Aristokrat, Revolutionär, Vordenker: Zum Tode von Karl Schwarzenberg

Karel Schwarzenberg stand für das alte Europa, gleichzeitig war er unkonventionell, Vordenker und wenn es sein musste Revolutionär. Über einen europäischen Geist, der nicht nur seiner Heimat Tschechien fehlen wird. 

Vor einigen Jahren durfte ich mit dem alten Fürsten die Silvesternacht verbringen. Wir standen um Mitternacht nebeneinander auf der beeindruckenden Dachterrasse des Haas-Hauses, jenem einzigen modernen Gebäude der Wiener Innenstadt, direkt gegenüber dem Nordturm des Stephansdoms. Ein besonderer Platz: denn in jenem Turm hängt die mythische Glocke mit dem Namen “Pummerin”, eine Art Nationalheiligtum, deren Läuten zum Jahreswechsel auf allen Kanälen des Landes übertragen wird. Wir waren auf das Dach gestiegen, um dieses Neujahrsläuten einmal live zu hören, aber daraus wurde nichts. Das Feuerwerk und Geböllere explodierte ungefähr auf gleicher Höhe, statt dem sagenhaften Läuten war da bloß unsagbarer Krach. Karl Schwarzenberg leerte sein Glas Champagner, lachte in sich hinein und sagte: “Das nennt man Paradoxon: Wir sind an dem einzigen Ort, an dem man sie hören könnte, gleichzeitig  dem einzigen im ganzen Land, an dem man sie nicht hört.” 

Der späte Fürst – Karel Schwarzenberg

Karel Schwarzenberg 2019 beim Begräbnis der tschechischen Schauspielerin Vlasta Chramostova, einer Unterzeichnerin der Charta 77, die nach dem gescheiterten Prager Frühling in der sozialistischen Diktatur Auftrittsverbot erhalten hatte.

© Michal Kamaryt/IMAGO

Karel Schwarzenberg ist tot. Man müsste einen Nachruf auf diesen Jahrhundertmann natürlich anders beginnen, mit seinen großen Leistungen für Europa und sein primäres Heimatland. So wie es sein langjähriger politischer Mitstreiter und Ex-Ministerkollege Miroslav Kalousek am Sonntag im Internet schrieb: “Tschechien sollte ihm für immer dankbar sein für das, was er selbstlos für dieses Land getan hat”. Oder Österreichs Bundespräsident Alexander Van der Bellen, der twitterte: “Mit dem Tod von Karel Schwarzenberg ist Europa ärmer geworden. Sein Leben und Wirken war von Verantwortung und Klarsicht geprägt. Liberal, konservativ, weltoffen und patriotisch, so widersprüchlich diese Begriffe wirken, in Karel Schwarzenberg fanden sie zueinander.” 

Schon der Prager Frühling wäre ohne seine Unterstützung für die Aufständigen seiner tschechischen Heimat gegen die sowjet-sozialistische Diktatur kaum möglich gewesen, nach dem Fall des Eisernen Vorhangs war er Kanzler unter seinem Freund und Präsidenten Vaclav Havel, später Außenminister der tschechischen Republik, schließlich selbst Kandidat für das Amt des Präsidenten. Und trotzdem ist die Silvester-Anekdote ein passender Anfang, weil sie seinen besonderen Humor beschreibt, seine Art mit einer Enttäuschung umzugehen – nämlich sich darüber zu amüsieren.

Paradoxon als Lebensmodell

Er beherrschte die Widersprüchlichkeit und spielte damit. Schwarzenberg war Hocharistokrat und Aktivist, ein Konservativer, der modern und progressiv dachte, als Kandidat der Grünen, später als Parteigründer der liberalen Top 09. Der Alt-Europäer hatte die tschechische und die schweizerische Staatsbürgerschaft, er nuschelte ein wundervolles Wienerisch, führte sein Amt in der tschechischen Regierung teilweise von seinem Palais in Wien aus, einem der bedeutendsten Neobarockbauten der Stadt. Er umgab sich als Homo Politicus am liebsten mit Künstlern, Literaten. Oscar-Preisträger Peter Morgan war sein Schwiegersohn, Fotokünstler und Musiker Hubertus von Hohenlohe sein Cousin.

