Ukraine-Krieg: Pentagon prüft Raketenangriffe auf Kiew

Die USA untersuchen derzeit die jüngsten Raketenangriffe auf Kiew. „Wir versuchen zu analysieren und herauszufinden, was hier passiert ist, was getroffen wurde und mit welcher Art von Munition“, sagt Pentagon-Sprecher John Kirby gegenüber dem US-Sender CNN. Ukrainische Behörden hatten zuvor erklärt, dass das russische Militär den Angriff verübt hat.

Der ukrainische Präsidentenberater Olexyj Arestowytsch kritisierte die russischen Raketenangriffe auf Kiew während des Besuchs von UN-Generalsekretär António Guterres als „dümmste Variante überhaupt“. „Wie sollen der UN-Chef oder die Vereinten Nationen darauf überhaupt reagieren“, sagte der Berater von Präsident Wolodymyr Selenskyj am Donnerstagabend. „Sie (die Russen) haben ihm einfach in den Rücken gespuckt, so saftig, mit Blut.“

Zehn Menschen wurden verletzt, darunter ein Mann, der ein Bein verlor, wie Mitarbeiter von Rettungsdiensten mitteilten. Der Beschuss erfolgte eine Stunde nach einer Pressekonferenz von Guterres und Selenskyj. Der UN-Generalsekretär sagte darin, die Ukraine sei ein „Epizentrum unerträglichen Kummers und Schmerzes“ geworden. Guterres und sein Team seien in Sicherheit, teilten die UN mit.

Wolodymyr Selenskyj mit Antonio Guterres bei ihrem Treffen in Kiew

Quelle: dpa/Uncredited

Russland habe Guterres mit diesem Angriff „in den Rücken geschossen“, sagte Arestowytsch nach Angaben der Agentur Unian weiter. „Für einen Marschflugkörper ist die Entfernung zwischen Aufschlagsort und Aufenthaltsort von Guterres etwa so viel wie zwei Millimeter für eine Pistole. Der Schuss ging also an seiner Schläfe vorbei.“ Dessen ungeachtet werde Russland sicherlich weiterhin Mitglied des Weltsicherheitsrates der UN bleiben.

Der Kiewer Bürgermeister Vitali Klitschko sagte am Donnerstagabend, der Stadtteil Schewtschenkiwskyj im Nordwesten der Hauptstadt sei getroffen worden. Der Angriff war einer der heftigsten seit dem Rückzug russischer Truppen Anfang April. Mittlerweile kehren verstärkt Einwohner nach Kiew zurück. Cafés und Geschäfte hatten wieder geöffnet und die Menschen genossen im Freien das Frühlingswetter.

Nach einer Explosion in Kiew sind Rettungskräfte im Einsatz

Nach einer Explosion in Kiew sind Rettungskräfte im Einsatz

Quelle: dpa/Emilio Morenatti

„Ich war geschockt, davon zu hören, dass in der Stadt, in der ich mich aufhalte, zwei Raketen explodiert sind“, sagte Guterres später dem britischen Sender BBC.

Bei dem Einschlag von zwei Raketen in Kiew am Donnerstagabend wurden nach ersten Angaben der Rettungsdienste zehn Menschen verletzt oder getötet. Genauere Angaben wurden dazu nicht gemacht. Insgesamt hatten die russischen Militärs fünf Raketen auf Kiew abgefeuert.

Die russische Militärführung hatte in dieser Woche damit gedroht, die ukrainische Hauptstadt anzugreifen, auch wenn sich dort ausländische Politiker zu Besuch aufhielten.

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Kiew und Sofia vereinbaren Zusammenarbeit 

Derweil haben die Ukraine und Bulgarien eine enge Zusammenarbeit im militärischen und auch wirtschaftlichen Bereich vereinbart. Das teilte Selenskyj am Donnerstagabend nach einem Treffen mit dem bulgarischen Regierungschef Kiril Petkow mit. Unter anderem solle beschädigte ukrainische Militärausrüstung in Bulgarien repariert werden.

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Quelle: Infografik WELT

„Ein weiteres Thema, auf das wir uns geeinigt haben, ist die Lieferung von ukrainischem Strom nach Bulgarien und die Nutzung der Transbalkan-Gaspipeline zusammen mit der bulgarischen Seite“, sagte Selenskyj. Russland hatte erst am Vortag wegen angeblicher Nichtbezahlung die Lieferung von Erdgas an Bulgarien eingestellt.

Daneben vereinbarten Selenskyj und Petkow die Nutzung des bulgarischen Schwarzmeerhafens Warna für den Export landwirtschaftlicher Produkte aus der Ukraine. Da Russland alle ukrainischen Häfen entweder kontrolliert oder blockiert, ist Kiew gezwungen, alternative Wege zu suchen.

Der Reise Petkows nach Kiew war ein heftiger Streit in Sofia vorausgegangen. Der als Moskau-freundlich geltende Staatschef Rumen Radew hatte sich dem Besuch widersetzt, auch die mitregierenden Sozialisten lehnten eine Beteiligung an der Delegation ab.

