Vor 500 Jahren: Die Osmanen nehmen Rhodos ein, eine Ära geht zu Ende – Gesellschaft

Der Blick vom Hügel des Großmeister-Palastes über den alten Hafen der Stadt Rhodos und die Segelboote hinaus auf das sehr blaue Meer ist beeindruckend. Aber so ähnlich sieht es auch in mancher anderen der vielen Ferienstädte auf einer der vielen Ferieninseln Griechenlands aus. Links ein Stadtstrand mit Hotels, rechts ein halbrundes Hafenbecken mit einer langen Mole. Die Insel Rhodos ist mit 2,5 Millionen Besuchern jährlich hinter Kreta (rund drei Millionen) die zweitwichtigste griechische Ferieninsel (die Zahlen sind von 2019 vor der Pandemie). Andererseits aber hat Rhodos, so geschichtsschwanger Griechenland auch insgesamt ist, noch einmal eine ganz besondere Historie.

Man bekommt einen Eindruck davon, wenn man sich nicht so sehr mit Meer und Strand beschäftigt, sondern die monumentalen Mauern rund um die Altstadt, die Wehrtürme, Festungsgräben und Bastionen näher in Augenschein nimmt. Obwohl die kürzeste Entfernung zur Türkei gerade mal 18 Kilometer beträgt, ähnelt Rhodos spätmittelalterlichen Festungsstädten in Spanien oder Italien – auch wenn es seine Lage am Meer einzigartig macht. Die Stadt und die Insel waren von 1308 bis 1522 Zentrum eines christlichen Ritterordens, der zuvor zwei Jahrhunderte lang im Palästina der Kreuzfahrer eine wichtige Rolle gespielt hatte. Anfang des 12. Jahrhunderts wurde er als “Ritterlicher Orden des Heiligen Johannes vom Jerusalemer Hospital” gegründet. Bekannt ist er bis heute unter der Kurzbezeichnung Johanniter; im englischen Sprachraum wird er als Knights Hospitaller bezeichnet.

Die muslimische Stadt: Von 1523 bis 1908 blieb Rhodos osmanisch (Darstellung von 1841). Die Festungsmauern stammen aus der Zeit des Johanniter-Ordens.

(Foto: imago stock/IMAGO/Heritage Images)

Vor 500 Jahren, am 1. Januar 1523, mussten die letzten überlebenden Johanniter-Ritter, angeblich noch 180 an der Zahl, Rhodos nach langer Belagerung durch die osmanischen Türken und der unausweichlich gewordenen Kapitulation verlassen. Die Geschichte der Johanniter auf Rhodos ging vor einem halben Jahrtausend zu Ende; sie setzte sich dann allerdings auf Malta fort. In gewisser Weise dauert sie bis heute an, wenn auch sehr verändert: In Deutschland sind die Rettungswagen der Johanniter-Unfall-Hilfe oder die Seniorenheime der Malteser sehr späte Ausläufer der Geschichte der Ritter von Jerusalem, Rhodos und Malta.

1099: Das Blutbad von Jerusalem

Etliche Jahrzehnte bevor das von Muslimen und Juden bewohnte Jerusalem 1099 mit einem fürchterlichen Massaker von den Rittern und Soldaten des ersten Kreuzzugs erobert wurde, gab es in Jerusalem schon Hospitäler für weibliche und männliche Pilger, die auch als Herbergen fungierten. Der Historiker Jürgen Sarnofsky schreibt in seiner Geschichte der Johanniter, dass Gottfried von Bullion, der erste christliche “König” von Jerusalem, 1099 einem bereits bestehenden Hospital, das von Mönchen unterhalten wurde, Schenkungen machte.

Mutmaßlich nahm von diesem Krankenhaus aus der Weg der Johanniter seinen Anfang. Als Ordensgründer gilt der Bruder Gerard, der dem Jerusalemer Hospital vorstand und bis 1120 lebte. Aus den Reihen der Kreuzfahrer traten etliche der Bruderschaft bei; 1113 wurde der Orden vom Papst anerkannt. Zu den Grundregeln gehörten Leben im Sinne der christlichen Nächstenliebe, Krankenpflege, Keuschheit, Unterordnung. Der Ritterorden betrieb nicht nur das Hospital in Jerusalem, sondern früh auch Krankenpflegehäuser in Italien und Frankreich.

Binnen einiger Jahrzehnte veränderte der Orden seinen Charakter. Zwar blieb die Krankenfürsorge im Zentrum seiner Tätigkeit; hinzu kam aber der bewaffnete Schutz von Pilgern. Weil die Johanniter ähnlich wie ihre “Konkurrenz”, die Tempelritter, in den von den Kreuzfahrern besetzten Teilen Palästinas bald Burgen und Gutshöfe übertragen bekamen, wurde der militärische Anteil des Ordens deutlich größer. 1142 übernahmen die Johanniter die berühmte Burg Krak des Chevaliers, weil sich der Graf von Tripolis den Unterhalt dieser Festung nicht mehr leisten konnte. Die heute immer noch imposante Burg, im syrischen Grenzland zu Libanon gelegen, war mehr als 100 Jahre lang so etwas wie das steinerne Wahrzeichen der Johanniter; erst 1271 fiel sie an das Belagerungsheer des Sultans Baibars.

