Goldfolie. Goldfolie? “Goldfarbene Zierleisten, Prägungen und Siegel schmücken zwar immer weniger Flaschen”, sagt Jung. “Viele Menschen legen aber noch großen Wert darauf.”

Zu den werbepsychologischen Tricks im Supermarkt gehören bunte Verpackungen und schmeichelhaftes Licht. Beim Wein zieht also Gold? Jein. Es ist dann doch noch ein wenig komplexer.

Egal, was man heute verkauft – ob Schuhe, Kopfhörer oder Brot -, man verkauft auch den Lifestyle dazu. Natürlich ist das Etikett auch der Ort, auf dem Dinge wie Qualität, Alkoholgehalt oder Füllmenge vermerkt werden müssen, vor allem aber ist das Etikett die Visitenkarte des Weins. Es kann eine Geschichte erzählen: über Geschmack, Werte und Tradition, ja über die Vorlieben der Winzerin – oder eben des Käufers.

Für die Genossenschaft Lauffener Weingärtner hat die Agentur Jung zum Beispiel ein Red-Dot-prämiertes Packaging entwickelt: Der Wein trägt den doppeldeutigen Namen “Lesestoff”, als Anspielung auf die Traubenlese und weil er sich an Kunden richtet, die gern lesen oder wenigstens als Leser wahrgenommen werden wollen. Für die Linie “The Flower Pot” der Weinkellerei Langguth entwickelte die Agentur Etiketten aus nachhaltigem Samenpapier, das umweltbewusste Kunden von den Flaschen ablösen und in einen Topf pflanzen können. Vor allem junge Menschen soll das ansprechen. In einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Yougov gaben 48 Prozent der Befragten zwischen 18 und 24 Jahren an, dass sie gar keinen Alkohol trinken. Die begeistert man auch nicht mit Goldfolie. Vielleicht aber mit dem Gegenteil davon.

“Etiketten sind heute weniger verschnörkelt gestaltet als vor 30 Jahren, sondern geradliniger, minimalistischer, frischer und damit attraktiver für junge Menschen”, sagt Janine Woltaire, die als Sommelière und Restaurantleiterin im Berliner Fine-Dining-Restaurant “Hallmann & Klee” einen Überblick über die Szene hat. In Deutschland, erzählt sie, gab es ab den 90-er Jahren in vielen Weingütern Generationswechsel. Wer das Weingut der Eltern übernimmt, will sich oft auch optisch vom Gestern abgrenzen. “Das merkt man nicht nur im Weinstil, der puristischer, natürlicher und weniger barock geworden ist, sondern auch an den Flaschen.” So sehe man auf den Weinen der “Drei Freunde”-Linie der rheinhessischen Winzerin Juliane Eller nur drei Striche. Den Rest des Marketings übernehmen die prominenten Freunde Joko Winterscheidt und Matthias Schweighöfer, mit denen Eller die Linie produziert.

Minimalistisch designte Flaschen sind überall da beliebt, wo es Beratung gibt, im Weinhandel und in Natur- und jungen Weinbars wie “Jaja” in Neukölln, “Grapes” in München oder “Weinskandal” in Wien. Dort findet man neben den reduzierten Aufmachungen viele durchgestylte Etiketten: geometrische Muster, erstaunlich viele Tiere und emotionale Konzepte, die Erklärung brauchen. Besonders viel Mut beobachtet Sommelière Woltaire in Spanien, wo es eine große Naturweinszene gibt, und in Österreich. Ein gutes Beispiel sind die Flaschen von Gut Oggau im Burgenland, die einen einzigartigen Wiederkennungswert haben.

Dürfen wir vorstellen, Bertholdi, Emmeram und Mechthild: die “Großelterngeneration” der Naturweine von Gut Oggau.