Handkuss für Hillary: Als Außenminister begrüßte Schwarzenberg 2012 seine US-Amtskollegin Clinton mit altehrwürdiger Geste

© CTK Photo/Stanislav Zbynek(IMAGO

Die große Konstante blieb seine Treue zu Tschechien. Was ihm letztendlich, obgleich er im Exil gelebt hatte, die Zuneigung der Tschechen sicherte. Als Großliterat Vaclav Havel während der “samtenen Revolution” auf dem Balkon am Prager Wenzelsplatz stand, und die Menschen “Havel na Hrad!” riefen und ihn in den Regierungspalast wünschten, stand der Fürst aus Wien bereits an seiner Seite. Aus Karl Johannes Nepomuk Josef Norbert Friedrich Antonius Wratislaw Mena Fürst zu Schwarzenberg war wieder Karel geworden. “Schauen Sie, ich bin in erster Linie Mitteleuropäer, hat er mir auf die Frage geantwortet, wie sehr er über Jahrzehnte im Exil noch Tscheche geblieben sei. “Irgendwie bin ich auch ein gelernter Österreicher, logisch, nach 40 Jahren. Und als Schweizer Staatsbürger bin ich begeisterter Eidgenosse. Aber ich bin in Prag geboren, und wer meine Geschichte kennt, weiß um meine unumstößliche Identität als Böhme und Tscheche.” Ein Bekenntnis, das die Tschechen, die nicht als monarchistische Romantiker bekannt sind, stets beeindruckte, weshalb sie ihn als “pan Kníe”, als “Herrn Fürst” bezeichneten.

Als Chef des Fürstenhauses musste er einspringen

Man muss vielleicht ein bisschen über den familiären Hintergrund erzählen. Kary, wie ihn Freunde nannten, war nicht als Chef des Hauses Schwarzenberg geboren, sondern als Erbe der tschechischen Linie der böhmisch-fränkischen Adelsfamilie. In der Donaumonarchie sagte man, die Herrschaft des Hauses Habsburg sei auf zwei Felsen gebaut, nämlich Liechtenstein und Schwarzenberg, der zwei einflussreichsten  Adelsfamilien des Reichs. Er entstammt der eher ärmeren Nebenlinie des Fürstengeschlechts, wuchs nicht mehr in einer privilegierten Familie auf, sondern in einer erst von den Nazis, dann von den Kommunisten geächteten. Beide Regimes machten den Schwarzenbergs den weitläufigen Besitz streitig, Familienmitglieder wurden in Konzentrationslager verschleppt oder saßen in stalinistischer Haft, die Sowjets enteigneten 1948 elf Schlösser und 30.000 Hektar Land. Um der Vertreibung aus der böhmischen Heimat zuvorzukommen, flohen sie; was sie noch hatten, blieb zurück. 

Es war die Politik, die sich für mich entschieden hat.”

Fragte man den Fürsten, wann er denn entschieden hat, politisch tätig zu sein, sagt er: “Nie. Es war die Politik, die sich für mich entschieden hat. Ich bin in den sehr bewegten Zeiten des böhmischen Protektoriats aufgewachsen, ich hatte als Zehnjähriger von Politik wesentlich mehr Ahnung als die meisten Menschen heute. Aber im Gegenzug ist ein heute Zehnjähriger in der Sexologie auf dem Stand wie damals ein ausgebildeter Gynäkologe.” Doch nicht nur die Geschichte, auch eine Idee von Onkel Heinrich veränderte Schwarzenbergs Leben. Kary war nicht unbedingt als fleißigster Schüler aufgefallen, sein Studienzimmer hätte er auch untervermieten können. Onkel Heinrich also, Clan-Oberhaupt und Vater einer Tochter, die als nicht erbberechtigt galt, trug Kary 1958 die Adoption an, die ihn erstens zum Chef des Hauses machen würde und zweitens die beiden seit etwa 150 Jahren getrennten Familienzweige wieder zusammenbrächte. Aus heutiger Sicht ein anachronistischer Vorgang, der den Jungen, der von diversen Schulen mit mehreren “nicht genügend” abgegangen war, in eine gesellschaftlich relevante Position katapultierte. 

