The EncroChat hack, which targeted a crypto phone provider, significantly impacted organized crime, particularly drug trafficking, leading to over 1,700 arrests in Germany. However, despite initial optimism, drug activity has not diminished, and new violent competition has emerged among criminals. Law enforcement struggles to reach key figures, and experts warn that efforts against organized crime may stagnate, focusing mainly on lower-level offenders rather than addressing the underlying structures.
Die Auswirkungen des EncroChat-Hacks auf die organisierte Kriminalität
Der Hack des Krypto-Telefonanbieters EncroChat vor vier Jahren wurde als erheblicher Schlag gegen die organisierte Kriminalität, insbesondere den Drogenhandel, angesehen. Dennoch gibt es Zweifel an der Nachhaltigkeit dieses Ermittlungserfolgs.
„Vielleicht wäre ich heute nicht so kriminell, wenn Encro nicht aufgeflogen wäre“, spekuliert ein Drogenhändler, während er kleine Röhrchen mit Kokain in Berliner Stadtteilen ausliefert. „Dann wäre alles nicht außer Kontrolle geraten“, fügt er hinzu. Plötzlich ist ein Vakuum in der Szene entstanden, das es ihm, mit nur 18 Jahren, ermöglicht, „auf der Straße mit einer Waffe und Kokain in der Tasche“ unterwegs zu sein. Aufgrund der EncroChat-Ermittlungen gab es in Deutschland mehr als 1.700 Festnahmen. Der Dealer vermutet, dass neue Akteure versuchen, ihren Platz mit Gewalt abzusichern, da sich die Strukturen neu organisieren mussten.
Politische Reaktionen und aktuelle Entwicklungen
Doch dies ist nicht nur die Annahme eines Berliner Drogenhändlers; auch aus der Politik gibt es ähnliche Stimmen. „Natürlich löst dies auch neue Verteilungskämpfe innerhalb dieser Strukturen aus“, äußerte Hamburgs Innensenator Andy Grote (SPD) am Rande des Hafen-Sicherheitssummits in der Hansestadt im Mai 2024. Der Hamburger Hafen ist der deutsche Eingangspunkt für Kokain. Zollerhebungen und polizeiliche Ermittlungen haben auch in diesem Jahr wieder mehrere Tonnen Drogensendungen aufgezeichnet.
Trotz der großen Drogenfunde und zahlreicher Verurteilungen, die aus dem EncroChat-Hack resultierten, gibt es keine Hinweise darauf, dass weniger Drogen ins Land gelangen oder dass die organisierte Kriminalität geschwächt wurde. Zahlen von der Europäischen Drogenbehörde zeigen beispielsweise, dass der Preis pro Kilogramm Kokain sinkt, während die Reinheit steigt.
Anfang Juni berichteten Drogenfahnder von einem außergewöhnlichen Fund: 35,5 Tonnen Kokain im Wert von 2,6 Milliarden Euro.
Nach dem Schlag gegen EncroChat gab es anfänglich noch Optimismus. Im Jahr 2022 äußerte Innenministerin Nancy Faeser die Hoffnung, im Kampf gegen die organisierte Kriminalität Fortschritte erzielen zu können: „Es geht konkret um den nachhaltigen Abbau krimineller Strukturen.“ Der Grund für Faesers Optimismus: Im Sommer 2020 gelang es französischen und niederländischen Ermittlern, den Server des Krypto-Telefonanbieters EncroChat für 40 Minuten abzuschalten und Malware auf den Geräten zu installieren. Über zwei Monate konnten Ermittler lesen, wie zehntausende Kriminelle – vermeintlich sicher vor Abhörmaßnahmen – schwerwiegende Verbrechen planten.
Die Nutzer von EncroChat tauschten Informationen über den Schmuggel von Tonnen Drogen, den Handel mit Schusswaffen oder geplante Gewalttaten wie Folter aus. Bis heute dauern die Gerichtsverfahren in Deutschland an. Inzwischen hat die Waffennutzung auf der Straße seit dem Ende von EncroChat zugenommen. In Berlin erreichten die Kriminalstatistiken für 2023 sogar ihren Höhepunkt. In Nordrhein-Westfalen kam es zu einer Reihe von Explosionen und einer Geiselnahme unter Drogenhändlern in Köln. In Hamburg schossen sich mutmaßliche Mitglieder des Drogenmilieus im Stadtteil Tonndorf gegenseitig an.
