Ukraine-Krieg: Aktuelle Lage an der Front – Schwere Explosionen in Kiew – Cherson durch russische Armee eingenommen

In der Ukraine hat es in der Nacht zum Donnerstag russische Luftangriffe auf mehrere Städte gegeben. Besonders die Hauptstadt Kiew soll schwer betroffen sein. Behörden sprachen von Toten und Verletzten. Cherson wurde eingenommen, die strategisch wichtige Hafenstadt Mariupol ist umkämpft. Nach Zahlen der Vereinten Nationen sind inzwischen mehr als eine Million Menschen auf der Flucht.

Zum zweiten Mal seit Kriegsbeginn wollen Unterhändler Russlands und der Ukraine zu offiziellen Gesprächen über eine Waffenruhe zusammenkommen. Der Leiter der russischen Delegation, Wladimir Medinski, sagte nach einer Meldung der Agentur Interfax, die Ukrainer befänden sich auf der Anreise. Als Ort der Gespräche hätten sich beide Seiten auf die Region Brest im Westen von Belarus geeinigt. Das Wichtigste im Überblick.

In der ukrainischen Hauptstadt Kiew ist es in der Nacht zu Donnerstag zu mehreren schweren Explosionen gekommen. Der Agentur Unian zufolge wurde Luftalarm ausgelöst. Die Bewohner seien aufgerufen worden, sofort Schutz zu suchen, hieß es.

Auf Videos, die in sozialen Netzwerken geteilt wurden, waren mächtige Detonationen zu sehen. Zunächst war unklar, ob es sich etwa um einen Luftangriff handelt und was die Ziele gewesen sein könnten.

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Bereits zuvor war beim Einschlag eines Geschosses südlich des Hauptbahnhofs von Kiew mindestens ein Mensch verletzt worden. Ein Mann sei mit einer Schrapnellwunde am Bein ins Krankenhaus gebracht worden, teilten die örtlichen Behörden mit.

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Ukrainische Medien berichteten zudem über Kämpfe in Vororten der Millionenstadt. Dabei soll ein russisches Flugzeug abgeschossen worden sein. Die Angaben sind nicht unabhängig zu prüfen.

Der Kiewer Bürgermeister Vitali Klitschko schrieb im Nachrichtenkanal Telegram: „Der Feind versucht, in die Hauptstadt durchzubrechen.“

Ukrainische Behörden bestätigen Einnahme von Cherson durch Russen

Die ukrainischen Behörden bestätigten in der Nacht zum Donnerstag die Einnahme der Hafenstadt Cherson im Süden der Ukraine durch die russische Armee. Regionalverwaltungschef Gennady Lakhuta schrieb auf Telegram, russische „Besatzer“ seien in allen Stadtteilen und „sehr gefährlich“.

Cherson ist die erste Großstadt, die Russland seit dem Einmarsch in die Ukraine vor einer Woche erobert hat. Die russische Armee hatte die Einnahme von Cherson bereits am Mittwochmorgen gemeldet.

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Quelle: Infografik WELT

Chersons Bürgermeister Igor Kolychajew schrieb in einer offensichtlichen Anspielung auf russische Soldaten auf Facebook, er habe ein Gespräch mit „bewaffneten Gästen“ geführt. Dabei habe er „gezeigt, dass wir nicht aggressiv sind, an der Sicherung der Stadt arbeiten und versuchen, mit den Folgen der Invasion fertigzuwerden“. Er habe den Russen „keine Versprechungen gemacht“ und sie „aufgefordert, nicht auf Menschen zu schießen“.

Kolychajew rief eine Ausgangssperre aus und verhängte Beschränkungen über den Fahrzeugverkehr. „Bis jetzt läuft alles gut. Die Flagge, die über uns weht, ist die ukrainische. Und damit das so bleibt, müssen diese Forderungen respektiert werden“, schrieb er.

Russische Militärtrucks in Cherson

Russische Militärtrucks in Cherson

Quelle: via REUTERS

Der Bürgermeister der 290.000-Einwohner-Stadt berichtete von „enormen Schwierigkeiten, die Toten zu bergen und zu begraben“ sowie bei der Versorgung mit Essen und Medikamenten.

