Sie stritten und bekriegten sich, rauften sich zusammen, schlossen Bündnisse, berieten, haderten, verfassten Dokumente und Gesetze: Bis die Bayern zur Demokratie fanden, war es ein langer Weg. Was sie auf diesem erlebten und welche Monumente noch heute daran erinnern, zeigt eine aktuelle Wanderausstellung. Mit dem Titel “Orte der Demokratie in Bayern” ist sie im Bayerischen Landtag zu sehen.
Vor dem Plenarsaal im Münchner Maximilianeum stehen wie Bücherseiten aufgefächert Stellwände in weiß-blauem Design. Auf ihnen abgebildet sind neben Infotexten die Kopien historischer Dokumente wie des Verfassungsentwurfs von 1946 und alte Fotos von prägenden Persönlichkeiten und Ereignissen. Auf 13 Stationen führt die Ausstellung durchaus unterhaltsam durch die bayerische Demokratiegeschichte. Große Comic-Tafeln lassen die Besucherinnen und Besucher in Szenen und Dialoge eintauchen, wie sie zu dem damaligen Zeitpunkt stattgefunden haben könnten.
Erste Verfassungs-Forderungen in Memmingen
Von 1524 bis 1525 wüteten in Bayern die Bauernkriege, bei denen sich die Bauern gegen die Obrigkeit auflehnten und bessere Lebensbedingungen forderten. Im März 1525 trafen sich Vertreter der schwäbischen Bauernschaft im Haus der Kramerzunft in Memmingen, um zu beraten, wie sie gegen den Schwäbischen Bund, die Herrschenden, vorgehen sollten. Ergebnis dieser Treffen waren zwölf Artikel und eine Bundesordnung, in denen breite Freiheits- und Besitzrechte für Bauern gefordert wurden. Diese Dokumente gelten gemeinhin als erste verfassungsgebende Forderungen und als erste Zeugnisse der Menschenrechte.
Bild: Anton Fuchs
Reichstag im Alten Rathaus von Regensburg
Das alte Regensburger Rathaus war von 1567 an Austragungsstätte des Reichstags im Heiligen Römischen Reich. Während der regelmäßig vom Kaiser einberufenen Reichstage kamen die Fürsten aus dem ganzen Reich inklusive ihres großen Hofstaates nach Regensburg. Von 1663 an musste der Reichstag nicht mehr vom Kaiser einberufen werden, sondern galt als “ewig währende” feste Institution, in der die Fürsten zusammenkamen, um zu verhandeln und zu beraten. Mit der Zeit schickten immer mehr Fürsten Vertreter in ihrem Namen und so entwickelte sich der Reichstag zu einer Art Vertretergremium. Dieses Zusammenkommen und Beraten unter Vertretern kann als frühe Form des Parlamentarismus verstanden werden – mit dem entscheidenden Unterschied, dass es sich nicht um Volksvertreter, sondern um Fürsten-Vertreter handelte.
Bild: Stephan Rumpf
Konstitutionssäule in Gaibach
In Gaibach in der Nähe von Würzburg steht die 32 Meter hohe Konstitutionssäule inmitten des Gaibacher Schlossparks. Dieses Monument soll an die bayerische Verfassung von 1818 erinnern, in der König Max Joseph einen Teil seiner Macht an eine gewählte Volksregierung abtrat. Diese Verfassung legte mit der konstitutionellen Monarchie den Grundstein für den Weg zu einer modernen Demokratie. Im umliegenden Schlosspark fanden im 19. Jahrhundert immer wieder Verfassungsfeiern statt, auf denen sich liberales Gedankengut und Mitbestimmungskonzepte verbreiteten wie ein Lauffeuer.