(Foto: Hersteller)

Auf ihren Etiketten prangen Gesichter, gezeichnete Porträts einer fiktiven Verwandtschaft. “Jeder Wein hat so eine starke Persönlichkeit, so wie man einen Menschen beschreibt”, erklärt Eduard Tscheppe-Eselböck, der Winzer in Oggau. Zum Beispiel “Theodora”, ein Weißwein aus den Rebsorten Grüner Veltliner und Welschriesling. Theodora sei jugendlich, frech, “je nach Jahrgang auch ein bisschen bockig und sprunghaft. Sie hat attitude und ihre Launen, aber weiß, wo’s langgeht und was sie will”. Die Weinfamilie umfasst drei Generationen, die jüngste mit einfacheren Weinen, jugendlichen, “unbekümmerten” Charakteren; die reifere, gehaltvollere, aber auch gelassenere Elterngeneration; und die “Großeltern” von den ältesten Stöcken – “komplex, gütig und manchmal etwas knorrig”, fasst Tscheppe-Eselböck zusammen. Man kann das Storytelling albern finden oder genial, Tatsache ist: Die Weine vergisst man nicht.

Dass sich Weingüter so intensiv mit Design beschäftigen, ist relativ neu. Die Optik war lange Zeit nicht wichtig, weil Wein in Fässern oder Ein- und Zwei-Liter-Flaschen verkauft wurde. “Noch in den Neunzigern waren viele Etikettenauftritte verheerend”, sagt die Designerin Cordula Alessandri aus Wien. Mit ihrem Studio gestaltet sie seit 25 Jahren Wein-Packagings. Ihre Entwürfe sind preisgekrönt, in der Branche gelten sie als unkonventionell, verspielt, aber trotzdem: zeitlos.

“Das Ziel ist, Objekte der Begierde zu schaffen.”

Mit der Verpackung muss man sich heute intensiv befassen, allein um sich von der Konkurrenz abzuheben und eine Nische im ausdifferenzierten Weinmarkt zu finden. Wie das geht? “Das Ziel ist, Objekte der Begierde zu schaffen”, sagt Alessandri. Die Kunst-Etiketten von Château Mouton Rothschild, einem der berühmtesten Weingüter der Welt, die seit 1945 jeden Jahrgang schmücken, haben Sammlerwert. Auch Alessandri spielt mit dem Sammeltrieb der Kunden. Auf den Flaschen des Weinguts Gruber Röschitz im Weinviertel sind nach ihrer Idee Zeichnungen von “Weingeistern”: Fantasiewesen, die man, erklärt Alessandri, nur unter dem Mikroskop sehen kann. “Maßstab 1 000 000:1” steht auf den Flaschen, das Weingut verkauft auch Kochschürzen und Klebe-Tattoos mit den Illustrationen.

Weinmarketing: Maßstab 1 000 000: die Weingeister auf den Flaschen des Weinguts Gruber Röschitz.

Maßstab 1 000 000: die Weingeister auf den Flaschen des Weinguts Gruber Röschitz.

(Foto: Hersteller)

Und für den portugiesischen Hersteller Niepoort führte sie länderspezifische Namen und Etiketten ein, mit Zeichnungen aus dem jeweiligen Land, die es nur dort zu kaufen gibt: in Deutschland mit dem Raben Huckebein, der in Wilhelm Buschs Geschichte zu ausgiebig dem Wein frönt. 47 solcher Länderetiketten hat Alessandri entworfen.

Lustige Namen und Illustrationen erwecken Aufmerksamkeit im Laden. Doch geht es beim Wein nicht um Vertrauenswürdigkeit, darum, Kunden langfristig an sich zu binden? Und sind Connaisseurs nicht ohnehin unbeeindruckt von der Optik? Die Sache ist: Man kann nicht nicht kommunizieren, wie der Kommunikationswissenschaftler Paul Watzlawick sagte, das gilt auch für das Flaschenetikett. Selbst wer sich auf den Inhalt fokussiert, kommt an der Wirkung des Äußeren nie vorbei.

Das Weingut am Stein in Würzburg hat sämtliche Schmuckelemente von seinen Flaschen verbannt. “Das Etikett ist für den Wein das, was die Kleidung für den Menschen ist: ein Spiegel des Weines selbst”, sagt der Winzer Ludwig Knoll. “Die puristische Aufmachung unserer Weine steht für ihre Natürlichkeit und dafür, dass der Inhalt das Wichtigste ist.”