Der junge Karel hatte oft damit zu kämpfen gehabt, von Mitschülern als “degeneriert” beschimpft zu werden, wie er später erzählte. Adelig zu sein sei in den Zeiten seiner Jugend kein Privileg gewesen, mehr ein Makel. Nicht zuletzt deshalb schien es ihm unmöglich, sich in Adelsparallelwelten zurückzuziehen wie so viele Vertreter seines offiziell nicht einmal mehr existierenden Standes. Er legte sich eine Rolle zu, die seinen Ruf als moderner europäischer Denker begründete. 

Das Konservativste, was ich heute kenne, sind die angeblich linken Gewerkschaften”

Der Fürst tauchte ein in die Welt der intellektuellen Künstlerszene Wiens und nahm in ihr eine führende Position ein. Dichter wie H. C. Artmann, politische Feuilletonisten wie Oscar Bronner, Maler wie Christian Ludwig Attersee, Galeristen wie John Sailer prägten nun sein Denken. Und da es nicht gerade konservative Leute waren, bekam der junge Schwarzenberg von Wolf Biermann einen Spitznamen verpasst: Genosse Fürst. “Wissen Sie was”, sagte der Fürst einmal, “das ärgert mich immer, dieses blöde Links-rechts-Schema. Das Konservativste, was ich kenne, sind heute die angeblich linken Gewerkschaften”.

Ein Sozialist gab ihm sein erstes politisches Amt

Auch wenn es Bruno Kreisky war, der jüdische sozialistische Bundeskanzler Österreichs, der Schwarzenbergzum Präsidenten der Internationalen Helsinki-Föderation für Menschenrechte machte – seine erste internationale Aufgabe und der Anfang von Schwarzenbergs Kampf für die Freiheitsrechte seiner “europäischen Landsleute” hinter dem Eisernen Vorhang. An den Traditionen des Hauses und des Standes hielt er dennoch fest, ähnlich einem Drahtseilakt über den Brüchen der Geschichte. Seine Hochzeit mit Therese Gräfin von Hardegg beschreibt SchwarzenbergBiografin Barbara Tóth als Ereignis aus einer anderen Epoche: Die Braut trug eine Spitzenschleppe, die von acht Kindern gehalten werden musste, und statt des üblichen Brautstraußes hatte sie ein altes Familiengebetsbuch in der Hand. Dem Paar wurden zwei Kinder geboren, Johannes und Anna Caroline; die Ehe selbst scheiterte, die Freundschaft der beiden blieb.

Fürst, Präsident, Königin und Herzog: Mit seinem Freund und Staatsoberhaupt Vaclav Havel begrüßte Schwarzenberg 1996 das britische Königspaar auf dem Hradschin

© CTK Photo/Tomas Turek/IMAGO

An seinen Onkel von dem er das Fürstenhaus übernommen hatte, erinnerte er mit einer seiner typischen Anekdoten. In Zeiten der sowjetischen. Besatzung eines Teils von Wien wurde der große Platz zwischen dem Palais und der Ringstraße umbenannt worden, und so pflegte der alte Fürst zu sagen: “Jeden Tag wenn ich vom Palais Schwarzenberg zum Café Schwarzenberg will, gehe ich über den ebenfalls nach meiner Familie benannten Josef Stalin-Platz.” 

Man kann hunderte Jahre Autokratie nicht verschwinden lassen.”