Bild: imago/imagebroker
Ehemaliger Landtag in München
Nachdem die bayerische Verfassung von 1818 eine gewählte Volksregierung neben dem bayerischen König vorsah, tagte diese von 1819 an in der Münchner Prannerstraße. Damals hieß diese Regierung noch “Ständerat” und wurde nur von privilegierten Männern gewählt. 1848 gab es europaweite Verfassungsänderungen, die in Bayern dazu führten, dass alle volljährigen Männer wählen durften, die Steuern zahlten. Von da an war bei diesem Parlament vom Landtag die Rede. Frauen erhielten das aktive sowie das passive Wahlrecht erst mit der demokratischen Verfassung von 1919. Von da an durften Frauen sowohl wählen, wer in der Prannerstraße saß, als auch selbst gewählt werden. 1933 löste das NS-Regime den Landtag auf, das Gebäude wurde während des Kriegs zerstört.mon
Bild: Scherl/Süddeutsche Zeitung Photo
Erste demokratische Verfassung Bayerns in Bamberg
Der Sozialdemokrat Kurt Eisner führte 1918 eine erfolgreiche Revolution gegen den König. Damit endete die Monarchie in Bayern, was folgte war ein Kampf um die Deutungshoheit der Zukunft. Zwischen linken Verfechtern einer Räterepublik und rechten Vertretern eines autoritären Nationalstaats stand Kurt Eisner mit der Idee der parlamentarischen Demokratie. Dieser Kampf fand seinen traurigen Höhepunkt mit der Ermordung Eisners am 21. Februar 1919, als der Landtag zum ersten Mal zusammentreten sollte. Wegen der Unruhen in München verließen die Parlamentarier die Stadt und tagten fortan in Bamberg, im Spiegelsaal. Dort wurde ein halbes Jahr später die erste demokratische Verfassung Bayerns verabschiedet.
Bild: Bayerische Staatsbibliothek
Politischer Aschermittwoch in Vilshofen
Sticheleien und Wortgefechte gehören zum Programm: In Vilshofen an der Donau treffen sich seit 1919 Politikerinnen und Politiker zum rhetorischen Schlagabtausch. Begonnen hat die Tradition der Bayerische Bauernbund. Nach dem Ersten Weltkrieg rief er zu einer politischen Versammlung auf und leitete einen ersten Schritt in Richtung Demokratie ein. Von 1948 an lebte die Veranstaltung von Auseinandersetzungen zwischen CSU und Bayernpartei. Seine bundesweite Bedeutung als politischer Aschermittwoch erlangte die Zusammenkunft unter Franz Josef Strauß. Weil immer mehr Besucher kamen, zog die CSU 1975 aus dem zur Heimat gewordenen Wolferstetter Keller in Vilshofen aus und verlegte das Treffen nach Passau. In Vilshofen trifft sich seither die SPD. Noch heute feiert die CSU am Aschermittwoch den “größten Stammtisch der Welt”, aber auch die anderen Parteien versammeln sich längst traditionell an diesem Tag.
Bild: Stadt Vilshofen an der Donau
Gewerkschafts-Kongress in Nürnberg
Im 19. Jahrhundert entwickelte sich Nürnberg zu einer bedeutenden Industrie- und Arbeiterstadt und zu einem Zentrum der Arbeiterbewegung in Bayern. In Hochzeiten arbeiteten bis zu 94 000 Menschen in der Metallindustrie. Deshalb erschien es logisch, dass 1919 in Nürnberg ein Kongress der wichtigsten deutschen Gewerkschaften stattfand. Aus diesem Kongress heraus entstand der Allgemeine Deutsche Gewerkschaftsbund (ADGB), Vorgänger des heutigen Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB). Der Kongress fand damals in einem Gebäude statt, in dem das NS-Regime später die Nürnberger Gesetze zur Verfolgung von jüdischen Menschen beschloss. Deshalb wurde nicht dieser Bau, sondern das heutige DGB-Gebäude in Nürnberg als Ort der Demokratie gewählt.
Erste freie Wahl in Wohlmuthshüll
In Wohlmuthshüll (Landkreis Forchheim) fand die erste freie Wahl in Deutschland nach 1933 statt – zumindest der Legende nach. Diese besagt, dass die Männer der oberfränkischen Gemeinde 1945 ihren Bürgermeister wählten. Üblich war es zu der Zeit, dass die US-Offiziere diesen benannten. Doch Landrat Georg Mandt konnte die US-Militärregierung von der politischen Selbstbestimmung der Gemeinde überzeugen. Er versammelte sogleich die Männer der Gemeinde im Wirtshaus, die dann Johann Sponsel zum Bürgermeister wählten. Allerdings ist die Quellenlage zu dem Ereignis schlecht: Es berichtete zwar eine Zeitung über das Geschehen – aber diese war von den Alliierten unterstützt. Es ist möglich, dass der Redakteur im Sinne der Umerziehung der Deutschen einen Sonderfall beschrieb und bei der Bürgermeisterwahl übertrieb. Da Dokumente von der Militärregierung oder der Zivilverwaltung fehlen, bleibt der Fall eine Legende.
