Afghanistan: Kramp-Karrenbauer räumt Fehler ein – Politik


Nach dem Abzug der internationalen Truppen aus Afghanistan haben die islamistischen Taliban die Macht im Land übernommen – und gestalten es nach ihren Vorstellungen um. Die wichtigsten Entwicklungen im Newsblog.

Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) hat bei der Reaktion der deutschen Bundesregierung auf den Vormarsch der Taliban in Afghanistan gravierende Fehler eingeräumt und dem früheren US-Präsidenten Donald Trump eine Mitschuld an der derzeitigen Lage gegeben.

Selbstkritik übte die Ministerin in einer Art Bilanz der vergangenen Tage, aus der der Spiegel zitiert: “Unsere Lageeinschätzung war falsch, unsere Annahme über die Fähigkeiten und die Bereitschaft zum afghanischen Widerstand gegen die Taliban war zu optimistisch”, schrieb Kramp-Karrenbauer demnach. In dem Brief räumte die Christdemokratin ein, dass Deutschland, aber auch die Nato die Kampfkraft der afghanischen Armee falsch eingeschätzt hätten. Man sei trotz des fast abgeschlossenen Truppenabzugs davon ausgegangen, dass die afghanischen Sicherheitskräfte “dem Druck der Taliban – zumindest in den urbanen Gebieten und insbesondere in der Hauptstadt – standhalten könnten”. Die Annahme habe sich innerhalb von wenigen Tagen als falsch erwiesen. “Damit ist das Worst-Case-Szenario deutlich früher als erwartet eingetreten”, schrieb Kramp-Karrenbauer.

Eine Teilschuld an der rasanten Abwärtsspirale gibt Kramp-Karrebauer dem früheren US-Präsidenten Trump. Demnach sei beim Start der Gespräche für ein Abkommen zwischen der afghanischen Regierung und den Taliban die Hoffnung gewachsen, “dass der Weg zu einem Frieden zwar lang, aber gangbar sein würde”. Dass Trump jedoch einen Deal absegnete, in dem der “weitgehend voraussetzungslose Abzug der amerikanischen Streitkräfte” besiegelt wurde, habe “die Lage entscheidend verändert”. (21.08.2021)

Bundeswehr-Hubschrauber in Kabul angekommen

Für ihren gefährlichen Evakuierungseinsatz in Afghanistan hat die Bundeswehr ihre Kräfte verstärkt und zwei Hubschrauber an den Flughafen Kabul verlegt. Nach Angaben des Verteidigungsministeriums können die Helikopter vom Typ Airbus H145M für die Rettung einzelner Bundesbürger oder auch einheimischer Ortskräfte aus Gefahrenlagen eingesetzt werden.

Bislang hat die Bundeswehr mehr als 1800 Menschen aus Kabul ausgeflogen. Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU) fordert eine Ausweitung des Rettungseinsatzes. Nach bisherigen Vorschriften dürften afghanische Ortskräfte, ihre Ehepartner und minderjährige Kinder auf die Ausreiselisten genommen werden. “Im Einzelfall ist es inhuman, Familien zu trennen. Und deshalb muss das geändert werden”, sagte Müller den Zeitungen der Funke-Mediengruppe. Er sei froh, dass Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) signalisiert habe, nicht an der bestehenden Regel festzuhalten. (21.08.2021)

Tausende Menschen belagern Eingänge des Kabuler Flughafens

In der afghanischen Hauptstadt Kabul belagern noch immer Tausende Menschen die Eingänge zum Flughafen. Das berichtete ein Augenzeuge der Deutschen Presse-Agentur. Die verängstigten Menschen hoffen allesamt auf einen Platz in einem Flugzeug, um nach der Machtübernahme der islamistischen Talibankämpfer aus dem Krisenstaat zu fliehen. Der Augenzeuge hatte bereits den gesamten Freitag an einem Eingang verbracht. Als er am Samstagmorgen (Ortszeit) dorthin zurückkehrte, habe sich die Menschenmenge noch einmal verdoppelt.

