Atomkraft: Grüne in Niedersachsen irritiert – Industrie stellt Atomausstieg im April in Frage

Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) hat die Entscheidung von Kanzler Olaf Scholz (SPD) für ein Weiterlaufen der drei noch verbliebenen Kernkraftwerke bis Mitte April 2023 begrüßt. Sie sei angesichts der schweren Energiekrise richtig und überfällig, erklärte der BDI am Dienstag.

„Pragmatismus statt Ideologie ist das Gebot der Stunde, um Deutschland sicher ohne gesellschaftliche Verwerfungen und schwere wirtschaftliche Schäden durch diese Energiekrise zu bringen.“

Zugleich hieß es vom BDI weiter: „Ob ein Weiterlaufen der Kernkraftwerke über den April hinaus notwendig wird, muss abhängig der Versorgungs- und Preislage im Frühjahr 2023 offen und sachlich diskutiert werden.“

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Auch die Atomkraftwerksbetreiber Preussen Elektra und EnBW begrüßten die Entscheidung. „Wir erwarten jetzt eine zügige gesetzliche Umsetzung und werden unsere Vorbereitungen auf einen Weiterbetrieb fortsetzen“, erklärte Preussen-Elektra-Chef Guido Knott. Isar 2 werde nun Ende dieser Woche heruntergefahren, „um die notwendige Wartung an den Druckhalterventilen durchzuführen“.

In der Tochterfirma Preussen Elektra hat der Energiekonzern Eon seine Aktivitäten im Bereich Kernkraft gebündelt. Den Namen vergab der Konzern 2016 in Anlehnung an eines der Eon-Vorgängerunternehmen an die Sparte.

Der Energiekonzern EnBW erklärte, im AKW Neckarwestheim 2 mit den vorhandenen, teilverbrauchten Brennelementen bis zum 15. April 2023 Strom produzieren zu können. „Eine Stromproduktion über das 2. Quartal 2023 hinaus ist mit den vorhandenen Brennelementen allerdings ausgeschlossen“, hieß es.

Der Betreiber des Kraftwerks Emsland in Niedersachsen, RWE, teilte mit, das Kraftwerk könne bis April betrieben werden. Man habe mit den Vorbereitungen begonnen, damit die Anlage für einen Weiterbetrieb zur Verfügung steht, teilte RWE am Dienstag mit.

Scholz: Nutzungsdauer hängt von Leistungsfähigkeit der Brennstäbe ab

Scholz selbst verwies in einer Pressekonferenz am Dienstag zur genauen Nutzungsdauer der AKW auf die Leistungsfähigkeit der verbliebenen Brennstäbe. Ein AKW könne etwa bis Anfang März laufen, ein anderes schaffe es vielleicht bis Mitte April, sagte er. „Das hängt jetzt davon ab, was noch in den Brennstäben drin ist.“ Der Kauf neuer Brennstäbe sei hingegen ausgeschlossen, sagte Scholz weiter.

Scholz hatte am Montag erstmals seit Bestehen der Ampel-Koalition von seiner Richtlinienkompetenz als Kanzler Gebrauch gemacht, um den wochenlangen Streit zwischen FDP und Grünen in der Atomfrage zu beenden. Alle drei noch am Netz befindlichen deutschen Atomkraftwerke sollen demnach bis Mitte April 2023 laufen können.

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In der Koalition stieß Scholz damit auf verhaltene Zustimmung. Der Co-Parteivorsitzenden der Grünen, Omid Nouripour, kündigte an, die Entscheidung des Kanzlers zu akzeptieren. Im RBB Inforadio sagte er am Dienstagmorgen, man halte zwar nichts davon, auch das AKW Emsland weiter laufen zu lassen. Die Entscheidung sei aber kein Grund, eine „große Diskussionskrise“ auszulösen.

Grünen-Co-Chefin Ricarda Lang hatte bereits am Montagabend getwittert: „Der Kanzler hat nun von seiner Richtlinienkompetenz Gebrauch gemacht. Wir werden dazu Gespräche führen. Klar ist damit, dass keine neuen Brennstäbe beschafft werden und alle deutschen Atomkraftwerke spätestens zum 15. April 2023 endgültig vom Netz gehen“.