Cherson liegt unweit der 2014 von Russland annektierten Krim-Halbinsel. Auch die Hafenstadt Berdjansk wurde bereits von russischen Truppen erobert.

Mariupol weiter unter starkem Beschuss

Die südukrainische Hafenstadt Mariupol ist nach Angaben von Bürgermeister Wadym Bojtschenko nach Luftangriffen ohne Wasser, Heizung und Strom. „Heute war der härteste aller sieben Kriegstage“, sagte Bojtschenko der Agentur Unian zufolge am Mittwoch. Die Energieversorgung der Stadt mit rund 440.000 Einwohnern sei beschädigt worden. „Morgen werden unsere Stadtwerke darangehen, die kritische Infrastruktur wiederherzustellen“, sagte er.

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Ein Krankenhaus in Mariupol

Quelle: AP/Evgeniy Maloletka

Bojtschenko dankte dem ukrainischen Militär sowie den Stadtwerken und Ärzten. „Wir haben niemanden angegriffen. Wir sind hier zu Hause.“ Den Behörden zufolge sind in Mariupol bei Luftangriffen mittlerweile mehr als 130 Menschen verletzt worden.

Mariupol liegt nahe der sogenannten Kontaktlinie zwischen prorussischen Separatisten und ukrainischer Armee im Verwaltungsbezirk Donezk. Die Stadt hat strategisch große Bedeutung.

Kiew fordert Feuerpause in Charkiw und Sumy

In der ostukrainischen Stadt Isjum bei Charkiw wurden nach Angaben örtlicher Behörden bei einem Luftangriff acht Menschen getötet, darunter zwei Kinder. Medien zufolge war bei der Attacke in der Nacht zu Donnerstag ein mehrstöckiges Wohnhaus getroffen worden.

In der Großstadt Charkiw schlugen demnach zwei Raketen in ein Verwaltungsgebäude ein. Dabei soll auch die Mariä-Himmelfahrt-Kathedrale nicht näher beschriebene Schäden erlitten haben. Über Verletzte war zunächst nichts bekannt.

Ein vom ukrainischen Katastrophenschutz veröffentlichte Foto zeigt einen Brand in einem Fakultätsgebäude der Universität Charkiw

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Kiew rief Moskau zu einer Feuerpause in Charkiw und Sumy auf, um Zivilisten in Sicherheit bringen zu können. Die russische Seite werde gebeten, „ihre Feindseligkeiten in Charkiw und Sumy unverzüglich einzustellen, damit wir die Evakuierung der Zivilbevölkerung, einschließlich ausländischer Studenten, in sicherere ukrainische Städte arrangieren können“, heißt es in einer Mitteilung des ukrainischen Außenministeriums vom Mittwochabend.

Es hielten sich dort weiter Studenten aus Indien, Pakistan, China und anderen Ländern auf, die wegen russischer Raketenangriffe auf Wohngebiete bislang nicht hätten fliehen können, hieß es weiter. Russland dementiert vehement, Zivilisten zu attackieren.

Ukrainische Rettungskräfte vor dem beschädigten Rathausgebäude in Charkiw

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Quelle: dpa

Ein Foto des ukrainischen Katastrophenschutz, das die Suche nach Überlebenden in einem zerstörten Haus in Schytomyr zeigt

Ein Foto des ukrainischen Katastrophenschutz, das die Suche nach Überlebenden in einem zerstörten Haus in Schytomyr zeigt

Quelle: dpa/Emergency Service Of Ukraine

In Korosten nördlich der Stadt Schytomyr starben nach Angaben der Verwaltung zwei Menschen bei einem Luftangriff auf einen großen Kontrollpunkt. Fünf Menschen wurden verletzt.

US-Regierung und Bundeswehr-General befürchten mehr zivile Opfer

Die russische Armee nimmt nach Angaben der US-Regierung bei ihrem Angriffskrieg in der Ukraine zunehmend Zivilisten ins Visier. Russland bringe „extrem tödliche Waffen“ ins Land, sagte die US-Botschafterin bei den Vereinten Nationen, Linda Thomas-Greenfield, am Mittwoch. Dies umfasse Streubomben und Vakuumbomben, die international geächtet sind und „keinen Platz auf dem Schlachtfeld“ haben.

