Das Film-Duo Alex und Dimitrij Schaad im großen Interview – München

Es sind queere Zeiten, in denen jeder jede sein kann (und umgekehrt). Fragen wie diese sind essentiell: Was macht einen Menschen im Wesenskern aus, welche Rolle spielt der eigene Körper, und: Kann man Körper und Geist voneinander trennen? Vor diesem Hintergrund wirkt das Kino-Experiment “Aus meiner Haut” wie der Film der Stunde. Die Arthouse-Produktion, mit Mala Emde, Jonas Dassler und Edgar Selge fein besetzt, ist im vergangenen September in Venedig mit dem Queer Lion ausgezeichnet worden und startet nun in den Kinos in Deutschland. Idee und Drehbuch stammen von den Brüdern Alex (auch Regie) und Dimitrij Schaad (auch eine Hauptrolle). Der eine hat an der Hochschule für Fernsehen und Film (HFF) studiert, der andere an der Theaterakademie August Everding. Das preisgekrönte und erfolgreiche Brüderduo aus Kasachstan ist eine der großen Münchner Kino-Hoffnungen.

SZ: Ihr Film beschäftigt mich nachhaltig. Woher weiß ich denn nun, dass Sie auch wirklich Alex sind und Sie Dimitrij – und nicht umgekehrt?

Dimitrij Schaad: Sie werden bei mir meine Déformation professionnelle entdecken, meinen Hang zum Narzissmus und zum unfundierten Brabbeln. Und bei Alex seine ungeheure Ruhe, sein präzises Antworten und sein Eingehen-Können auf andere Menschen.

Gut zu wissen. Aber mal im Ernst: Würden Sie sich selbst auf das von Ihnen erfundene Körpertausch-Experiment einlassen?

Alex Schaad: Auf jeden Fall! Für mich war es immer ein tolles Gedankenexperiment, wenn ich einmal kurz beiseitetreten kann, die Welt und mich aus einer anderen Perspektive sehen und dann mit einem anderen Erkenntnisgewinn zurückkehren kann. Ich beneide unser Paar, das das erleben konnte in unserer Geschichte. Und ich würde mich freuen, Menschen aus meinem Umfeld besser verstehen zu können, wenn ich einmal fundamental fühlen könnte: Wie fühlst du dich, wie siehst du, wie hörst du? Denn klar, meine Realität ist meine Realität, das ist ein Konstrukt.

Dimitrij: Ich wäre auch absolut offen. Die Lust, sich in einen anderen zu verwandeln, ist tief in uns verwurzelt. Sie ist die Basis des Geschichtenerzählens. Wenn wir uns James Bond anschauen, geht es ja nicht darum, einem coolen Typen zuzukucken, wie er weniger coole Typen abschießt. Es geht darum, dass man sich fühlt, als wäre man dieser coole Typ. Ohne unser angeborenes Hineinversetzenwollen in andere würden Storys nicht funktionieren. Und Empathie auch nicht.

Wie schon in Ihrem Studenten-Oscar-prämierten Kurzfilm “Invention of Trust” arbeiten Sie in “Aus meiner Haut” mit Science-Fiction-Elementen. Sie nennen das magischen Realismus. Was fasziniert Sie daran?

Alex: Magischer Realismus interessiert mich als Genre wahnsinnig, weil er im Film sehr selten stattfindet. Deutscher Film hat einen merkwürdigen Fanatismus für Realismus, also das Prinzip: Ich muss eine Sache so darstellen, wie sie ist. Das macht für mich Film als Kunstform so viel kleiner. Wir können den Prozess, der erst mal realistisch ist, verfremden, wir können poetische Übersetzungen dafür finden. “Aus meiner Haut” findet eine künstlerische Übersetzung für einen naturalistisch-psychologischen Vorgang: Eine Beziehung durchlebt von heute auf morgen eine schlagartige Veränderung. Das kann alles sein, ein neuer Job, ein Umzug, ein Todesfall. Wie gehen wir als Paar damit um? Kann das Paar bestehen, wenn sich etwas so radikal verändert? Wir wählen aber ein magisches erzählerisches Mittel, um diese Frage zu untersuchen.

Ein radikales Mittel. Nämlich den Körpertausch, der auf einer geheimnisvollen Insel durch ein Bad möglich ist.

Alex: Genau.

Dimitirij: … und trotzdem erzählen wir die Geschichte in der realen Welt. Es gibt ja im Kino entweder die Realismus-Versessenheit oder das Fantasy-Genre. Marvel und so – mit Portalen in andere scheiß Dimensionen, aus der Dämonen kommen. Beides interessiert uns nicht. Für uns war der Film “Magnolia” eine Initiationszündung. Der Froschregen am Ende! In einer psychologisch real geführten Welt mit toll ausgearbeiteten Figuren gibt es ein irrsinniges, magisches, überlebensgroßes Element, das diesen Film für mich bis heute auf ein völlig anderes Level hebt. Das interessiert uns.

