Yoga: Jeder kann Lehrer werden – warum das Gefahren birgt

2021 hat unsere Autorin eine zweiwöchige Yogalehrerausbildung absolviert. Dass man bereits nach wenigen Tagen mit einem Zertifikat nach Hause gehen und sich lebenslang Yogalehrer nennen darf, sieht sie heute kritisch. Warum damit auch Gefahren einhergehen.

Schon über ein Jahr schmückt das Zertifikat, das mich als Yogalehrerin ausweist, den Eingangsbereich meiner Wohnung. Unterrichtet habe ich bisher keine einzige Stunde. Das hat mehrere Gründe. Zum einen habe ich die Ausbildung nur für mich, zur Vertiefung meiner eigenen Praxis, absolviert. Zum anderen habe ich mich nach Ende des Lehrgangs alles andere als bereit zum Unterrichten gefühlt. Gerade einmal zwei Wochen dauerte die Ausbildung. Zu kurz, um tiefgehend in all die wichtigen Teilbereiche einzutauchen, die die indische Lehre ausmachen. Zu kurz, um die Anatomie des menschlichen Körpers ausreichend zu studieren. Zu kurz, um selbst als Lehrer üben zu können.

Keine Regeln, keine Voraussetzungen

Trotzdem gibt es vor allem im Ausland zahlreiche Yoga-Schulen, die diese kurzen Lehrgänge anbieten. Dass man sich bereits nach wenigen Wochen als Yogalehrer bezeichnen darf, liegt daran, dass der Titel nicht geschützt ist. Der Zugang zum Beruf ist kaum reguliert. Weder handelt es sich um einen staatlich anerkannten Ausbildungsberuf, noch gibt es einheitliche Vorschriften für die Lehrgänge. Bei den Ausbildungsinstitutionen handelt es sich um private Einrichtungen, die die Dauer, die Inhalte und den Preis selbst bestimmen. Wenn sie weder einem der Berufsverbände noch der Yoga Alliance angehören, gibt es keine übergeordnete Instanz, die die Qualifikationen dieser Anbieter prüft. Selbstredend, dass die Qualität der Lehre stark schwankt. Zusätzlich haben die Ausbildungen keine offiziellen Zugangsbeschränkungen. Außer dem Interesse am Yoga gibt es keinerlei Voraussetzungen, die die Teilnehmer erfüllen müssen. Im Prinzip kann also jeder – in kürzester Zeit – Yogalehrer werden. “Das ist ein großes Problem”, findet Birte Sattler, Vorstandsvorsitzende des Berufsverbandes der Yogalehrenden in Deutschland (BDYoga). Und es bringt Gefahren mit sich.

Der Beruf des Yogalehrers – auf Instagram wahlweise als Traumjob oder selbstverwirklichende Nebentätigkeit dargestellt – wird immer beliebter. Die Ausbildungen werden entsprechend häufiger nachgefragt. Und stellen ein lukratives Geschäftsmodell dar. “Es ist Geldmacherei. Hauptsache man zahlt, dann darf jeder mit einem Zertifikat nach Hause gehen” kritisiert der renommierte Yogalehrer und Inside Flow-Gründer Young Ho Kim im Gespräch mit dem stern. Begibt man sich auf die Suche nach einer Ausbildung, öffnet sich schnell ein undurchsichtiger Dschungel an Angeboten, die dem Interessenten einige Entscheidungen abverlangen: Möchte ich in Deutschland bleiben oder ins Ausland gehen? Auf welchen Yoga-Stil möchte ich mich fokussieren? Wie viel Zeit und Geld möchte ich investieren?

Yoga im Regenwald, Zertifikat inklusive 

Auf Webseiten wie “Bookyogateachertraining.com“, nach eigenen Angaben der Marktführer, “wenn es um das Entdecken und Buchen unvergesslicher Reiseerlebnisse geht”, kann man nach diesen Kriterien filtern. Allein in der Kategorie “200-Stunden-Ausbildung”, die gängigste Variante, mit der die meisten Yogalehrer ihren beruflichen Werdegang beginnen, listet die Seite aktuell etwa 800 Angebote auf. Genauso breit ist die preisliche Palette: Manche Ausbildungen kosten 500 Euro, andere 5.000. In meiner eigenen, romantischen Vorstellung wollte ich damals an einem möglichst exotischen, warmen Ort mitten in der Natur studieren. Und nicht länger als zwei Wochen – mehr Urlaubstage hatte ich nicht mehr zur Verfügung. Ich entschied mich für 200 Stunden im peruanischen Regenwald. Preislich lag ich im Mittelfeld des Spektrums.

Frau übt Yoga in einem tropischen Land

In der Yoga-Szene absolvieren viele die Ausbildungen im Ausland, verbinden das Lernen mit einer Reise. Besonders beliebte Ziele sind Indien, Bali und Costa Rica.