Bild: Repro/picture-alliance / dpa
Bayerische Verfassung in der LMU
Die bis heute gültige bayerische Verfassung wurde in der großen Aula der Ludwig-Maximilians-Universität verabschiedet. Wilhelm Hoegner bereitete die Verfassungsgebende Versammlung vor. Der Sozialdemokrat hatte bereits in seinem Exil in der Schweiz an einer bayerischen Verfassung gearbeitet und wurde von der US-Militärregierung 1945 zum bayerischen Ministerpräsidenten ernannt. Im Juli 1946 fand die erste von zehn Plenarsitzungen der Verfassungsgebenden Versammlung statt. Am 1. Dezember 1946 wurde die Verfassung mit fast drei Viertel der Stimmen angenommen. Sie legt fest, dass Bayern ein Volks-, Rechts-, Kultur-und Sozialstaat ist und dem Gemeinwohl dient. Nur ein Volksentscheid kann sie seitdem ändern. Seit 1946 ist das 16 Mal passiert, zum Beispiel 1984, als der Umweltschutz als Staatsziel aufgenommen wurde.
Bild: SZ Photo
Erster Entwurf des Grundgesetzes auf Herrenchiemsee
Auf der Insel Herrenchiemsee erarbeiteten die Vertreter der Länder die Grundlage für eine Verfassung für Deutschland. Im Juli 1948 hatten die Ministerpräsidenten der Westzonen den Auftrag zur Verfassungsgebenden Versammlung erhalten. Für die Vorbereitung der Verfassung bildeten sie einen Ausschuss aus rund 30 Experten, der sich im August 1948 auf Herrenchiemsee traf. Inhaltliche Vorlage für die Beratungen war ein Verfassungsentwurf aus Bayern. Nach zwei Wochen war der Entwurf für ein Grundgesetz fertig, der vor allem die Würde des Menschen ins Zentrum stellte. Das Grundgesetz, das schließlich am 23. Mai 1949 in Kraft trat, beruht auf dieser Grundlage.
Bild: dpa
Europäische Wochen in Passau
Schauspieler schreiten über die Bühne, Violinisten streichen über die Saiten und Filme flackern über die Leinwand. So soll es im Sommer 1952 bei den europäischen Wochen in Passau zugegangen sein. Die amerikanischen Offiziere und die Stadt Passau hatten die Festspiele organisiert, um durch den kulturellen Austausch die europäische Verständigung zu fördern. Es galt, politische Barrieren zu überwinden, Menschen aus Ost und West zu verbinden und die Schönheit der europäischen Kultur zu betonen. Damit stieß die Veranstaltung den europäischen Einigungsprozess an. Bis heute finden die europäischen Wochen alljährlich mit international renommierten Künstlerinnen und Künstlern statt, seit 1960 veranstaltet sie der Trägerverein “Europäische Wochen e.V.”.
Bild: Europäische Wochen Passau
Proteste in Ermershausen
Mehr als 15 Jahre protestierten sie für ihr Dorf – mit Erfolg. Die Bürgerinnen und Bürger aus der unterfränkischen Gemeinde Ermershausen setzten sich gegen die Eingemeindung nach Maroldsweisach (Landkreis Haßberge) durch. Die kommunale Gebietsreform hätte die Gemeinde 1978 ihre Selbständigkeit gekostet. Das wollten die Ermershausener nicht: Sie gaben ihre Gemeindeakten nicht an Maroldsweisach heraus. Am Morgen des 19. Mai rückte die Polizei mit einem Großaufgebot an und vollzog die Eingemeindung. Doch die Einwohnerinnen und Einwohner lehnten sich weiterhin auf – auch trickreich: So traten viele Menschen in die CSU ein, sodass der CSU-Ortsverband zum größten im Landkreis wurde und sich durchsetzen konnte: An Neujahr 1994 wurde Ermershausen wieder selbständig. Das “Rebellendorf” Ermershausen gilt heute als Beispiel für zivilgesellschaftlichen Protest und politisches Engagement.