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Cherson: Russifizierung wird nicht klappen

Die russischen Pläne zur Festigung der Kontrolle über die besetzte Region Cherson im Süden der Ukraine sind nach Meinung der ukrainischen Führung zum Scheitern verurteilt. Der Sekretär des ukrainischen Sicherheitsrates, Olexij Danilow, bezeichnete das von russischer Seite geplante Referendum in Cherson als „juristisch und international bedeutungslos“. Die Volksabstimmung, mit der die russischen Besatzer eine „Volksrepublik Cherson“ ausrufen lassen wollten, sei ein „Klassiker“, mit der Russland seine Aktionen legalisieren wolle.

Auch die Einführung des russischen Rubels als Zahlungsmittel in den besetzten Gebieten sei „klassische russische Praxis“, sagte Danilow nach Angaben der Agentur Unian in der Nacht zum Freitag. Auch diese Bemühungen der russischen Seite würden nicht zum Erfolg führen. „Sie werden zwar einige Zeit versuchen, eine Währung oder Pseudo-Währung für diese Gebiete einzuführen“, sagte Danilow. Doch angesichts des zu erwartenden Widerstands der Bürger werde diese „sehr kurzlebig“ sein.

Von Anfang an, als die russischen Truppen Cherson in der Südukraine im März besetzten, hatten Einwohner das Gefühl, dass die Invasoren mit ihrer Stadt etwas Besonderes vorhaben. Sie könnten sehr wohl damit richtig liegen. Es häufen sich Warnungen der ukrainischen Führung und anderer Stellen, dass Russland ein Scheinreferendum über die Umwandlung des Territoriums in eine prorussische „Volksrepublik Cherson“ plant.

„Die Dörfer sind fast ausgestorben, dauernd Artilleriebeschuss“

Die russischen Truppen greifen weiter den Osten der Ukraine an. Nach Angaben des russischen Militärs steht das Gebiet Cherson mittlerweile unter ihrer Kontrolle. WELT-Reporter Ibrahim Naber berichtet aus dem ukrainischen Dnipro – über eine Nacht mit wenig Schlaf.

Als russische Streitkräfte Anfang April aus besetzten Gebieten um die Hauptstadt Kiew abzogen, ließen sie Horrorszenen und traumatisierte Gemeinden zurück. Aber in Cherson, einer großen Stadt mit einer beachtlichen Schiffsbau-Industrie an der Mündung des Dnjepr ins Schwarze Meer, haben die Invasoren einen anderen Kurs eingeschlagen. „Die Soldaten patrouillieren und gehen langsam herum. Sie erschießen keine Leute auf den Straßen“, sagte Olga, eine örtliche Lehrerin, in einem Telefoninterview im März, nachdem die Region von den Russen abgeriegelt worden war. Aus Furcht vor Vergeltung wollte sie nur ihren Vornamen nennen.

Aber sind der Stadt auch bislang Gräueltaten wie etwa in Butscha und Mariupol erspart geblieben, ist das alltägliche Leben alles andere als normal. Jeglicher Zugang zu Cherson ist blockiert, und die Stadt leidet unter einem Mangel an Medikamenten, vielen Nahrungsmitteln und Bargeld. Ukrainische Stellen warnen, dass eine Katastrophe bevorstehen könnte. Das ukrainische Fernsehen kann nicht mehr empfangen werden und ist durch staatliche russische Sender ersetzt worden. Auch wurden strikte Ausgangsbeschränkungen verfügt.

Selenskyj: Russland orchestriert Referdndum

Die Einwohner glauben, dass die Russen die Stadt bislang nicht belagert oder auf brutalste Weise terrorisiert haben, weil sie eine Bürgerabstimmung über die Schaffung einer „Volksrepublik“ ähnlich den prorussischen abtrünnigen Gebieten in der Ostukraine planen. Sie sei bis Anfang Mai vorgesehen, und die Stimmzettel dafür würden schon gedruckt, sagt die ukrainische Ombudsfrau für Menschenrechte, Ljudmilla Denisowa.

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Quelle: Infografik WELT/Jörn Baumgarten

Auch der ukrainische Präsident Selenskyj beschuldigt Russland, ein Referendum zu orchestrieren, und rief die Bürger in Cherson auf, ihre persönlichen Daten vor Versuchen zu schützen, Stimmen zu fälschen. „Das ist die Realität. Seid vorsichtig“, warnte er direkt an die Einwohner gerichtet. Chersons Bürgermeister Igor Kolychaiew sagte in einem im ukrainischen Fernsehen ausgestrahlten Zoom-Interview, dass ein solches Votum illegal wäre, da die Stadt weiter offiziell ein Teil der Ukraine bleibe.

Aber es gibt Gründe zur Besorgnis. Ein Referendum auf der Halbinsel Krim 2014 vor dem Hintergrund ihrer Annexion wird verbreitet als gefälscht betrachtet: Laut dem Ergebnis haben sich fast 97 Prozent der Wähler für einen Anschluss an Russland ausgesprochen.