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Voller Vorfreude bearbeitete ich in den Monaten davor das E-Learning, das als Pflichtbestandteil der Ausbildung bereits vorher Wissen über die Yoga-Philosophie, den Aufbau eigener Unterrichtsstunden und den menschlichen Körper vermitteln sollte. Getestet wurde das Wissen am Ende mit einem Multiple Choice-Test, den man beliebig oft wiederholen konnte. Gleiches galt für die Abschluss-Prüfung vor Ort. Durchfallen konnte niemand. Ebenso wenig wie bei der finalen Lehrprobe. Die Yoga-Stunde, die man selbst anleiten musste, sollte – so wollten es die Dozenten ­– nicht scharf kritisiert, sondern mit “loving feedback” bewertet werden. Auch wenn manche Lehrproben aus einer 45-minütigen Meditationseinheit bestanden und einige Teilnehmer den vorbereitenden Online-Kurs nicht durchexerziert hatten, durften alle mit einem Zertifikat nach Hause gehen. Einer Bescheinigung, die uns lebenslang als Vinyasa- und Yin-Yogalehrer auszeichnet. An dieser Stelle sei erwähnt, dass meine Geschichte kein Einzelfall ist, sondern stellvertretend für eine weit verbreitete Erfahrung in der Yoga-Szene steht.

“Fahrlässig und gefährlich”

 “Wenn man mit dem Ziel rausgeht, tatsächlich Menschen im Yoga zu unterrichten, finde ich das fahrlässig”, bewerte BDYoga-Vorsitzende Birte Sattler solche Lehrgänge. “Es ist gefährlich und man tut sich selbst keinen Gefallen – und auch den Menschen nicht, die zu einem kommen.” In der westlichen Welt hat sich Yoga zu einer körperbetonten Praxis entwickelt, bei der die Asanas im Vordergrund stehen. Umso wichtiger scheint ein fundiertes Wissen über den menschlichen Körper. In Ausbildungen, die nur wenigen Wochen dauern, kommt das allerdings zu kurz. “Wenn ich nicht genügend anatomische Kenntnisse habe, kann ich Menschen gefährden”, betont die Expertin. Besonders – aber nicht nur –Yogaschüler mit körperlichen Einschränkungen, die manche Übungen nicht ausführen können. “Man muss wissen, wie man damit umgeht, damit niemand überfordert oder gar verletzt wird.” Für den frisch gebackenen Yogalehrer bestehe außerdem das Risiko, die eigenen Fähigkeiten zu überschätzen und sich selbst zu überfordern.

Für die BDYoga-Vorsitzende ist die Zeit das Hauptproblem. “Eine längere Ausbildungsdauer verstärkt die Qualität der Lehre deutlich”, meint sie. Denn Yogalehrer müssen eine Reifeprozess durchlaufen, “um in die Rolle hineinzuwachsen”. Neben dem fachlichen Wissen zeichnet sich ein Yogalehrer laut Birte Sattler durch Kompetenzen wie Authentizität, Ehrlichkeit und Transparenz sowie Empathie aus. Und Flexibilität: “Dass man in der Lage ist, die Praxis auf die Bedürfnisse der Schüler anzupassen.” Fähigkeiten, die man sich nicht innerhalb weniger Wochen aneignen kann. Zudem spricht sich die Expertin für strengere Prüfungen aus: “Wenn es Schwachpunkte gibt, muss man an diesen arbeiten und die Prüfung gegebenenfalls wiederholen, auch zum Schutz des angehenden Lehrers.” Für Inside Yoga-Gründer Young Ho Kim ist das eine Selbstverständlichkeit: “Wir haben gewisse Standards in unseren Ausbildungen – die muss man erfüllen, sonst darf man Inside Yoga nicht unterrichten.”

Berufsverbände und Krankenkassen geben in Deutschland Richtlinien vor 

Wer Mitglied im BDYoga werden möchte, muss “umfassend qualifiziert” sein, heißt es auf der Webseite. Eine mindestens zweijährige Ausbildung – entweder beim BDYoga selbst oder bei einem Institut mit ähnlichen Standards – ist Pflicht. Die Lehrgänge des BDYoga dauern zwei oder vier Jahre. Neben einer schriftlichen und mündlichen Abschlussprüfung gehören mehrere Lehrproben zum Ausbildungskonzept. “Daran sieht man den Entwicklungsprozess. So wächst man hinein in die Lehrer-Rolle und lernt zum Beispiel, verschiedene Stundenkonzepte zu entwickeln.” Mitglieder müssen sich zudem der Einhaltung berufsethischer Richtlinien verpflichten. Regelmäßige Weiterbildungen sind hingegen freiwillig.

Neben dem BDYoga gibt hierzulande auch der Berufsverband der Yoga Vidya Lehrer gewisse Qualitätsstandards vor. Seinen Mitgliedern schreibt der Verein Ethik- und Qualitätsrichtlinien vor, darunter die Pflicht zur beruflichen Weiterbildung. Die Lehrgänge bei Yoga Vidya dauern zwei Jahre oder – als Intensivkurs – vier Wochen. Am Ende stehen jeweils Prüfungen. Bei der mehrjährigen Ausbildung eine praktische und schriftliche Prüfung. Voraussetzung zur Zulassung ist unter anderem “der schriftliche Nachweis der pädagogischen Hausarbeit”, teilt der Verein auf stern-Nachfrage mit. Bei der Kurzversion sind es mehrere Lehrproben, eine schriftliche und eine mündliche Prüfung.

