Das Roboterauto komm – “Bis 2025 werden in Europa die Schleusen für den Umbau des Mobilitätssystems geöffnet”

Das vollautonome Auto kommt nicht mit einem großen Knall, sondern in kleinen Schritten. Schon bald werden wir LKW ohne Fahrer erleben, sagt der Autoexperte Peter Fintl. In schwierigen Situationen hilft ein Trick.

Herr Fintl, autonomes Fahren wurde bei der Vorstellung des Googleautos vor 12 Jahren heiß diskutiert. Man hat sich vorgestellt, dass ein Auto ohne Steuer und Fahrer ganz allein unterwegs sein kann – etwa die Kinder in die Schule fährt. Was wir jetzt haben, sind Fahrassistenten, die es erlauben, auf der Autobahn die Hand vom Lenkrad zu nehmen.

Zugegeben auf den ersten Blick sieht das ein bisschen ernüchternd aus. Doch die Vorstellung dieses Wagens und die vollmundigen Versprechungen von Tesla haben eine Revolution angeschoben. Auch wenn sich das Vorhaben nun als wesentlich komplexer herausgestellt hat, so beginnen derzeit die ersten serienreifen Produkte in Kundenhand zu gelangen. Der vielzitierte Autobahnpilot ist hier ein Beispiel.

Das E-Auto ist im Alltag angekommen, doch das autonome Fahren ist im Alltag bei uns doch gar nicht sichtbar.

Da muss man genau schauen, wie sich die Autonomie manifestiert. Wir haben das bekannte Stufensystem, beginnend von L0 – Fahrer ist voll verantwortlich – bis zu L5 – Fahrzeug agiert in allen Umgebungen vollkommen autonom. Dass Deutschland es geschafft hat, einen vernünftigen, gesetzlichen Rahmen dafür zu schaffen, ist schon toll. Das automatisierte Fahren kommt nicht über Nacht. Es handelt sich um einen evolutionären Prozess. Assistenzfunktionen wie Spur- und Abstandshaltung sowie Notbremsassistenten gehören heute zu gerne gewählten Ausstattungsmerkmalen, und sind teilweise gar gesetzlich vorgeschrieben. Bleiben wir beim Stichwort “gesetzlicher Rahmen”. Der Komplex Legislatur wurde zunächst unterschätzt. Einen sicheren und zuverlässigen Rechtsrahmen zu bauen, hat Jahre in Anspruch genommen. Deutschland ist hier aber Vorreiter und hat begonnen, entsprechende Gesetze im letzten Jahr einzuführen.

Das muss man auch mal lobend erwähnen. Es wird auch gern über Berlin gemeckert, aber hier sind wir weit vorn.

Genau, mit weltweiter Vorbildwirkung. Mitte August haben die Chinesen nachgezogen. In Pekings “Big Picture” zum autonomen Fahren war die Gesetzgebung bislang ein Fragezeichen. Aber offenbar wurden die Papiere des Bundestages eingehend studiert und dienten als Inspiration für die lokale Gesetzgebung. Auch für Frankreich oder Japan waren die deutschen Gesetze in diesem Bereich beispielhaft. Hiesige Hersteller sind absolut konkurrenzfähig, wenn es darum geht, den Sprung von Technologiedemos in nutzbare Praxisfunktionen zu bewältigen. Der erste zugelassene Autobahnpilot kam aus Deutschland.

Aber von der Situation “Ich schicke das Auto los und es holt allein die Kinder ab” ist das alles weit entfernt.

In der Tat hat sich die Vision des Google Autos – gleich Level 5, auf einen Schritt alles vollautonom – als zu ambitioniert herausgestellt. Allerdings bedeutet das nicht, dass die Vision gescheitert ist. Vielmehr versucht man heute, einzelne Nutzungsszenarien – etwa Autobahnfahrten oder Shuttleservices innerhalb eines definierten Gebietes – umzusetzen. Damit ist man durchaus erfolgreich. Die Richtung hin zum vollautomatisierten Fahren ist weiterhin richtig und wird verfolgt. Allerdings geschieht dies in Schritten und nicht in einem großen Sprung.

