Wie schädlich sind Liebeskummer, Trauer und Stress für die Gesundheit?

„Das Herz wurde gemacht, um gebrochen zu werden“, schrieb einst der berühmte irische Schriftsteller Oscar Wilde. So bedrückend und freudlos seine Worte auch sein mögen, er sollte mit ihnen recht behalten. Trauer, Trennung und Tod – sie gehören nun mal zum Leben dazu. Denn wenn wir einen Menschen wirklich lieben, bricht uns der Abschied von ihm bekanntlich das Herz: Wir weinen und wir leiden, weil der Schmerz des Verlustes so gewaltig ist.

Weiterlesen nach der Anzeige

Weiterlesen nach der Anzeige

Wilde hätte vermutlich aber nicht erahnen können, dass seine Worte viel mehr als eine Metapher sind. Seelischer Stress kann das Herz wirklich stark belasten, nicht umsonst wird das entsprechende Phänomen Broken-Heart-Syndrom genannt – Gebrochenes-Herz-Syndrom. „Wenn man die Geschichten der Patientinnen und Patienten genauer erfragt, dann wird oft klar, warum das Krankheitsbild bei ihnen entstanden ist. Oft sind das sehr tiefgreifende und emotionale Geschichten“, sagt Peter Ong, Kardiologe am Robert-Bosch-Kranken­haus in Stuttgart.

Patientinnen und Patienten kommen mit Verdacht auf Herzinfarkt in Klinik

Trauer, Angst, Panik, Frustration und zwischenmenschliche Konfliktsituationen: Sie alle können Auslöser für die Herzmuskelerkrankung, genauer gesagt die Funktionsstörung der linken Herzkammer sein, die in medizi­nischen Kreisen Takotsubo-Syndrom, Stress-Kardiomyopathie oder auch Takotsubo-Kardiomyopathie genannt wird. Selbst sehr positive Ereignisse können das Krankheitsbild verursachen – beispielsweise große freudige Momente wie eine Hochzeit oder auch ein Lottogewinn. Dieser positive Stress führt im Vergleich jedoch wesentlich seltener zum Syndrom als negativer Stress.

Weiterlesen nach der Anzeige

Weiterlesen nach der Anzeige

Das Broken-Heart-Syndrom wird aufgrund der sehr ähnlichen Symptome oft mit einem Herzinfarkt ver­wechselt. Starke Brustschmerzen oder ein Engegefühl im Brustkorb sind Anzeichen, die auf beide Krankheits­bilder zutreffen – das macht es auch so schwierig, das Takotsubo-Syndrom überhaupt zu erkennen. „Wenn eine Patientin oder ein Patient mit Verdacht auf Herzinfarkt in die Klinik kommt, ein verschlossenes Herzkranz­gefäß aber nicht die Ursache der Beschwerden ist, dann liegt oft eine Takotsubo-Kardiomyopathie vor“, erklärt der Kardiologe Melchior Seyfarth vom Helios-Universitätsklinikum Wuppertal. Bei Betroffenen kommt es oft auch zu massiver Atemnot, teilweise auch zu Übelkeit und Schweißausbrüchen.

Haben wir Einfluss darauf, wann wir sterben?

Manche Menschen sterben erst dann, wenn sie sich von einer geliebten Person verabschieden konnten. Andere leben auf ein bestimmtes Ereignis hin und schöpfen daraus scheinbar Kraft. Queen Elizabeth II. starb nur einige Wochen nach ihrem Thronjubiläum. Kann unser Lebenswillen wirklich den Todeszeitpunkt beeinflussen?

Die Form einer Tintenfischfalle

Seinen Namen verdankt das Syndrom der Form des Herzens, die meist mit der Erkrankung einhergeht: Es kommt zum sogenannten Apical Ballooning, bei der sich die Herzvorderwandspitze ballonartig aufbläst. Diese Verformung ähnelt damit optisch der japanischen Tintenfischfalle „Takotsubo“ mit ihrem runden Krug und schmalen Hals – daher gaben japanische Forschende dem Syndrom den entsprechenden Namen, als sie in den 90er-Jahren erstmals darüber berichteten.