Bild: dpa
Aktueller Landtag im Maximilianeum
Mitten in München thront dieses Prachtstück bayerischer Demokratie am Ende der prunkvollen Maximilianstraße: das Maximilianeum, Sitz des bayerischen Landtag seit 1949. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde eine neue Unterkunft für das Parlament gesucht, viele passende Gebäude waren zerstört. Schlussendlich fiel die Entscheidung auf das Maximilianeum, das 1874 von König Maximilian II. zur Beherbergung und Förderung begabter Studenten erbaut worden war. Dort wohnten – auch heute noch – die Stipendiaten der Hochbegabten-Stiftung, seit 1949 mit den Abgeordneten als Nachbarn. Bis heute gehört das Gebäude der Stiftung, der Landtag ist lediglich Dauermieter.
Bild: Alessandra Schellnegger
Die Idee zu der Ausstellung entstand 2019 während der Feiern zum 100. Jubiläum des Freistaats Bayern. Das Jubiläum nahm Landtagspräsidentin Ilse Aigner zum Anlass, mit dem Landtags-Präsidium das Projekt zu organisieren. So gewohnt die Demokratie heute ist, will die Ausstellung zeigen, dass sie eben nicht selbstverständlich ist. “Wir möchten dazu beitragen, dass wir uns den Wert unserer Demokratie bewusst machen”, sagt Aigner. Die größte Gefahr sei es, dass die Bedeutung dieser Errungenschaft vergessen werde.
“Demokratie ist niemals fertig”, sagt Horst Gehringer
Einschließlich dem Landtagsgebäude sind 13 Orte der Demokratie in Bayern ausgezeichnet. Diese hat der wissenschaftlichen Beirat der Ausstellung herausgearbeitet: Zunächst trug er circa 70 Vorschläge zusammen und diskutierte dann darüber, welche infrage kommen. Was schlussendlich dabei herauskam, waren einerseits “bekannte Orte der Demokratie, die sich fast schon aufdrängen”, erzählt Ludwig Spaenle, einer der beiden Vorsitzenden des Rates, der zugleich bayerischer Antisemitismus-Beauftragter ist. Damit meint er Orte wie das Maximilianeum (Bild 13) oder den ehemaligen Bayerischen Landtag in der Prannerstraße (Bild 4). Andererseits kamen bei der Diskussion auch Orte zum Vorschein, die weniger bekannt sind. Zum Beispiel Vilshofen bei Passau, wo der politische Aschermittwoch seine Geburtsstätte hat (Bild 6).
Es wurden sowohl Orte mit einem modernen demokratischen Bezug ausgewählt als auch Orte, wo eher “vormoderne Formen der Partizipation” praktiziert wurden, erklärt der zweite Ratsvorsitzende Ferdinand Kramer, Professor für bayerische Geschichte an der Ludwig-Maximilians-Universität. Während es 1978 im unterfränkischen Ermershausen bei einem Bürgerprotest gegen die Eingemeindung um ganz moderne Formen des demokratischen Prozesses ging (Bild 12), erinnern die Reichstage im alten Regensburger Rathaus nur entfernt an die Demokratie, wie wir sie heute kennen (Bild 2). Kramer sagt auch, dass es bei dem Auswahlprozess um “das Selbstbewusstsein der Landesteile Bayerns” ging. Deshalb wurde versucht, die bayerischen Regionen gleichmäßig abzudecken.
Abgeschlossen ist die Ausstellung mit diesen Orten aber nicht: “Sie ist ein Zwischenergebnis, aber noch nicht fertig, weil Demokratie auch nie fertig ist”, erklärt Horst Gehringer, Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats. Die Ausstellung wird an allen Orten der Demokratie zu sehen sein – und kann dort auch erweitert werden. In Bamberg zum Beispiel wird sie mit einer interaktiven Schülerausstellung verbunden.
Die Ausstellung soll ein Beitrag zur Erinnerungskultur sein. Neben der Erinnerung an all die Gräueltaten und Schrecken der deutschen Geschichte soll auch an die Menschen und Orte erinnert werden, die sich gegen die Gewaltherrschaft und für die Demokratie eingesetzt haben.