Die Johanniter waren ein streng hierarchisch gegliederter Orden mit einem gewählten Meister, später Großmeister genannt, an der Spitze. Neben den Geistlichen gab es die für den Kampf bestimmten Ritter-Brüder, die über ihren Rüstungen schwarze Kutten mit einem weißen Kreuz trugen. (Zum typischen Rot der Johanniter wechselte der Orden erst später.) Eine dritte Gruppe stellten vom frühen 13. Jahrhundert an die Sergeanten dar, die anders als die Ritter-Brüder nicht unbedingt von Adel sein mussten. Darüber hinaus beschäftigte der Orden Soldaten im Soldverhältnis, Arbeiter und Mägde. Meist kriegsgefangene Zwangsarbeiter, die eigentlich Sklaven waren, mussten ebenso für den Orden – wie auch für viele andere Feudalherren in dieser Zeit – schuften.

Bruderschaft und Privatarmee

Ein erheblicher Teil der Finanzen der Johanniter kam aus den landwirtschaftlichen Erträgen ihrer Besitzungen in Europa, die dem Orden überschrieben worden waren, die er geerbt oder gekauft hatte. Schwerpunkte des Besitzes lagen in Frankreich und England; aber auch in Portugal, Italien oder im Norden, etwa in Brandenburg, hatten die Johanniter Besitzungen, Hospitäler, Burgen und Güter. Es gab eine regionale Gliederung in Priorate und andere Strukturen, die gegenüber der “Zentrale” in Palästina, später gegenüber dem Konvent in Rhodos, abgabenpflichtig waren. Als der französische König Philipp IV. mit Unterstützung des Papstes zwischen 1307 und 1314 aus Habgier und Machtstreben den Templerorden zerschlug, fielen den Johannitern große Teile des Besitzes der Templer zu. Allerdings mussten sie dafür enorme Zahlungen an den französischen König leisten. Die Johanniter jedenfalls waren im späten Mittelalter gleichzeitig klerikale Bruderschaft, karitativer Orden, Privatarmee und Wirtschaftsunternehmen.

Michael Losse weist in seinem Buch “Die Kreuzritter von Rhodos” auf eine Schrift von Bernhard von Clairvaux hin, in dem der einflussreiche Kleriker von einem “neuen Kriegerstand” im Heiligen Land nahezu schwärmt. Zwar befasst sich Bernhard in dem wohl 1128 entstandenen Schreiben mit den Templern; es ist aber durchaus auf die Johanniter zu übertragen. Templer und Johanniter jedenfalls bildeten in den 200 Jahren der Kreuzfahrer-Präsenz im Nahen Osten so etwas wie das militärische Rückgrat der christlichen Eindringlinge – auch weil es für Europas Adel und Ritter nicht übermäßig attraktiv war, nach Palästina zu reisen, um dort in einem relativ kleinen, vom muslimischen “Feind” umgebenen Gebiet ein anstrengendes, gefährliches Leben zu führen.

Der Niedergang der Kreuzfahrer in Palästina war absehbar, als Saladin, Sultan von Ägypten und Syrien, im Juli 1187 bei Hattin in der Nähe des Sees Genezareth ein Kreuzfahrerheer vernichtend schlug. Unter den Toten waren viele Johanniter und Templer; Ordensritter, die in Gefangenschaft gerieten, wurden geköpft. Sie galten den muslimischen Siegern als unversöhnliche Feinde, die mit Gefangenen oft nicht anders verfuhren als die Sieger dann mit ihnen. Im Oktober desselben Jahres nahmen Saladins Truppen auch noch Jerusalem ein. Mit einer kleinen Atempause in der Folge des dritten Kreuzzugs 1189/1192 schrumpften die von den Christen beherrschten Gebiete immer mehr. 1291 schließlich eroberten die ägyptischen Mameluken die Hafenfestung Akkon als letzte Bastion der “Franken” in Palästina. Templer und Johanniter hielten die Stadt bis zuletzt; nicht mehr als ein paar Dutzend Johanniter entkamen mit ihrem schwer verwundeten Großmeister Jean de Villiers über das Meer nach Zypern.