Beide Vereine zählen rund 5.000 Mitglieder und sind damit die größten Berufsverbände in Deutschland. Darüber hinaus setzen sich auch die Krankenkassen für einen höheren Standard in der Yogalehre ein. Wer sich bei der Krankenkasse als Yogalehrer zertifizieren lassen möchte, muss nachweisen, dass in der Yogalehrerausbildung gewisse Inhalte abgedeckt wurden: “Dazu gehört auch die Qualifikation der Dozenten: Wer hat in welchem Bereich unterrichtet und hat er oder sie die entsprechende Kompetenz?”, erläutert Birte Sattler. Nach Abschluss einer Yogalehrerausbildung müsse man zwar weder in einen der Vereine eintreten, noch die Zertifizierung über die Krankenkasse einholen. “Aber wenn ich möchte, dass meine Kurse gut besucht werden, kann das ein Vorteil sein.”

Wer für die Ausbildung ins Ausland reist, wird wahrscheinlich (wie ich) mit der Yoga Alliance in Berührung kommen. Der weltweit größte Yoga-Verband mit Sitz in den USA hat es sich zum Ziel gemacht, Kriterien für einen “qualitativ hochwertigen […] Yogaunterricht auf der ganzen Welt” zu etablieren. Nach eigenen Angaben sind rund 7.000 Ausbildungsinstitute auf der ganzen Welt bei der Yoga Alliance registriert. Um ein “Registered Yoga Teacher” (RYS) zu werden, muss man nach Abschluss der Ausbildung eine jährliche Gebühr entrichten, sich zu regelmäßiger Fortbildung und Einhaltung ethischer Richtlinien verpflichten.

Vor drei Jahren hat der Verband “erhöhte Standards” für die 200-Stunden-Ausbildung eingeführt. Unter anderem sind die Inhalte hin zu “einem gemeinsamen Kernlehrplan” überarbeitet worden, berichtet der Verband auf der Webseite. Ein zeitlicher Rahmen für die 200 Stunden ist nicht festgelegt. Lehrproben sind zwar vorgeschrieben, Richtlinien für eine Abschlussprüfung scheint es hingegen nicht zu geben. Auf der Webseite finden sich zumindest keine Informationen. Eine Anfrage des stern blieb unbeantwortet.

Wichtige Fragen, die man sich vorher stellen sollte

Wer mit dem Gedanken spielt, eine Yogalehrerausbildung zu beginnen, sollte sich genügend Zeit nehmen, um das Überangebot an Lehrgängen eingehend zu analysieren. Um seriöse Anbieter zu erkennen, können laut Birte Sattler folgende Fragen helfen: Kann man den Lehrplan und die Inhalte einsehen? Sind die Kosten transparent? Stehen die beiden Punkte im Verhältnis zueinander? Wer unterrichtet? Welche Qualifikation haben die Dozenten? Zudem sollte man sich mit seinen eigenen Absichten beschäftigen: Was möchte ich lernen? Wo will ich hin mit dem Yoga? Macht man die Ausbildung nur für sich selbst, spricht nichts gegen einen kurzen Lehrgang von zwei Wochen, meint Birte Sattler. “Es gibt viele, die die Ausbildung zunächst nur für sich machen. Später entwickelt sich aber doch der Wunsch, zu unterrichten”, sagt die BDYoga-Vorsitzende. An diesem Punkt merken die meisten, “dass das, was man in den zwei bis vier Wochen gelernt hat, nicht reicht”.

Frau vor einem Whiteboard bei einer Yogalehrerausbildung

Die kurzen, zwei- bis vierwöchigen Ausbildungen sind für viele Yogalehrer lediglich der Beginn ihres Werdegangs. Wer danach tatsächlich unterrichten möchte, schließt meist weitere Lehrgänge an. Mehrjährige Ausbildungen werden in der Regel berufsbegleitend absolviert.

© Addictive Stock / Imago Images

Deshalb würde die Expertin immer zu einer längeren Ausbildung von ein bis zwei Jahren raten. “Dann hat man ein gutes Fundament, auf dem man sich entwickeln und auf dem man weiter aufbauen kann.” Für mich waren die zwei Wochen zwar eine bereichernde Erfahrung. Als Lehrerin habe ich mich aber nie gefühlt – weil auch ich merke, dass die Zeit nicht ausreichend war, um in die Rolle hineinzuwachsen. Mir ist klar: Wenn ich mein fast schon eingestaubtes Zertifikat in Zukunft doch für einen eigenen Kurs nutzen will, so würde ich vorher (mit Freude!) wieder in die Rolle des Schülers schlüpfen. Und dann für länger.

Quellen: Berufsverband der Yogalehrenden in Deutschland (I), Berufsverband der Yogalehrenden in Deutschland (II), Berufsverband der Yoga Vidya Lehrer (I), Berufsverband der Yoga Vidya Lehrer (II), Yoga Alliance (I), Yoga Alliance (II), Yoga Alliance (III), Yoga Alliance (IV)

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