Auch nach über 30 Jahren gibt es beim Broken-Heart-Syndrom große Forschungslücken. Die Forschung sei laut Ong in den vergangenen Jahren jedoch gravierend vorangeschritten, was unter anderem dem Inter­nationalen Takotusbo-Register zu verdanken ist – ein Zusammenschluss von Forschenden im Jahr 2015, der zu einer sehr ausführlichen Beschreibung der Erkrankung geführt habe. „Was man 2015 erstmals so richtig verstanden hat, ist, dass es auch eine sehr große Anzahl an physischen, körperlichen Auslösern gibt“, sagt er. Bei einem Fünftel der Patientinnen und Patienten sei es die akute Atemnot, die bei unterschiedlichen Krank­heits­bildern auftritt – schließlich löse auch die Tatsache, keine Luft zu kriegen, starken Stress aus.

Weiterlesen nach der Anzeige

Weiterlesen nach der Anzeige

„Auch der Tod eines nahestehenden Menschen kann ein Auslöser des Broken-Heart-Syndroms sein.“

Peter Ong, Kardiologe

An einem gebrochenen Herz kann man sterben

Insgesamt sind laut Ong rund 30 Prozent der Auslöser des Syndroms emotionaler Natur. „Auch der Tod eines nahestehenden Menschen kann ein Auslöser des Broken-Heart-Syndroms sein“, sagt er. Das sei bei knapp einem Fünftel der Patientinnen und Patienten der Fall, deren Auslöser eine seelische Belastung war. Dass die Trauer um einen gestorbenen Menschen krank machen kann, ist schon öfter wissenschaftlich erwiesen worden. Im schlimmsten Fall macht sie sogar todkrank: Forschende der Harvard School of Public Health zeigten 2013 in einer Studie, dass das Todesrisiko innerhalb der ersten drei Monate nach dem Tod der Ehegattin oder des Ehegatten um 66 Prozent erhöht ist. Sie nennen das den „Witwenschaft-Effekt“.

Das neuseeländische Ehepaar Ruth und Peter Bedford war 61 Jahre lang verheiratet und starb 2018 am selben Tag. Nachdem Peter Bedford im Krankenhaus vom Tod seiner Frau erfuhr, hörte er nur wenige Stunden danach auf zu atmen. Auch der Tod des US‑amerikanischen Countrysängers Johnny Cash folgte kurz nach dem seiner geliebten Frau: Er starb nur vier Monate nach June Carter-Cash. Bislang ist es noch unklar, woran Bedford und Cash letztendlich genau gestorben sind – und was auch im Allgemeinen für den „Witwenschaft-Effekt“ verantwortlich ist.

Auch das Broken-Heart-Syndrom kann für Betroffene tödlich sein. Solche schwerwiegenden Fälle erlangen viel öffentliche Aufmerksamkeit – vor allem dann, wenn dem Tod eine herzzerreißende Geschichte voraus­geht. Doch Seyfarth betont, dass diese Fälle sehr selten sind: „Dass Menschen nach einem schwerwiegenden Verlust häufig an einem gebrochenen Herzen versterben, entspricht nicht der klinischen Realität: die wenigsten Patientinnen und Patienten sterben am Takotsubo-Syndrom.“ Etwa 3 bis 5 Prozent der Betroffenen haben einen tödlichen Verlauf, die anderen erholen sich meist innerhalb einer Woche davon.

Damit ist es weniger gefährlich als ein Herzinfarkt, aber dennoch alles andere als ungefährlich. „In vielen Fällen erholt sich der Herzmuskel, aber manchmal entwickeln sich lebensbedrohliche Herzrhythmus­störungen – und aktuell wissen wir aufgrund der Forschungslücken noch nicht, wie wir Betroffene davor schützen können“, sagt Seyfarth.

Weiterlesen nach der Anzeige

Weiterlesen nach der Anzeige

„Aus Registerstudien wissen wir, dass die Langzeitsterblichkeit bei Patienten mit Takotsubo-Syndrom gar nicht so unterschiedlich zur Langzeitsterblichkeit bei Patienten mit einem Herzinfarkt ist.“

Jan Scheitz, Neurologe

Sterberate bei Patientinnen und Patienten vier Jahre nach Broken-Heart-Syndrom bei 25 Prozent

