Der Baikal-S ist nicht mehr als Prozessor-Propaganda aus Russland

“Dieses Produkt kann mit den namhaften Konkurrenten der weltweit führenden Hersteller mithalten”: Die Entwickler des russischen Baikal-S geben sich gegenüber dem Nachrichtenmagazin Cnews mit ihrem Prozessor sehr zufrieden (via Tom’s Hardware). Cnews präsentiert eine Reihe von Benchmark-Ergebnissen, die den für Server gedachten Baikal-S mit 48 ARM-v8-Kernen anderen Prozessoren gegenüberstellen.








Die Benchmarks und die daraus erzeugten Grafiken sind durchaus spannend. Hersteller und das IT-Nachrichtenmagazin versuchen den Eindruck zu vermitteln, Russland komme gut ohne den Rest der Welt aus – auch bei Hightech. Sowohl die Auswahl der Benchmarks als auch die Präsentation der Ergebnisse und die Auswahl der Vergleichskandidaten sind allerdings interessant. Obwohl einige Vergleichswerte fehlen, tauchen an diesen Stellen dennoch Balken im Diagramm auf – was auf den ersten Blick in vielen Fällen den Eindruck vermittelt, der Baikal-S sei besser als die anderen Prozessoren.

Die meisten Vergleiche stellt Baikal Electronics mit Hisilicons Kunpeng 920 in einer 48-Kern-Variante und mit Intels Xeon Gold 6230 an (dem Cnews ARM-Kerne andichtet). Beide Konkurrenten kamen 2019 auf den Markt.

Unterschiede gibt es beim Speicher: Kunpeng 920 und Baikal-S nutzen DDR4-3200-Speicher mit acht und sechs Kanälen. Der Xeon Gold 6230 hingegen spricht maximal DDR4-2933-Speicher an, ebenfalls über sechs Kanäle.




Letzteren habe man ausgewählt, da er ähnlich viel koste wie der Baikal-S, so Baikal Electronics. Damit wissen wir zumindest schon, dass die CPU umgerechnet etwa 2.300 US-Dollar kosten soll. Ob die Leistung diesen Preis rechtfertigt?

Ungewöhnliche Benchmarks, vermutlich manipuliert

Ein wenig überraschend ist die Auswahl der Benchmarks, die bis auf High Performance Linpack (HPL) keine Server- oder HPC-spezifischen Tests umfasst. Stattdessen nennt Baikal Electronics Werte für Coremark, Geekbench, 7zip sowie den Speicher-Benchmark Stream. Auch Werte für Spec 2017 sind zu finden, allerdings ohne Einordnung.

Dabei zeigt sich ein Muster: Vergleichswerte sind nur angegeben, wenn sie zeigen, dass der Baikal-S sich zumindest ordentlich schlägt. Lediglich beim HPL gönnt man dem Xeon Gold 6320 einen Sieg, beim Kunpeng 920 ist Baikal Electronics großzügiger.



Im HPL sind die ARM-Prozessoren deutlich abgeschlagen – unser Desktop-Prozessor scheint durch den Speicher limitiert zu sein. (†: Daten von Baikal Electronics; Bild: Golem.de) [1/5]

Die Aussagekraft des Speicher-Benchmarks Stream ist begrenzt – mehr Speicherkanäle und schnellerer Speicher bedeuten bessere Ergebnisse. (†: Daten von Baikal Electronics; Bild: Golem.de) [2/5]

Coremark liefert wenig aussagekräftige Ergebnisse. (†: Daten von Baikal Electronics; Bild: Golem.de) [3/5]

Die Leistung bei 7zip ist mager, sowohl bei der Kompression … (†: Daten von Baikal Electronics, *: Daten von Open Benchmarking; Bild: Golem.de) [4/5]

… als auch beim Entpacken. (†: Daten von Baikal Electronics, *: Daten von Open Benchmarking; Bild: Golem.de) [5/5]


Nehmen wir als Beispiel 7zip: Hier sehen wir in der Datenbank von Open Benchmarking, dass ein Core i9-13900K (Test) den Baikal-S bereits schlägt. Einige der Tests haben wir auf dem Ryzen 5 5600G unseres Arbeitsrechners laufen lassen.

Auch scheint Baikal Electronics den Xeon Gold 6320 ausgebremst zu haben: Der Benchmark Stream legt nahe, dass statt DDR4-2933-Speicher nur DDR4-2133 verwendet wurde. Den eigenen Prozessor stattete man hingegen maximal mit Speicher aus, das legen die Einträge in der Geekbench-Datenbank nahe (Ergebnis für 2 GHz, Ergebnis für 2,5 GHz). Der Vergleich zu unserem Ryzen 5 5600G mit DDR4-3200-Speicher und zwei Kanälen lässt vermuten: Auch der Baikal-S lief mit DDR4-3200-Speicher.

Sicher belegen lässt sich diese Manipulation nicht, da die Konfiguration der Testsysteme nicht angegeben ist. Bei Geekbench hat Baikal Electronics zudem die Vergleichswerte nicht selbst gemessen, sondern aus Geekbenchs Ergebnisdatenbank zusammengesucht und sich im Zweifel für den schlechteren Wert entschieden.

Für den Epyc 7351 finden wir zwei Ergebnisse, neben dem von Baikal Electronics angegebenen ein um rund 15 Prozent besseres. Ein weiterer Wert übertrifft den angegebenen gar um 81 Prozent, was bei uns starke Zweifel an der Aussagekraft der Werte hinterlässt.

An einer echten Einordnung des Prozessors ist Cnews offensichtlich nicht gelegen. Der umfangreiche Bericht scheint in erster Linie die russische Bevölkerung bei Laune halten zu sollen, denn die gezeigten Zahlen sind meist lediglich neu zusammengestellt.

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