Weinmarketing: Understatement: Auf den Lagenweinen vom Weingut am Stein findet man das Familienwappen in dezentem Schwarz und den Fingerabdruck des Winzers Ludwig Knoll.

Understatement: Auf den Lagenweinen vom Weingut am Stein findet man das Familienwappen in dezentem Schwarz und den Fingerabdruck des Winzers Ludwig Knoll.

(Foto: Hersteller)

Statt Medaillen und Ornamente findet man auf Knolls Weinen neue Symbole, die ihre Kunden überzeugen sollen. Die Etiketten, sowohl auf den komplexeren Lagen- als auch auf den Gutsweinen, fransen an der Seite aus, als hätte sie jemand von Hand abgerissen. Auf den Lagenweinen sind Knolls Fingerabdruck und seine Unterschrift abgedruckt. “Das Ungerade wird natürlich von der Druckerei so geschnitten, steht aber für Handarbeit, der Fingerabdruck bedeutet, dass ich persönlich hinter jeder einzelnen Flasche stehe”, sagt Knoll. Plakativer kommen die Gutsweine daher, die seit 2019 in moderner Optik aufgemacht sind. “Helle Freude” oder “Rosamunde” steht in fetten Großbuchstaben auf dem Etikett. Die Weine sind günstiger und ziehen wie erwartet insbesondere jüngere Käufer an.

Weinmarketing: Von "Helle Freude" bis "Rote Wonne": die Gutsweine vom Weingut am Stein.

Von “Helle Freude” bis “Rote Wonne”: die Gutsweine vom Weingut am Stein.

(Foto: Hersteller)

Minimalismus auf der Flasche mag seriös wirken, und stylische Flaschen stellt man sich bestimmt gern ins Regal, die Mehrheit mag es aber traditioneller. Der – gemessen am Absatz – erfolgreichste Wein im Portfolio der Agentur Jung läuft allen aktuellen Etiketten-Trends zuwider: der “Doppio Passo”, ein Primitivo, den deutsche Supermärkte allein in diesem Jahr zehn Millionen Mal verkauften. Sein Etikett ist aus naturweißem, dezent geflecktem Papier, gerahmt von barocken Ranken; das Wappen und die Schnörkel sind teilweise goldfarben. “Weinromantik” sagt Jung dazu. “Wir gehen davon aus, dass das Wappen dem Verbraucher signalisiert, er habe es mit einem traditionell verwurzelten Produkt zu tun.” Inzwischen gibt es mehrere Weine, die unter der Marke verkauft werden. Der Doppio Passo ist eine der wenigen Weinmarken, die man auch kennt, wenn man sich nicht mit Wein beschäftigt.

Weinmarketing: Erfolgsgeschichte: der Primitivo von "Doppio Passo". Vor ein paar Jahren wurde der Name auf den Etiketten noch vergrößert.

Erfolgsgeschichte: der Primitivo von “Doppio Passo”. Vor ein paar Jahren wurde der Name auf den Etiketten noch vergrößert.

(Foto: Hersteller)

Vielleicht ist das Geheimnis des Doppio Passo, dass er so unscheinbar ist, dass er den Menschen die Unsicherheit vor dem Weinregal nimmt. “Auch junge Menschen kaufen oft lieber traditioneller oder konservativer aufgemachte Flaschen, weil sie glauben, dass sie dann nichts Falsches kaufen”, erklärt die Designerin Alessandri. “Für jemanden, der sich nicht mit Wein auskennt, erscheint es oft unseriös, wenn die Aufmachung zu trendig ist.”

Kann man am Ende die Qualität doch am Etikett erkennen? Man kann zumindest auf den Inhalt schließen. Eine junge urbane Aufmachung verspricht einen unkomplizierten, frischen Wein, ein traditionelles Wappen eine klassische Weinstilistik. Wichtig sei, sagt Alessandri, dass die Qualität zur Optik passt. “Sonst kauft der Kunde einmal und nie wieder. Die schönste Verpackung nutzt nichts, wenn es eine Mogelpackung ist.”

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