„Wegen dieser Encro-Geschichte sind so viele neue Organisationen, kleine Gruppen entstanden“, berichtet ein illegaler Waffenhändler den Reportern des investigativen Formats STRG_F. Der Händler zeigt einige seiner Waffen aus seinem Bestand. Auch eine Kriegswaffe gehört dazu. Er spricht von einer zunehmenden Nachfrage: „Die Leute wollen Geld verdienen, schnell Geld machen. Sie gehen über Leichen.“
Ermittler haben es schwer, die Drahtzieher zu erreichen. „Wir werden den Krieg gegen den Drogenhandel niemals gewinnen“, fasst Jan Reinecke, Landesvorsitzender des Bundesverbandes Deutscher Kriminalbeamter in Hamburg, zusammen. Er glaubt, dass mehr Fokus auf die Drahtzieher gelegt werden sollte, um den größten Schaden anzurichten. Diese Strategie wird auch von Europol und deutschen Ermittlungsbehörden verfolgt. Allerdings sieht Reinecke ein Problem: „Wir können die Drahtzieher mit unseren Mitteln und Möglichkeiten nicht erreichen.“ Auch Bundesinnenministerin Faeser erklärte im Mai 2024: „Wir wollen zu den Drahtziehern gelangen. Das ist das erste Ziel. Aber es ist auch das schwierigste.“
Jan Reinecke schlägt zusätzlich zu Maßnahmen gegen Geldwäsche ein Anti-Mafia-Gesetz vor. Ein solches Gesetz würde es ermöglichen, Mitglieder einer kriminellen Organisation allein für ihre Zugehörigkeit zu einem solchen Netzwerk zu bestrafen. Derzeit ist dies nur möglich, wenn nachgewiesen werden kann, dass sie spezifische Verbrechen begangen haben. Das Bundesinnenministerium hält ein solches Gesetz jedoch auf Anfrage für unnötig und verfassungsrechtlich problematisch.
Eine Anfrage von STRG_F bei allen Landeskriminalämtern und 80 Staatsanwaltschaften hat ergeben, dass bislang hauptsächlich Vermittler aufgrund der EncroChat-Ermittlungen inhaftiert wurden. Es gibt wenig Hinweise darauf, dass deutsche Ermittler zu Auftraggebern oder Drahtziehern gelangt sind. Auch die Lieferketten zu den kokainproduzierenden Ländern waren schwer nachzuvollziehen.
Laut der Barmer Krankenkasse sind besonders junge Männer betroffen.
Die Lücken schließen sich schnell. Vier Jahre nach dem EncroChat-Hack behauptet das Bundeskriminalamt weiterhin, dass ein nachhaltiger Schlag gegen die organisierte Kriminalität erzielt wurde, auch wenn die Statistiken das nicht zeigen. „Wo Lücken entstehen, werden auch wieder Lücken geschlossen“, fasst Polizeidirektor Heiko Löhr zusammen. Man muss sich wohl damit abfinden, dass neue Akteure erneut einen Platz suchen.
Der Kriminalrechtswissenschaftler Arndt Sinn warnt nach den EncroChat-Ermittlungen, dass „die Verfolgung der organisierten Kriminalität stagnieren wird“ und „die Strafverfolgungsbehörden wieder in alte Muster zurückfallen, indem sie nur illegale Produkte vom Markt nehmen, die kleinen Fische verfolgen und keine strukturellen Ermittlungen durchführen“. Tatsächlich zeigt der aktuelle Bundeslagebericht zur organisierten Kriminalität, dass die Zahl der abgeschlossenen Verfahren abnimmt und dass im Vergleich zum Vorjahr zwei Drittel weniger Vermögenswerte sichergestellt werden konnten.