In China wurde unlängst das Baidu-Taxi vorgestellt, das kommt der Vision schon ziemlich nahe.

China verfolgt die Technologie des automatisierten Fahrens mit großem Nachdruck. Es gibt eine Handvoll Firmen, die über entsprechende Selbstfahrtechnologie verfügen und Lizenzen für den kommerziellen Personentransport beantragt beziehungsweise eingelöst haben. Bis vor Kurzem waren die meisten dieser automatisierten Fahrzeuge in den Pilotanwendungen mit einem Sicherheitsfahrer an Bord unterwegs – vor allem in Metropolen wie Wuhan, Shenzhen, Shanghai oder auch Peking. Aber nun erleben wir einen richtigen Durchbruch. Die Technologie ist so weit, dass kein Sicherheitsfahrer mehr erforderlich ist. Außerdem wurde der kommerzielle Betrieb genehmigt – im regulären chinesischen Straßenverkehr. 

Da sind also kein Sicherheitsfahrer und kein Lenkrad mehr dabei. Baidu behauptet, dieses Taxi, das auch noch gut aussieht, für kaum mehr als 30.000 Euro herstellen zu können. Inklusive der ganzen Technik, die für das autonome Fahren nötig ist.

Was wir hier technologisch sehen, ist absolut bahnbrechend. Jedoch ist die finanzielle Leistbarkeit solcher Systeme ein ganz wichtiger Punkt. Der Preis entscheidet. Von millionenteuren Pilotprojekten muss nun die Kommerzialisierung gelingen. Hierzu sehe ich zwei Wege: Den Einsatz bei Taxis sowie über den Premiumbereich. Perspektivisch wird die Technologie signifikant günstiger werden, sodass auch die Ankündigung von Baidu nicht gänzlich unrealistisch ist. Hier greifen Skaleneffekte aber auch die Simplifizierung von Systemen, etwa im Bereich Lidar-Sensoren. Ich bin mir sicher, dass das autonome Fahren als Aboversion verfügbar sein wird. Das heißt, dass zu gegebenenfalls niedrigen Kaufkosten noch monatliche Gebühren hinzukommen. 

Für den Kunden sind das derzeit teure Features – aber ein vollautonomes Shuttle zu einem Preis von 30.000 bis 35.000 Euro wäre auch für den Privatkunden verlockend. Davon sind wir heute weit entfernt.

Auch die Ankündigung von Baidu ist heute perspektivisch zu sehen! Das Modell steht nicht abholbereit im Laden. In der Tat hatte man als Zielgruppe zu Beginn sehr stark den solventen privaten Halter im Blick, der sich so etwas leisten möchte. Wie beim Tesla Model S. Inzwischen kristallisiert sich heraus, dass andere Anwendungen wohl besser für die Kommerzialisierung geeignet sind: Das sind der kommerzielle Güter- und Personenverkehr.

Verständlich. Privat schafft Autonomie mehr Bequemlichkeit, im Gewerbe fallen dagegen die Lohnkosten weg. Da rechnet sich die Investition ganz anders.

Ein Blick auf die tatsächliche Nutzungszeit eines Automobils schafft Klarheit: Ein Privatauto steht meist nur rum, in Deutschland im Durchschnitt 23 Stunden am Tag. So ein E-Taxi kann bis auf die Ladezeit rund um die Uhr im Einsatz sein. In absehbarer Zeit geht es vor allem um den kommerziellen Verkehr. Damit wird Geld verdient – egal ob im Güter- oder Personenverkehr, der Mensch ist dort ein wesentlicher Kostenfaktor und dazu herrscht eklatanter Fahrermangel, bei dem kein Ende absehbar ist.

In China haben wir diesen Punkt bei den Taxis erreicht, wann sehe ich so etwas bei uns?