Die neuen Herrscher auf Rhodos

Von Zypern aus, damals ein “fränkisches” Königreich, richtete der Orden den Blick auf die Inselgruppe des Dodekanes mit seiner Hauptinsel Rhodos. Der Dodekanes gehörte zum byzantinischen Reich, war aber de facto in den Händen diverser Grundherren. Auf Rhodos hatte der aus Genua stammende Vignolo de Vignoli Grundbesitz, mit dem der Großmeister Foulques de Villaret 1306 eine Art “Eroberungsvertrag” schloss. De Vignoli sollte ein Drittel der Insel erhalten, der Orden zwei Drittel und weiteren Besitz auf anderen Inseln, wie Elias Kollias in “Die Ritter von Rhodos” beschreibt. So geschah es: Die auf Zypern wieder erstarkten Johanniter nahmen bis 1309 Rhodos ein und bemächtigten sich auch anderer Inseln des Dodekanes wie Kos, Leros oder Kalymnos.

Die Ägäis war zu dieser Zeit ein hoch umstrittenes Meer. Da gab es das stark geschwächte byzantinische Reich, das von den Türken bedrängt wurde. 1453, als die Johanniter sich auf Rhodos längst etabliert hatten, eroberten die Osmanen unter Sultan Mehmet II. Konstantinopel und wurden endgültig die Vormacht in der Region. Mächtige italienische Seestädte wie Genua und vor allem Venedig schickten Kriegs- und Handelsschiffe ins östliche Mittelmeer und unterhielten Stützpunkte. Auch die ägyptischen Mameluken waren, bevor sie 1517 von den Osmanen vernichtend geschlagen wurden, wichtige Mitspieler in der Auseinandersetzung um das östliche Mittelmeer.

Die Johanniter wandelten sich auf Rhodos wieder einmal: Sie ließen in Genua, Venedig und anderswo Galeeren bauen und wurden mit diesen Schiffen eine der regionalen Seemächte. In der stetigen Kriegsführung zur See wurde nicht sehr trennscharf zwischen Schutz “christlicher” Schiffe, Verteidigung der “eigenen” Inseln und Piraterie unterschieden.

Das Bild einer Stadt, wie sie 1485 aussah

Die Stadt Rhodos, aber auch andere Orte auf der Insel wie Lindos oder Kritinia wurden vom Orden befestigt und mit Wohn-, Funktions- sowie Repräsentationsbauten versehen. Das beste Zeugnis aus jener Zeit, in der der Ritterorden nahezu wie ein souveräner Staat agierte, ist bis heute die Stadt Rhodos selbst, die mit der sogenannten Ritter-Straße, den beiden Hospitälern, den Stadtmauern und Türmen einen sehr guten Eindruck davon gibt, wie Rhodos nach 1485 ausgesehen haben mag. Die Ritter-Straße ist bemerkenswert, weil in ihr noch einige der Herbergen genannten “Hauptquartiere” jener ethnischen Gemeinschaften erhalten sind, aus denen sich der Orden zusammensetzte. Diese landsmannschaftlichen Gruppierungen wurden “Zungen” genannt, sieben von ihnen bestanden offiziell seit 1301. Zu ihnen zählten zum Beispiel die Provence, Aragon und Italien; eine nicht sehr kopfstarke deutsche “Zunge” kam 1428 dazu.

Den Zungen waren Verteidigungsabschnitte der Stadtbefestigung von Rhodos zugewiesen. Im 15. Jahrhundert widerstand Rhodos zwei Belagerungen, eine 1444 durch die Mameluken sowie eine weitere 1480 durch die osmanischen Türken, bei der erhebliche Schäden entstanden, die durch ein Erdbeben im Jahr 1481 nur noch vergrößert wurden. Danach kam es zu einer substanziellen Verstärkung der Verteidigungsanlagen.

Das auf den ersten Blick vielleicht spektakulärste Gebäude im heutigen Rhodos, der Großmeister-Palast, hat allerdings relativ wenig mit der Johanniter-Zeit zu tun. Zwar residierten bis 1522 die Großmeister an diesem Ort; der Palast aber ist ein weitgehender Neubau aus jener Zeit, in der Italien nach dem italienisch-türkischen Krieg von 1911/12 nicht nur Libyen, sondern auch den Dodekanes besetzte. Auf Rhodos amtierte ein italienischer Gouverneur, und der ließ von 1937 an auf den Trümmern des im Laufe der Jahrhunderte ruinierten Palasts ein stattliches Gebäude errichten. Eine Restaurierung war es nicht; Elias Kollias meint, die “wissenschaftliche Genauigkeit” sei “dem Größenwahn des faschistischen Gouverneurs de Vecchi geopfert” worden. Trotzdem bleibe das Ergebnis eindrucksvoll.

Die große Belagerung beginnt

Die Italiener verbauten wunderbare antike Mosaiken sowie Spolien aus hellenistischer und römischer Zeit. Das Ganze ist heute ein Museum und gibt einen Eindruck davon, wie man sich im faschistischen Italien das Fortwirken römischer Größe und abendländischer Kultur in die damalige Gegenwart vorstellte.