Medizinerinnen und Mediziner sind auch wegen der Folgen des Syndroms besorgt. Zwar erkranken nur die wenigsten, etwa 5 Prozent ein zweites Mal, aber „aus Registerstudien wissen wir, dass die Langzeit­sterblich­keit bei Patienten mit Takotsubo-Syndrom gar nicht so unterschiedlich zur Langzeitsterblichkeit bei Patienten mit einem Herzinfarkt ist“, sagt der Neurologe Jan Scheitz von der Berliner Charité, der zum Broken-Heart-Syndrom forscht. „Das ist bemerkenswert – denn das heißt, dass es auch gravierende Folgen haben kann, wenn Stress das Herz aus dem Gleichgewicht bringt“, betont er. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Universitären Herzzentrums Lübeck fanden etwa in einer 2017 im „International Journal of Cardiology“ veröffentlichten Studie heraus, dass die Sterberate der 286 untersuchten Patientinnen und Patienten ein Jahr nach dem Ereignis bei 10 Prozent, vier Jahre danach bei 25 Prozent lag.

Besorgniserregend ist auch, dass jährlich immer mehr Patientinnen und Patienten am Broken-Heart-Syndrom erkranken. Das Phänomen ist zwar relativ selten, doch in einer US‑amerikanischen Studie, die 2021 im „Journal of the American Heart Association“ veröffentlicht wurde, stellten Forschende einen stetigen Anstieg von Fällen fest. Zwar ließe sich die Zunahme auch an der gestiegenen Sensibilisierung für das Broken-Heart-Syndrom unter Medizinerinnen und Medizinern erklären, dennoch sei sie laut der Studien-Hauptautorin Susan Cheng „verblüffend“ und „besorgniserregend“, wie sie gegenüber dem Nachrichtenportal der Heart Association sagte. Denn ihre Auswertung von über 135.000 Fällen in den USA zwischen 2006 und 2017 zeigte, dass 88,3 Prozent der Betroffenen Frauen sind. Und bei Frauen zwischen 50 und 74 Jahren trat die Erkrankung zwölfmal so häufig auf wie bei Männern und jüngeren Frauen.

Ursachen unklar: Forschende untersuchen Zusammenspiel von Herz und Gehirn

Die genauen Ursachen des Syndroms sowie die deutlichen Geschlechtsunterschiede sind bislang noch ungeklärt. „Man geht davon aus, dass es durch einen Trigger zu einem ausgeprägten Katecholaminexzess kommt. Das bedeutet, dass die körpereigenen Stresshormone stark ausgeschüttet werden und diese dann durch einen bislang unbekannten Mechanismus dazu führen, dass sich das Herz in eine bestimmte Herz­schwäche begibt“, sagt Ong. Der Kardiologe vermutet, dass das Broken-Heart-Syndrom eigentlich ein sogenannter Mehrgefäß-Spasmus ist, der durch einen Trigger ausgelöst wird: „Das heißt, dass die körper­eigenen Stresshormone auf Gefäße treffen, die in der Lage sind, sich zu verkrampfen, weil sie beispielsweise bei Frauen aufgrund der Wechseljahre jetzt weniger Östrogen haben“, sagt er. Auch andere Faktoren könnten bei der Verkrampfung eine Rolle spielen. Zu dieser Hypothese gebe es Forschungsarbeiten – bestätigen ließen sie sich jedoch noch nicht.

Weiterlesen nach der Anzeige

Weiterlesen nach der Anzeige

Der Neurologe Scheitz erforscht zudem, wie neurologische Erkrankungen und das Broken-Heart-Syndrom zusammenhängen. Schließlich gehen in 7 Prozent der Fälle Erkrankungen wie Schlaganfälle, Hirnblutungen und epileptische Anfälle voraus. Für eine im vergangenen Dezember erschienene Studie analysierte er und sein Forscherteam die Daten von über 2400 Patientinnen und Patienten aus dem internationalen Takotsubo-Register. „Unsere Studie zeigt: Patienten, bei denen das Broken-Heart-Syndrom nach einer akuten neuro­logischen Erkrankung auftritt, sind tendenziell etwas jünger – und auch der Anteil an Männern ist in diesen Fällen höher.“ Trete das Broken-Heart-Syndrom zudem nach einer akuten Hirnerkrankung auf, schienen die Funktionsstörungen des Herzens etwas stärker zu sein.