Die chinesischen Hersteller gehen davon aus, in den nächsten zwei bis drei Jahren den gewerblichen Taxibetrieb in den Megastädten großflächig ausrollen zu können. Das würde den Schritt in die Massenproduktion bedeuten. Diesem ganzen Sektor “automatisierte Mobilität” misst die chinesische Regierung eine große Bedeutung zu. So ist diese in der Industriestrategie “Made in China 2025” fest verankert, damit fließt nicht nur politisches Wohlwollen in die Planung, sondern auch handfeste Investitionen. Das bedeutet, nicht nur die Software zu entwickeln, sondern auch etwa die Sensorik in China zu beherrschen und herzustellen.

Gehen wir kurz zu Chips und Halbleitern. Ist China in der Lage, diese zentralen Bauteile selbst herzustellen? Denn für autonome Autos braucht man enorme Rechenpower.

Mit der Strategie der “zwei Kreisläufe” hat Präsident Xi Jinping die technologische Autonomie befohlen. Im Bereich der Hochleistungsprozessoren und der KI-Beschleuniger hat China enorme Fortschritte gemacht. Doch der Erfolg Chinas in diesem Bereich ist derzeit noch auf westlichem Know-how aufgebaut. Der Technologie-Bann seitens der USA zeigt Wirkung. Viele Dinge, die man braucht, um Hochleistungschips zu entwickeln, dürfen nicht mehr nach China exportiert werden: etwa die Designsoftware, oder auch die Maschinen, um Chips mit Strukturbreiten unter 7 Nanometer herzustellen. Aktuell sehen wir bei diesem Streit eine dramatische Eskalation. Die USA sanktionieren die Zusammenarbeit mit chinesischen Chip-Unternehmen. Auch Bestandstechnologien sind inzwischen betroffen, die Handelszerwürfnisse nehmen derzeit nicht ab.

Peter Fintl – Vice President Technology & Innovation bei Capgemini

Peter Fintl – Vice President Technology & Innovation bei Capgemini

© Capgemini / PR

Das hält China dauerhaft draußen?

Kurzfristig sind die amerikanischen Handelsbeschränkungen, speziell das jüngste Paket im Oktober, sicher ein heftiger Schlag für die Chipindustrie in China. Gleichzeitig muss man anerkennen, dass sich deren Fortschritt nur verlangsamen – nicht aber aufhalten lässt: Shanghai Micro etwa ist einer der größten Chiphersteller Chinas. Trotz der Handelsbeschränkungen ist es dem Unternehmen gelungen, erste Chips in einem 7-Nanometer-Prozess zu fertigen. Etwas, das mit dem bestehenden Maschinenpark kaum für möglich befunden wurde.

Das ist in etwa auch das technische Level, auf dem wir uns in der EU bewegen.

Das ist tatsächlich sogar über dem Niveau, welches wir in Sachen Strukturbreiten derzeit hier in Europa fertigen können. Allerdings ist das zwei, drei Generationen hinter der neuesten Entwicklung in den USA, Taiwan und Korea. Nach dem Bann haben es die Chinesen geschafft, mit sehr viel Geld die richtigen Spezialisten anzuwerben. Mit hohem Aufwand ist es in China gelungen, die Tür zur aktuellen Hightech-Prozessorgeneration aufzustoßen.

Die USA wollen Peking auf Abstand halten. Wir werden erleben, ob das gelingt. Zurück zu den autonomen Autos. Was ist in Europa zu erwarten? Preislich und zeitlich.

Die Autohersteller sind aufgewacht und haben ihre Hausaufgaben gemacht. Wenn sie auf die Teilautonomie schauen, dann ist hier die alte Welt aus Kundensicht derzeit vorn. Man denke an Mercedes, die den Autopiloten auf die Straße gebracht haben. Es geht ja nicht darum, einen Demonstrator vorzuführen, sondern eine Technik zu entwickeln, die man guten Gewissens dem Kunden in die Hand geben kann. Tesla hat erlebt, wie mühsam der Weg von einer knackigen Marketingidee in die Praxis sein kann.

Nachdem nun die gesetzlichen Regeln stehen, werden wir in Europa schon im nächsten Jahr den Autobahnpiloten mit 120 bis 130 km/h erleben. Das ist absolut brauchbar. 2025 wird man mit Automatisierungen im Stadtverkehr beginnen können. Da reden wir von Level-4-Systemen, bei denen ein manueller Eingriff, sei es durch Fahrer oder Teleoperator, nur noch in Ausnahmefällen notwendig ist. In seiner Betriebsumgebung fährt das Fahrzeug selbstständig.   