Es fielen weiter praktisch durchgehend Schüsse. Am nördlichen Eingang habe es zudem Lautsprecherdurchsagen gegeben, dass das Gate nun zwei Tage geschlossen sei, sagte die Person. Ein zweiter Augenzeuge berichtete, dass sich dort Menschen aus allen Gesellschaftsschichten befänden. Er habe Schauspieler in der Menge gesehen, Fernsehmoderatoren, Jugendliche, Frauen mit neugeborenen Babys oder Menschen im Rollstuhl.

In einem Schreiben der deutschen Botschaft in Kabul hieß es in der Nacht zu Samstag, die Lage am Flughafen sei weiterhin äußerst unübersichtlich. Es komme immer häufiger zu bewaffneten Auseinandersetzungen an den Toren zum Flughafen. Das US-Militär entscheide über Öffnung und Schließung der Eingänge, je nach Lage. In dem Schreiben hieß es zudem, der Weg zum Flughafen erfolge auf eigene Verantwortung. Ein Transport vom individuellen Aufenthaltsort im Stadtgebiet zum Flughafen könne durch die deutsche Botschaft nicht geleistet werden.

Die US-Botschaft in Kabul ruft amerikanische Staatsbürger dazu auf, den Flughafen zu meiden. Aufgrund möglicher Sicherheitsbedrohungen rund um die Eingänge rate man US-Bürgern, nicht zum Flughafen zu fahren und die Gates zu meiden, heißt es in einer Mitteilung der Botschaft am Samstag. Ausnahme sei, wenn der Bürger oder die Bürgerin eine individuelle Anweisung von einem Vertreter der US-Regierung erhalten habe. Erst vor zwei Tagen hatte die Botschaft in einer Aussendung mitgeteilt, US-Bürger sollten zum Flughafen kommen, wenn sie es selber für sicher hielten. Sie sollten versuchen, an jedem geöffneten Gate den Flughafen zu betreten. (21.08.2021)

Laschet will finanzielle Hilfen für Afghanistan an Menschenrechts-Garantien koppeln

Unions-Kanzlerkandidat Armin Laschet fordert, neue finanzielle Hilfen für Afghanistan an Garantien der Taliban für Menschenrechte zu koppeln. “Wir können Entwicklungszusammenarbeit von Schulbildung für Mädchen und anderen Minimalstandards abhängig machen”, sagte der CDU-Politiker der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung. Ziel sei, “auf die Taliban Einfluss zu nehmen, damit das Land nicht wieder zum Hort des internationalen Terrorismus wird”. Die Aussicht auf finanzielle Unterstützung könne dabei als Hebel dienen, fügte Laschet hinzu. Deutschland hat die Entwicklungszusammenarbeit mit dem von den Taliban beherrschten Land vorerst ausgesetzt. (21.08.2021)

Veteranenvertreter spricht von “Retraumatisierung” ehemaliger Soldaten

Die Machtübernahme der Taliban macht vielen ehemaligen Bundeswehrsoldaten aus dem Afghanistan-Einsatz psychisch offenbar schwer zu schaffen. “Die dramatischen Ereignisse in Afghanistan haben bei etlichen Veteraninnen und Veteranen zu einer Retraumatisierung geführt”, sagte der stellvertretende Vorsitzende des Bundes Deutscher Einsatzveteranen, David Hallbauer, den Zeitungen der Funke Mediengruppe. “Sie haben derzeit enormen Gesprächsbedarf oder suchen psychologischen Beistand bei uns.” Die Anfragen und Kontaktaufnahmen von ehemaligen Bundeswehrangehörigen wie auch von Familienangehörigen hätten “in den vergangenen Tagen sprunghaft zugenommen”.

Viele frühere Soldatinnen und Soldaten stellten die Sinnfrage, sagte Hallbauer. “Sie haben den Eindruck, dass ihr monatelanger, harter Einsatz – oft unter Todesangst – letztlich vergebens war, und Erfolge aus 20 Jahren Afghanistan-Einsatz jetzt von den Taliban mit einem Schlag zunichte gemacht werden.” Dinge, die erreicht und erkämpft worden seien, seien verloren. “Viele Veteranen sagen sich: Was ich dort geleistet habe, hat nichts gebracht. Das setzt vielen ehemaligen Soldatinnen und Soldaten ungeheuer zu.” Auch Familienmitglieder meldeten sich vermehrt, sagte Hallbauer. Sie suchten Rat, “wie sie mit dem Trauma ihres Angehörigen umgehen können. Es ist für viele Familien im Moment eine sehr schwierige Situation”. (21.08.2021)