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Trotz großer inhaltlicher Vorbehalte will sich auch die Spitze der Grünen-Bundestagsfraktion dem Machtwort des Bundeskanzlers beugen. „Wir werden in der Fraktion dafür werben, dem Vorschlag zu folgen“, sagte Grünen-Fraktionschefin Britta Haßelmann am Dienstag vor einer Sitzung ihrer Fraktion. Die Grünen-Abgeordneten sollten „diesem Vorschlag des Bundeskanzlers folgen, auch wenn wir wissen, dass in der Sache das Akw Emsland fachlich nicht notwendig ist“.

Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) warb dafür, der Entscheidung des Kanzlers zu folgen. Dass Scholz seine „maximale Autorität“ eingesetzt habe, sei eine „unübliche Lösung einer verfahrenen Situation“, sagte Habeck am Montag in den ARD-„Tagesthemen“. „Er ist voll ins Risiko gegangen, und ich werbe dann dafür, dass wir jetzt diesen Weg auch gehen, weil alles andere staatspolitisch nicht verantwortlich wäre.“

Habeck bezeichnete den Vorschlag von Scholz als einen, „mit dem ich arbeiten kann, mit dem ich leben kann“. „Wir mussten da irgendwie rauskommen“, fügte er mit Blick auf den tagelangen Streit insbesondere zwischen Grünen und FDP hinzu. „Da ist zu viel Zeit ins Land gestrichen, wir hätten das früher klären müssen, das war aber nicht möglich.“

Danach gefragt, welchen Eindruck der Streit bei den Bürgern gemacht habe, sagte er: „Wahrscheinlich keinen guten und genützt hat es auch nichts.“ Habeck äußerte die Hoffnung, dass die Ampel-Koalition sich nun wieder mit anderen Dingen beschäftigen könne. „Hoffentlich dann konstruktiver.“

Grüne Jugend kritisiert Scholz‘ AKW-Entscheidung als „Basta-Politik“

Die Grüne Jugend reagierte hingegen entrüstet. „Das ist Basta-Politik, und die brauchen wir nicht“, sagte der Co-Chef der Grünen-Nachwuchsorganisation, Timon Dzienus. „Wir brauchen eine Debatte im Bundestag zu dem Thema.“

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Die Grüne Jugend halte die Entscheidung auch inhaltlich für falsch, sagte Dzienus. „Sie entbehrt jeglicher Faktengrundlage.“ Es gebe zu viele offene Fragen. „Ein Weiterbetrieb des AKW Emsland könnte dafür sorgen, dass die Stromnetze in Niedersachsen verstopfen und Windkraftanlagen abgeregelt werden müssen. Das ist doch absurd.“ Es gebe kein Problem mit der Strom-Versorgungssicherheit in Norddeutschland.

Auch ein weiterer Grüner zeigte sich wenig begeistert: der frühere Bundesumweltminister und klare Atomkraft-Gegner Jürgen Trittin. „Mag sein, dass der Brief von der Geschäftsordnung der Bundesregierung gedeckt ist, vom Grundgesetz ist er es nicht“, sagte er dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). „Danach führen die Minister ihre Ressorts in eigener Verantwortung. Die Geschäftsordnung der Bundesregierung bindet auch nicht die Fraktionen bei der Umsetzung einer Formulierungshilfe für ein Gesetz“.

„Das ist eine Zumutung“ – Jürgen Trittin reagiert auf AKW-Entscheidung

„Es weicht massiv von der Koalitionsvereinbarung ab“, sagt Grünen-Politiker Jürgen Trittin zur Entscheidung über die AKW-Laufzeiten. Zudem sei mit dem Machtwort des Kanzlers eine Methode in die Koalition eingeführt worden, die ihn schwarz sehen lasse für die nächsten Auseinandersetzungen.

Quelle: WELT / Lena Mosel

Die Parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen-Bundestagsfraktion, Irene Mihalic, kritisierte den Führungsstil des Kanzlers. „In der Vergangenheit war nicht klar, wie sich der Kanzler in der Atomfrage eigentlich positioniert“, sagte sie den Zeitungen des Redaktionsnetzwerks Deutschland (RND) vom Dienstag. Jetzt spreche er plötzlich ein Machtwort. „Das zeugt nicht von großer Führungsstärke. Das muss künftig anders werden.“

Grüne in Niedersachsen irritiert

In Niedersachsen, wo sowohl Grüne als auch der Wahlsieger SPD den Weiterbetrieb des Atomkraftwerks Emsland in Lingen vor der Landtagswahl am vergangenen Sonntag wieder und wieder ausgeschlossen hatten, gab es große Verwunderung nach der Scholz-Entscheidung.