„Die Takotsubo-Kardiomyopathie ist keine Erkrankung, die vom Herzen ausgeht: Sie geht vom gesamten Organismus aus und möglicherweise tatsächlich sogar vom Gehirn.“

Melchior Seyfarth, Kardiologe

Broken-Heart-Syndrom: Herz ist Ort das Geschehens – aber nicht der Auslöser

Scheitz hält es für die zukünftige Forschung für sehr wichtig, dass Neurologinnen und Neurologen mit Kardiologinnen und Kardiologen zusammenarbeiten, um das Zusammenspiel zwischen Gehirn und Herz beim Takotsubo-Syndrom zu erforschen. „Das Gehirn und das Herz sind über das autonome Nervensystem mit­einander verbunden: Wenn man Stress oder Angst verspürt, werden bestimmte Hirnregionen aktiv. Diese aktivieren wiederum andere Areale, die eine körperliche Reaktion auslösen und etwa das Herz schneller schlagen lassen“, sagt er. Auch Seyfarth betont: „Die Takotsubo-Kardiomyopathie ist keine Erkrankung, die vom Herzen ausgeht: Sie geht vom gesamten Organismus aus und möglicherweise tatsächlich sogar vom Gehirn. Am Herzen spielt sich das Geschehen ab – Auslöser ist aber eben oft eine psychisch belastende Situation“, sagt er.

In der Studie der Lübecker Forschenden wurden auch mögliche genetische Ursachen untersucht. Tatsächlich fanden sie bei ihrer Analyse des Erbguts von Patientinnen und Patienten teils große genetische Auffälligkeiten im Vergleich zur gesunden Kontrollgruppe. Beispielsweise Gene, die mit Übergewicht, Krebs oder psychischen Störungen assoziiert werden. Göttinger Herzforschende der Universitätsmedizin Göttingen (UMG) haben 2017 weitere genetische Ursachen festgestellt: Sie stellten aus Stammzellen von Broken-Heart-Syndrom-Patien­tinnen und ‑Patienten Herzzellen her und fanden heraus, dass sie im Vergleich zum Normalwert eine um das Sechsfache gesteigerte Sensitivität auf bestimmte Stresshormone aufweisen, sogenannte Katecholamine.

Weiterlesen nach der Anzeige

Weiterlesen nach der Anzeige

„Es ist wichtig, dass wir mehr Bewusstsein für das Broken-Heart-Syndrom schaffen“

Außer der Erforschung der Ursachen ist den Experten auch die Aufklärung über das Syndrom ein besonderes Anliegen. „Es ist wichtig, dass wir mehr Bewusstsein für das Broken-Heart-Syndrom schaffen. Eine versäumte Überwachung und Behandlung kann schwere Folgen für Patientinnen und Patienten haben“, sagt Seyfarth. Laut Ong sollten Patientinnen und Patienten in den ersten drei Tagen in einer Klinik überwacht werden. Betroffene bekämen in der Regel dann ACE-Hemmer oder Betablocker, die typischerweise bei Herz­erkran­kungen verabreicht werden. Wichtig sei auch: „Man sollte immer auch den Auslöser mitbehandeln. Wenn sie emotionaler Art sind, muss man den Patienten die Angst und Stress nehmen, indem man ihnen Sauerstoff gibt“, sagt Ong.

Forschende der Monash University im australischen Melbourne haben im vergangenen Jahr womöglich auch ein Medikament entdeckt, das konkret beim Broken-Heart-Syndrom helfen soll. In Versuchen an Mäusen zeigte sich, dass die Substanz Suberanilohydroxamic-Säure (SAHA) den Herzzustand der Betroffenen deutlich verbesserte – und womöglich sogar eine vorbeugende Wirkung habe, wie die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in ihrer im Fachjournal „Signal Transduction and Targeted Therapy“ veröffentlichten Studie festhielten.

Wenn Menschen mit Broken-Heart-Syndrom zunächst mit Verdacht auf einen Herzinfarkt in eine Klinik kommen – was oft der Fall ist –, sollten Medizinerinnen und Mediziner laut Ong immer auch die Ereignisse vor den Beschwerden erfragen, wenn sich der Verdacht nicht bestätigt. Denn oft könne man allein durch den Hintergrund Hinweise darauf bekommen, dass es sich um das Takotsubo-Syndrom handeln könnte – gerade dann, wenn die Betroffenen großen seelischen Stress hatten. „Eine Patientin erzählte, dass sie ihre Auto­versicherung gekündigt hatte. Sie fuhr 50 Jahre lang unfallfrei, doch dann fuhr sie gegen eine Laterne und hatte sich so stark aufgeregt, dass es zum Broken-Heart-Syndrom kam“, sagt der Kardiologe.

source site