Leyla (Mala Emde) und Tristan (Jonas Dassler) reisen in “Aus meiner Haut” auf eine außergewöhnliche Insel, um mit anderen Paaren ihre Körper zu tauschen.

(Foto: Walker Worm/X Verleih)

Münchner Regie- und Schauspiel-Duo: "Deutscher Film hat einen merkwürdigen Fanatismus für Realismus": In seinem Kinodebüt "Aus meiner Haut" reichert Regisseur Alex Schaad die reale Welt mit magischen Elementen an.

“Deutscher Film hat einen merkwürdigen Fanatismus für Realismus”: In seinem Kinodebüt “Aus meiner Haut” reichert Regisseur Alex Schaad die reale Welt mit magischen Elementen an.

(Foto: Walker Worm/X Verleih)

Münchner Regie- und Schauspiel-Duo: Dimitrij Schaad spielt Mo, einen Draufgänger, der sich ebenfalls auf das Körpertausch-Experiment einlässt.

Dimitrij Schaad spielt Mo, einen Draufgänger, der sich ebenfalls auf das Körpertausch-Experiment einlässt.

(Foto: Walker Worm/X Verleih)

Alex, Sie waren sehr jung, gerade mal 26, als Sie 2016 den Studenten-Oscar in Gold bekommen haben – für einen HFF-Übungsfilm, wohlgemerkt. Inwiefern war die Auszeichnung Fluch, inwiefern Segen?

Alex: Hm. Natürlich war ich für einen kurzen Moment ein sehr gefragter Nachwuchsfilmemacher, und dieser Preis hat mir sehr viele Türen geöffnet. Das war ein großer Segen. Ich glaube, meine ganze Biografie und auch “Aus meiner Haut” wären anders verlaufen, wenn es den Preis nicht gegeben hätte. Gleichzeitig hat der Preis aber nie zu Angeboten geführt oder zu wirklichem Vertrauen. Weil es dann halt doch nur ein guter Türöffner war, aber nicht mehr. Ich habe trotzdem dieselben Hürden gehabt.

Kam der Preis zu früh?

Alex: Ja. Der Oscar kam zu früh, ich war viel zu jung. Zwischenzeitlich hab ich selber gezweifelt, ob ich der Typ bleibe, der jetzt ein erfolgloses Debüt macht und über den man noch in 20 Jahren sagen wird: Ja, ja, das ist der, der mal einen Studenten-Oscar gewonnen hat.

Die Angst vor dem One-Hit-Wonder …

Alex: Genau. Deshalb ist es umso schöner, dass mein Debüt nun so gut gestartet ist: Dass wir Premiere in Venedig haben feiern dürfen, dass wir dort auch noch ausgezeichnet wurden. Das müsste eigentlich beweisen, dass ich mehr bin als ein One-Hit-Wonder.

Münchner Regie- und Schauspiel-Duo: Der junge Dimitrij Schaad in einer Szene des Films "Invention of Trust". Für den Kurzfilm, eine Übung an der Hochschule für Fernsehen und Film München, bekam Regisseur Alex Schaad 2016 den sogenannten Studenten-Oscar.

Der junge Dimitrij Schaad in einer Szene des Films “Invention of Trust”. Für den Kurzfilm, eine Übung an der Hochschule für Fernsehen und Film München, bekam Regisseur Alex Schaad 2016 den sogenannten Studenten-Oscar.

(Foto: Ahmed El Nagar/HFF München/dpa)

Bei Ihnen, Dimitrij, ging es in den vergangenen Jahren karrieremäßig steil nach oben, mit großen Engagements in Kinofilmen (“Die Känguru-Chroniken”) und Serien (“Kleo”). Wie haben Sie Ihrem Bruder geholfen in den Jahren voller Zweifel?

Dimitrij: Mir hat es sehr leidgetan, dich in der Phase zu sehen, in der du zwischendurch warst. Zu sehen, dass du als höchstdekorierter Regisseur des Landes mit irgendwelchen Gelegenheitsjobs deine Miete verdienen musst, weil du nicht in deinem eigenen Berufsumfeld arbeiten kannst – aus deutschem Misstrauen Filmdebüts gegenüber. Alex ist mit großem Abstand der Regisseur, der am besten am Set funktioniert von allen, mit denen ich gearbeitet habe. Weil er Set liebt und Set kann. Ich weiß nicht, wie es für dich gewesen wäre, wenn ich nicht dagewesen wäre, um zumindest weiterzuschreiben an unserem Projekt. Ich glaube, das ist das einzige, das einem aus so einer Dürreperiode raushilft: weitermachen! Und das haben wir gemacht. Ich hoffe jedenfalls, ich habe mein Bestes getan, dich da durch zu begleiten.