Historie: Belagerung von Rhodos 1522/23: Die Festung hielt sich monatelang gegen die osmanische Übermacht (spätere Darstellung).

Belagerung von Rhodos 1522/23: Die Festung hielt sich monatelang gegen die osmanische Übermacht (spätere Darstellung).

(Foto: imago stock/IMAGO/piemags)

Im beginnenden 16. Jahrhundert geriet der Johanniter-Orden mehr und mehr in Bedrängnis, weil die Osmanen immer mächtiger wurden. Der Orden verlor Stützpunkte, seine Burg St. Peter auf dem kleinasiatischen Festland, die das heutige Bodrum überragt, konnten die Johanniter nur mit Mühe halten. Am 26. Juni 1522 war es dann so weit: Hunderte von Schiffen unter dem offiziellen Oberkommando des seit 1520 regierenden Sultans Süleyman I. setzten Zehntausende osmanische Soldaten rund um die Stadt Rhodos an Land. Die große Belagerung hatte begonnen.

Sie zog sich über Monate hin, obwohl die Johanniter so gut wie nicht von außen unterstützt wurden. Nach Sarnowsky zählten die Verteidiger nicht mehr als 600 Ritter sowie an die 1000 Seeleute und Söldner aus Genua und Kreta. Welche Aufgaben die griechische Stadtbevölkerung während der Belagerung erfüllte, ist schwer zu sagen. Die Türken galten seinerzeit als Meister beim Einsatz von Belagerungsartillerie; auch der Fall von Konstantinopel hatte dies gezeigt. Die Johanniter wiesen ein ums andere Mal Sturmangriffe ab, gleichzeitig trieben die Angreifer Stollen gegen Mauern und Türme vor, um diese zu unterminieren und vielleicht zum Einsturz zu bringen.

Historie: Handelte mit dem Sultan freien Abzug aus: Johanniter-Großmeister Philippe Villiers de L'Isle-Adam (1464 - 1534).

Handelte mit dem Sultan freien Abzug aus: Johanniter-Großmeister Philippe Villiers de L’Isle-Adam (1464 – 1534).

(Foto: imago stock/imago stock&people)

Als den Verteidigern im Dezember 1522 das Schießpulver auszugehen drohte, führte Großmeister Philippe de Villiers de l’Isle-Adam mit Sultan Süleyman Kapitulationsverhandlungen. Am 22. Dezember kapitulierten die Johanniter dann; am 1. Januar 1523, so der Vertrag, verließen die überlebenden Ritter und Soldaten sowie ein paar Tausend Stadtbewohner auf rund 50 Schiffen den Hafen in Richtung Kreta. Dies war bemerkenswert, weil es damals nicht unüblich war, eine eroberte Stadt zu plündern und viele der Verteidiger zu töten oder zu versklaven.

Der heimatlose Ritterorden

Einige Jahre lang blieb der Orden nach dem Verlust von Rhodos gleichsam heimatlos. 1530 sprach Kaiser Karl V. den Johannitern die Inseln Malta und Gozo zu, wo sie wiederum gegenüber den Einwohnern als fremde Herren auftraten. Aus den Johannitern wurden so die Malteser, die sich, wie schon auf Rhodos, auf Seekriegsführung und Piraterie gegenüber den nordafrikanischen Städten und den Osmanen verlegten, die es mit gleicher Münze heimzahlten. 43 Jahre nach der Belagerung von Rhodos wurden die Johanniter auf Malta erneut von den Osmanen unter Sultan Süleyman belagert, der immer noch regierte. Im Mai 1565 begann der Kampf, im September mussten die Türken geschlagen abziehen, für die Machtverhältnisse im Mittelmeer eine bedeutende Niederlage.

Bis 1798 verblieb der Orden auf Malta, verlor aber immer mehr an Einfluss. Am 12. Juni 1798 schließlich nahm Napoleon auf dem Weg nach Ägypten Malta sozusagen im Vorübergehen ein. Der Orden musste nach Italien umziehen; bis heute sitzt der dem Papst unterstellte Souveräne Malteserorden in Rom.

Übrigens: Der in Deutschland karitativ tätige Johanniter-Orden geht auf eine Abspaltung im deutschen Priorat, genauer in der Ballei Brandenburg, zurück (eine Ballei war ein Amtsbezirk in der Ordensstruktur). 1538 trat der damalige Kurfürst von Brandenburg zum Protestantismus über; der brandenburgische Zweig der Johanniter wurde ebenfalls protestantisch. Die weitere Geschichte dieses Zweiges ist etwas verschlungen. Aber immerhin arbeiten die evangelischen Johanniter mit den katholischen Maltesern heute gut zusammen. Von Osmanen wird keiner der beiden Zweige mehr belagert.

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