Biden: “Wir werden Sie nach Hause bringen”

US-Präsident Joe Biden hat allen ausreisewilligen Amerikanern in Afghanistan die Ausreise aus dem Land versprochen. An ihre Adresse sagte Biden im Weißen Haus: “Wir werden Sie nach Hause bringen.” Auf Nachfrage sagte der US-Präsident, die Zusage gelte auch für Afghanen, die den US-Einsatz in Afghanistan unterstützt hätten. Die USA versuchten außerdem, so viele gefährdete Afghanen wie möglich in Sicherheit zu bringen, die beispielsweise für Hilfsorganisationen gearbeitet hätten.

Biden kündigte eine Fortsetzung der US-Rettungsflüge aus Kabul an, nachdem diese vorübergehend gestoppt gewesen seien. Die Flüge seien für ein paar Stunden unterbrochen worden, um die Ankunft von Ausreisenden abzuwickeln. Der zuständige Kommandeur habe aber bereits angewiesen, die Flüge nun wieder fortzusetzen.

Der US-Präsident sagte, seit dem Start der Mission vor etwa einer Woche hätten die USA rund 13 000 Menschen ausgeflogen. Nach Angaben des Weißen Hauses waren es allein in den vergangenen 24 Stunden 5700 Menschen.

Biden wollte sich nicht dazu äußern, ob die Mission über den 31. August hinaus verlängert werden könnte. Er gehe davon aus, dass die Rettungen bis dahin abgeschlossen werden könnten, werde dazu aber später eine Entscheidung treffen. (20.08.2021)

Bundeswehr bringt weitere 172 Schutzbedürftige aus Kabul heraus

Die Bundeswehr hat weitere deutsche Staatsbürger und afghanische Ortskräfte aus Kabul gebracht. In der Nacht zu Samstag startete in der afghanischen Hauptstadt eine Militärmaschine vom Typ A400M “mit 172 schutzbedürftigen Personen an Bord nach Taschkent in Usbekistan”, twitterte die Bundeswehr. Damit hätten die Flugzeuge der Bundeswehr inzwischen mehr als 1800 Menschen ausgeflogen. Mehrere Militärtransporter der Bundeswehr pendeln zwischen Kabul und der usbekischen Hauptstadt Taschkent, von wo aus die Geretteten ihren Weiterflug nach Deutschland antreten sollen.

Deutscher auf dem Weg zum Flughafen Kabul angeschossen

Ein Deutscher hat auf dem Weg zum Flughafen Kabul in Afghanistan eine Schussverletzung erlitten. Das bestätigte die stellvertretende Regierungssprecherin Ulrike Demmer. Bei dem Mann handele es sich um einen Zivilisten, so Demmer. “Er wird medizinisch versorgt, es besteht aber keine Lebensgefahr. Und er wird bald ausgeflogen werden.” Weitere Details sind derzeit nicht bekannt, zu den Umständen des Vorfalls könne man derzeit keine Angaben machen, heißt es aus dem Verteidigungsministerium.

Ein weiterer Deutscher hat nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur aus dem Auswärtigen Amt eine leichte Verletzung erlitten. Ob es sich um eine Schussverletzung handelt, blieb zunächst unklar.

Am Flughafen in Kabul herrschen seit der Machtübernahme der Taliban chaotische Zustände. Die Lage ist extrem gefährlich. Hunderte Menschen versuchen weiterhin, Zugang zum Flugfeld zu bekommen, um mit einer der Rettungsmaschinen der westlichen Regierungen außer Landes gebracht zu werden. Viele von ihnen, so berichtet es ein Augenzeuge der Deutschen-Presse-Agentur, halten sich an einem Kreisverkehr auf, wo der Eingang zum zivilen Teil des Flughafens liegt. Kämpfer der Taliban feuern dort in die Luft und schlagen mit Peitschen, um die Leute zu vertreiben. (20.08.2021)

Von der Leyen fordert vor G-7-Gipfel sichere Fluchtwege für Afghanen

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen will beim G-7-Sondergipfel für eine umfassende internationale Lösung für Flüchtlinge aus Afghanistan werben. “Es ist wichtig, dass alle an der Afghanistan-Mission beteiligten Staaten ausreichende Neuansiedlungsquoten und gesicherte Wege bereitstellen, damit wir die Schutzbedürftigen aufnehmen können”, sagte sie der Deutschen Presse-Agentur. Man müsse verhindern, dass die Menschen in die Hände von Schmugglern und Menschenhändlern fielen. “Denn das bringt Afghanen, die vor dem Konflikt fliehen wollen, in eine mindestens ebenso große Gefahr”, sagte sie.