Alex: Absolut, absolut. Dimi hat insofern sehr viel getan, weil es sehr geil war, während meiner Durststrecke den Menschen, den ich am meisten liebe, dabei zu beobachten, wie er zum Star geworden ist. Dass die Frustration nicht simultan abgelaufen ist, sondern ich mich erfreuen konnte an den geilen Nachrichten, die da reingekommen sind, das war schön. Erstens, weil ich daran teilhaben durfte. Und zweitens, weil ich jemanden habe, der mich finanziell aushalten kann, wenn es weiter so scheiße läuft.

Münchner Regie- und Schauspiel-Duo: Dimitrij Schaad im Kinohit "Die Känguru-Verschwörung".

Dimitrij Schaad im Kinohit “Die Känguru-Verschwörung”.

(Foto: X Verleih/dpa)

Sie scheinen wirklich ein sehr inniges Verhältnis zu haben. Sie entwickeln ja immer auch die Stoffe zusammen, schreiben und feilen gemeinsam am Drehbuch. Wie kann man sich diese Zusammenarbeit vorstellen? Sie, Dimitrij, leben in Berlin, Alex hauptsächlich in München …

Dimitrij: Demnächst ziehen wir uns auf ein schönes Landgut in Brandenburg zurück und werden drei Wochen an einem neuen Film schreiben. Wir werden gemeinsam plotten und herumexperimentieren.

Alex: … basierend auf einer Vorarbeit, die Dimi geleistet hat. Ich komme dazu, bin sozusagen der erste Leser. Dann fragen wir uns: Was wollen wir, mit wem wollen wir arbeiten und so weiter. Das ist eine Phase, die sehr frisch und unbefleckt ist. Total schön!

Selbst Sie beide können aber nicht immer einer Meinung sein. Wie gehen Sie mit Streitereien um?

Alex: Ich glaube, wir sind nicht die großen Streiter. Weil wir es familiär nie gelernt haben, eine gesunde Kommunikation zu haben, was das angeht.

Dimitrij: (lacht).

Ihre Familie stammt ursprünglich aus Kasachstan. Sie waren Kinder, als Sie mit Ihren Eltern Anfang der Neunzigerjahre nach Deutschland kamen. Welches Verhältnis haben Sie zu Ihrem Geburtsland?

Alex: Ich würde sagen, keines. Allerdings sprechen wir mit unseren Eltern immer noch Russisch. Die Sprache, die Denke – das trage ich ebenso noch in mir wie den post-sowjetischen Pessimismus und den Hang zur Tragödie, den man irgendwie angeboren bekommt. Aber mit dem Land an sich verbindet mich nichts, weil es das Land an sich nicht mehr gibt. Die ersten Sommerferien, die wir dort verbracht haben, haben nichts mehr mit dem verarmten Land zu tun, das es jetzt faktisch ist. Oder?

Dimitrij: Ja! Es ist lediglich eine Erinnerung, die sich hauptsächlich auf die Post-Sowjet-Zeit vor 1990 bezieht. Ich habe in Baden-Württemberg, wo wir waren, bevor wir nach München kamen, länger gelebt als in Kasachstan.

Was haben Sie am 24. Februar 2022 gedacht und gefühlt?

Dimitrij: Scham, Ekel, Entsetzen. Blankes, blankes Entsetzen, und es hört nicht auf. Es erwischt mich immer wieder. Und wenn ich es dann doch mal schaffe, es eine Woche auszublenden, werde ich wenig später wieder völlig erschlagen von den Bildern. Und von den Gedanken, dass dort ein ganzes Land einer gehirngewaschenen, brutalen Kultur angehört, einem brutalen Machismo, einem brutalen Recht des Stärkeren, einer brutalen dämlichen Nostalgie! Ich habe in meinem Leben wenige menschliche Bedürfnisse so sehr verachtet wie Nostalgie – das Verharren in vergangen Zeiten. Und das bezieht sich nicht nur auf Russland. Ich finde, das ist das, woran die Welt gerade so entsetzlich krankt. In Deutschland die gesamte AfD und große Teile der CDU-Riege. In Frankreich, wo die Faschisten zur Macht streben. In Italien, wo sie dort schon sind. In den USA, wo man es mit einer Welt zu tun hat, wo einem tatsächlich das Recht für Abtreibung abgesprochen wird. Wir befinden uns gerade in einem kolossalen rückwärtsgewandten Schub. Und das ist gar nicht schlimm genug einzuschätzen.

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