Also in China hat man jetzt in riesigen Städten Taxis ohne Lenkrad und ohne Fahrer schon heute und bei uns kann der Lieferwagenfahrer im Jahr 2025 beim Fahren auf dem Handy spielen. Für mein Verständnis ist China dann deutlich vorn. Die entscheidende Frage ist doch, muss noch ein Fahrer dabei sein?

Natürlich macht der gesamte automatisierte Betrieb nur Sinn, wenn mittelfristig der Fahrer gänzlich entfällt. Derzeit ist dieser vollautomatisierte Betrieb noch auf bestimmte Umgebungen eingeschränkt. Auch in China verlassen die Robotaxis nicht das Einsatzgebiet Stadt. Ausnahmesituationen werden durch “Fernbedienung” mithilfe eines echten Piloten gelöst. Außerdem spielt das Vertrauen der Passagiere in die Technik hinein. Heute haben noch viele Menschen – gerade im Westen – Vertrauensdefizite in autonome Fahrzeuge. Sicherheit wird gerade in Deutschland großgeschrieben. Auch wenn die Industrie dadurch etwas langsamer erscheint, so ist dieses Vorgehen mittelfristig doch sinnvoll.  

Was ist derzeit die größte Herausforderung für die Autonomie im Verkehr?

Neben der generellen Komplexität des Straßenverkehrs stellt vor allen Dingen die Interaktion der automatisierten Systeme mit manuell gesteuerten Fahrzeugen eine große Herausforderung dar. Die veröffentlichten Unfallstatistiken automatisierter Fahrzeuge zeigen, dass die Automatik erstaunlich gut funktioniert. Schwerere Unfälle, etwa mit Airbag-Auslösung, geschehen nahezu ausschließlich dann, wenn manuell gesteuerte Fahrzeuge involviert sind. Etwa bei Heck-Auffahrunfällen. Die Systeme halten sich strikt an Verkehrsregeln. Das ist bei menschlichen Verkehrsteilnehmern allzu oft anders.

Was passiert, wenn eine absolute Ausnahmesituation auftritt? Etwa bei einer blockierten Straße oder einem Krankenwageneinsatz?

Das ist für einen Computer schlicht sehr schwierig, weil er sich mit anderen Verkehrsteilnehmern verständigen muss. In solchen Situationen ist es derzeit besser, wenn das Fahrzeug dann an ein Fernsteuerungszentrum übergibt.

Der Fahrer für den seltenen Notfall sitzt nicht mehr im Auto, er wird zugeschaltet.

Das sehen wir auch heute schon in Demonstrationsfahrzeugen oder in den Pilotversuchen. Im Güterverkehr werden Lkw ohne Kabine durchaus häufiger zu sehen sein. Diese Systeme könnten in ein bis zwei Jahren die Zulassung bekommen.

So ein Lkw würde vollautonom ohne Fahrer über die Autobahn fahren und erst, wenn es nötig wird, übernimmt der “Fahrer”?

Exakt. Damit wird es möglich, den notwendigen Güterverkehr auf der Straße sicherer, nachhaltiger wie auch ökonomischer abzuwickeln. In dieser Branche drückt das Problem “Fahrermangel” bereits seit Jahren.

Mit dem Blick auf China – worauf müssen sich deutsche Kunden einstellen?

Die chinesischen Hersteller sind derzeit in aller Munde. Egal ob Flottenkunden wie Sixt, die jüngst einen Großeinkauf bei BYD verkündeten, oder die Retailpläne der Newcomer aus Fernost: Chinesische Fahrzeuge werden in wenigen Jahren zum Straßenbild gehören. Taxidienste, Gütertransport, Autobahnassistenten – das alles kann und wird State-of-the-Art.Bis 2025 werden in Europa die Schleusen für den Umbau des Mobilitätssystems geöffnet. China ist hier in Teilen Pionier, deutsche Hersteller werden zweifellos eine große Rolle spielen können.

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