„Dass Olaf Scholz die Richtlinienkompetenz für einen befristeten Weiterbetrieb des Atomkraftwerks Emsland gezogen hat, ist unnötig und ohne fachliche Grundlage“, erklärten die Grünen-Politiker Julia Willie Hamburg und Christian Meyer in einer am Dienstag verbreiteten Mitteilung. Der Ausbau und die Nutzung der erneuerbaren Energien würden so blockiert.

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„Das Vorgehen des Kanzlers, in der Frage eine Richtlinienkompetenz zu ziehen, und damit kein gemeinschaftliches Vorgehen abzustimmen, ist in hohem Maße irritierend.“ Die zusätzliche Strommenge des Atomkraftwerks Emsland sei minimal. SPD und Grüne sind nach der Landtagswahl in Niedersachsen derzeit in Gesprächen über eine Koalition im Bundesland.

Ministerpräsident Stephan Weil betonte, er habe stets signalisiert, dass aus niedersächsischer Sicht ein Weiterbetrieb des AKW Emsland über den Jahreswechsel hinaus nicht notwendig sei. „Wenn der Bund entgegen seiner ursprünglichen Einschätzung zu der Überzeugung kommt, dass auch das AKW Emsland bis Mitte April gebraucht werde, werden wir in Niedersachsen die auf Landesebene dafür notwendigen Voraussetzungen schaffen. Entscheidend ist, dass der 15. April 2023 als spätestes endgültiges Ausstiegsdatum feststeht und keine neuen Brennstäbe gekauft werden.“

FDP stimmt Scholz‘ Entscheidung zu

Die FDP zeigte sich mit dem Machtwort des Bundeskanzlers zufrieden. Der Vorschlag des Kanzlers, alle drei verbliebenen AKWs im Lande bis Mitte April 2023 weiterlaufen zu lassen, finde „die volle Unterstützung der Freien Demokraten“, schrieb FDP-Chef Christian Lindner bei Twitter: „Es ist im vitalen Interesse unseres Landes und seiner Wirtschaft, dass wir in diesem Winter alle Kapazitäten der Energieerzeugung erhalten.“

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Die weitere Nutzung des Kernkraftwerks Emsland sei ein wichtiger Beitrag für Netzstabilität, Stromkosten und Klimaschutz. Nun gehe es darum, die gesetzlichen Grundlagen zügig auf den Weg zu bringen. Lindner versprach weiter, dass die Regierung „auch für den Winter 2023/2024 gemeinsam tragfähige Lösungen erarbeiten“ werde.

„Es war notwendig, diese Entscheidung zu treffen“, sagte SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich am Dienstag im Deutschlandfunk.

Union kritisiert Beschluss

Friedrich Merz, Fraktionsvorsitzender der Union im Bundestag und CDU-Bundesvorsitzender, kritisierte die Entscheidung von Scholz: „Dieses Machtwort des Bundeskanzlers war wohl notwendig, um die Ampel auf Kurs zu bringen. Trotzdem greift diese Entscheidung zu kurz“, sagte Merz WELT. „Die deutschen Atomkraftwerke müssen – wie es die FDP gefordert hat – bis 2024 mit neuen Brennstäben weiterlaufen“.

CSU-Generalsekretär Martin Huber wählte eine schärfere Formulierung als Merz: „Das ist kein Kompromiss, sondern eine Bankrotterklärung der Ampel und der FDP“, sagte er WELT. „Die Gefahr eines Blackouts im nächsten Jahr bleibt“.

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„Machtwechsel“ ist der WELT-Podcast mit Dagmar Rosenfeld und Robin Alexander. Jeden Mittwoch. Zu abonnieren unter anderem bei Apple Podcasts, Spotify, Amazon Music, Deezer, Google Podcasts oder per RSS-Feed.


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