Ein besonderes Paradoxon blieb bis heute, dass das gigantische Heldendenkmal zu Ehren der roten Armee direkt vor seinem Palais in der Wiener Innenstadt thront. Er hat sein ganzes Leben gegen russische Autokraten gekämpft, 2019 sagte er über Putins Reich: “Die Hoffnung darf man nie, nie, nie aufgeben. Es wird lange dauern, aber es wird trotzdem kommen. Es entwickelt sich doch eine Bürgergesellschaft. Das Regime Putin ist fest im Sattel, und es wird sehr lange dauern, man kann hunderte Jahre Autokratie nicht verschwinden lassen. Es gibt aber schon viele Russen, die in der Welt studieren, die herumreisen, es gibt einen Mittelstand. Die werden das Land verändern. Es wird länger dauern, es wird anders sein als bei uns, aber ich sage nicht: Russland ist verloren.”

2013 versuchte Schwarzenberg selbst in die tschechische Präsidentenkanzlei einzuziehen und präsentierte sich als Punk. Er verlor knapp gegen Miloš Zeman, der ihn als “Ausländer” und “steinreichen Aristokraten” angegriffen hatte.

© CTK Photo/Libor Sojka/IMAGO

Schwarzenbergs Tod ist nicht nur ein Verlust für Tschechien und Österreich, sondern für den ganzen Kontinent. So kompliziert, teilweise brutal, und letztendlich auf fatale Weise erfolglos der Vielvölkerstaat Österreich-Ungarn auch war, so hat er dennoch auch Blaupause und eine Denkschule hinterlassen, die Schwarzenberg verinnerlicht und weitergedacht hat. Für jemanden der wie er beständig über Jahrzehnte am Eisernen Vorhang gerüttelt hatte, galten Grenzen nie sonderlich viel. Einmal begleitete ich ihn zu einem Empfang der Diplomatischen Akademie Wiens, wir waren mit seiner Limousine vom Palais im 3. Bezirk nur ein paar Straßen weiter in die Neue Favorita, einem theresianischem Schloss im 4. gefahren, um dann dort ewig zu warten. Seine österreichische Amstkollegin war aus ihrem 300 Kilometer entfernten Wohnort Klagenfurt angereist und in einen Stau geraten. “Man muss es verstehen, als tschechischer Außenminister hat man es eben nicht so weit nach Wien, als eine Kärnterin…” scherzte er, und legte in der Frontrow der Festgesellschaft eines seiner berühmten Nickerchen ein. 

Ich halte mich an die Amerikaner, deren Credo lautet: Power is better than sex.”

In einem Gespräch Mitte der Nullerjahre fragte ich ihn, wie er seine geschichtliche Bedeutung, irgendwann auch mal Nachruhm selbst einschätzten würde. Da schmatzte er wie üblich und nuckelte an seiner Pfeife, hinter dem Qualm sah man dann bereits das berühmte Schmunzeln, das eine Pointe ankündigte. “Schauen Sie, ich habe nie nach Bedeutung gestrebt, insofern ist es mir egal. Ich wurde nicht deshalb Politiker, sondern… ich halte mich an die Amerikaner, deren Credo lautet: Power is better than sex.”

Er sagte seine Meinung, ungeachtet der Konsequenzen

Wenn er scheiterte, dann stets mit Stolz. Im Jahr 2013 kandidierte er gegen Miloš Zeman für das Amt des Präsidenten. Überraschend hatte er im ersten Wahlkampf den zweiten Platz erobert, obwohl Zeman ihn als Ausländer und reichen abgehobenen Aristokraten zu diskreditieren versuchte. Schließlich brachte sein Gegner anlasslos die BenešDekrete in die Diskussion, jene Gesetze aus dem Jahr 1946, die deutsche Bevölkerungsgruppen pauschal zu Staatsfeinden erklärte. Dies sei “ein großes Menschenrechtsverbrechen gewesen”, sagt Schwarzenberg ungerührt und ungeachtet dessen, dass er damit seinen Wahlsieg gefährden würde. Die Verantwortlichen hätten sich heute vor dem Haager Kriegsverbrechertribunal verantworten. Dass er trotzdem 45,19 Prozent erzielte, gilt bis heute als Wunder, dass Schwarzenberg mutig seine Meinung vertrat, hingegen nicht. 

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