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Eine Reihe anderer russischer Maßnahmen hat zu einem wachsenden Gefühl der Panik in Cherson beigetragen. So berichtete Kolychaiew am Montag, dass Russen das Rathaus in Besitz genommen hätten, und am Dienstag ersetzten sie den Bürgermeister durch einen eigenen Beauftragten.

Zuvor hatte ein prominenter russischer Kommandeur, Generalmajor Rustam Minnekajew, von Plänen gesprochen, die „völlige Kontrolle“ über die südliche Ukraine und die Region Donbass – das überwiegend russischsprachige industrielle Kernland in der Ostukraine – zu übernehmen, mit dem Ziel, einen Landkorridor zur Krim zu schaffen. Cherson ist eine strategisch wichtige Stadt und die Tür zu einer breiteren Kontrolle des Südens. Von hier aus könnten die Russen eine stärkere Offensive gegen andere südliche Städte wie Odessa starten.

Ist das Vorgehen der Invasoren in Cherson bislang vergleichsweise milde, kann davon in der umgebenden Region keine Rede sein. Es gibt täglich Berichte über Entführungen, Folter, Tötungen und Vergewaltigungen. Tausende Menschen sind von Strom, Wasser und Gas abgeschnitten. Die Lage im Gebiet um Cherson „ist viel schlimmer und viel tragischer“, sagt Oleh Baturin, ein örtlicher Journalist. „Es ist leichter für sie, die Kontrolle über Dörfer zu übernehmen, sie (die Einwohner) sind wehrlos.“

Russische Soldaten haben Kolychaiew zufolge auch Aktivisten, Journalisten und Kriegsveteranen entführt. Er spricht von etwa 200 Betroffenen, darunter Baturin, der aus seinem Haus in Kachowka – 90 Kilometer östlich von Cherson – verschleppt, eine Woche lang in Isolation gehalten und jeden Tag verhört wurde. Aus anderen Zellen konnte er die Geräusche von Foltet hören. Nach seiner Freilassung flüchtete er mit seiner Familie aus dem besetzten Gebiet.

Einwohner von Cherson Anfang März

Einwohner von Cherson Anfang März

Quelle: AP/Olexandr Chornyi

Während der ersten Wochen nach dem Einmarsch der Russen versammelten sich täglich Tausende Menschen auf dem Hauptplatz in Cherson, gehüllt in ukrainische Flaggen und mit Plakaten, auf denen es hieß: „Dies ist die Ukraine“. Die Demonstrationen werden jetzt wöchentlich abgehalten. Am vergangenen Mittwoch setzten russische Soldaten Tränengas und Blendgranaten gegen Protestierende ein. 

Wie Kolychaiew schildert, haben die Warnungen über ein Referendum und die anderen jüngsten russischen Schritte eine zunehmende Zahl von Einwohnern veranlasst, die Stadt zu verlassen. „Die Schlangen von Menschen … sind auf fünf Kilometer gewachsen“, sagt der Bürgermeister. Insgesamt seien bislang ungefähr ein Drittel der 284 000 Einwohner geflüchtet.

Einwohner von Cherson Anfangh März bei einer Demonstration

Einwohner von Cherson Anfangh März bei einer Demonstration

Quelle: AP/Olexandr Chornyi

Kolychaiew denkt nicht an einen solchen Schritt. Auf Facebook schrieb er am Dienstag, dass er sich geweigert habe, mit der neuen, von den Russen eingesetzten Stadtverwaltung zusammenzuarbeiten. „Ich bleibe in Cherson, mit der Bevölkerung von Cherson“, fügte er hinzu. „Ich bin an Eurer Seite.“

Mariupol: Russische Angriffe treffen Lazarett

Währenddessen geriet bei einem russischen Angriff auf die im Stahlwerk Azovstal verschanzten letzten Verteidiger Mariupols am Donnerstagabend das dort eingerichtete Feldlazarett unter schweren Beschuss. Nach einem Bericht der „Ukrajinska Prawda“ kam dabei mindestens ein Soldat ums Leben, rund 100 Patienten erlitten weitere Verletzungen.

Nach Darstellung der Verteidiger sei das Lazarett, in dem sich rund 500 Verwundete und Ärzte aufhielten, gezielt angegriffen worden. Die Angaben konnten nicht unabhängig überprüft werden.

Menschen verlassen ihre Heimatstadt Mariupol

Menschen verlassen ihre Heimatstadt Mariupol

Quelle: REUTERS

Ein Mann bringt brauchbare Möbel aus einem zerstörten Haus in Mariupol

Ein Mann bringt brauchbare Möbel aus einem zerstörten Haus in Mariupol

Quelle: REUTERS

Eine Einwohnerin von Mariupol mit einem Hund

Eine Einwohnerin von Mariupol mit einem Hund

Quelle: REUTERS

Im Werk Azovstal haben sich die letzten Verteidiger der Hafenstadt Mariupol sowie zahlreiche Zivilisten verschanzt. Trotz wiederholter Aufforderung von russischer Seite lehnen sie eine Kapitulation ab. Zuletzt hatte sich UN-Generalsekretär António Guterres in Moskau und Kiew dafür eingesetzt, für die Zivilisten einen humanitären Korridor zu öffnen.

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