Angesichts der Machtübernahme der Taliban in Afghanistan wollen die Staats- und Regierungschefs der G-7-Staaten in der kommenden Woche bei einer Videokonferenz über das weitere Vorgehen beraten. Zu der Gruppe der wichtigen Industrieländer gehören die USA, Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien, Japan und Kanada. Die Spitzenvertreter der EU sind zudem auch immer mit dabei.

Wegen der Entwicklungen in Afghanistan erwartet die EU eine starke Zunahme der Zahl der Menschen, die ihr Heimatland verlassen wollen. Viele Afghanen befürchten eine Rückkehr der Schreckensherrschaft der Islamisten der 1990er-Jahre. “Das Ganze ist eine Tragödie für die Menschen in Afghanistan und das ist ein schwerer Rückschlag für die internationale Gemeinschaft”, sagte von der Leyen zu den Entwicklungen. (20.08.2021)

Maas: “Afghanistan darf sich nicht wiederholen”

Außenminister Heiko Maas denkt nach eigenen Angaben wegen des Afghanistan-Debakels nicht an Rücktritt. Auf die Frage, ob er darüber nachgedacht habe, sagte der SPD-Politiker dem Spiegel: “In den vergangenen Tagen habe ich nur an eines gedacht, nämlich aus den Fehlern, die wir alle gemacht haben, die Konsequenz zu ziehen und dafür zu sorgen, so viele Leute aus Afghanistan rauszuholen wie möglich.” Das sei “die verdammte Pflicht von jedem, der an der Entwicklung der letzten Tage und Wochen beteiligt war”.

In den vergangenen Tagen hatte es von verschiedenen Seiten Forderungen nach einem Rücktritt des Außenministers gegeben. CSU-Chef Markus Söder sprach sich dafür aus, dass Maas nach der Bundestagswahl im September nicht mehr dem Kabinett angehört. Dazu sagte der SPD-Politiker in dem am Freitag veröffentlichten Interview: “Ich würde erst mal abwarten, welche Partei der nächsten Bundesregierung überhaupt angehört. Das ist ja offener als viele dachten. Und wie meine berufliche Zukunft aussieht, ist wirklich das Letzte, woran ich im Moment einen Gedanken verschwende.”

Zugleich forderte Maas eine Debatte über den Sinn von Bundeswehr-Einsätzen. “Das Scheitern in Afghanistan darf nicht dazu führen, dass wir uns außen- und sicherheitspolitisch komplett der Verantwortung auf der Welt verweigern”, sagte er. “Aber Afghanistan darf sich auch nicht noch einmal wiederholen.” Die Nato-Partner müssten diskutieren, ob das Verteidigungsbündnis überhaupt geeignet sei, Einsätze außerhalb des eigentlichen Auftrags zu führen – auch, ob es Aufgabe der Nato sei, für Frieden und Menschenrechte zu sorgen.

Weiter plädierte Maas dafür, dass sich die europäischen Nato-Mitglieder eine größere Unabhängigkeit von den USA verschaffen. “Wir müssen viel politischer diskutieren, ehe wir unsere Soldaten irgendwo hinschicken. Sonst besteht die Gefahr, dass wir immer nur die Entscheidungen Washingtons nachvollziehen – egal, wer dort Präsident ist.” (20.08.2021)

Merkel gibt am Mittwoch Regierungserklärung zu Afghanistan ab

Bundeskanzlerin Angela Merkel wird kommenden Mittwoch bei der Sondersitzung des Bundestages eine Regierungserklärung abgeben. Das teilt eine Regierungssprecherin mit. In der Sondersitzung soll unter anderem das befristete neue Afghanistan-Mandat beschlossen werden. (20.08.2021)

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