Bei der russischen Offensive seien bereits „hunderte, wenn nicht tausende Zivilisten getötet oder verletzt worden“, sagte US-Außenminister Antony Blinken. Die Folgen für die Bevölkerung seien „erschütternd“. Das russische Militär greife Gebäude und Städte an, die „keine militärischen Ziele sind“, betonte er: „Die humanitären Auswirkungen werden in den kommenden Tagen noch zunehmen.“

Ein Vertreter des US-Verteidigungsministeriums erklärte, die Intensität der Angriffe mit schwerer Artillerie werde in den nächsten Tagen voraussichtlich noch zunehmen, während die russischen Truppen Städte in der Ukraine einzukreisen versuchten. „Die Sorge ist, dass sie weniger präzise werden, je aggressiver sie werden“, sagte der Pentagon-Vertreter.

Auch der Generalinspekteur der Bundeswehr, Eberhard Zorn, bestätigt die Befürchtung der USA. „Wir sehen jetzt, dass Putin seine Folgekräfte in den Krieg führt. Damit wird der vermehrte Einsatz von Luftstreitkräften und Artillerie einhergehen – auch gegen zivile Ziele.“ Die Moral der ukrainischen Bevölkerung sei enorm, das stütze die Armee. „Ob diese moralische Unterstützung auf der russischen Seite so vorhanden ist, wage ich zu bezweifeln.“

Einwohner von Kiew suchen Schutz in den Tunneln der Metro

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Quelle: AP/Efrem Lukatsky

Zorn rechnet nicht mit einem schnellen Sieg der russischen Armee in der Ukraine. „Ich finde es beachtlich, wie lange die ukrainischen Streitkräfte und die Bevölkerung den Angriffen schon standhalten“, sagt der ranghöchste deutsche Soldat den Zeitungen der Funke Mediengruppe.

Zum bisherigen Verlauf der russischen Invasion in der Ukraine sagte Zorn, Bundeswehr-Experten hätten im Vorfeld „den Zangenangriff, den wir jetzt sehen, (…) als schwierigste und schlechteste Lösung für alle Seiten betrachtet“. Was Putin jetzt mache, „bringt den größten Kollateralschaden für die Menschen in der Ukraine – und er schadet sich politisch selbst am meiste“.

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Aktuelle Zahlen zu Opfern, Verletzten und Geflüchteten

Sieben russische Militärkrankenwagen in Busgröße sind in einem belarussischen Krankenhaus eingetroffen. Der Konvoi, der bereits am Dienstagabend eintraf, brachte Verletzte von der Front des russischen Krieges in der Ukraine zur Behandlung in das Krankenhaus rund 50 Kilometer von der Grenze zur Ukraine entfernt. Der Konvoi war Teil eines beständigen Zustroms an verletzten russischen Soldaten über die vergangenen Tage, wie Anwohner und Ärzte sagten. Ein Arzt des Krankenhauses in der belarussischen Region Gomel erklärte, seit Montag seien verletzte Soldaten eingetroffen. „Ich hoffe sie sperren mich nicht ein, weil ich das geteilt habe.“

Nach Angaben des ukrainischen Verteidigungsministeriums wurden mehr als 5840 russische Soldaten seit Kriegsbeginn getötet. Dem widersprach das russische Verteidigungsministerium. Nach dessen Angaben wurden bisher 498 russische Soldaten getötet. Zudem seien 1597 Soldaten verletzt worden. Es waren die ersten offiziellen Zahlen dazu aus Russland seit Kriegsbeginn.

Auf ukrainischer Seite habe es bislang 2870 getötete „Soldaten und Nationalisten“ sowie etwa 3700 verletzte Menschen gegeben, erklärte das russische Verteidigungsministerium. Die Ukraine hat zu Verlusten der eigenen Armee keine aktuellen Angaben gemacht, sprach zuletzt aber von mindestens 2000 getöteten Zivilisten. Die Angaben sind nicht unabhängig zu überprüfen. Die UN sprachen zuletzt von 227 getöteten und 525 verletzten Zivilisten.

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Nach Angaben des UN-Flüchtlingshilfswerks sind seit dem Einmarsch Russlands vor weniger als einer Woche eine Million Menschen aus der Ukraine geflohen. Das Bundesinnenministerium zählte zuletzt 5000 registrierte Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine.

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